Blumhardt, Christoph - 5. Die richtige Stellung in der Welt (7. Trin.).

Blumhardt, Christoph - 5. Die richtige Stellung in der Welt (7. Trin.).

Matth. 7,1-12.

Bei allem dem, was bisher der Herr in der Bergpredigt gelehrt hat, kam viel darauf an, daß Seine Jünger im Besonderen die richtige Stellung in der Welt lernten, in der sie sich zu halten hätten, damit sie es leichter durchbrächten und nicht unvermerkt aus ihrer Rolle fielen. Dabei war es ungemein wichtig für sie, gewisse Regeln und Weisungen zu haben, nach denen sie sich nach verschiedenen Seiten richten könnten. Solche Regeln gibt der Herr. Er will nämlich Seine Jünger anleiten, wie sie sich zu stellen hätten erstens gegen Sünder (V. 1.2), zweitens gegen Schwache (V. 3-5 ), drittens gegen Widersacher (V. 6), viertens gegen den himmlischen Vater (V. 7-11), und fünftens gegen die Leute überhaupt (V. 12). Besehen wir das Einzelne näher.

Erstlich spricht der Herr, wenn er vor dem Richten warnt (7,1.2), von der richtigen Stellung der Seinen gegen Sünder, oder gegen Solche, die sich allerlei, auch grobe Sünden, haben zu Schulden kommen lassen, obwohl sie sonst etwa doch zur Gemeinde Christi gehören. Nur gar zu leicht kommt man da in ein Richten hinein, d. 5. man beurtheilt solche sündigende Brüder zu hart, indem man gleich den Stab über sie bricht und sie bei sich und Andern als unverbesserlich verdammt und abthut, ohne alle Schonung, Geduld, Rücksicht, Gnade, daß ich so sage, und so sich oft benimmt, selbst wenn man heiße Thränen der Buße bei ihnen sieht. Man spielt dabei den Richter, der doch nur Gott sein sollte, und zwar den harten Richter, der unnachsichtlich richtet, als ob man's gar Gewissens halber so thun müßte. Man mißt daher den Sündern auch mit vollem Maß, indem man es sie nachdrücklich fühlen läßt, wie man nichts mehr auf sie halte, indem man sie überall verschreit, wider sie redet, nirgends mehr ankommen läßt, immer nur wegwerfende Urtheile über sie fällt, sie gleichsam lebendig todt macht, geschweige denn, daß man noch irgend etwas ihnen zu Gefallen oder zu Dienst thun mag. Es gibt freilich Unterschiede unter den Sündern; und ihnen gemäß muß auch das Verhalten gegen sie verschieden werden, je nachdem Vorsicht, oder Zucht, oder Verhütung größeren Uebels, auch Rücksicht auf die Sache des Herrn es erfordert. Aber unzählige Fälle gibt es, bei welchen man vorschnell Sünder wegwirft und auf eine Weise richtet oder richterisch behandelt, wie es dem Herrn nur mißfallen kann, und oft in dem Grade, daß der Richtende kann verwerflicher vor Gott werden, als der Sünder, den er richtet.

So sehr also auch Ernst gegen die Sünde selbst gezeigt werden muß, so widergöttlich ist es, in angeführter Weise vorschnell gegen Sünder richterisch zu verfahren, und dabei zu thun, als ob an ihnen wohl auch alle Barmherzigkeit Gottes verloren wäre. Jünger des Herrn, die als geistlich arm leidtragend über sich selbst sind, und darum sanftmüthig, hungernd und dürstend nach Gerechtigkeit, daher auch barmherzig, können nicht so handeln. Thun sie es, so stehen sie selbst unter einem schweren Gericht. Immerdar muß es bei uns auf Barmherzigkeit, Vergebung, Rettung Andern gegenüber abgehoben sein, wenn es uns nicht fehlen soll an jenem Tage. Hüten wir uns doch vor allem tugendstolzen Wesen, durch welches nicht nur wir selbst für uns viel einbüßen, sondern auch der Gemeinde Christi, unsäglich viel Abbruch geschieht, weil dadurch Viele statt näher zum Heiland gezogen, nur in die weiteste Ferne von ihm geschleudert werden.

Die Drohung des Herrn wider die, welche in angeführter Weise Sünder richten, ist sehr ernst, und wird doch, wie es scheint, meist ziemlich oberflächlich angesehen, als ob's mit ihr nicht gerade so ernst wäre. Aber fassen wir das Eine ins Auge, was der Herr andeutet: „Wer richtet, wird gerichtet; und wie er richtet, wird er gerichtet werden; wie er verwirft, wird er dort an jenem Tage verworfen werden,“ so sollte uns eine Furcht anwandeln. Denn bedenken wir, was das heißt, dort verworfen zu werden. Wie Viele, die man für große Heilige gehalten hat, werden einst mit entsetzlichem Zagen da stehen, ob der strengen Miene des rechten Richters, der gar nicht dran will, ihren sonstigen Glauben anzusehen und was sie sonst glaubten in Christo gewesen zu sein, weil sie hienieden gegen Andere so strenge Richter gewesen sind. Am Ende kann ihnen etwa nur noch die Bitte der von ihnen Gerichteten, wenn diesen Gnade widerfährt, durchhelfen. Denn es bleibt bei dem, was Jakobus sagt (2,13): „Es wird aber ein unbarmherzig Gericht über den gehen, der nicht Barmherzigkeit gethan hat.“ O lieber Christ, beachte deines Heilands Wink und besinne dich, daß du nicht selbst an Sündern dich versündigst! Denn die Folgen können so schwer werden!

Zweitens redet der Herr von der richtigen Stellung gegen schwache Brüder, deren geringere Fehler und Gebrechen, Splitter genannt, nicht so lieblos behandelt werden sollten (V. 4 u. 5). Es ist ja nicht anders möglich, als daß Schwachheiten aller Art bei den Einzelnen hervortreten, Schwachheiten, welche sehr übend und lästig werden können. Daß man einander nun in der Liebe helfe ablegen, was nicht taugt, kann der Heiland nicht verbieten wollen. Aber da gibts eigenliebige, selbstgerechte Brüder, die nur immer darauf aus sind, Fehler an Andern zu entdecken, um sie tadeln zu können, die auch im Augenblick und immer etwas sehen, darüber sie die Achseln zucken, die wohl auch aus Schadenfreude, aus Mangel an Liebe und Achtung, aus Neid und Mißgunst und hoch herabsehendem Stolz sich über Gebühr ärgern an dem, was sie bei Andern sehen, und die tadelnd und kränkend oder verletzend es ihnen vorhalten, mitunter auch in einer Art, wie wenn sie um solcher Fehler willen auf ihr ganzes Christenthum nichts hielten, oder sie für unbekehrt zu nehmen hätten.

Solche Sucht, nur immer die Fehler Anderer aufzusuchen und zu rügen, stört den eigenen und Anderer Frieden, und thut der brüderlichen Gemeinschaft Abbruch, kann auch zu Spaltungen und Trennungen der Gemüther führen, und den Seelenfrieden der Getadelten stören, ja im Wachsthum des inneren Menschen aufhalten. Jünger, die so tadeln, hören auf, friedfertige Leute zu sein, wie sie als geistlich Arme es sein sollten. Der Heiland nennt diese Sucht eine Heuchelei (V. 5), weil man bei ihr seine eigenen Fehler übersieht, sich besonders fromm stellt und sich höher dünkt als Andere. Diese Heuchelei allein schon ist einem Balken vergleichbar, der unendlich verwerflicher vor Gott macht, als die getadelten Splitter. Wie sollte doch jeder, der den Mund aufthun will, zu tadeln, zuerst sich selbst besehen und prüfen, ob er nicht als Heuchler rede. Denn abthun sollte er zuerst seine Heuchelei, eben diesen Balken zuerst aus seinem Auge ziehen, ehe er sich an den Splitter seines Bruders hinwagt.

Statt nun aus den Splittern in des Bruders Auge so viel zu machen, sollen wir Anderer Gebrechen mit Geduld, mit Liebe, mit Uebersehen, wenn wir nicht anders, denn als Heuchler uns dazu stellen können, tragen, und nur darauf sehen, daß wir von uns aus an Liebe, Werthschätzung, auch Ehrerbietung trotz der wahrgenommenen Schwäche es nicht fehlen lassen, daß wir nicht selbst irgendwie Anstoß geben, und daß wir durch eigenen vorsichtigen Wandel Andere ermuntern, auch ihrerseits auf der Hut zu sein. Unser eigenes Auge müssen wir zuerst frei machen. So bleibt der Friede erhalten und gedeiht die Sache des Herrn, die nur unter Geduld Aller gegen Alle, ohne in Gleichgültigkeit gegen wirkliche Untreue auszuarten, zunehmen kann. Wer überhaupt innerlich zunehmen und nicht abnehmen will, muß von jeder lieblosen Tadelsucht sich frei halten.

Drittens (V. 6) redet der Herr von der richtigen Stellung gegen Feinde des Evangeliums, gegen entschiedene Widersacher, die Er Hunde und Säue (zunächst in der Heidenwelt) nennt, weil sie im Augenblick, da sie an das Evangelium Anstreifendes hören, gleichsam die Zähne weisen, beißen und treten, wüthen und lästern. Ihnen, sagt der Herr, soll man nicht das Heiligthum geben, und vor sie soll man nicht seine Perlen werfen. Das Heiligthum und die Perlen sind offenbar das Evangelium mit seinen Schätzen und Offenbarungen. Bei der Verkündigung des Evangeliums soll man also nicht so gar ohne Scheu vor den Feinden, die wie Hunde und Säue zu fürchten wären, sein. Die Wahrheit Lästerern und Spöttern, die Alles schamlos verdrehen, nicht preisgeben, auch sich selbst und sein Leben ihnen gegenüber schonen, kann unter Umständen für die Bekenner des Evangeliums Pflicht werden. Viele solcher Feinde werden auch nicht so schnell als das, was sie sind, als Hunde und Säue, erkannt, können sich eine Zeit lang stellen, als neigten sie sich zum Glauben hin, da es dann sehr gefährlich ist, gleich so ganz brüderlich den Leuten sich zu bezeigen und sie zu seinen Vertrauten zu machen.

Im Anfang konnte es auch geschehen, daß man, was eben der Heiland verhüten wollte, solcherlei Menschen zu schnell zur heiligen Taufe zuließ und der Gemeine Christi einverleibte, da sie denn bald wie Hechte im Teiche sich benahmen und unschuldiger Seelen Untergang herbeiführten, oder sonst auf allerlei Art ihre reißende und beißende Art zu erkennen gaben, daß durch sie in kurzer Zeit ganze Gemeinden dem Greuel der Verwüstung preisgegeben waren (Apostelg. 20,29). Da sehen wir's, wie wichtig die Warnung des Herrn ist vor Hunden und Säuen, wie er sich ausdrückt, und wie vorsichtig man sein muß, wenn man mit gleißnerischen Leuten es zu thun hat, daß man sie bald durchschaue und zurückhaltend bleibe mit vertraulicher Art und Gemeinschaft, ehe es zu spät ist und ihnen die Handhabe zu Zerstörungen aller Art gegeben ist. Ach, wie viel Unheil haben doch schon dergleichen Menschen in christlichen Kreisen angerichtet und der Sache des Herrn geschadet, wenn man ihnen unvorsichtiger Weise, wie wenn sie Freunde wären, das Heiligthum gab, und die Perlen gleichsam hinwarf!

Für gewöhnlich, nun in der Christenheit, können wir aus Anlaß der Warnung des Herrn vor den Widersachern uns dreierlei merken. Einmal sollte man, wenn man nur Lästerer und Spötter vor sich sieht, lieber stille sein und schweigend sich zurückziehen, als durch freies Auftreten ihren Aerger, Zorn und Grimm wecken. Sodann, wenn unter Redlichen dergleichen Feinde gemischt sind, daher immer vor größeren Versammlungen, lerne man vorsichtig reden und alles Misdeutbare, Ungeeignete, Herausfordernde meiden, überhaupt Alles, von dem sie denken könnten, es sei auf sie gemünzt. Endlich hüte man sich, direkt die Feinde und Spötter anzugehen, ihnen persönlich zuzusetzen und auf sie einzubringen, besonders wenn es mit strafender Manier verbunden ist, in der Meinung, man müßte es über sie gewinnen. Im letzteren Falle kann es am Leichtesten geschehen, daß sie ihren ganzen Grimm zum Schaden Vieler und oft der ganzen Sache auslassen. Lernen wir achten auf den Wink, den der Herr gibt, und benehmen wir uns nicht, unter dem Vorgeben, Bekennerseifer an den Tag legen zu müssen, weder im täglichen Verkehr oder in Gesellschaften, noch in öffentlicher Rede, als ob der Herr solchen Wink nicht gegeben hätte. Jede Nichtachtung eines Worts und Winks und Raths und Befehls des Herrn hat der Jünger Jesu immer empfindlich zu büßen.

Viertens kommt der Herr auf die richtige Stellung Seiner Jünger zum himmlischen Vater zu reden (V. 7-11). Nur als bittende Kinder, gibt Er zu erkennen, stehen wir in richtigem Verhältnis zu Gott, und so auch zu Jesu selbst, nachdem Er sich zur Rechten Gottes gesetzt hat. Die Selbstständigkeit, mit welcher etwa Jünger des Herrn ohne Bitte und ernstliche Bitte, oder bestimmten Aufblick nach oben zu Weisung und Hülfe ihre Sachen machen wollen, ist Ihm, dem liebenden Vater, ärgerlich und entbehrt daher alles Segens von oben. Zu Allem, was der Herr uns jetzt gelehrt hat, sind wir auch ohnehin von uns selber nicht tüchtig; und meinen wir's, so liegt Selbsterhebung, geistlicher Hochmuth zu Grunde. Wie sollen wir aber tüchtig werden, wenn es der Vater im Himmel nicht gibt? Wie soll Er's aber geben, wenn wir nicht bitten? Vor Allem muß also ein Jünger des Herrn sich in das Verhältnis eines bittenden Kindes zum himmlischen Vater stellen, wozu er ja als Kind Gottes (5,9) besonderes Recht hat, wenn es ihm gelingen soll, unversehrt durch die Welt hindurchzukommen. Er muß bitten lernen in kleineren und größeren Dingen, muß suchen lernen, wenn's nicht gehen will, und er merken kann, daß er finden muß, wo es fehlt. Er muß endlich auch anklopfen lernen, wenn er merkt, daß Thüren verschlossen sind, die erst, daß ich so sage, durch immer heftigeres Anklopfen sich öffnen werden.

Wer solches Bitten, Suchen und Anklopfen nicht lernen und üben will, probiert immer zu viel aus sich selber und kommt darum leicht auf allerlei wunderliche und verkehrte Dinge. Es bleibt bei ihm Alles natürlich und nichts will geistlich werden. In Alles flicht sich eigene Natur und Neigung, auch Eigensinn, Rechthaberei, Stolz und Eigendünkel. Nichts wird recht bei ihm nach Gottes Sinn; und es bleiben bei ihm für Aerger, Zorn, Unwillen, Streitereien, Zänkereien Thür und Thor offen. In tausend Fällen kommt er in Noth und Verlegenheit, daß er sich nicht zu helfen weiß und zuletzt gar sich verwirrt. Ohnehin gelingt nichts nach Wunsch, weil die Hülfe von oben ferne bleibt, daß es also nur so weit fortgeht, als es nach natürlichem Verlauf gehen kann, womit so gut als nichts geschehen ist im Reiche Gottes. Wie gar anders. aber wird Alles bei dem, der bitten, suchen und anklopfen kann, nach Erfordernis immer und überall, weil dann zu Allem, was er thut, Kräfte von oben sich gesellen.

Besehen wir's aber näher, warum der Herr nicht bloß vom Bitten, sondern auch vom Suchen und Anklopfen redet. Im Allgemeinen schon will Er damit anzeigen, wie ernst und nachhaltig und andauernd man es mit dem Bitten nehmen, auch nicht gleich das Bitten aufgeben müsse, wenn es erfolglos zu sein scheint. Mit Suchen und Anklopfen kann noch etwas erreicht werden. Dieses Suchen und Anklopfen deutet vornehmlich auf vermehrtes und verstärktes Bitten bin, wenn innere und äußere Noth immer heftiger dazu bringt.

Es will aber auch andeuten, daß wir beim Bitten wach nach dem inneren Menschen sein müssen, wie weit und nach welchen Seiten hin wir unsre Bitten und Erwartungen zu richten hätten. Viele meinen genug gethan zu haben, wenn sie nur einfach um Segen bitten zudem, was sie vorhaben, da aber häufig kein Aufmerken ist, wie weit man wirklich eine Bitte habe (1. Joh. 5,15). Die Meisten sind in Allem, ehe sie bitten, schon mit sich selber fertig und ganz nach eigenem Geiste, und meinen, wenn sie jetzt nun auch noch dazu beteten, so sei's Alles legitimiert und recht, wie sie's vorhaben; und doch kann Letzteres gar nicht nach dem Sinn und Willen Gottes sein, daß sie auch nichts dafür von Ihm empfangen können. Solche bitten zu spät, da der liebe Gott weiter nichts mehr zu geben hat, als daß er das Ihre approbierte und ohne Weiteres mit ihnen gehe. Lernen wir doch zwischen Beten und Bitten unterscheiden, und beim Bitten daran denken, daß wir's zeitig genug thun, und daß wir dazu freier sein müssen, nicht durch Eigenes gebunden und eingenommen, wenn es das Bitten eines bittenden Kindes sein soll, das sich, wenn nöthig, auch Einsprache und Weisung wider die Neigung gefallen läßt.

In der Erfahrung nun macht sich's häufig so, daß Viele wohl bitten, aber gleich nachlassen, weil sie nur so weit bitten, als sie sehen, daß sie die natürlichen Kräfte dazu haben, oder es überhaupt natürlich gehen kann. Geht's über das hinaus, so halten sie alle weiteren Bitten für vermessen; und doch sollte oft gerade da das Suchen und Anklopfen anfangen, damit man auch Solches bekomme, das nach seiner ganzen Anlage als ein von oben Gegebenes erscheint. So bleibts beim einfachen Bitten; und lieber weichen sie zurück und lassen sie Alles liegen, als daß sie weiter suchten; und noch weniger wollen sie anklopfen. Da ists. aber überhaupt kein Bitten beim Vater; denn da, wo es eigentlich darauf ankommt, daß Er geben sollte, lassen sie nach, als glaubten sie schon gar nicht, daß wirklich etwas von oben auf's Bitten hin kommen könnte. Wie armselig ist doch da der Meisten Gebet und Bitten, sofern sie eine wirkliche Gabe von oben, namentlich alles an ein Wunder Anstreifendes nicht nur nicht glauben, sondern geradezu scheuen! So kommt es, daß es Viele, auch eifrigere Christen, gibt, die, wenn man's genau besieht, weder bitten, noch suchen, noch anklopfen, und so zum himmlischen Vater die Stellung eines Ihm fern stehenden Kindes einnehmen, so fromm und andächtelnd sie auch sonst sich bezeigen. Das thun auch die, welche immer Angst haben vor dem Bitten, in dem Wahn, der Vater nehme es ihnen übel, daß sie sich nicht gedulden mit dem, wie's ist, und reiche ihnen darum, wie zur Strafe, eher Steine, oder Schlangen, oder Skorpione hin, als das, was sie begehren. Solche Christen gibt es, welche wirklich dergleichen fürchten. Hört man doch die Leute so oft sagen, sie bitten sich dieses und jenes nicht weg, weil sie sonst etwas Aergeres dafür bekommen könnten. Ach, bedächten sie's doch, wie viel am Bitten liegt, das sie bestimmte Verheißung hat. Denn nichts als Gutes, wie's auch sei, weiß der himmlische Vater bittenden Kindern zu geben; und wie Vieles gibt Er nur Bittenden. Wir sehen auch, wie der Heiland keine Grenzen setzt für's Bitten. Wir dürfen um Alles bitten, auch im Aeußerlichen, wo irgend welche Hemmung uns entgegentritt, oder Noth und Plage uns drückt. In Allem will Gott uns willfährig sein, wenn der Herr zum zweiten Male sogar noch sagt (V. 8): „Denn wer da bittet, der empfähet; und wer da suchet, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgethan.“ Bedächten wir's doch, wie auch das Allergrößeste, das höchste Gute, der heilige Geist (Luk. 11,13), der unserer Zeit wieder so nöthig wäre, uns verheißen ist, wenn wir's am Bitten, Suchen und Anklopfen nicht fehlen lassen. Aber wie nennt man doch so häufig solche Bitte eine vermessene!

Fünftens endlich sagt der Herr noch ein Wort über die richtige Stellung Seiner Jünger zu den Leuten überhaupt (V. 12). Was wir wünschen, daß die Leute uns thun, sollen wir ihnen thun. Wir sollen nicht warten, bis die Leute zu uns kommen, uns lieben, uns Gutes erweisen, uns mit Wohltaten überschütten. Eben weil wir wissen, wie wohl das uns thut, sollen wir eilen, eben damit dem Andern wohlzuthun. Tausende freilich gibts, die's nicht so machen, die keinem Menschen zuerst etwas Gutes thun wollen, die Niemand grüßen, Niemand anreden, Niemand besuchen, ehe man ihnen zuvorkommt, und die daher immer nur lauern, ob die. Andern kommen, ihnen freundlich sind, Liebe und Wohlthat thun, um von denen gar nicht zu reden, die gar nie Andern Gutes thun lernen, aber immer erwarten, daß Jedermann sie respectiere, beehre und ihnen gefällig sei. Das aber ist Schuld, daß so viele Liebe auf Erden gar erloschen, und statt ihrer nur Feindschaft, oder Gleichgültigkeit, selbst unter den Nächsten, zu sehen ist. Da warten sie immer auf die Andern; und kommen diese nicht, so gibts Aerger, Zorn, Bitterkeit und Feindschaft. Daher die vielen Klagen wider einander, indem Alle sich beschweren, wie ungefällig, grob, stolz, rücksichtslos die und die seien, während ihnen selbst nicht entfernt einfällt, irgend jemanden das zu erweisen, was sie von den Leuten erwarten. So machen's die Heiden, die Niemanden zu Hülfe kommen, der in Wasser- oder Feuersgefahr ist, selbst wenn man von ihnen Hülfe begehrt. Sollen die Christen, welche hören, wie Gott sie zuerst geliebt hat, es auch also machen? O die einfältigen bösen Leute, warum fangen sie denn nicht an, das zuerst zu thun, was sie wünschen, daß man ihnen thun möchte? Wie lieblich stünde es mit den Kindern Gottes auf Erden, - und man hat ja doch gar häufig liebliche Beispiele davon, - wenn sie Alle darum eiferten, zuerst zu lieben, und jedermann, der ihnen begegnet, mit Aufmerksamkeit, Liebe und Freundschaft zuvorzukommen! Das ist,„ sagt der Herr, „das Gesetz und die Propheten;“ denn damit wird erfüllt, was das Gesetz uns gebietet, und nachgeahmt das, was die Propheten uns verheißen. Ach, daß wir klug würden, klüger, als wir für gewöhnlich find, zu verstehen, was unsre richtige Stellung gegen alle Menschen wäre, als Glieder des Reiches Gottes, das zuletzt Alle umfassen soll.

Wollen wir uns noch einmal alles Heutige vergegenwärtigen, wie wir uns, um es recht, und sowohl für uns als für die Sache des Herrn förderlich zu machen, zu stellen haben, gegen Sünder, gegen Schwache, gegen Feinde des Evangeliums, gegen den himmlischen Vater und gegen Jedermann. Lassen wir's uns doch sagen, und vergessen wir's nicht, es zu lernen! Amen.

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