Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Neunte Predigt. Die zwölf Apostel.

Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Neunte Predigt. Die zwölf Apostel.

Text: Luc. VI., V. 12-16.
'Es begab sich aber zu der Zeit, daß er ging auf einen Berg, zu beten; und er blieb über Nacht in dem Gebet zu Gott. Und da es Tag ward, rief er seine Jünger, und erwählete ihrer Zwölfe, welche er auch Apostel nannte: Simon, welchen er Petrum nannte, und Andream, seinen Bruder, Jacobum und Johannen, Philippum und Bartholomäum, Matthäum und Thomam, Jacobum, Alphäi Sohn, Simon, genannt Zelotes, Judam, Jacobi Sohn, und Judam Ischarioth, den Verräther.

Eine im Gebet und Andacht durchwachte Nacht war zu Ende gegangen, und der Morgen lieblich und klar über die galiläischen Felder heraufgestiegen; Jesus stand, leuchtenden Blicks, im Kreise Seiner Jünger und Schüler, und eine ungewöhnliche Stimmung ruhte auf der ganzen Versammlung. Alles deutete auf eine besondere Wichtigkeit des angebrochenen Tages. Da wählte der Herr aus der Ihn umringenden Schaar zwölf Männer sich aus, daß sie Seine steten Begleiter sein sollten auf Seinen Wanderzügen durch’s gelobte Land, segnete sie feierlich ein mit Seinem unvergleichlichen, göttlichen Segen, und wies ihnen eine Stellung in Seiner Nähe an, wie sie so eng kein Mensch außerdem wieder besessen hat. Was Jacobs zwölf Söhne waren für das Volk Israel und für die Tage des alten Bundes, das sollten in Zukunft diese zwölf Jünger sein für die Welt und für die Ewigkeit. Unser Text nennt uns die Namen dieser zwölf Apostel. Wir wollen 1) ihre Wahl und 2) ihre Bedeutung uns deutlich zu machen suchen.

1.

Jesus wollte nicht Alles allein und unmittelbar für das Reich Gottes verrichten, sondern durch geeignete Werkzeuge und Boten, die Er selbst berufen, dasselbe an und für die Menschen vermitteln. Die Erlösung der Welt war Sein Werk ausschließlich und allein, die Verbreitung der Erlösung aber das Werk Seiner Diener und Gesandten. - Diese Apostel berief Er aus dem Volk der Juden; denn das Heil sollte auch in dieser Beziehung von den Juden kommen. Er berief sie aus den untersten Ständen; einerseits einfache, ungelehrte Leute, die keine hohen Schulen besucht, keine wissenschaftliche Bildung erlangt hatten, durch keine Gelehrsamkeit oder Rednergabe sich auszeichneten, aber auch durch keinen Stolz auf ihr Wissen, noch durch verkehrtes und verschrobenes Wissen verdorben, und darum fähig und empfänglich waren für die Aufnahme der göttlichen Wahrheiten, die Er ihnen mittheilen wollte; andrerseits arme Leute, die, an Beschwerden und Arbeit bereits gewöhnt, abgehärtet und gesund, im Stande waren, die bedeutenden Mühseligkeiten ihres künftigen apostolischen Berufs, Hunger und Durst, Frost und Hitze, Gefahren zu Wasser und zu Lande, zu ertragen; im Stande waren, um Seinetwillen Alles zu verlassen und Ihm nachzufolgen; Fischer und Zöllner von der Gegend des Sees Genezareth in Galiläa. Im Reiche Gottes gilt einmal die Regel: „Was niedrig ist vor der Welt, hat Er erwählt, daß Er zu Schanden mache, was hoch ist, und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da nichts ist, daß Er zu nichte mache, was etwas ist, auf daß sich vor Ihm kein Fleisch rühme.“ Im Reiche Gottes erhält der Mensch um so größeren Ersatz, je größere Opfer er bringt, und wird um so reicher, je völliger er all' sein Eigenthum um Christi willen dahingibt. - Ging den Aposteln aber auch der Reichthum und die Bildung der Welt ab: Eins ging ihnen nicht ab,- das war das reine Heiz, der offne, empfängliche Sinn für alles Wahre, Gute und Rechte, die Aufrichtigkeit und Gediegenheit des Charakters, die Lern- und Wißbegier des Geistes, die unverfälschte Gottesfurcht, der Glaube an die Worte und Offenbarungen Gottes im Alten Testament, und das sehnsüchtige Verlangen und Hoffen auf den Messias und Sein Reich. Somit hatten sie das Wesentliche, was wichtiger ist, als alle irdischen Güter, als Hab und Gut, Haus und Hof, Stand und Ansehen, Macht und Einfluß, Bildung und Wissenschaft.

Zwar waren sie nicht frei von mancherlei Vorurtheilen, die sie in Jesu Schule mitbrachten, und zum Theil schwer ablegen konnten; dahin gehörten ihre irdischen Messiaserwartungen, daß sie, wie ihr ganzes Volk, in dem Wahne standen, der zu hoffende Messias werde Israel vom Joch der Römer erlösen, ein irdisches Weltreich begründen und sie zu großen Herren in demselben machen; sie kannten das Geheimniß des Kreuzes Christi nicht, und konnten sich nur mit Mühe mit dem Gedanken an Sein Leiden und Sterben vertraut machen; sie brachten eine große Masse Ehrgeiz und Geldgeiz mit. Johannes und Jacobus konnten Ihn nach dreijährigem Umgang noch bitten um die höchsten Ehrenstellen in Seinem Reiche; Petrus konnte Ihn fragen: „Siehe, wir haben Alles verlassen, und sind Dir nachgefolgt, was wird uns dafür?“ Judas konnte um elender dreißig Silberlinge willen Ihn an Seine erbittertsten Feinde verrathen; es war Keiner unter ihnen, der nicht damals mehr das Irdische, als das Himmlische, gesucht hätte. Ueberdies waren sie in ihrem Glauben sehr schwach, mißverstanden den Herrn unzählige Male, fuhren die an, die ihre Kindlein zu Jesu bringen wollten, daß Er sie segne; wurden unwillig über die Salbung Christi in Simons Hause und ließen sich von einem Judas verführen, mit einzustimmen in dessen lieblosen Vorwurf an Maria: „Wozu dient dieser Unrath? Dieses Wasser hätte mögen theuer verkauft und den Armen gegeben werden!“ schliefen in Gethsemane beim bittern Leiden ihres Herrn und flohen alle, als die Häscher erschienen, Jesum gefangen zu nehmen, fragten sogar noch am Himmelfahrtstage ganz äußerlich und irdisch gesinnt: „Herr, wirst Du um diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel?“ Wie oft mußte Jesus ihnen gegenüber ausrufen: „O ihr Kleingläubigen, was seid ihr so furchtsam? O du ungläubige und verkehrte Art, wie lange soll ich bei euch sein? wie lange soll ich euch dulden?“ Einem Petrus rief Er noch das letzte Jahr das Donnerwort in die Seele: „Hebe dich weg von mir, Satan! du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist;“ zu einem Philippus sprach Er am grünen Donnerstag Abend: „Philippe, so lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht!“ und allen: „Ich hätte euch noch viel zu sagen; aber ihr könnet es jetzt nicht tragen;“ noch in den Tagen nach Ostern mußte Er schelten ihren Unglauben und ihres Herzens Hurtigkeit, daß sie nicht geglaubt hatten denen, die Ihn gesehen hatten von den Todten auferstanden. - Gewiß, der tägliche Umgang mit diesen Jüngern war eine unaufhörliche Geduldsprobe für den Herrn! Und sehet, Er läßt sich nicht irre machen in Seiner herablassenden Liebe zu ihnen; wie Er sie geliebt hatte von Anfang, so liebte Er sie bis an's Ende. Er blieb sich ihnen gegenüber immer gleich, trug ihre Schwächen, ermüdete nicht im Belehren, Zurechtweisen, Tragen und Vergeben, führte sie allmählig und stufenweise weiter in ihrer Erkenntniß und Heiligung, widerlegte das zehnmal Widerlegte immer wieder, und förderte jeden Einzelnen in seiner besondern Eigentümlichkeit und Persönlichkeit, um ihnen Allen Alles zu werden, und in ihnen die erforderlichen Werkzeuge für jede Wirksamkeit Seiner Kirche auszubilden. Diese Erziehungsgeduld des Herrn mit Seinen Jüngern ist ein Trost und eine Bürgschaft für uns, daß Er auch mit uns Geduld haben wird, wenn wir unaufhörlich wieder straucheln und stolpern und es mit uns nicht so vorwärts gehen will, wie wir gern möchten, damit wir nicht an uns selbst verzagen und verzweifeln, sondern die belebende Hoffnung festhalten, daß auch aus uns noch einmal etwas Gutes werde zu Stande kommen, und daß Er das gute Werk, das Er in uns angefangen, vollenden werde bis auf Semen Tag. Die Erziehungsgeduld des Herrn legt aber nicht minder uns die Pflicht auf, gleichermaßen mit unsern schwachen und fehlenden Brüdern Geduld zu haben, nicht zu früh und nicht zu viel von ihnen zu verlangen, über ihre Kräfte sie nicht in Anspruch zu nehmen, nicht zu ermüden im Lieben und Beten, und immerdar zu warten, daß auch für sie einmal die Gnadenstunde des göttlichen Heils schlagen werde. Wenn Petrus am Ende seines ersten Lehrjahres gestorben wäre mit seinem schwachen Glauben, seinen vielen Fehlern, Mißverständnissen und Schwachheiten, dürften wir wohl daran zweifeln, daß er wäre selig geworden? Es würde uns nicht der mindeste Zweifel einfallen. Nun, was wir bei Petrus zugeben müssen und niemals wagen würden in Abrede zu stellen, laßt es uns auch festhalten bei unsern schwachen Brüdern und Schwestern; der Herr sieht bei ihnen mehr, als wir zu sehen vermögen, Er sieht schon den Keim des werdenden Glaubens, Er sieht schon das ganze, herrliche Werk Gottes, das in diesem Keim enthalten ist; Er sieht nicht, was vor Augen ist, Er sieht das Herz an. Laßt uns denn auch glauben, ohne zu sehen. Laßt uns auch da noch glauben, wo der Schein vom Gegensatz zeugt; denn an die Liebe und Gnade Gottes dürfen wir allezeit glauben, und diese ist immer eine allmächtige und unendliche.

Jesus wählte nicht einen, sondern mehrere Jünger, damit das Zeugniß von Ihm recht vielfach bezeugt würde in der Welt, durch die Uebereinstimmung aller dieser Zeugnisse au Kraft und Glaubwürdigkeit gewönne und Sein Leben sich in ihnen nach allen Seiten hin entfalten könne. Er wählte ihrer zwölf. Die Zahl Zwölf nimmt in der heiligen Schrift und Geschichte eine bedeutungsvolle Stellung ein; sie besteht aus dreimal vier; drei aber ist die Zahl des Geistes - denkt an den dreieinigen Gott, - vier ist die Zahl der Welt - denkt an die vier Winde, die vier Elemente, die vier Weltgegenden; - Zwölf bezeichnet demnach die Welt in ihrer Geistesfülle, in der Geisteseinheit ihrer verschiedenen Kräfte. Es trug daher der Hohepriester zwölf Edelsteine auf seiner Brust im Amtsschildlein, es hatte der Altar zwölf Säulen, es lagen täglich zwölf Schaubrote auf dem Tisch im Heiligen, es stand im Salomonischen Tempel das eherne Meer auf zwölf Ochsen, die Krone der Braut Christi hat zwölf Sterne, und auf zwölf Gründen ruht das himmlische Jerusalem. Diese zwölf Apostel, in denen der Herr Sein göttliches Leben vervielfältigen wollte, sollten die geistigen Stammesfürsten der einhundert vier und vierzig tausend Versiegelten sein, deren die Offenbarung Johannis erwähnt, wie Jacobs Söhne die leiblichen Stammväter des auserwählten Volkes Gottes im Alten Testament gewesen waren, überhaupt findet eine merkwürdige Uebereinstimmung zwischen beiden Stammesfürsten statt: dort ging Joseph seinem Vater eine Zeit lang verloren, hier war Judas für immer das verlorne Kind; an Josephs Stelle traten unter die Zahl der Stämme zwei andere ein, Ephraim und Manasse, an Judas Stelle wurden ebenfalls zwei Apostel erwählt, erst Matthias, später Paulus; unter diesen zweien bekam Ephraim, der Jüngere, den Vorzug vor dem Aeltern, Manasse, Paulus überflügelte bald den Matthias, ja, alle Apostel an Thätigkeit; durch den Eintritt der beiden Söhne Josephs entstanden eigentlich dreizehn Stämme, durch den Eintritt des Paulus in die Reihe der Apostel entstanden nicht minder eigentlich dreizehn Apostel; und doch werden immer nur zwölf bei beiden Reihen genannt, nicht dreizehn, und das Land Canaan unter zwölf, nicht unter dreizehn Stämme getheilt, das himmlische Jerusalem auf zwölf Gründe gegründet, und zwölf himmlische Throne den Aposteln verheißen, darauf zu sitzen und zu richten die zwölf Geschlechter Israels.

Das Verzeichniß der zwölf Apostel findet sich nicht nur in den drei ersten Evangelien, sondern auch in der Apostelgeschichte, und wenn sie gleich bei Jedem in einer verschiedenen Rangordnung aufgezählt werden, so sind es doch überall immer dieselben Namen und treten überall sehr bestimmt drei Abtheilungen von je vier Namen heraus, an deren Spitze in sämmtlichen Verzeichnissen immer dieselben Namen stehen. Petrus ist überall der Erste in der ersten, Philippus in der zweiten Jacobus, Alphäi Sohn, oder Jacobus der Jüngere in der dritten Abtheilung; und Judas Ischarioth ist überall der Letzte. Es gruppieren sich denn jedesmal in der ersten Abtheilung Simon Petrus und sein Bruder Andreas, Jacobus der Aeltere und sein Bruder Johannes, die beiden Söhne Zebedäi; in der zweiten Abtheilung Philippus und sein Freund Bartholomäus, bei Johannes Nathanael genannt, Matthäus der Zöllner und Thomas der Zwilling; in der dritten Abtheilung Jacobus, Alphäi Sohn, Simon, genannt der Eiferer, Judas, der Sohn des Jacobus, auch Thaddäus und Lebbäus genannt, und Judas Ischarioth.

Unter diesen zwölf Aposteln gab es aber drei Jünger, die, die Blüthe Aller, den engsten Kreis um den Erlöser bildeten; das waren Petrus, Jacobus und Johannes. Ihnen ertheilte Jesus besondere Namen: den Simon nannte Er Petrus, den Fels, oder das unerschütterliche Fundament der Gemeinde um seines feurigen Bekenntnisses willen; Jacobus und Johannes nannte Er Boanerges, d. h. Donnerskinder, wegen ihres donnernden Eifers für Ihn und Sein Reich und wegen des scharfen rücksichtslosen Ernstes, mit dem sie gegen alles sündige Wesen auftraten. Johannes nannte sich selbst insbesondere noch in seinem Evangelium, immer den Jünger, den Jesus lieb hatte, und enthüllte uns damit einen tiefen Blick in sein Inneres, - denn wie groß muß seine Demuth und Bescheidenheit gewesen sein, daß er sich diesen Namen beilegen durfte, ohne von den Uebrigen beneidet zu werden! Diese drei Jünger nahm Jesus mit sich zu Seinen größten Thaten, als Augenzeugen der Auferweckung der Tochter des Jairus und Seiner Verklärung auf Thabor, als Augenzeugen Seines bittern Seelenkampfes in Gethsemane; Petrus ist vorzugsweise der Apostel des Glaubens, der immer schnell und entschieden Jesum öffentlich bekannte als den Sohn Gottes; Johannes ist der Apostel der Liebe, der, wie er an der Brust der höchsten Liebe gelegen, auch die Liebe als das ächte Kennzeichen des wahren Christenthums empfiehlt; Jacobus ist der Apostel der Hoffnung, unter allen Aposteln starb er zuerst den Märtyrertod in Jerusalem. Sie sind demnach die Repräsentanten und Anfänger von drei wesentlichen Geistesrichtungen im Reiche Gottes.

Auf diese Weise hatte Jesus einen dreifachen Kreis von Jüngern um sich, einen weiteren, engeren, und engsten; der weitere bestand aus siebenzig Jüngern, gleich der Zahl der siebenzig Völker der Erde, oder der Zahl der Aeltesten, auf welche von Gottes Geist gelegt war, daß sie weissagten im Lager; einen engeren, bestehend aus den zwölf Aposteln; und einen engsten, gebildet aus jenen drei Lieblingsjüngern. Die Siebenzig blieben bei ihrem bürgerliche Beruf, die Zwölf aber verließen Alles und folgten Jesu nach, um überall und immer Seine Begleiter, die Augenzeugen Seines Wandels und Seiner Thaten, die Ohrenzeugen Seiner holdseligen Worte zu sein, um in Seinem täglichen Umgang zuzunehmen an Weisheit und Gnade, und den unmittelbarsten und darum unauslöschlichsten Eindruck von Seinem Leben und Wesen zu empfangen, und in dieser Unmittelbarkeit Seinen Geist und Sein Leben in sich aufzunehmen, und dann später, nachdem sie drei Jahre hindurch unter Jesu Leitung ausgebildet worden, nachdem sie zu Pfingsten den heiligen Geist erhalten und mit außerordentlichen Gaben und Kräften ausgerüstet worden waren, um die schweren Arbeiten und Leiden ihres großen Berufes zu ertragen und durch unwidersprechliche Wunder ihre göttliche Sendung und die unfehlbare Wahrheit ihrer Lehre vor Jedermann darzuthun, als die Zeugen des Lebens Christi und vor Allem Seiner Auferstehung, in die Welt hinauszugehen und das Evangelium aller Creatur zu verkündigen. Jesus war in diesem Kreise der Mittelpunkt, die Apostel die liebende Einheit um Ihn her; Jesus war die Sonne, die Apostel die Planeten, welche diese Sonne umkreiseten. So lange Jesus lebt, heißen sie daher immer nur Seine Jünger oder Schüler; nach der Ausgießung des heiligen Geistes erst führen sie den Namen „Apostel“, d. h. Gesandte, und die andern Christen heißen nun Jünger; nun waren sie die Lehrer der Welt und die Welt ihre Schule; in noch späteren Zeiten kam der Name Jünger völlig außer Gebrauch, schon in den Episteln ist er verschwunden, und statt dessen werden die Anhänger und Bekenner des christlichen Glaubens Heilige, Gläubige, Brüder, Christen genannt.

Von den meisten dieser Apostel wissen wir sonst wenig und wenig Sicheres, weder von ihrem früheren Leben, noch von ihrer späteren Wirksamkeit. Es ist das einmal ein stehender Grundsatz der heiligen Schrift, von allen Männern Gottes die frühere Geschichte derselben, ehe sie thätig auf dem Schauplatz des Reiches Gottes auftraten, mit Stillschweigen zu übergehen, die Geschichte des Herrn Jesu bis zu Seinem dreißigsten Jahre nicht einmal ausgenommen. Und nicht minder gehört es zur göttlichen Haushaltung, ihre Werkzeuge am liebsten still und unscheinbar vor der Welt wirken zu lassen und kein großes Aufheben von ihnen zu machen, damit kein Fleisch sich vor Ihm rühme, damit Ihm, dem Herrn, allein die Ehre zukomme, die Ihm gebührt, damit Er allein verherrlicht werde, als das Haupt, von dem das Leben ausströmt über die einzelnen Glieder Seines Leibes, als der Name über alle Namen, in dem allein Heil ist, und in dem sich beugen sollen Aller Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen, daß Er der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters, damit Pauli Wort allezeit in Wahrheit und Kraft erhalten bleibe: „Wer ist nun Paulus? Wer ist Apollo? Diener sind sie, durch welche ihr seid gläubig geworden, und dasselbige, wie der Herr einem Jeglichen gegeben hat. Ich habe gepflanzt, Apollo hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der da pflanzt, noch der da begeußt, Etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.“ (1 Cor. 3,5-7.)

Eine Frage drängt sich uns aber unabweisbar noch zum Schlusse auf: Warum hat Jesus einen Judas mit unter die Apostel gewählt? Er mußte ihn doch kennen und durchschauen, wie konnte Er ihn so nahe sich stellen und in jenen vertrautesten Kreis ihn aufnehmen? Gewiß gehört diese Wahl zu den unergründlichen Räthseln der göttlichen Führung, über die wir vollkommen klare Einsicht und Entscheidung hienieden niemals erlangen werden. Das müssen wir aber jedenfalls annehmen, daß Judas von Anfang an noch nicht so schlecht und böse war, als er sich später gezeigt hat, daß er vielmehr Gaben und Eigenschaften besaß, die, wenn sie gereinigt wurden, ihn zu einem lebendig wirksamen Werkzeuge in der Ausbreitung des Reiches Gottes gemacht hätten. Jesus, dessen erbarmende Liebe Niemanden aufgibt, bis er sich selbst aufgegeben hat, wollte deßhalb den Versuch wagen, ihn zu retten und zu heiligen. Scheinen doch auch die andern Jünger lange Zeit auf ihn etwas gegeben zu haben; und mußte ein energischer Mensch, wie Judas, gleich von vorn herein dem Werke Christi höchst gefährlich werden, wenn der Herr ihn von Anfang an zurückgestoßen und aus Seiner Gemeinschaft hinausgewiesen hätte. Judas steht für uns Alle als ein warnendes Zeugniß da, daß weder ausgezeichnete Gaben, noch wichtige Berufskreise, uns vor dem schrecklichsten Fall sichern, daß wir Alle vielmehr die dringendste Ursache haben, uns der unaufhörlichen Leitung und Regierung des heiligen Geistes zu überlassen, damit er uns je länger je mehr von Allem reinige, was uns zum Strick des Verderbens gereichen kann.

2.

Diese zwölf Apostel also sind es, die Christi Reich auf Erden gegründet und gebaut haben, und noch heute sind sie im Wandel unsere Vorbilder, in der Lehre unsere entscheidenden Gründe, in ihrer Unmittelbarkeit die Bürgen unseres Glaubens, in ihren Wundern und in ihrem Märtyrertode die Gewährsmänner des ewigen Sieges unseres Christenthums, in ihrer großartigen Zukunft unsere leuchtenden Himmelssterne.

Allerdings dürfen wir sie nicht überschätzen, noch zu unseren Schutzheiligen und Fürsprechern bei Gott machen, wie die römische Kirche gethan, dagegen würden sie selbst feierlich protestieren. Nirgends machen sie Anspruch auf Vergötterung, im Gegentheil, als die Heiden in Lystra den Paulus und Barnabas abgöttisch verehren wollen, zerreißen beide ihre Kleider im Schmerz und Unwillen, schreien und sprechen: „Ihr Männer, was macht ihr da? Wir sind auch sterbliche Menschen, gleichwie ihr.“ (Ap. Gesch. 14.) Nie wollen sie Regenten der Kirche oder Herren unseres Glaubens sein, sondern immer nur Knechte Dessen, dem Alles unter die Füße gethan ist und Gehülfen unserer Freude. Niemals verlangen sie blinden Gehorsam, sondern daß Jeder erst forschen solle, ob das, was sie sagen, wirklich dem Sinne des Herrn gemäß sei. (Ap. Gesch. 17,11.) Sie unterscheiden jederzeit ihre menschlichen Meinungen und Rathschläge von den ausdrücklichen Befehlen ihres Herrn. (1 Cor. 7,6. 11.12.) Möglichen Zweifeln und Bedenken begegnen sie durch die Versicherung: es gefalle nicht nur ihnen, sondern dem heiligen Geist und um dessen willen auch ihnen. (Ap. Gesch. 15,28.) Sie wandeln allezeit in Einfältigkeit und göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes, (2 Cor. 1,12.) und sind so demüthig und ehrlich, daß sie mit liebenswürdiger Offenheit sogar ihre Fehler erzählen, sich mit ihren Schwächen bloßstellen vor der Welt und die Demüthigungen gern erdulden, die sie dadurch auf sich ziehen mußten, so demüthig, daß sie sich niemals ihrer Vorzüge überheben und selbst den Namen Apostel in weiterem Sinne auch ihren Gehülfen und anderen thätigen Boten und Werkzeugen des Reiches Gottes beilegen, wie dem Epaphrodites, dem Andronikus, Junias, Barnabas, Titus und Anderen. (2 Cor. 8,23. Ap. Gesch. 14,4.14. Phil. 2,25. Röm. 16,7.)

Ueberschätzen also dürfen wir die Apostel nicht; aber ebensowenig den großen unvergleichlichen Vorzug verkennen, den der Herr ihnen vor allen übrigen Christen gegeben hat. Sie allein reden, was sie gesehen, und zeugen, was sie gehört haben, von der Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Sie allein haben die Kirche des Herrn gegründet und eingeführt in die Welt, und unter Juden und Heiden Ihm unzählige Schaaren als Beute erworben. Sie allein sind von Jesu unmittelbar berufen und erwählt und gesendet, daß sie das Evangelium nicht an einem Orte und für eine Gemeinde, sondern allen Völkern der Erde, der ganzen Welt verkündigen sollten; und sie haben das Morgen- und Abendland mit ihrer frohen Botschaft als mit einem guten Geruch erfüllt; keine bedeutende Haupt- und Weltstadt gab es in der alten Zeit, in der sie nicht christliche Gemeinden gesammelt hätten. Noch immer nennt die Kirche Jacobus als den Apostel Spaniens, Andreas als den Apostel von Polen und Rußland, Thaddäus als den Apostel von Syrien und Persien, Thomas als den Apostel von Indien, Petrus und Paulus als die Apostel der römischen Kirche. Sie allein haben durch außerordentliche Wunder, die sie im Namen Jesu verrichteten, ihre außerordentliche Sendung bestätigt. Sie allein sind in Absicht der Lehre so vom heiligen Geiste regiert worden, daß sie ebenso unfehlbar waren in göttlichen Dingen, wie Christus, und Er ihnen darüber das Zeugniß ertheilen konnte: „Wer euch höret, der höret mich; wer euch verachtet, der verachtet mich; wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Sie allein haben der christlichen Gemeinde diejenigen Vorschriften für die Lehre und Verwaltung ertheilt, welche unwandelbare Gültigkeit haben werden, so lange die Kirche Christi noch eine streitende ist auf Erden. Sie allein sind, wie die Stifter, so auch die Oberhäupter und Vorsteher der neugestifteten Gemeinden, die Stellvertreter ihres gen Himmel erhöheten Herrn und Heilandes. „Wir sind von Gott,“ sagt Johannes, „und wer Gott erkennet, der höret uns; welcher nicht von Gott ist, der höret uns nicht;“ (1. Joh. 4, 6.) Worte, die kein. Mensch sonst in der weiten Welt in gleichem Sinn und Umfang ihnen nachsprechen kann. Was Jesus war, das sollten die Apostel auch sein in der Welt, und die Werke auch thun, die Er gethan hatte, ja, noch größere Werke thun, damit Gottes Reich durch sie gebauet würde. Sie allein werden einst sitzen au den zwölf Thronen, zu richten die Gesammtheit des gläubigen Volks Gottes.

Ihr Vorzug in der Kirche ist auch durch alle Jahrhunderte so anerkannt gewesen, daß nie ein bedeutender Lehrer derselben, nie ein Märtyrer oder Reformator gewagt hat, sich den Namen eines Apostels beizulegen, so wenig wie Jemand seitdem den Namen „Jesus“ wieder getragen hat; nur hochmüthige Schwärmer haben ab und zu, zuletzt noch die Schwarmgeister und Fanatiker zu Wittenberg 1521, zwölf Apostel und zwei und siebenzig Jünger aus ihren Anhängern gewählt; aber alle diese Sekten sind längst dem Gericht der Geschichte verfallen und ebenso schnell untergegangen, wie sie aufgetaucht waren. Laßt uns denn die Apostel als solche ehren; nicht durch Nachäffung ihres apostolischen Namens, Amtes oder Standes, wohl aber durch Nachahmung ihres apostolischen Sinnes, Glaubens, Wandels, Kreuzes und Wirkens. In diesem Sinne können und sollen wir Alle Apostel werden; in diesem Sinne Alle das Urchristenthum wieder herstellen „und verjüngen, verklären und vermehren in uns und um uns; in diesem Sinne ihrem Vorbilde nacheifern und in ihre Fußtapfen treten; in diesem Sinne das Wort Pauli an uns lebendig machen: „Seid meine Nachfolger, gleichwie ich Christi.“ Amen.

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