Brenz, Johannes - Sonntag Septuagesimä.

Brenz, Johannes - Sonntag Septuagesimä.

1540.

Matth. 20, 1-16.
Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde, und sah andere am Markt müßig stehen, und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist; und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und neunte Stunde, und tat gleich also. Um die elfte Stunde aber ging er aus, und fand andere müßig stehen, und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns Niemand gedingt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; und was recht sein wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter, und gib ihnen den Lohn; und hebe an an den Letzten, bis zu den Ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein Jeglicher seinen Groschen. Da aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. Und da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater, und sprachen: Diese Letzten haben nur Eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. Er antwortete aber, und sagte zu Einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden um einen Groschen? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem Letzten geben, gleich wie dir. Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin? Also werden die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein. Denn Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt.

Das Evangelium, welches wir eben verlesen haben, enthält eine nützliche Lehre, dadurch wir sowohl in den gegenseitigen Pflichten, die Einer dem Andern in diesem Leben schuldig ist, als auch in den Werken des Gewissens unterwiesen werden, darin wir vor Gott unser Leben führen. Denn wir sind zu zweierlei Arten guter Werke berufen. Die eine ist, dass wir wechselweise untereinander mit gegenseitigen Pflichten und Werken der Liebe ein ehrbares und gerechtes Leben verbringen. Die andere ist, dass wir in unserem Gewissen vor Gott recht denken, glauben, hoffen und was es sonst an dergleichen Werken gibt. Beiderlei Art des Lebens ist für uns notwendig. Diese zwar, auf dass wir vor Gott durch den Glauben gerechtfertigt werden, jene aber, auf dass wir durch Liebeswerke unseren Glauben bezeugen und unsere Dankbarkeit kundtun. Da nun in dem evangelischen Abschnitte, den wir aus Matthäus verlesen haben, beides dargelegt wird, wollen wir selbigen in der Kürze durchgehen, damit wir, über unseren Beruf ordentlich unterwiesen, Gott willigen Gehorsam leisten.

Christus erzählt also das Gleichnis von dem Hausvater, der Arbeiter mietet in seinen Weinberg. In diesem Gleichnisse ist erstlich zu merken: dass der Hausvater mit den ersten Arbeitern um bestimmten Lohn eins wird. Und diese verpflichten sich zwar zu arbeiten, nachher jedoch murren sie wider den Hausvater. Das ist der Dinge Lauf in dieser Welt. Es gibt keine gegenseitige Dankbarkeit unter den Menschen, ob du auch einem Jeglichen zuteilst, was sein ist. Und was viel schlimmer ist, es gibt unter den Leuten fast keine wechselseitige Treue. Denn, bist du auch mit deinem Nächsten durch einen Vertrag übereingekommen, sei es über Lohn, sei es über Zahlung einer Schuld oder über eine Arbeit, die zu leisten ist, so ist der Wankelmut der Menschen dennoch so groß, dass du dir nichts Gewisses von der Treue und der Zusage des Nächsten zu versprechen wagst. Solches Laster ist das verbreitetste unter den Menschen, und ich meine, dass es daher in dem Maße um sich greift, weil die Leute der Ansicht sind, dass es keine Sünde und der göttlichen Strafe unterworfen sei. Sie halten nur groben Raub und Diebstahl für Sünden, aber die Verletzung des gegebenen und verpfändeten Wortes achten sie für Kurzweil. So muss denn gezeigt werden, eine wie große Sünde die Verletzung der geleisteten Treue oder Zusage ist. Ein Anderes ist es, wenn es nicht in deiner Macht steht, Treue zu halten. Hat es aber an dir, oder an deinem Geize, oder an deiner Unbeständigkeit gelegen, so wird alsdann eine um so größere Sünde begangen, für je geringer dieselbe von unerfahrenen Menschen betrachtet wird. Denn das Naturgesetz lehrt: „Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr auch ihnen.“ Nun will aber ein Jeder, dass das ihm gegebene Wort gehalten werde. So lehrt ja die Natur, dass auch du es halten sollst. Daher ist die Verletzung der Treue eine Sünde wider die Natur, und wer solche Sünde begeht, der sollte keine Stätte unter den Menschen haben, sondern nur unter den Tieren, weil er von der menschlichen Natur entartet ist. Man erklärt es für ein Todverbrechen, so Jemand mutwillig eine öffentliche Mauer, die für unverletzlich gilt, zerstören würde, aus dem Grunde, weil er wider die ganze Gemeinde der Bürger sich versündigte, welche von den Mauern umgeben und geschützt wird. Allein, die Gemeinde der Bürger besteht und erhält sich viel mehr durch gegenseitige Treue. Denn ist unter den Bürgern keine Treue sicher, so kann der Staat nicht lange bestehen. So sehr also diejenigen wider die bürgerlichen Gesetze sündigen, welche eine öffentliche Mauer zerstören, so sehr sündigen wider die sittlichen und göttlichen Gesetze die, welche ihr gegebenes Wort verlegen. Denn Gott stellt die Beobachtung der wechselseitigen Treue so hoch, dass er darüber ein eigenes Gesetz in den zehn Geboten gegeben hat: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Falsch aber heißt nicht bloß ein Zeugnis öffentlich vor Gericht, sondern falsche Zeugnisse sind auch die Verletzungen des gegebenen Wortes.

St. Paulus rechnet die Treulosen zu den Gräueln der Heiden, unter Mörder, Lästerer und Andere desgleichen. Er sagt (Röm. 1,29-32): „Voll alles Ungerechten, voll Hasses, Mordes, Haders“ usw. Da ferner der Treubruch eine schreckliche Sünde ist, hat er auch seine Strafe und wird im Jeremias zu den Lastern gezählt, darob Jerusalem und das ganze jüdische Land verwüstet ist. Jer. 5,1: „Geht durch die Gassen zu Jerusalem, und schaut und erfahrt, und sucht auf ihrer Straße, ob ihr Jemanden findet, der recht tue und nach dem Glauben frage, so will ich ihr gnädig sein.“ Hier redet der Prophet von dem bürgerlichen Glauben, der unter den Menschen besteht im Halten der gegenseitigen Versprechungen, und fügt hinzu (5,2): Und wenn sie schon sprechen: Bei dem lebendigen Gott! so schwören sie doch falsch.“ Was wird es also sein? „Siehe, ich will über euch vom Hause Israels, spricht der Herr, ein Volk von ferne bringen, ein mächtig Volk, die das erste Volk gewesen sind; ein Volk, des Sprache du nicht verstehst, und nicht vernehmen kannst, was sie reden. Seine Köcher sind offene Gräber, es sind eitel Riesen. Sie werden deine Ernte und dein Brot verzehren; sie werden deine Söhne und Töchter fressen; sie werden deine Schafe und Rinder verschlingen; sie werden deine Weinstöcke und Feigenbäume verzehren; deine festen Städte, darauf du dich verlässt, werden sie mit dem Schwert verderben“ (Jer. 5,15-17). Hosea 4,1 ff.: „Hört, ihr Kinder Israel, des Herrn Wort! Denn der Herr hat Ursache, zu schelten, die im Lande wohnen. Denn es ist keine Treue (d. h. Einer hält dem Anderen nicht Glauben), keine Liebe, kein Wort Gottes im Lande. Darum wird das Land jämmerlich stehen, und allen Einwohnern übel gehen.“ Und diese äußerliche Strafe der Sünde bringt ewige Verdammnis mit sich. „Verflucht sei, (spricht er) wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er danach tue“ (5. Mose 27,26). Denn ob auch die Obrigkeit nicht immer diejenigen straft, die ihre Treue brechen, so hat doch Gott für diese Sünde keine Nachsicht, sondern züchtigt sie mit leiblichen und geistlichen, zeitlichen und ewigen Strafen. Wollen wir deshalb Menschen sein, wollen wir den Strafen entrinnen, wollen wir, dass Gott uns Treue halte, so müssen wir notwendig auch unter einander die wechselseitige Treue bewahren. So weit von dem Leben, das wir unter einander gegenseitig führen sollen.

Nun auch von den Werken, die wir Gotte schuldig sind. Als am Abend die Arbeiter gerufen wurden und den Letzten gleicher Lohn mit den Ersten ausgezahlt, da murren die Ersten wider den Hausvater, als wäre er unbillig und ungerecht. Dieser Teil des Gleichnisses deutet an, dass Gott von den Menschen der Ungerechtigkeit bezichtigt werde. Und zwar ist auch diese Lästerung gemein unter den Leuten, dass man urteilt, Gott sei unbillig und ungerecht. Da die Juden das Evangelium vernehmen, und sehen, dass die Heiden von Gott angenommen werden, da murren sie wider Gott und wehklagen über ihre große Mühe am Gesetze, während die Heiden zuletzt gekommen und dennoch der nämlichen Glückseligkeit teilhaftig seien, die ihnen im Gesetze verheißen ist durch den Samen Abrahams. Die Heuchler murren wider Gott, sehen sie die Sünder durch den Glauben das erreichen, was sie selber durch viele Verdienste ihrer Werke nicht erlangen konnten. Die Armen murren wider Gott, dass er den Reichen so große Reichtümer gegeben habe, und sie hungern und frieren lasse. Die Gebrechlichen murren wider Gott, dass er Andere, die schlechter sind, gesund mache, sie aber in das äußerste Siechtum stürze. So wird Gott von den Menschen der Ungerechtigkeit angeklagt. Solches ist eine große Lästerung, und Christus lehrt in diesem Gleichnisse, dass Gott von aller Ungerechtigkeit aufs Weiteste entfernt sei. „Hab ich nicht Macht zu tun was ich will mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin?“ Ein Anderes ist die Zahlung einer Schuld, ein Anderes die Verteilung von Almosen; ein Anderes ist's, dem Verdienste seinen gebührenden Lohn geben, ein Anderes, aus Güte und Freigebigkeit Etwas schenken. Schuldete freilich Gott allen Menschen das ewige Heil ob ihres Verdienstes, so wäre er ungerecht, wenn er dem Einen das himmlische Heil gäbe, und dem Anderen, der gleichfalls den Himmel verdient hätte, gäbe er die Hölle. Das wäre eine große Ungerechtigkeit. Nun ist aber Gott keinem Menschen Etwas schuldig, noch hat auch Jemand die himmlische Seligkeit verdient. Daher ist Gott nicht ungerecht, dass er den Einen gütig erretten und den Anderen streng bestrafen sollte nach Verdienst. Ungerecht wäre die Obrigkeit, welche von Zweien, die sich um den Staat gleich verdient gemacht haben, den Einen ehren, den Andern mit Strafe belegen würde. Sie ist aber nicht ungerecht, so sie von Zweien, die durch ihre Missetaten den Tod verdient haben, den Einen straft, den Anderen freilässt aus irgend einer triftigen und rechtmäßigen Ursache. So müssen wir auch von Gott denken, dass er nicht ungerecht sei, wenn er von Zweien, welche zusammen die Hölle verdient haben, den Einen verdammt, den Anderen selig macht. Darum sei es ferne, dass wir Gott in unserem Gewissen für ungerecht erachten, sondern lasst uns meinen, er sei weitaus der Allergerechteste, ob wir auch die Gründe seiner Gerechtigkeit in dieser Welt nicht einsehen.

Danach fügt Christus zum Schlusse zwei Aussprüche hinzu, die uns gleichfalls in unserem Gewissen gegen Gott unterweisen. „Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt.“ Häufig ist der Missbrauch dieser Worte oder Aussprüche, und sie müssen daher etwas sorgfältiger ausgelegt werden. Denn wenn die Gottlosen hören, die Letzten würden die Ersten sein, fragen sie nicht nach dem Worte des Herrn, tun keine Buße, und wenn sie ermahnt werden, sprechen sie: es bleibe ihnen noch Zeit genug zur Buße übrig, und ihre Hoffnung sei, dass sie dereinst noch die Ersten sein würden, weil sie jetzt die Letzten wären, und so missbrauchen sie dieses Wort zu ihrem Verderben. Christus jedoch hat es vorgebracht, damit wir Gottesfurcht, aber nicht Gottlosigkeit lernen. Er hat nämlich mit solchen Worten die Apostel und Andere getröstet, in ihrer Verzagtheit nicht zu verzweifeln, sondern festes Vertrauen zu hegen und ihrer Berufung zu folgen. Obwohl nämlich Andere, d. h. die Hohenpriester und Pharisäer als die Ersten erscheinen im Volke Gottes, pflegt es dennoch im Reiche Gottes zu geschehen, dass die Ersten die Letzten werden und die Letzten die Ersten. Von Esau und Jakob war Esau der Erste, Jakob der Letzte; aber Jakob ist der Erste geworden und Esau der Letzte. So auch ist's bei David und seinen Brüdern, so bei den Juden und den Heiden, so bei den Pharisäern und den Sündern, so bei den Aposteln und Nikodemus und Joseph beim Leiden Christi. Darum verzweifle doch Niemand in seiner Verzagtheit! Der andere Ausspruch ist: „Viele sind berufen, aber Wenige auserwählt.“ Diesen missbrauchen die Schwachen zur Verzweiflung. Was aber Christus gelehrt hat, das hat er zur Stärkung des Glaubens gelehrt, nicht, um in Verzweiflung zu stürzen. Des Menschen Sohn (spricht er) ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten“ (Luk. 9,56). Auch Andere missbrauchen Solches zur Bekräftigung ihrer Ketzereien. Wenn es nämlich zu Zeiten Wenige gibt, die dem Irrtum der Ketzer anhangen, pflegen sie sich über ihre geringe Zahl zu schmeicheln. Allein Christus hat solchen Ausspruch hinzugefügt, nicht um Verzweiflung zu lehren, nicht um die Gottlosigkeit der Wenigen gutzuheißen, sondern um den Glauben der Schwachen bei ihrer kleinen Anzahl zu erhalten. Denn sind deren, die der wahrhaftigen Lehre der Gottseligkeit anhangen, Wenige, so pflegen sie bei ihrer geringen Zahl zaghaft und furchtsam zu sein. Da tröstet nun Christus die Wenigen, auf dass sie recht vertrauen und fortfahren, an der rechten Lehre zu halten, weil Viele berufen, Wenige auserwählt sind; d. h.: Gott liebt viel mehr die Wenigen, die der Wahrheit anhangen, als die Vielen, welche es mit Lügen und mit der Gottlosigkeit halten. So waren Viele Hohenpriester und Pharisäer, Wenige indessen Apostel und Jünger Christi. So waren Viele Juden und Heiden, Wenige aber Christen. So gibt es jetzt Viele, die auf der Seite des römischen Papstes stehen, Wenige auf der Seite des Evangeliums. Die kleine Anzahl jedoch schrecke uns nicht ab von unserem Berufe, sondern ermutige uns vielmehr wegen der Verheißung Christi, dass wir in der wahrhaftigen Lehre der Gottseligkeit beharren und das ewige Leben haben in Christo Jesu, unserem Herrn, welcher hochgelobt ist in Ewigkeit. Amen.

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