Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Elfte Predigt.

Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Elfte Predigt.

Die Schicksale des Lebens.

Text: Pred. Sal. VII, V. 14.

Am guten Tage sei guter Dinge, und den bösen Tag nimm auch für gut; denn diesen schafft Gott neben jenem, daß der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist.

Mannichfache Gestalten des menschlichen Lebens sind bereits vor unsern Augen vorübergegangen, und in der buntesten Abwechselung hat es sich vor uns ausgebreitet. Eine Seite indeß haben wir bisher immer nur erst andeuten können, obgleich sie allen einzelnen Zügen und Gestalten schon zur Seite ging, das sind nämlich die Schicksale des Lebens. Mit ihnen müssen wir uns daher diesmal um das Gemälde des kräftigen, männlichen Lebens zu vollenden, ehe wir zu den Schlußbetrachtungen über das Alter und den Tod übergehen, ausführlich beschäftigen. Auch Salomo spricht im Texte von diesen Lebensschicksalen, von guten und bösen Tagen, und giebt dann Anweisung, wie wir beide anzusehen und zu benutzen haben. Am guten Tage sei guter Dinge, und den bösen Tag nimm auch für gut; denn diesen schafft Gott neben jenem, daß der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist, sondern alles der göttlichen Negierung anheimstelle, so daß er im Glück sich nicht überhebe und im Unglück nimmermehr verzweifele. Wohlan, laßt uns ans Werk gehen und die Lebensschicksale heute festhalten; wir wollen uns 1) mit ihnen näher bekannt machen, wir wollen sodann 2) ihre Absichten und Zwecke beherzigen.

I.

Unverkennbar sieht es sehr bunt im Leben aus, die mannichfachsten Erscheinungen, Erfahrungen, Begegnisse und Gestalten gehen neben einander her und wechseln mit einander ab, und unwillkührlich fühlt man sich veranlaßt, die Menschheit in zwei große Hälften zu sondern. Auf der einen Seite stehen die Glücklichen, die Reichen, Gesunden, Vornehmen und Fröhlichen; von ihrer Wiege an haben sie, was sie brauchen; sie haben keinen Tropfen Schweiß vergossen, sie haben nicht einmal die Hand ausgestreckt und es ist ihnen zugefallen im reichsten Maaße. Nun gehen sie einher, und genießen das Leben von seiner herrlichsten Seite, sie nähren ihren Geist mit den erhabensten Gegenständen des menschlichen Wissens, sie kleiden ihren Körper in Gold und Seide, Pracht und Glanz, und die köstlichsten Erzeugnisse der Erde stehen zu Nahrung und Genuß, zu Verschönerung und Erheiterung ihnen zu Gebote; was das heiße: arm sein, entbehren, Mangel leiden, ist ihnen aus eigner Erfahrung nie bekannt geworden. Auf der andern Seite stehen die Unglücklichen, Armen, Kranken, zurückgesetzten und betrübten Gemüther; von ihrer Wiege an ist es ihnen jederzeit kümmerlich ergangen, und der Morgen sind nicht wenige in ihrem Leben, wo sie erwachten, ohne zu wissen, wie sie den Tag über mit den Ihrigen würden durchkommen, wo sie Arbeit finden, womit sie sich kleiden und ihre Blöße bedecken sollten. Ihr Geist wächst auf ohne Bildung und Entwickelung, ihr Körper wankt nicht selten fort in langwierigem Siechthum, weil sie Alles entbehren, was demselben Kraft und Gesundheitsfülle zu geben im Stande wäre. Was das heiße: glücklich sein, vollauf haben, seine Bedürfnisse jederzeit stillen können, haben sie wohl an Andern gesehen, aber niemals an sich selbst erlebt; von der Wiege bis zum Grabe ist ihr ganzes Dasein nichts als eine lange Kette von Leiden, Krankheiten, Verlusten, Sorgen und Unglücksfällen aller Art. Und merkwürdig, sehr oft berühren sich beide Gestalten dicht neben einander. Auf dem Felde sitzen die Brüder, essen und trinken, lachen und freuen sich, daß der Bubenstreich ihnen gelungen, und zu ihren Füßen in der Grube liegt Joseph gebunden und bestimmt, in die Sklaverei nach Aegypten zu wandern. Drinnen im Hause sitzt der reiche Mann und lebt alle Tage herrlich und in Freuden, und draußen vor seiner Thür liegt Lazarus in seiner wunden Elendsgestalt, und die Hunde kommen und lecken seine Schwären. Droben im Pallaste sitzt Herodes unter fröhlichen Tischgenossen und feiert mit Spiel und Tanz, mit Saus und Braus seinen Geburtstag, und drunten im Kerker liegt Johannes der Täufer und erwartet sein Todesurtheil vom blutgierigen Weibe des Tyrannen. Und doch haben die Einen all ihren Reichthum und ihre Herrlichkeit nicht verdient und sind vor Gottes Augen nichts als elende Sünder, gleich ihren niedrigen Brüdern, und es ruhet auf ihnen Fluch und Zorn und ewige Verdammniß, wenn sie nicht wiedergeboren werden, - und doch ist für die Andern der Sohn Gottes am Kreuze gestorben und hat ihnen die Füße gewaschen und ist arm geworden um ihretwillen, damit sie durch seine Armuth reich würden. Wunderbare Gegensätze! Die Schrift sagt darüber nichts weiter als: „Reiche und Arme müssen unter einander sein, der Herr hat sie alle gemacht.“ (Spr. 22, 2.).

Wie nun im Leben der Menschheit beide Erfahrungen neben einander gehen, so wiederholen sie sich im Leben jedes einzelnen Menschen. Auch da wechseln nach unserm Texte gute und böse Tage mit einander ab, und Gott schafft diese neben jenen, daß der Mensch nicht wissen soll, was zukünftig ist. Wie der Herr einst zu seinen Jüngern sprach: „Ueber ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen“ (Joh. 16,16): so heißt es auch unaufhörlich in unserm Leben: über ein Kleines! Ueber ein Kleines, und schweres Unglück folgt auf großes Glück, und aber Wer ein Kleines, und die Traurigkeit verwandelt sich in Freude. Auf Glück folgt Unglück! Sehet, Geliebte, heute noch freut sich Hiob seiner sieben Söhne und drei Töchter und seines unermeßlichen Besitzes, und morgen schon sind die Heerden theils geraubt von den eingefallenen Arabern, theils vom Blitze erschlagen, und seine Kinder unter den Einsturz des Hauses begraben worden, er hat Alles verloren, was er hatte, sein eigner Körper ist mit Krankheit geschlagen, und er muß ausrufen: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet. Haben wir Gutes empfangen von Gott, und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (Hiob 1, 21. 2, 10.). Heute noch spielt David, der Hirtenjüngling, auf der Harfe im Pallast vor dem Könige, der Preisgesang des Volkes: „Saul hat Tausend geschlagen, aber David Zehntausend“ schallt in seine Ohren, und er fühlt es mit großer Freude, daß er der Liebling der Menge geworden, und morgen schon erblicken wir denselben David auf der Flucht vor Saul und nun immer unstät und flüchtig Jahre lang, nirgends ein Plätzchen, wo er Ruhe finden kann, bis er endlich Schutz sucht bei den Philistern im Auslande. Heute noch freuen sich die Jünger des Umgangs mit ihrem Herrn, es ist ihnen unbeschreiblich wohl in Bethaniens gastfreier Hütte, das Hosianna entzückt noch unausgesetzt ihre ganze Seele, und morgen sehen sie ihn gebunden, gegeißelt, verspottet, geschlagen, die Dornenkrone auf dem Haupte, das Hosianna hat sich in ein furchtbares: Kreuzige, kreuzige ihn verwandelt, und noch einige Stunden, so hängt er am Kreuz und neigt sein göttlich Haupt im Sterben. So wechselt hienieden Glück und Unglück, Freude und Leid; keine Freude ist dauerhaft, lein Glück wahrhaft rein; wer heut ist frisch, gesund und roch, ist morgen krank, vielleicht schon todt, und wie Manche mögen unter uns sein, die beim Rückblick auf die Vergangenheit traurig werden und denen das Auge dabei feucht wird, weil sie denken müssen: „Ach, Gott, vor so und so vielen Jahren stand es anders mit mir; damals war ich gesund, jetzt bin ich krank; damals lebte ich im Wohlstande und konnte auch Andern Freuden bereiten, jetzt besitze ich nichts und habe kaum das arme Leben; damals lebte noch mein Mann, mein Weib, mein Kind, mein Freund, jetzt sind sie gestorben, und ich habe nun kein Herz mehr, an das ich mich legen, mit dem ich meine Erfahrungen theilen und bei welchem ich Rach und Trost finden könnte in meiner Noth, o wie ist das Leben seitdem doch so düster und schwer geworden!“ - Neben dieser Verwandlung geht indeß noch eine andere, fröhlichere einher, das ist die, welche Ps. 30. schildert: „Den Abendlang währet das Weinen, aber am Morgen kommt die Freude,“ Tob. 3: „Nach dem Ungewitter läßt Gott die Sonne wieder scheinen, und nach Heulen und Weinen überschüttet er wieder mit Freude.“ „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln; ich habe mein Angesicht im Augenblick ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr dein Erlöser.“ Auf Traurigkeit folgt dann auch wieder Freude. Hieb erlangte wieder, was er verloren, und der Herr segnete ihn mehr als vorhin; David litt noch einige Jahre Druck und Verfolgung, dann warb er, wozu ihn Samuel gesalbt, König über Israel; die Jünger saßen noch einige Tage in tiefer Trauer bei verschloßnen Thüren aus Furcht vor den Juden, bann stand der Gekreuzigte auf aus dem Grabe, und es kamen die vierzig Tage der Freude, wo sie ihn wiedersahen und ihr Herz sich freute und ihre Freude niemand von ihnen nahm; und nicht wahr? es sind deren auch unter euch, die da bekennen müssen: „Es gab eine Zeit in meinem Leben, da sah es trübe aus, es stockte in meinem Körper, meinem Hause, meiner Umgebung, überall war Noth und Sorge, und ich wußte manchmal nicht, wo aus noch ein; Gottlob, es ist anders, es ist besser geworden, die Trübsalszeiten waren nur Durchgangspunkte, und heute muß ich Gott loben und preisen für alle Barmherzigkeit und Treue, die er an mir bewiesen hat!“ So geht's her in der Welt, die bösen und guten Tage stehen neben einander, und lösen sich ab in wunderbar seltsamer Mischung.

Und was das merkwürdigste ist, wir wissen oft gar nicht, warum das Alles, warum den Einen gerade dies trifft, den Andern jenes, warum zu dieser Zeit gute Tage eintreten und dann wieder böse; wir haben gar keinen Maaßstab für den Grund und Zusammenhang unserer Schicksale, selbst Frömmigkeit und Gottseligkeit, Glaube und Unglaube, geben nicht einmal diesen Maaßstab ab. Salomo schon äußert darüber sein Befremden, er spricht: „Allerlei habe ich gesehen die Zeit über meiner Eitelkeit: da ist ein Gerechter, und geht unter in seiner Gerechtigkeit, und ist ein Gottloser, der lange lebet in seiner Bosheit (7, 16). Es ist eine Eitelkeit, die auf Erden geschieht: es sind Gerechte, denen geht es, als hätten sie Werke der Gottlosen, und sind Gottlose, denen geht es, als hätten sie Werke der Gerechten.“ (8, 14. 9, 2. Ps. 73, 1-18), Weder die Leiden sind immer Strafen begangener Sünden, noch die Freuden Zeichen göttlichen Wohlgefallens; im Gegentheil, beide Erfahrungen kommen von Gott, der den bösen Tag neben dem guten und den guten neben dem bösen schafft, daß der Mensch nicht wissen soll, was zukünftig ist, sondern sich seiner Weisheit und Liebe unterwerfe; sie sollen beide Erziehungsmittel in seiner Hand sein, Werkzeuge der Vorbereitung für die ewige Seligkeit, und das Ende erst, der Ausgang, das Ziel wird offenbaren, wie weise und gnädig Gott uns geführt, wie gut es war, daß wir gerade diesen und keinen andern Weg einschlugen, und wie Alles, was wir erlebten, dazu gedient hat, uns reif und fähig zu machen für die ewigen und unvergänglichen Freuden des Paradieses.

II.

Was haben wir nun zu thun, damit gute und böse Tage an uns diesen erhabenen Zweck erreichen und uns Hülfsmittel werden für unsere ewige Seligkeit? Das ist die Hauptfrage, welche sich uns aufwirft, und wir müssen sie sowohl in Beziehung auf uns selbst, als au/ andere beantworten.

Zuerst also: Wozu sendet uns Gott Glück und gute Tage? Das ist klar, es giebt nichts in der Welt, was so geeignet ist, den Menschen zu verderben, zu Leicht, sinn, Ueppigkeit, Uebermuth, Gottesvergessenheit, Müßiggang, Hoffahrt, Sicherheit zu verleiten und von dem Ewigen und allein Bleibenden abzuwenden, als die guten Tage; die meisten Menschen sind nicht im Stande, das Glück zu tragen, und es gehören in der That starke Schultern dazu, um solche Last zu übernehmen. Saul, David, Salomo: Alle sind im Glück und Wohlergehen zu Falle gekommen, und nicht umsonst sieht in der Bibel der Klageruf: „Wahrlich, ich sage euch, ein Reicher wird schwerlich ins Himmelreich kommen. Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ (Matth. 19, 23. 24.). Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen, und da die Diebe nach graben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fressen, und da die Diebe nicht nach graben noch stehlen; denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.„ (Matth. 6, 19-21.) Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, daß er seine Seele wieder löse?“ (Matth. 16, 26.) Darum segnet dich Gott mit irdischen Gütern, Reichthum, Genuß, Ehre und Wohlleben, vergiß nicht, wer du bist und wer der ist, der dich segnet. Du bist ein Sünder, und hast solche Gnade nicht verdient; Gott aber hat das große Vertrauen zu dir, daß du seine Gaben zu seiner Ehre und zum Heil deiner Mitbrüder gebrauchen werdest, darum legt er das unverdiente Geschenk in deine Hände, es ist ein anvertrautes, geliehenes Pfund, mit welchem du wuchern sollst, und über dessen Verwaltung er dich einst wird zur Rechenschaft ziehen, und dann wird's heißen: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude.“ Erkenne demnach den großen ehrenvollen Auftrag und das hohe Vertrauen, dessen Gott dich würdigt, und fühle in Demuth und Dankbarkeit, so oft du feine Gnadengaben in die Hände nimmst, deine Unwürdigkeit und Gottes Gnade; das Glück schickt dir Gott, daß es dich in der Demuth übe, wie Paulus schreibt: „Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ (Röm. 2, 4.) Sodann: Wozu sendet uns Gott Unglück und böse Tage? Gewiß, das Unglück hat nicht minder seine Gefahren wie das Glück; wenn dieses den Menschen nur zu leicht über sich hinaushebt und ihn übermüthig und leichtsinnig macht, so versenkt das Unglück den Menschen nur zu leicht unter sich, und macht ihn kleinmüthig und verzagt. Woher sonst so viel Unmuth, Mißmuts Verzweiflung, Hadern mit Gott, Trostlosigkeit und jenes Heer schlechter Gedanken, die gerade in der Noth in der menschlichen Seele aufsteigen und sie zu Lug und Trug, zu Ungerechtigkeit und Sünde zu verführen suchen? woher so selten Aeußerungen in bösen Tagen, wie die eines Assaph: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und nach Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil„ (Ps. 73, 24.) oder eines Paulus: „Ich bin gutes Muthes in Schwachheiten, in Schmachen, in Nöthen, in Verfolgungen, in Aengsten, um Christus willen. (2. Cor. 12, 10.) Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige und über alle Maaßen wichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare; denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig. (2. Cor. 4, 17. 18). Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, sintemal wir wissen, daß Trübsal Geduld bringet, Geduld aber bringt Erfahrung, Erfahrung aber bringt Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden.“ (Röm. 5, 3-5.) Gewiß, es ist nicht minder schwer, Kreuz zu tragen, wenn man nur auf sich selbst und seine schwachen Schultern sieht und nicht weiß, wie man es tragen soll. Aber legt dir Gott eine Last im Leben einmal auf und fühlst du sie vielleicht jetzt gerade recht drückend schwer: vergiß nicht, von wem die Last kommt und zu wem sie führen soll. Der legt sie dir auf, der dich liebt, wie nur ein Gott Menschen lieben kann, der aus Liebe zu dir sich selbst erniedrigt hat und dir gleich geworden ist in allen Dingen, der einst auch nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte und zuletzt mit der Dornenkrone und dem zerschlagenen Rücken aus der Welt ging; aus gleicher Liebe legt er dir auch dein Kreuz auf, und könntest du ihm nur einmal ins Herz sehen, du würbest deine Thränen trocknen und deine Seufzer stillen, und würdest ergebungsvoll und dankbar gerührt flehen: Herr, gieb mir nur Geduld, und dann lege auf, so viel Du willst; ich will Dir gern Alles nachtragen, da Du für mich das Kreuz getragen, und ich kann mir nichts Größeres und Seligeres denken, als der Gemeinschaft Deiner Leiden theilhaftig zu werden. Vergiß aber auch nicht, wozu er dir das Leiden auflegt: Er will dich selig machen, und er kennt nach seiner ewigen Weisheit, Liebe und Macht kein Mittel, was so unmittelbar zu diesem Ziele führt, als gerade die Kreuzesschule, in die er dich genommen hat; noch hängt dein Herz viel zu sehr an der Welt, an Hab und Gut, an Ehre und Freude, an Weib und Kind; siehe, darum nimmt er dir deinen Abgott, damit du loskommest von dir selbst und sein Eigenthum werdest; dein äußerer Mensch soll verwesen, damit der innere von Tag zu Tage verneuert werde; es soll gut mit dir werden, gründlich gut; je länger du im Feuer bist, desto reiner wirst du aus demselben hervorgehen; und Gott thut nur an dir, was du selbst thun würdest, er nimmt dir nur, was du selbst wegwerfen würdest, wenn du fähig wärest einzusehen, daß es dir Schaden bringt für deine unsterbliche Seele. O preise, preise seine gnädigen und allweifen Führungen, und übergieb dich ihnen ganz im kindlichsten und unbedingtesten Vertrauen. Wie das Glück zur Demuth dich führt, so soll das Unglück dich im Glauben erheben. - Endlich: wozu läßt Gott gute und böse Tage abwechseln im Leben? Auf den ersten Blick sieht es oft aus, als wäre das Alles nur ein buntes Spiel des Zufalls, und nirgends Absicht und Plan und Zusammenhang; - und doch ist der tiefste Zusammenhang da, jedes tritt ein zu der Zeit und Stunde, wo es uns am meisten frommt, und auch der Wechsel unserer Schicksale und ihr Unbestand, ihre Unzuverlässigkeit, Nichtigkeit und Vergänglichkeit ist dazu da, daß wir nimmer das Herz an sie hängen, sondern um so geflissentlicher bei der allgemeinen Vergänglichkeit das Unvergängliche und Bleibende suchen. Je mehr wir achten nach dem, was droben ist, desto sicherer wird Glück und Unglück an uns ausrichten, wozu Gott es sendet; das Glück wird uns demüthigen, das Unglück uns erheben im Glauben; und indem wir wachsen und zunehmen in den Gütern und Segnungen, die da bleiben, kommen wir doch auch in den irdischen Gütern nicht zurück, denn was sagt die Schrift? „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen. (Matth. 6, 43.) Die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze, und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens,“ (1 Tim. 4 8.) und die Erfahrung bewährt es: „Man hat noch nie den Gerechten verlassen gesehen, noch seinen Samen nach Brod gehen.“ Als der Herr die Jünger fragte: habt ihr je Mangel bei mir gehabt? mußten sie antworten: Herr, nie keinen. (Luc. 22, 34). Natürlich! Wahre Christen sind allezeit reich, nicht weil sie allezeit viel haben, sondern weil sie nie viel brauchen; sie haben gelernt, bei welchem sie sind, sich genügen zu lassen, sie können niedrig sein und können hoch sein, sie sind in allen Dingen und bei allen geschickt, beide satt sein und hungern, beide übrig haben und Mangel leiden, sie vermögen Alles durch den, der sie mächtig macht, Christus. (Phil. 4, 12.) Und so beweisen sie sich in allen Dingen als die Diener Gottes in Trübsalen, Nöthen, Aengsten, Schlägen, in Arbeiten, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntniß, in Langmuth, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte, als die Verführer und doch wahrhaftig, als die Unbekannten und doch bekannt, als die Sterbenden, und siehe, sie leben, als die Gezüchtigten und doch nicht ertödtet, als die Traurigen, aber allezeit fröhlich, als die Armen, aber die doch Viele reich machen, als die nichts inne haben und doch Alles haben. (2 Cor. 6, 4-10.)

Trachten wir auf diese Weise nach dem, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes: so werden wir nicht nur unser eignes Glück und Unglück auf die rechte Weise tragen und benutzen, wir werden auch die Schicksale Anderer richtig und christlich beurtheilen und behandeln. Wir werden nämlich zunächst ihr Glück nicht überschätzen, noch sie darum vergöttern oder beneiden; denn was sie haben, haben sie doch nur von Gott, von demselben Herrn, der uns weniger gegeben hat, weil uns Weniger weit besser ist als zu Viel. Und was haben sie denn Besonderes, indem sie Geld und Gut, große Namen und Stellungen, Genüsse und Freuden die Fülle haben? sind das Alles nicht ganz geringe, unbedeutende Güter, durch die der Mensch auch noch nicht den geringsten Werth erhält, und sind z. B. Gesundheit, Kenntnisse, die Freuden der Wohlthätigkeit und des Glaubens nicht viel Höheres? und können sie irgendwie sich verlassen auf den ungewissen Mammon, oder weiß Einer von ihnen, wie lange er sein Gut behalten, und wie lange er es gut haben werde im Genuß seines Glückes? „Es ist ein großer Gewinn,“ schreibt Paulus (1 Kön. 6, 8), „wer gottselig ist und lasset ihm genügen; denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen. Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns begnügen. Und die Erfahrung lehrt, daß meistentheils mit großen, irdischen Gütern auch große Sorgen verbunden sind, daß, je voller es äußerlich aussieht, desto leerer, langweiliger, unruhiger und unzufriedener es im Herzen hergeht, und daß gerade die scheinbar glücklichsten Menschen die wahrhaft unglücklichsten sind. Nein, äußeres Glück sei nie das, was unsere Augen blendet und uns zu Menschen hinzieht, oder gar Neid in unsere Seele pflanzt; so wie von der andern Seite aber auch das Unglück unserer Mitmenschen uns nie Veranlassung sei, sie hart zu beurtheilen oder geringschätzig zu behandeln. Es ist wahr, Viele sind verarmt, erkrankt, um ihre Achtung gekommen, durch ihre eigne Schuld; Unvorsichtigkeit, Trägheit, Hoffahrt und Eitelkeit, Verschwendung und Ausschweifungen haben sie so tief heruntergebracht, und mm sitzen sie da im Elende und beweinen die Folgen ihrer Missethaten; aber wie Viele haben das Alles auch gethan und dieselben Sünden begangen, und doch sind sie von jenen entsetzlichen Folgen verschont geblieben: müssen wir also in dem, was sie getroffen hat, nicht zugleich Gottes Hand und Fügung erkennen? Der Mensch ist in der Regel nur zu geneigt zu vorschnellen, lieblosen Urtheilen; hüten wir uns davor, es könnte an uns auch einmal das Wiedervergeltungsrecht ausgeübt werden! Als die Jünger einmal bei Veranlassung des Blindgebornen Jesum fragten: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren ist? antwortete er:. „Es hat weder dieser gesündigt, noch seine Eltern, sondern daß die Werke Gottes offenbar würben an ihm“ (Joh. 9, 2. 3). Ein andermal fragte er sie: „Meinet ihr, daß die Achtzehn, auf welche der Thurm in Siloa fiel, und erschlug sie, seien schuldig gewesen vor allen Menschen, die zu Jerusalem wohnen! Ich sage: nein, sondern so ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle auch also umkommen.“ (Luc. 13, 4. 5.) Richten über andere ist demnach nicht unsere Sache, sondern von der einen Seite uns demüthigen vor dem Herrn, der mächtig und wunderbar regiert, auf der andern thätig eingreifen, daß wir die Noth Anderer lindern und das Glück Anderer befördern. Es giebt ja keine größere Freude, als wenn man Andere erfreuen kann und Wohlsein um sich her verbreitet, und wir sind Werkzeuge in Gottes Hand, wenn wir segnend nach bestem Vermögen unter unsern Brüdern erscheinen, und innerlich wie äußerlich helfen, trösten, wohlthun, Mitleid üben, so viel wir können. Können wir das Alles aber nicht, weil das Beste dazu fehlt, Kraft und Vermögen: Eins können wir allezeit, das Allerbeste, für sie beten, und die betende Liebe ist die höchste und Hülfreichste Liebe auf Erden.

Das wäre zu sagen, Geliebte, von des Lebens Gütern und Schicksalen, und es bleibt demnach bei unserm Texte: „Am guten Tage sei guter Dinge, und den bösen nimm auch für gut; denn diesen schafft Gott neben jenem, daß der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist.“ Mit solchen Gedanken und Entschließungen kehret nun zurück ins Leben, und es wird weder Glück noch Unglück euch gefährden können, vielmehr Beides euch Mittel werden zu immer größerer Vorbereitung auf eure ewige Seligkeit; was auch euch treffe, ihr werdet Kopf und Herz allezeit oben behalten und unter Sturm und Ungewitter eure Seele sicher fördern in den ewigen Hafen. Mit solchen Gedanken und Entschließungen tretet zum Altare, geliebte Kommunikanten, und das heilige Sakrament wird euch stärken, des Lebens Schicksale aus Gottes Hand dankbar zu nehmen und zu euerem zeitlichen und ewigen Segen zu benutzen; und die ihr heute zum ersten Male hinzunahet, geliebte Kinder, kommet, erneuert wieder, was ihr am Tage eurer Konfirmation gelobt, und nehmet in Buße und Glauben das hochwürdige Sakrament als Unterpfand und Siegel der göttlichen Gnade mit in eure Zukunft hinein. Das Leben öffnet sich euch jetzt nach allen Seiten, aber verhüllt sind gleichwohl die Aussichten in die kommenden Tage. Ob sie gut, ob sie böse sein werden, ihr wißt es nicht; denn ein tiefer Schleier hält sie vor euern Augen verborgen. Aber gehet nur in Gottes Namen hinein! Bleibt ihr dem Herrn treu und habt ihr ihn allezeit vor Augen und im Herzen, es wird euch dann allezeit gut gehen, ihr werdet aus guten und bösen Tagen Nutzen zu ziehen wissen für eure unsterbliche Seele, und es nimmermehr bereuen, weder in Freude noch in Leid, weder im Leben noch im Sterben, weder in der Zeit noch in der Ewigkeit, daß ihr euer Herz dem Herrn geweihet habt; ihr werdet's allezeit gut haben bei euerm Herrn. Darum, darum:

Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,
Du bist mein,
Ich bin Dein,
Niemand soll uns scheiden.
Ich bin Dein, weil Du Dein Leben
Und Dein Blut
Mir zu gut
In den Tod gegeben;
Du bist mein, weil ich Dich fasse
Und Dich nicht,
O mein Licht,
Aus dem Herzen lasse.
Laß mich, laß mich hingelangen,
Wo Du mich,
Und ich Dich
Ewig werd' umfangen. Amen.

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