Baur, Wilhelm - Jesus Christus, unsere Versöhnung - Am Palmsonntag.

Baur, Wilhelm - Jesus Christus, unsere Versöhnung - Am Palmsonntag.

O hilf, Christe Gottes Sohn!
Durch dein bitter Leiden,
Dass wir dir stets untertan
A Untugend meiden,
Deinen Tod und sein Ursach
Fruchtbarlich bedenken,
Dafür, wiewohl arm und schwach
Dir Dankopfer schenken! Amen.

Geliebte im Herrn! Das Wort von der Versöhnung, welche die heilige Liebe durch Hingabe des sündlosen Gottes- und Mariensohnes in dem Opfertod gestiftet hat, das kündlich große Geheimnis, wie der, welcher ohne Sünde war, für uns zur Sünde gemacht ward, und wie die, welche von der Fußsohle bis zum Scheitel sich mit der Sünde befleckt hatten, in ihm die Gerechtigkeit wurden, die vor Gott gilt das muss, wie an den letztvergangenen Sonntagen, auch heute wieder gepredigt werden. Zwar lautet die Botschaft dieses Palmsonntags: So spricht der Herr, du Tochter Zion freue dich sehr und du Tochter Jerusalem jauchze! Siehe dein König kommt zu dir (Sach. 9, 9), zwar hören wir aus dem Bericht der Evangelisten das Hosianna, welches das Volk ihm entgegenjauchzt und sehen seinen Weg mit Palmen und den Kleidern der begeisterten Menge bestreut, aber es ist uns doch heute nicht so zu Mute, dass wir singen möchten:

Hosianna! Davids Sohn kommt in Zion eingezogen.
Ach, bereitet ihm den Thron, setzt ihm tausend Ehrenbogen;
Streuet Palmen, machet Bahn, dass er Einzug halten kann.

Wir singen lieber:

Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
der Welt und ihrer Kinder,
es geht und träget in Geduld
die Sünden aller Sünder;
es geht dahin, wird matt und krank,
ergibt sich auf die Würgebank,
verzeiht sich aller Freuden,
es nimmet an Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod
und spricht: Ich will's gern leiden!

Er ist ein König, der seinen Einzug hält, aber ein hoherpriesterlicher, ein Herrscher, aber der mit seinem Blut sein Volk sich erkauft, ein Gewaltiger, aber der die Knechtsgestalt annimmt, um ein ewiges Königreich zu gründen. Und da er die Knechtsgestalt trotz dem Hosiannaruf beibehält, da sieht das Volk bald nichts Königliches mehr an ihm und es stimmt zu, dass der, in dem es sich getäuscht, aus dem Volk als Übeltäter hinausgetan werde. Nun steht er vor dem hohen Rat zu Jerusalem als König, aber nur inwendig glänzt die Klarheit, die er hatte von Anbeginn der Welt; nun nennt er sich vor Pilatus einen König, aber nur durch das Zeugnis von der Wahrheit will er sein Königtum bewähren; nun tritt er dem König Herodes königlich entgegen, aber nur in einem gewaltigen Schweigen offenbart er seine Erhabenheit über dieses Spottbild eines Königs; nun trägt er eine Krone, aber sie ist von Dornen geflochten, mit einem Purpurmantel wird er angetan, aber nur zum Spott, und die ihn das Szepter von Rohr in die Hand geben, die schlagen ihn ins Angesicht und der Thron, den er besteigen muss, ist das Kreuz, der Pfahl der Marter, das Holz der Schande.

Und dennoch, er ist ein König. Als das Leiden und Sterben ihm ganz nahe war, als er unter die düstern Schatten des qualvollsten, schmachvollsten Todes einzugehen im Begriff stand, da sprach er: die Stunde ist hier, da des Menschen Sohn verklärt werde. Er wusste ganz genau, dass aus den Dornen seiner Totenkrone die Rosen ewig frischen Lebens hervorbrechen würden. So ist es geschehen. Nachdem er freiwillig bis in die unterste Tiefe des Elends hinabgestiegen war, hat ihn der himmlische Vater auf die lichteste Höhe der Herrlichkeit emporgehoben; nachdem der Sohn sich sein Königtum durch das Hohepriestertum verdient, hat der Vater das Hohepriestertum durch das Königtum bestätigt. Wunderbare Woche, die wir heute antreten! Sie ist eingefasst von zwei Sonntagen, die das Königtum unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi verkündigen, durch den Palmsonntag, der wie eine Weissagung klingt der königlichen Herrlichkeit, die ihm noch zu Teil werden soll und Ostern, das die Erfüllung ist der Gottesverheißungen von dieser Herrlichkeit und dazwischen liegen dann die Tage des Leidens und der Erniedrigung, der Schmach und des Todes. In dem engen Zeitraum von acht Tagen hat der Herr, der die Geschicke der Völker lenkt, sich zusammendrängen lassen die schwärzeste Sünde der Menschen und die leuchtendste Tat seiner Herrlichkeit, die Vollendung der Sünde in der Kreuzigung und die Vollendung des Heils in der Auferstehung unseres Heilandes. Indem die Kirche in jedem Jahr jenen größten Ereignissen der Geschichte eine Zeit der Erinnerung widmet, mutet sie uns zu, dass wir mit dem König, der ein Hoherpriester ist, tief hinabsteigen, um mit dem Hohenpriester, der ein König ist, hoch hinaufsteigen zu können. Eine ernste, herzdurchschütternde, aber beseligende Aufgabe! Wir begeben uns heute am Anfang der Leidenswoche, die mit der Verherrlichung schließt, an's Werk und damit wir den Weg hinab und den Weg hinauf wohl vollenden, gebrauchen wir die Leiter, welche Paulus uns heute in der Epistel bietet.

Text: Phil. 2,5-11.
Ein Jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war. Welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein; sondern äußerte sich selbst, und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er niedrigte sich selbst, und ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht, und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle derer Knie, die im Himmel, und auf Erden, und unter der Erde sind; und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes des Vaters.

Ist's uns nicht, meine lieben Freunde, beim Hören der Worte, die Paulus von Christi Erniedrigung und Erhöhung gesprochen, als würde eine Leiter vor unseren Augen errichtet, die vom Himmel herabreicht bis in die tiefsten Orte der Erde und von der Erde hinaufreicht in die höchsten Räume des Himmels, die wahrhaftige Himmelsleiter, auf welche die wegemüden Erdenpilger Jahrtausende gewartet? Unvollendet hat sie im Traumbild Jakob gesehen, als er durch die Sünde mit dem Bruder entzweit, aus dem Vaterhaus geflohen, im fremden Land sein Haupt auf einen harten Stein legte; da träumte ihm, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel und die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und siehe, der Herr stand oben auf und gab dem müden Wanderer die köstlichsten Verheißungen, dass er mit ihm sei, dass er ihm dies Land geben, dass er alle Geschlechter der Erde durch ihn segnen werde (2 Mos. 28,11-15). Vollendet, nicht im Traum, sondern in der hellsten, beseligendsten Wirklichkeit sehen wir die Leiter in des Apostels Worten. Gottes Liebe hat sie vom Himmel zur Erde herabgelassen, es ist kein Abgrund der Sünde und kein Tal des Todes so tief, da die Leiter nicht hinabreichte und es ist kein Raum des Himmels, keine Seligkeit und Herrlichkeit so hoch, da sie nicht hinaufreichte. Obenan steht der himmlische Vater: er hat seinen Sohn mit weise waltender Hand hinabgelassen, dass er bis in die letzten Tiefen der menschlichen Sünde und des menschlichen Elends, wie es auf Erden sich ausgebreitet hat, erbarmend sich einließe: und nun wartet er, bis der Sohn wiederkommt, um ihn durch alle Himmel im Triumph zurückzuführen auf den Thron der Herrlichkeit und ihm einen Namen zu geben, der über alle Namen ist. Er kommt wieder zum Himmel, der zu uns herabgekommen. Aber kommt er allein zum Vater zurück? Ist die Leiter nur der Weg für den Sohn zu uns hernieder und dann zum Vater zurück? Was dünkt euch, liebe Christen! Für uns, für uns, das ist die Botschaft, die sich in diesen Tagen immer wiederholen soll, für uns ist Gottes Sohn Mensch geworden, für uns ward er versucht allenthalben gleich wie wir, nur ohne Sünde, für uns ward sein Leib gebrochen, sein Blut vergossen, für uns ist er auch auferweckt von den Toten und sitzt zur Rechten Gottes und vertritt uns, für uns hat er die ewige Erlösung erfunden, aber soll das „für uns“ nicht zugleich ein „vor uns“ sein? Ist, was geschehen ist, nicht vor unsern Augen geschehen, damit es auch durch uns geschehe? Hat er sich nicht vor unsern Augen so tief erniedrigt, dass wir von ihm Demut lernen möchten? Ist er nicht vor unsern Augen so hoch erhöht worden, dass wir durch seine Erhöhung Hoffnung fassen möchten? Gewiss, meine lieben Freunde, das ist der Sinn, in welchem Paulus die Himmelsleiter vor unsern Augen erstehen lässt. Christus hat sich uns gleichgestaltet, dass wir ihm gleichgestaltet würden. Unsere heutige Betrachtung wird wieder dem Werk der Versöhnung gewidmet sein, aber vorzugsweise der Frucht, welche für unsere Gesinnung auf Erden und für unsere Herrlichkeit im Himmel aus der Versöhnung reift. Wir betrachten

Die Versöhnung in Christo als eine Kraft ihm gleichgestaltet zu werden; zuerst in der Selbsterniedrigung und zweitens in der Erhöhung durch Gott.

I.

Die Selbsterniedrigung unsers Heilands, durch die er uns versöhnt hat mit Gott, soll für uns die Kraft sein, uns, gleichwie er getan, selbst zu erniedrigen. Das ist des Apostels Meinung, wenn er spricht: Ein Jeglicher sei gesinnt wie Jesus Christus auch war; welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt ers nicht für einen Raub, Gott gleich sein; sondern äußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleichwie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er niedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. Es ist wunderbar, meine Lieben, und beweist die Geistesfülle, die stetig in Paulus wohnte, dass er, wie gelegentlich bei einer Ermahnung zur demütigen Gesinnung, in so kurzen Worten die unergründlich reiche und tiefe Liebestat unsers Heilands aussprechen konnte, in Worten, die jedes Kind, das christlich unterwiesen wird, weißt und in welche die Forscher der Schrift immer wieder hineinfahren wie in einen Schacht, um neues Gold herauszufördern.

Was soll ich von diesen Worten sagen? Wir machen sie den Eindruck, als ob der Apostel, von des Herrn demütiger Liebe und herrlicher Erhöhung ergriffen, den ganzen Weg, den Christus genommen, von dem Schoß des Vaters in Mariens Schoß und von da bis ins Grab hinab und von da hinauf bis zur Rechten des Vaters, habe beschreiben wollen und dass darum Paulus zunächst dasselbe verkündige, was Johannes verkündigt mit den Worten: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. (Joh. 1.) Er war göttlicher Gestalt: das göttliche Wesen, das ihm eigen war und durch welches er über allen Kreaturen stand, hatte, auch ehe er Mensch ward, seine bestimmte Gestalt und Schöne. „Das göttliche Wesen,“ so sagt ein berühmter Ausleger der Schrift, „hat in sich eine unendliche Schönheit, auch wenn keine Kreatur diese Schönheit anschaut. Diese Schönheit ist die Gestalt Gottes, wie in einem Menschen aus dem gesunden Bau und dem schönen Gleichmaß des Körpers Schönheit ausstrahlt, ob sie angeschaut wird oder nicht.“ Von der göttlichen Gestalt, die der Heiland hatte, sagt Paulus, dass er war das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne vor allen Kreaturen, und dass durch ihn alles geschaffen ist, das im Himmel und auf Erden ist, dass alles durch ihn und zu ihm geschaffen und dass er vor allen ist und alles besteht in ihn. (Kol. 1,15-17.) Aber, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt ers nicht für einen Raub Gott gleich sein. Zu dem Gott gleich sein gehört ja die Liebe. Die Liebe aber besitzt, was sie besitzt, nicht wie einen Raub, den sie selbstisch an sich gerissen, oder meint nicht, was sie besitzt, erst noch wie durch einen Raub an sich reißen zu müssen, damit sie, was sie hat, für sich allein habe, die Liebe teilt mit, gibt hin, schenkt das Gut und opfert sich selbst. So hat der ewige Gottessohn sein göttlich Wesen nicht für einen Besitz gehalten, den er ja nicht aufgeben dürfe. Nein, da der ewige Ratschluss des Vaters, die Menschen zu erlösen, ausgeführt werden musste und er nicht anders ausgeführt werden konnte als dadurch, dass Gottes heiliges Wesen in die sündige Welt sich herabließ - so äußerte der Sohn Gottes sich selbst. Er tat aus sich heraus, was er hatte, er gab hin, was ihm bisher eigen gewesen war, die göttliche Gestalt; die Klarheit, die er hatte, ehe der Welt Grund gelegt ward, ließ er in den Schatten treten; der, welcher in des Vaters Herrlichkeit lebte und webte, begab sich auf die dunkle Erde, der Gottessohn ward ein Menschenkind; der durch den alle Dinge geschaffen wurden, ließ sich von der Kreatur pflegen und nähren. Es geschah, was unsere Weihnachtslieder singen, wir können nun zu ihm sagen: Hoheit, wie doch magst du gerne hier in niederm Stalle ruhn, schufst die glühen Himmelssterne, frierest in der Krippe nun! und preisen können wir seine Liebe: Er äußert sich all seiner G'walt, wird niedrig und gering, nimmt an sich eines Knechts Gestalt der Schöpfer aller Ding. Er wechselt mit uns wunderlich, Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in des Vaters Reich die klare Gottheit dran. Er nahm Knechtsgestalt an und ward gleich wie ein andrer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Knechtsgestalt nahm er schon dadurch an, dass er Mensch ward. Denn die Menschen hatten ja die Kindschaft verloren, sie hatten keinen kindlichen, sondern einen knechtischen Geist, sie waren in der Knechtschaft der Sünde, unter dem Druck des Gesetzes, sie mussten, wie die Schrift sagt, durch Furcht des Todes ihr ganzes Leben Knechte sein. Nun hat ja der Heiland freilich die Sündenknechtschaft nicht angenommen und der Geist der Kindschaft blieb ihm immer eigen, aber unter das Gesetz ward er doch getan, das für die Sünder gegeben worden war, und so sehr nahm er an den Folgen der Sünde Teil, als ob auf sein Haupt alle Schläge des göttlichen Fluches treffen müssten. Er ward wie ein andrer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Da lag er wie ein Menschenkind hilflos in der Krippe, dann wuchs er auf wie ein frommer Knabe frommer Eltern; der von Ewigkeit her war, nahm zu an Alter, vor dem alle Dinge ursprünglich klar und entdeckt lagen, der wuchs an Weisheit und die Gnade ward dem neu zu Teil, der sie immer besessen. Wenn er lange gewandert, ward er müde und entschlief; wenn er lange nicht gegessen und getrunken, fühlte er Hunger und Durst. Ein schmerzlicher Anblick trieb ihm die Tränen in die Augen und mag nicht ein holdseliges Lächeln um seine Lippen gespielt haben, wenn seine Augen auf die Kinder sahen, welche die Mütter zu ihm brachten? Aber die Knechtsgestalt, die er annahm, bedeutet noch mehr. Er niedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuze. Wir können sagen: er ward nicht bloß wie ein anderer Mensch, tiefer als irgend ein anderer Mensch ließ er sich hinab. Demütigere Gebärden, als sie irgend Einer je gehabt, nahm der ewige Sohn Gottes an. Es ist geschehen, was Jesaia geweissagt: dass sich Viele über ihn ärgerten, weil seine Gestalt hässlicher war als andrer Leute und seine Gebärde als der Menschenkinder. Der Schönste unter den Menschenkindern, der Abglanz Gottes, hatte keine Gestalt noch Schöne, weil er sich selbst so tief erniedrigt hatte und gehorsam war bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuze. Ein Kind schien er wie ein andres Menschenkind aber wie arm geboren, wie früh verfolgt! Ein Mann war er wie andre Männer aber wie gering und ohne alles, was die Welt für köstlich hält, auch jetzt noch so arm, dass er nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen sollte! Er litt Schmerzen wie andre Menschen - und doch war kein Schmerz wie sein Schmerz! Er war gehorsam dem Willen des Vaters und stellte sich unter die Last, die er ihm auflegte, unter das Kreuz, an das er geschlagen ward für uns, an welchem er gelitten hat für unsre Sünden! Das heißt tief herabsteigen vom Throne Gottes zum Pfahl der Schande! von der Seligkeit in die Todesqual, von Klarheit und Herrlichkeit in alle Abgründe des Leidens und der Schmach! Für uns, für uns, Liebe Christen, vergesst die Botschaft nicht. Aber vergesst auch nicht, dass es vor unsern Augen geschieht, damit wir in die Gestalt Jesu Christi uns umwandeln lassen. Ein Jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war - so hat ja Paulus diesen ganzen Preis seiner demütigen Liebe eingeleitet. Wäre Christus nicht für uns so gesinnt gewesen, so würde es uns nichts helfen, dass er vor uns so gesinnt war. Nun aber seine Erniedrigung bis zum Kreuzestod unsre Versöhnung gewirkt hat, nun die Liebe Christi das Eis selbstischen, sündigen Wesens von unsern Herzen weggeschmolzen hat, nun können wir in Christi Kraft gesinnt sein wie er. liebe Seele! Bist du's denn auch? Hältst du, was du hast an besonderen Gnaden und Gaben nicht für einen Raub? Meinst du nicht, eben darum, weil du treffliche Güter besitzt, müsstest du sie auch krampfhaft festhalten? O lass doch die Liebe Christi dich durchdringen, dass du gerne mitteilst und nicht bloß die Brosamen, sondern das Mahl, das dir Gott bereitet hat, dein Bestes und Köstlichstes! Äußere dich selbst, ziehe dich nicht selbstisch in dich zurück, geh aus der dumpfen Enge der Selbstsucht in die freie liebliche Luft der Liebe, „die Selbstsucht ist die Qual, der Abgrund ist das Ich, die Liebe ist der Strahl, versöhnend Gott durch dich,“ nimm Knechtsgestalt an, diene gerne, komme den Andern mit Ehrerbietung zuvor, sei wie ein andrer Mensch und bilde dir nicht ein, du müssest etwas Besonderes in der Menschenfamilie vorstellen, sei an Gebärden menschlich, brüderlich, freundlich und die Erniedrigung, den Gehorsam, das Kreuz, das Gott dir auferlegt um seinetwillen, deinetwillen, der Brüder willen, das lass dir gefallen. Ists nicht ein hohes Vorrecht, dass wir werden sollen wie Christus? Ich weiß wohl, es geht mit ihm tief hinab aber vergesst die Leiter nicht, an deren Spitze der himmlische Vater steht.

II.

Die Erhöhung Jesu Christi, durch welche sein Werk der Versöhnung versiegelt ward, ist die Kraft, durch welche auch wir sollen erhöht werden. Der Apostel, nachdem er uns gesagt, wie der Heiland alle Sprossen der Leiter bis zur untersten hinabgestiegen ist, führt ihn vor unseren Augen wieder ganz empor, wenn er spricht: Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist; dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters. Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber. Seinen Sohn hat er gesendet, das Opfer der Versöhnung zu bringen. Des Sohnes Werk war, sündlos für die Sünder zu sterben. Er hat getan, was er sollte. Nun war es des Vaters Werk, das von Christo gebrachte Opfer als ein wohlgefälliges anzuerkennen, ja vor allen Geistern im Himmel und auf Erden und unter der Erde es in unzweifelhafter Weise zu offenbaren, dass durch Christum die Versöhnung vollgültig vollbracht sei. Das tat Gott, indem er den tief erniedrigten Sohn wieder erhöhte. Darum hat ihn auch Gott erhöht. Wie er durch Jesaia verkündigt, so hat er getan: darum will ich ihm große Menge zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben; darum, dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleich gerechnet ist und er Vieler Sünde getragen und für die Übeltäter gebeten (Jes. 53). Mit der Höllenfahrt begann des Heilandes Erhöhung: denn, wie Petrus sagt, ward er lebendig gemacht nach dem Geist und ist in demselben hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis (1. Petr. 3,18-20) und durch die Räume der Toten ist die Kunde erschollen, dass eine ewige Erlösung nicht nur erfunden, sondern auch vollbracht sei in Jesu Christo, dem Gekreuzigten. Und am dritten Tag hat ihn der Vater auferweckt von den Toten und er ist im wunderbar verklärten und geistlichen Leib noch vierzig Tage bei den Seinen erschienen, um mit ihnen zu reden vom Reich Gottes, um auszusprechen den Reichsbesitz: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, den Reichsbefehl: Geht hin in alle Welt und lehrt alle Völker und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe, und die Reichsverheißung: siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende (Matth. 28,19.20). Darauf hat ihn der Vater durch die Himmelfahrt zu sich heraufgenommen und hat ihn gesetzt zur Rechten auf dem Stuhl der Majestät, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Nun der Erniedrigte erhöht, nun der Gekreuzigte im Himmel ist, nun ist ihm ein Name gegeben, der über alle Namen ist. Wie heißt der Name? Christus heißt er, aber auch Jesus, Gott, aber auch Mensch, König, aber auch Hoherpriester, herrlich, aber auch erniedrigt, gekreuzigt, aber auch auferstanden, Gottmensch, hoherpriesterlicher König, Löwe aus dem Stamm Juda und Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, ein Name, wie ihn nie zuvor Menschen gehört haben und der alle Welten überdauern und in Ewigkeit der Grund alles Heils sein wird. Wäre Christus nur Gottes Sohn, dann wäre sein Name nicht so tröstlich, denn es fehlte ihm der Klang der erbarmenden Liebe. Wär' er nur Menschensohn, so wäre sein Name nicht so herrlich, es fehlte ihm der Klang der erneuenden Lebensfülle. Hätte er fromm gelebt, aber wäre nicht gestorben, dann wär' es ein großer Name, aber kein Name für uns. Wär' er für uns gestorben, aber der Vater hätte ihn nicht auferweckt, dann wär' es ein edler Name, aber doch nicht der Name, in welchem wir zum Vater beten könnten. Nun aber hat Christus ein heiliges Leben in den Tod gegeben und der Vater ihn aus dem Tod erweckt, nun ist ein Name über alle Namen, nun ist er die Offenbarung der größten Liebe für sündige Menschen. Welcher Name ginge über den Jesusnamen? Ach, wir haben von uns selbst nur den Namen armer Sünder und haben keinen Trost, als dass wir den Schriftzeichen unserer Namen die heiligen Zeichen des Jesusnamens einfügen. Welcher Engelname wäre dem seinen zu vergleichen, da die Engel gelüstet zu schauen, was durch ihn offenbar geworden ist, da sie gerne dienstbare Geister sind, um seinen Namen bekannt zu machen, da sie keine größere Freude kennen, als wenn in diesem Namen eine Seele selig geworden ist. Der Name Jesu geht über alle Namen der Menschen und Engel, es ist ein göttlicher Name, aber mehr als das: es ist der göttliche Name nicht als Name erschreckender Heiligkeit und Erhabenheit, sondern als Name erbarmender Liebe und Freundlichkeit. So köstlich ist dem Vater dieser Name des Sohnes, dass er nur die, die ihn an sich tragen, als Kinder ansehen will. So teuer ist dem Geist dieser Jesusname, dass er immerdar trachtet, ihn in Menschenherzen einzuschreiben. Es ist der Name über alle Namen, also dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind. Wie der Herr vom Himmel zur Erde und von der Erde unter die Erde hinabgestiegen ist, um sich überall als den König zu zeigen, dem der Vater Alles in die Hand gegeben hat, und wie er aus der Hölle zur Erde und von der Erde zum Himmel emporgestiegen ist, um sich als den von dem Vater zur Herrlichkeit Zurückgerufenen zu offenbaren, so muss auch durch alle Räume, wo Geister wohnen, das Kniebeugen gehen im Namen Jesu, das freiwillige, fröhliche, dankbare Kniebeugen der himmlischen Heerscharen und der Gläubigen und Erlösten und das unfreiwillige, widerwillige, aber nicht zu unterlassende Kniebeugen der Ungläubigen und Verdammten. Und alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der. Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters. Auch die Zungen, welche ihn hienieden nicht haben bekennen wollen, die ihn gelästert haben, die mit einem Fluch vielleicht aus dieser Welt geschieden sind, müssen noch endlich, wenn der Herr sie nicht bekennen mag, vor seinem himmlischen Vater eingestehen und klagen: o hätten wir an den Herrn geglaubt, als es Zeit war, nun ist's zu spät, sich zu dem hinzuneigen, ohne den doch kein Heil ist! Aber die Seelen alle - gebe Gott, auch wir allesamt in diesem Gotteshaus - die den Namen Jesu sich haben ins Herz schreiben lassen und mit dem Munde bekannt haben, die nichts tun mochten ohne ihn, die aufgestanden sind, sich zu Tisch gesetzt haben, zur Ruhe gegangen sind in seinem Namen, die, wenn ihnen die Sünde weh tat, Jesu Namen nannten, die in der Todesgefahr gesprochen: Jesu, dir leb ich, Jesu, dir sterb ich, Jesus, dein bin ich, tot und lebendig, mach mich ewig selig, die, wenn die Zunge schon ihren Dienst versagen wollte, noch mit dem letzten Atemzug Jesu Namen hauchten - die werden auch oben bekennen and werden zu singen nicht müde werden, dass das der Name ist zur Ehre Gottes des Vaters, weil in ihm auf Erden Friede ist und für die Menschen ein Wohlgefallen! - Liebe Christen, sagt nicht der Apostel: Ein Jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war? Und sollte die Gesinnung Christi nicht Christi Gestalt wirken? Es geht durch die ganze Schrift der große, gnadenvolle, beseligende Gedanke, dass wir dem Heiland, der sich uns gleichgestaltet hat, sollen gleichgestaltet werden. Der Herr sagt selbst: Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Er betet: Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir sein, die du mir gegeben hast, auf dass sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast (Joh. 17, 24). Und wie oft spricht Paulus von dieser Gleichgestaltung! Dass wir mit Christo gekreuzigt werden müssen, um mit ihm zur Herrlichkeit einzugehen, dass wir allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leib tragen, damit auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Leib offenbar werde, dass unser Leben mit Christo verborgen ist in Gott, um mit Christo dereinst hervorbrechen zu dürfen, das sind Lieblingsgedanken des Apostel Paulus. Wohlan denn! Wenn wir wie Jesus Christus gesinnt sind, wenn wir in demütiger Liebe uns selbst erniedrigen, wird uns dann nicht verheißen, mit ihm erhöht zu werden, aus der Tiefe der Sünde, aus der Angst des Gewissens, aus dem Abgrund des Todes? Und wenn ihm ein Name gegeben, der über alle Namen ist, sollen nicht auch wir einen Namen haben, der alle Namen, den die Welt uns geben könnte, weit übertrifft? Freuet euch, so sagt einmal der Heiland zu seinen Jüngern, nicht dass euch die Geister untertan sind, sondern dass eure Namen im Himmel geschrieben sind! Kind Gottes, Erbe Gottes, Miterbe Jesu Christi - wer wagt es auszudenken, was diese Namen sagen wollen? Das ist dann, ob wir auch so herrliche Namen tragen, unsere Freude, dass wir als begnadigte Gotteskinder dennoch unsere Knie beugen im Namen Jesu, und dass wir im Glanz des Himmels leuchtend seinen Namen bekennen, dem wir Alles, Alles verdanken! O liebe Brüder und Schwestern! Vergesst die Himmelsleiter nicht! So tief der Heiland an ihr herabgestiegen, so hoch können wir an ihr hinaufsteigen. Der Heilige Geist helfe uns, dass wir auf Karfreitag bis in die unterste Tiefe hinabkommen, dann wird Ostern uns hinaufleuchten. Nur dass wir Jesu gleichgestaltet werden! Nur dass seine Herrlichkeit unserer Niedrigkeit sich mitteile, unsere Niedrigkeit in seiner Herrlichkeit verklärt werde! Nur dass sein Name uns in unser unruhiges Herz und unser Name in sein hohepriesterliches Herz geschrieben werde! Nur dass wir bekennen und beten können:

In meines Herzens Grunde
Dein Nam' und Kreuz allein
Funkelt all' Zeit und Stunde
Drauf kann ich fröhlich sein:
Erschein mir in dem Bilde
Zum Trost in aller Not,
Wie du Herr Christ so milde
Geblutet dich zu Tod.

Mein Namen schreib' aufs Beste
Ins Buch des Lebens ein
Und bind mein Seel fein feste
Ins schöne Bündelein
Der, die im Himmel grünen
Und vor dir leben frei;
So will ich ewig rühmen,
Dass dein Herz treue sei. Amen!

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