Blumhardt, Christoph - 1. Die Seligpreisungen. (3. Trin.).

Blumhardt, Christoph - 1. Die Seligpreisungen. (3. Trin.).

Matth. 5, 1-16.

In der Bergpredigt redet der Herr zunächst nur an Seine Jünger, deren Viele, nicht nur die Zwölfe, in einem engeren Kreise um Ihn her saßen, wie Er denn auch nur sie, wenn sie einschlügen, das Salz der Erde, das Licht der Welt nennen konnte. Hinter den Jüngern saßen oder standen Tausende von Zuhörern, die es mit anhören konnten, um, so es möglich wäre, auch als Jünger sich herbeizumachen. Waren doch auch die Zwölfe dazu bestimmt, hinzugehen und alle Völker zu Jüngern zu machen, wie es Matth. 28, 19 zu nehmen ist. Setzen wir uns denn auch her, ob wir zum engeren oder weiteren Kreis gehören, und hören und lernen wir, was uns zum Heil und Leben dient.

Aber wie gerne mochten sie damals Jesu zugehört haben, wenn sie ihn acht Mal hinter einander sagen hörten: „Selig sind.“ Das ist doch eine holdselige Rede, eine Rede, durch die sich Niemand abgestoßen, ja Jedermann angezogen fühlte, denn mit allen, die da sind, hebt Er's auf ein Seligwerden ab. Allen stellt Er's als eine Möglichkeit hin, selig zu werden, mochten sie seyn, wer sie wollten. Denn Alle, auch Mörder, Ehebrecher, Diebe, Meineidige, die sie bisher waren, durften, ohne sich ausgeschlossen zu fühlen, für sich hoffen, wenn sie nur jetzt unter den geistlich Armen und Leidtragenden wären. Für Alle zeigt Er somit ein liebendes, theilnehmendes Herz. Fragen konnten sie freilich: „Wie soll denn das werden? wer wills und kanns denn für uns elende Sünder machen und ausrichten?“ Aber wie schnell mußte ihnen auch der Gedanke kommen: „Das ist gewiß der Mann, der's nicht nur sagt, sondern der's auch für uns ausrichtet.“ Er stand so ganz da, als Einer, der Alle vertreten will beim Vater im Himmel, als Einer, der gerade dazu vom Vater gesandt ist, um es den Leuten zu sagen, daß Er's Alles für sie machen wolle, als Einer, der zu jedem Opfer bereit sei, um es für die Verlangenden auszurichten, der auch Verfolgung und Tod auf sich zu nehmen Willens sei, um als ein Opfer zu fallen für die Sünden der Menschen. Denn wenn Er zu Seinen Jüngern sagt, sie würden um Seinetwillen Verfolgung leiden (V. 11), so kann Er selbst nicht der allein verschont Bleibende sein.

Offenbar mußten Aller Blicke auf ihn, als den Schöpfer eines neuen Heils, gerichtet werden. Denn wenn Er zu einem Himmelreich einladet (V. 3), wer soll denn dieses machen und einleiten, wenn Er's nicht macht? Er verheißt Tröstung, verheißt den ungestörten Besitz des Erdreichs (V. 5), auf welchem bisher die Gottlosen den Elenden und Armen kaum ein Räumlein gönnen wollten, verheißt ein Sattwerden an Gerechtigkeit, verheißt Barmherzigkeit, verheißt ein Schauen Gottes, verheißt Kindschaft mit Gott, verheißt Vergeltung im Himmel für erlittene Schmach und Verfolgung. In all dem redet Er nicht als Einer, der nur die bisherige Offenbarung auslegte, nur Schlüsse aus derselbigen zog, sondern als Einer, der berechtigt, ja beauftragt war, Verheißungen auszusprechen, wie sie bisher nicht gegeben waren, und deren Verwirklichung eben jetzt eintreten sollte. Er kündigt eine neue Zeit an, in welcher die Freundlichkeit Gottes gegen Sein Volk ihren Höhepunkt erreichen sollte; denn über dem, was er ankündigt, läßt sich nichts Höheres denken. Je weniger man aber bereits davon sah, desto nöthiger war es für die Zuhörer, einen Vermittler dazu sich zu denken, wie es einst Moses im alten Bunde gewesen war. Wer aber sollte dieser Vermittler sein? Wer sollte das Alles, wie es da angekündigt wird, machen, für Sünder, die wir doch alle sind, wenn nicht eben Er, der es verheißt? O wunderbarer Mann, was bietest Du nicht auf einmal so zuversichtlich hin den verkommenen, mühseligen und beladenen Menschenkindern? Welche Labsal bringst Du den Sündern, die sich gar nichts werth achten können, vom Himmel her? Die Liebe aber, mit der Er es vorträgt, die Wärme Seines Herzens, welche tausend Herzen glühen macht, sollte die täuschen? Ja, Er ist da, der Alles vermag, was zum Heile der Menschen Noth thut, der Alles gut macht, der das Verlorene wiederbringen kann, der in Seiner Person die Herrlichkeit des Vaters herniederbringt, um die mit Ihm Verschwisterten hinaufzuführen in die himmlische Herrlichkeit. Er ist da! Wohl Allen, die Ihn im Glauben festhalten und nimmer von Ihm lassen!

Wem aber bietet der Herr die Seligkeiten alle hin? Wir sind gewohnt, auf eine solche Frage nach der Reformationslehre, welche vornehmlich auf die Schriften Pauli gegründet ist, zu antworten: „Denen, die an Jesum glauben.“ Der Herr sagt im Grunde das Nämliche. Nur will Er jetzt nicht mit Worten auf Seine Person hinweisen. Die Leute sollten es selbst merken, daß sie zu Allem an Ihn glauben, Ihm sich hingeben, ihn haben müßten; und sie konnten das, wenn er namentlich davon redet, daß Seine Jünger würden um Seinetwillen, also darum, weil sie an Ihn glauben und Alles von Ihm erwarten, verfolgt werden. Später übrigens sagt Er denn doch auch, wie sie einmal müßten Alle vor Ihn gestellt werden, um selig zu werden (7, 21-23). Sofern aber der Herr zunächst mit Seinen Jüngern redet, die ja bereits Gläubige waren, spricht Er in Seinen Seligpreisungen die Gesinnungen aus, die Er bei ihnen erwartet, wenn sie als Jünger oder Gläubige hoffen wollen, in den Stand des Seligseins versetzt zu werden. Hören wir darum Seiner Rede aufmerksam zu; denn sie sagt uns eigentlich, was Alles zum Glauben gehört, der selig macht.

„Selig sind,“ beginnt der Herr, „die da geistlich arm sind.“ Arm denkt Er sich also die Jünger, die Er selig preist. Damit wir's aber recht verstehen, sagt der Herr nicht bloß „arm“, sondern „geistlich arm,“ d. h. „geistlich genommen arm.“ Die Er selig preist, sollen mithin arm seyn, ob sie etwas haben, also sonst reich heißen in dieser Welt, oder ob sie nichts haben, also wirklich arm sind. Nichts in dieser Welt darf einen Werth für sie haben, daß sie sich, wenn sie's haben, über seinem Besitze glücklich und befriedigt fühlen, oder daß sie, wenn sie es nicht haben, sich darob unglücklich fühlen, es nicht zu haben. Sie müssen so stehen, daß sie sagen: „Was habe ich von Allem in dieser Welt? von Geld, von Gütern, von Häusern, von Aeckern, von Kleidern und sonst Kostbarkeiten? Was habe ich auch von Kunst, Geschicklichkeit, Wissenschaft, so dienlich sonst für diese Welt? Was habe ich von dem Allem? Habe ich's, so bin ich doch arm, fährt ja doch Alles dahin. Meine Seele sucht ein Höheres, das bleibt, sucht das Höchste, das allein bleiben kann, sucht ihren Gott; und so lange sie den nicht hat, fühlt sie sich arm und unglücklich, und ein Seligsein kann ihr nichts geben.“ Das sind die Leute, mit denen sich der Heiland einlassen kann, und die Er allein selig, als bereits in einen seligen Zustand versetzt, preisen kann. Sie sind es auch, die unfehlbar mit Glauben und Vertrauen zu Jesu sich hinwenden, der ihnen den Eindruck gibt, daß Er sie zum Höchsten führen werde, sind die, von denen man sonst sagt, daß sie glauben. Ach, warum haben in unserer Zeit so Viele nur wenig am Heiland und Seiner Seligkeit, auch wenn sie glauben? Nur darum, weil sie so viel an Anderem haben, als böte auch das etwas von Seligkeit, weil sie also nicht arm sind, mithin auch Jesu nicht bedürftig genug sind.

Nun sollst du aber doch, lieber Christ, dir auch ein Bild von dem machen, wie ein Armer, der mit nichts etwas zu haben wähnt, wenn er es wirklich ist und in rechter, nämlich göttlicher, und nicht bloß natürlicher Art, sich darstellt, um es zu merken, wie es namentlich bei dir steht, ob's mit dir und deinem Glauben etwas ist oder nichts. Ein solches Bild gibt der Heiland selbst in Seinen Seligpreisungen, unter welchen Er, immer wieder anders den Armen anredend, und so ihn wunderbar schön zeichnend, theils seine innerliche Gemüthsstimmung, theils sein aus dieser hervorgehendes äußeres Bezeigen bemerklich macht. Denn alles innerliche muß eine erkennbare Außenseite haben, wenn es echt ist; und so stellt der Herr stets je dieses Beides zusammen. Nach Seiner weiteren Rede nämlich ist jener Arme erstlich ein Leidtragender, und darum auch sanftmüthig gegen Andere. Er ist zweitens hungernd und dürstend nach der Gerechtigkeit, und darum auch barmherzig, namentlich Sündern gegenüber. Er ist drittens reines Herzens, d. h. von nichts in dieser Welt innerlich eingenommen oder gar befleckt, und darum auch allezeit friedfertig. Er ist endlich auch der von der Welt vielfältig Verachtete, Geschmähte, Verfolgte, von dem sie auch in erregten Zeiten, wie von Paulus (Apost. 22, 22, sagen: „Hinweg mit diesem von der Erde; denn es ist nicht billig, daß er leben soll.“ Da hast du, lieber Christ, das Bild von einem Armen, der es geistlich genommen ist, welches eben auch das Bild eines gläubigen Christen sein soll; und bedenke nur, daß man bei jedem Christen ziemlich sicher gehen kann, wie sein Glaube, sein Stand in Christo und sein Seligsein in Ihm zu beurtheilen ist, je nachdem die Außenseiten an ihm sind, er also sanftmüthig, barmherzig, friedfertig erscheint, und gefaßt, um Jesu willen etwas zu leiden. Ach, wie klein macht sich da die Schar der ächten Jünger Jesu! Denn wie gar anders findet man doch die Meisten, auch unter denen, die sich des Glaubens rühmen!

Und doch, wie wichtig ist es, daß die Jünger Jesu den eben beschriebenen Charakter von Armen im geistlichen Sinne an sich tragen! Denn wenn der Herr im Weitern (V. 13 ff.) sagt: „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt,“ so ist klar, daß Er nur Seine Jünger, die an Ihn glaubten, so nennen kann, sollten doch sie, vornehmlich die Zwölfe, dazu berufen seyn, auszugehen in alle Welt und das heilende und erleuchtende Evangelium zu verkündigen aller Creatur (Marc. 16,15). Aber was für Jünger sollten das seyn? Andere, als wie sie in den Seligpreisungen gezeichnet sind? Wahrlich, sie können, wenn sie als Verkündiger des Evangeliums dastehen, nur so in vollem Sinne ein Salz, ein Licht seyn, wenn sie, wie in Christo sich selig fühlend, so auch als Arme, die nichts von dieser Welt wollen, sich darstellen, welche, wenn auch selig in Christo, doch unter bleibenden Unvollkommenheiten und unter dem Jammer der Welt beständig Leid tragen, und darum sanftmüthig bleiben (V. 4. 5), welche, stets auch ihre Schwäche fühlend, nicht aufhören, nach der Gerechtigkeit zu hungern und zu dürsten, und darum auch gegen Schwache und Sünder barmherzig sich zeigen (V. 6.), welche ferner, als reines Herzens in nichts verblendet und gefangen, überall nur friedfertig erscheinen (V. 8-9), welche endlich auch keine Schmach und Verfolgung um Jesu willen, wie sie Bekenntnis und Verkündigung des Evangeliums mit sich bringt, scheuen (V. 10 ff). Jünger Jesu, die so gestellt sind, und so als Seine Boten sich repräsentieren, die sind’s, die dem menschlichen Geschlechte eine neue Frische und Blüthe geben, und die mit dem erquickenden Lichte des Evangeliums alle Völker durchdringen, die auch so hoch erhaben stehen über dem, was andere Gott entfremdete Menschen sind, daß sie einer Stadt gleichen, die auf einem Berge liegt, und die darum nicht verborgen sein kann (V. 14). Ihre gute Art, - der Herr nennt dieselbe ihre guten Werke, wenn sie sie ungetrübt als Frucht des Evangeliums leuchten lassen - , wird so mächtigen Eindruck auf Andere machen, daß diese nicht mehr anders können, denn umkehren und Gott die Ehre geben (V. 16), mit Annahme des Heils, das der Welt verkündigt ist.

Aber wie selten sind in unserer Zeit solche Jünger Jesu! Die Seligen zu seyn, um an die Christen überhaupt hinzusehen, auch wenn sie nicht gerade Arbeiter im Weinberge des Herrn sind, brüsten sich wohl Viele; und sie sind so in etwas Salz, in etwas Licht, als solche, die eine Hoffnung festhalten. Wenn sie aber unvermerkt aufhören, dabei arm den Geiste nach zu sein, Dingen dieser Welt wieder anhangend, und wenn sie den eigentlichen Character von geistlich Armen, nämlich Leidtragen nebst Sanftmuth, Hunger nach der Gerechtigkeit nebst Barmherzigkeit, Reinheit des Herzens nebst Friedfertigkeit, wenn sie auch den demüthigen und lauteren Bekennersinn verlieren, sind sie dann nicht dumm gewordenes Salz, das keine Wirkung hat auf Andere? Salz, das nicht mehr zum Würzen, ja nicht einmal mehr auf den Mist taugt (Luc. 14, 35), sondern nur zum Wegwerfen ist? Sind sie nicht ein unter den Scheffel gestelltes Licht, das Niemanden Leuchtet? Wie muß es doch nicht in unserer Zeit fehlen, da es ja gar nicht vorwärts gehen will mit dem Reiche Gottes, trotz allem Licht der Lehre, darinnen wir stehen, und da so viele Rückschritte geschehen! O, wir Protestanten, die heute so fröhlich singen: „Ein feste Burg ist unser Gott,“ wir haben Salz, wir haben Licht. Aber sind wir's auch? Sind wir als solche, die sich für sich selbst der Fäulnis entschlagen haben, und die mit ihrer ganzen Art als Lichter dastehen, im Stande, Vermoderndes und Faulendes aufzufrischen und die Finsternis aufzuhellen? Ach, daß der Herr sich neue Bahnen bräche in die Herzen hinein, um unter den Gläubigen wieder die geistlich Armen, wie sie der Herr zeichnet, werden zu lassen, da nur Solche die Welt bezwingen und erobern, und Scharen dem kommenden Jesu in die Arme führen können! Amen.

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