Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Dritte Predigt.

Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Dritte Predigt.

Die christliche Erziehung.

Text: Epheser VI, V. 4.

Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn.„

Was wir heute zu betrachten haben, Geliebte, hat schon der letzte Vortrag ausgesprochen. Es ist die christliche Erziehung 1) nach ihrem Grunde, 2) nach ihrem Zweck, 3) nach ihrer Beschaffenheit, und 4) nach ihren Folgen. Wohlan, laßt uns unter Gottes Beistand sogleich ans Werk gehen, und Er wolle an uns Beides segnen, Reden und Hören.

I.

Fragen wir nach dem Grunde der christlichen Erziehung, so ist der offenbar kein anderer, als daß die Kinder für die Eltern eine Gabe und ein Eigenthum Gottes sind, und die Eltern für die Kinder Stellvertreter Gottes. Nicht auf menschlich-fleischlichen Gedanken und Belange, sondern auf göttlichem Fundamente beruht das gegenseitige Verhältniß. Und darum giebt es nichts Ehrenvolleres von der einen, nichts Schwierigeres von der andern Seite als den Beruf, Eltern zu sein.

Was sind doch alle Berufszweige, alle Wirksamkeiten und Thätigkeiten, alle Stellungen und Beschäftigungen im Leben, alle Ehrenaufträge und Aemter gegen den hocherhabenen Beruf, unsterbliche Menschenseelen, die der Herr auf ganz eigne, enge und nahe Weise uns zugewiesen hat, für ihn und sein Reich erziehen, das göttliche Ebenbild in ihnen herausbilden und zu Genossen einer seligen Ewigkeit sie zubereiten zu dürfen? Kinder sind eine Gabe des Herrn an die Menschen, die Erziehung soll sie ihm zurückgeben und zum Opfer darbringen und ein Mittel sein zu ihrer ewigen Beseligung. Sie sind ein anvertrautes Gut des Himmels und der größte Schatz auf Erden; Alles, was wir sonst haben, müssen wir dereinst zurücklassen, sie aber können und sollen wir mit in den Himmel hinübernehmen und dort noch an ihnen unsere Freude haben. Alles, Alles in diesem herrlichen Verhältnisse kommt also von oben, weiset nach oben, zieht nach oben; göttlich ist die Grundlage, auf der jede Obliegenheit beruht; Gottes Bild tragen die Eltern für die Kinder an sich, und in seinem Auftrage und Dienst und nach seinem Wort geschieht alles Befehlen und Verbieten.

Aber eben weil die Ehre und das Recht so groß ist im Werk der christlichen Erziehung, ist auch die Pflicht und Verantwortung so groß und so schwer, und es giebt bei der Schwäche unserer Natur, bei den mannichfachen Hindernissen, Versuchungen und Gefahren des Lebens, bei der Kurzsichtigkeit und Ungeschicklichkeit, die jedem darin eigen ist, nichts Schwierigeres, als Seelen dem zuzuführen, bent sie durch Natur und Gnade angehören und dessen Eigenthum sie sind in alle Ewigkeit. Wie leicht kann bei dem redlichsten Willen und dem treusten Herzen da fehlgegriffen, geschadet, niedergerissen, zerstört werden, was Gott aufgebaut hat! Wie viel Weisheit und Kraft, wie viel Treue und Liebe ist nöthig, daß das Werk zur Ehre des Herrn wohlgelinge! Wie viel Aufforderungen zur Demuth und wie viel Demüthigungen ergehen an uns unaufhörlich, zu welchem Ernst und zu welchen Besorgnissen, daß wir etwas versäumen oder verderben möchten, zu welchen Gebeten um Hülfe und Gnade von oben werden wir veranlaßt, wenn wir anders treue Haushalter sein wollen im Weinberge des Herrn und der heilige Beruf mit seinen gewaltigen Pflichten und Anforderungen uns recht vor der Seele sieht!

In der That, es giebt nichts Ehrenvolleres und nichts Wichtigeres auf Erden, als Vater und Mutter zu sein.

II.

Indeß nicht blos ihr Ansehn und ihr Beruf ist von Gott, auch der Zweck, welchen sie bei der Erziehung vor Augen haben sollen, ist auf ihn gerichtet. Offenbar nämlich kann er doch kein anderer sein, als die Pflegebefohlenen ihrer Bestimmung entgegenzuführen. Diese Bestimmung aber richtet sich nach der doppelten Beziehung, in der sie stehen, und nach der zwiefachen Natur, die sie an sich tragen. Der Mensch gehört einer doppelten Welt an, einer sichtbaren und einer unsichtbaren, es ist daher der Zweck und das Ziel der Erziehung, ihn für beide Welten geschickt und tauglich zu machen, und, da die unsichtbare Welt unstreitig höher sieht als die sichtbare, ihn ganz besonders für jene auszubilden. Eine Erziehung nur für die eine oder die andere wäre eine einseitige Erziehung; und eine Erziehung, die mehr die Zeit als die Ewigkeit, mehr die Erde als den Himmel, mehr die Welt als Gott in's Auge faßte, wäre eine verkehrte Erziehung. Die wahre, christliche Erziehung bildet für beide Welten aus, und sie thut es eben dadurch, daß sie den Hauptzweck auch als Hauptzweck behandelt und ganz vorzüglich darauf hinarbeitet, die eignen Kinder zu Kindern Gottes, zu Christen zu machen; denn sind sie das geworden, so ist damit zugleich für das andere schon gesorgt; ein christlicher Mensch ist immer auch zugleich ein demüthiger, dankbarer, zufriedener, thätiger und fleißiger Mensch, der seinen Beruf nach besten Kräften ausfüllen und allen seinen Pflichten treu obliegen wird. So erzog Gott einst Israel im alten Bunde, es sollte sein heiliges, auserwähltes Volk sein unter allen Völkern der Erde; aber indem es das war, war es auch das glücklichste und gesegnetste Volk, und das Land, welches es bewohnte, das gelobte Land, und Moses konnte ausrufen: „Wo ist ein so herrlich Volk, zu dem Götter also nahe sich thun, als der Herr, unser Gott, so oft wir ihn anrufen!“ So erzieht Gott unaufhörlich die ganze Menschheit, und alle Ereignisse der Welt, alle Thaten und Begebenheiten auf dem Schauplatz der Geschichte, alle Führungen der Einzelnen, alle Zeichen und Wunder seiner Regierung haben keinen andern Zweck im Auge, als die Menschheit zu Christo zu führen, ihrem Herrn und Heilande, und im Glauben an ihn glücklich und selig zu machen. So will und soll auch die christliche Erziehung nichts Höheres und Weiteres verfolgen als das Eine, daß sie, wie der Text sagt, aufzieht in der Zucht und Vermahnung zum Herrn. Es ist dies das Höchste, das Wichtigste auf Erden, was jedes andere Wichtige in sich schließt und erreicht, und christliche Eltern können ihren Kindern kein besseres Kleinod übergeben und kein herrlicheres Erbe hinterlassen, als Frömmigkeit und Gottesfurcht, christlichen Glauben und christlichen Sinn. Ob sie Reichthümer und Schätze ihnen sammeln, ob sie zu Ehrenstellen und Aemtern ihnen verhelfen, ob sie mit Freuden und Vergnügungen ihr Leben ausstatten oder nicht, darauf kommt es nicht an - was sind alle irdischen Güter und was können sie sein, diese vergänglichen, nichtigen, elenden Güter, für eine unsterbliche Menschenseele? Spreu, die der Wind verweht; Schatten, die jeden Augenblick kommen und verstiegen. Aber darauf kommt es an, darauf im Leben und im Tode, in Zeit und in Ewigkeit, ob sie Christen sind, ob ihr Herz dem Heilande angehört, ob sie die Gewißheit ihrer ewigen Seligkeit in sich tragen, ob, wenn der unerbittliche Tod anklopft und abruft, sie sogleich bereit sind, ihm mit Freuden zu folgen und ins ewige Leben einzugehen. O Väter, Mütter, die ihr eure Kinder lieb habt, vergesset bei ihrer Erziehung diesen größten Zweck nicht: ihr hättet sie wahrhaftig nicht lieb, und alle eure Liebe wäre im Grunde nur Gleichgültigkeit und Haß, wenn ihr ihn vergäßet. Es ist gut, daß ihr auf ihre äußere Ausbildung Bedacht seid, daß ihr in die Schulen sie schicket, daß ihr Lehrer für sie annehmet, daß ihr zu Kenntnissen und Geschicklichkeiten aller Art ihnen verhelfet, daß ihr zu tüchtigen und würdigen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft und des irdischen Lebens sie ausschmücket; aber werthlos bliebe das Alles, und auf eurem Sterbebette, ja durch die ganze Ewigkeit würdet ihr es bereuen müssen, wenn ihre Seele verkrüppelt und verwahrloset bliebe und sie keinen Vater im Himmel und keinen Erlöser im Herzen trügen, der sie liebte und segnete für und für. Ihr könnet nicht besser für sie, wie für euch sorgen, als indem ihr sie erziehet in der Zucht und Vermahnung zum Herrn; die Klugheit, wie die Liebe, legt euch diese Pflicht ans Herz.

III.

Damit ist aber schon gesagt, worin diese Erziehung zum Herrn bestehen soll, nämlich in Zucht und Vermahnung.

Ohne Zucht ist Erziehung nicht gedenkbar. Der Mensch kann sich selbst nicht leiten, er muß geleitet werden.. Früh schon keimt und wurzelt in ihm das Verderben und die Sünde: es muß beschränkt und gebändigt, es muß ausgerottet und vertilgt werden. Böse Beispiele wirken bei dem angebornen Nachahmungstriebe und der Neigung zum Bösen doppelt verderblich, da der Mensch einmal das Böse viel schneller lernt und auffaßt als das Gute: sie müssen unschädlich gemacht, abgewendet und in ihrem Einflüsse geschwächt werden. Angeboren ist jedem der Eigenwille und der Trotz, der sich selbst sucht und nicht gern gehorcht: der Eigenwille muß gebrochen, die Unarten, die Rohheiten und Widerspenstigkeiten der Natur getödtet, die angenommenen Fehler wieder abgeschafft werden. Darum ist Zucht unbedingt nothwendig, wie auch die Schrift sagt: „Wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtiget?“ (Ebr. 12, 7), und sie ist es um des Herrn willen. Gott zieht uns und die ganze Menschheit durch sein Wort, seine Schicksale und Fügungen, und nach seinem Beispiele und Auftrage zieht und erzieht ein christlicher Vater und eine christliche Mutter ihre Kinder auch, und wendet Liebe und Strenge weise an, je nachdem das Eine oder das Andere erforderlich ist, die Liebe so, daß sie allezeit eine heilige, göttliche Liebe bleibt, den Ernst so, daß auch durch die Strafen und die Strenge die Liebe sich hindurch fühlen läßt. So lange das Kind in den eigentlichen Jahren der Kindheit bleibt, ist das Verhältniß, in welchem Vater und Mutter zu ihm stehen, mehr ein mütterliches; entwickelt es sich zum Knaben, so gestaltet sich das Verhältnis! mehr als ein väterliches; und treten endlich die reiferen Jahre des Jünglings und der Jungfrau ein, so wandelt es sich in ein freundschaftliches und immer geistigeres und seelenvolleres um. Hinweg denn mit der neuen Lehre, die nicht durch Zucht, sondern durch Einsicht erziehen und den Erfolg von Gründen will abhängig machen, die den Kindern nichts befehlen und untersagen will, ohne ihnen anzugeben, warum, und meint, daß die Erziehung nur dann eine freie, lebendige Erziehung sei, wenn sie die Kinder nicht als Sclaven, sondern als vernünftige, freie Wesen behandelt und ihnen nach eigner Einsicht nun überläßt, was sie thun und was sie lassen wollen. Thörichte, verderbliche Lehre! Ist es denn möglich, einem Kinde für Alles Gründe anzugeben? und was soll bann geschehen, wenn die Gründe es nicht überzeugen, oder es auch den Gründen nicht folgen will? und was für eine Umkehrung aller Verhältnisse müßte endlich entstehen, wenn es nur den Eltern gehorcht, aber nicht um des Herrn willen, sondern um der eigenmächtigen, menschlichen Gründe willen? So erzieht Gott nicht die Menschheit; Er gebietet nach Seiner Weisheit und Liebe, und sie hat zu gehorchen, und das ist Alles; sollte es von unserer Einsicht und den Gründen abhängen, die wir dafür aufzubringen vermögen, längst wäre die Welt und jede Ordnung und jedes Recht in ihr untergegangen. Es bleibt also dabei: die christliche Erziehung besteht in Liebe und Ernst, Ernst und Liebe weise mischender Zucht.

Und: in Vermahnung zum Herrn! Das ist der zweite Bestandtheil einer christlichen Erziehung. Diese Vermahnung zum Herrn besteht nicht darin, daß man den Kindern unaufhörlich von göttlichen Dingen vorschwatzt und sie mit Gewalt bekehren will; denn das bildet, wenn auch nicht Verächter des Evangeliums, doch nur Schwätzer. Das Christenthum ist kein todtes Formelwesen, kein Hersagen äußerer Gebete, keine pünktliche Abwartung gehäufter einförmiger Andachtsstunden: es ist Leben und Geist. Die Vermahnung zum Herrn besteht vielmehr darin, daß man selbst in enger Gemeinschaft mit ihm sich befindet und durch eignes Beispiel, durch das eigene Glück und die Seligkeit des Herzens ihnen das Leben im Glauben nahe bringt und zur andern Natur macht; dann darin, daß man gern auf Gott sie hinweiset, im Namen Gottes sie erinnert und ermahnet, durch den Gedanken an Gottes Allwissenheit und Wohlgefallen sie zur Ausübung der christlichen Pflichten und Tugenden bestimmt und kräftigt, und so oft sich Gelegenheit findet, in guten und in bösen Tagen, bei herzerhebenden und bei beugenden Erfahrungen, Morgens und Abends, ihnen den Allweisen, Allgnädigen und Allmächtigen nahe bringt; darin, daß man vornämlich Christum ihnen vor die Augen malt, wie Paulus den Galatern gethan, in aller seiner Gestalt, die er auf Erden getragen hat, insbesondere als den Freund der Kinder, der sie zu sich ruft, um sie zu herzen und zu segnen; darin, daß man mit ihnen betet, mit ihnen keinen liebern Ort hat als die Kirche, keinen heiligern Tag als den Sonntag, kein wichtigeres Buch als die Bibel, und noch öfter im Stillen für sie betet und für ihr zeitliches und ewiges Heil. Nicht früh genug kann diese Vermahnung zum Herrn beginnen; sie gehört so recht eigentlich in den Morgen des Lebens hinein; auf dem Mutterschooße, an der Mutterbrust hat sie ihre erste Werkstatte und ihre Kanzel; und es giebt keinen traurigeren Wahn, als die Meinung, man müsse die Religionsbildung bis in die Jahre, wo man, wie es heißt, besser begreife, versparen: zur Religion gehört kein Begreifen, Glaube gehört dazu, und glauben sehen wir schon den Säugling an seine Mutter. Verfrühen läßt sich hier nichts, verspäten desto mehr. O daß wir nichts verspäteten! Daß frühe schon unsere Kinder fragen lernten nach dem, was droben ist und Himmelssinn gewönnen! Dann würde bald jeder Leichtsinn, jeder Weltsinn, jeder Stumpfsinn, jeder Starrsinn von ihnen weichen, und die Zeit, wo sie verstehen und gebrauchen lernten, was die Kindheit ihnen gegeben, würde nicht ausbleiben, und sie würden bis an ihr Ende es ihren Eltern und Lehrern tiefgerührt danken, daß sie den Namen aller Namen unverlöschbar in ihre Kinderbrust eingeschrieben haben. So wird, so muß die christliche Erziehung ein wahrer, fortwährender Gottesdienst sein.

Beides aber gehört zusammen: Zucht und Vermahnung zum Herrn. In der Art, wie Gott die Menschheit erzieht, stießt beides zusammen: so dürfen denn auch Menschen nicht scheiden, was Gott verbunden hat. Zucht ohne Ermahnung wäre ein Körper ohne Geist, ein Gerüste ohne Bau, und würde nichts als Furcht, Mißtrauen, Widerwillen und Abneigung erzeugen, höchstens Sclaven bilden, aber keine freiwillig gehorsamen Kinder. Ermahnung ohne Zucht wäre nur ein leerer Schall des Mundes, ein Ton, der eben so schnell verklingt, als er laut wird, und würde seinen Zweck eben so gewiß verfehlen, wie das Wort ohne die begleitende That ihn immer verfehlt. Beides also, Zucht und Ermahnung, soll Hand in Hand gehen, und in unablässiger Sorgfalt und Treue. Traurig, wenn die Eltern darin nur irgendwie nachlassen und die Hände in den Schooß legen, wenn sie die von den Geschäften freien Stunden den Genüssen und Zerstreuungen widmen und die Kinder inzwischen entweder sich selbst oder der Aufsicht unerfahrner und ungebildeter Miethlinge überlassen; traurig, wenn sie von öffentlichen Lehranstalten Alles verlangen, selbst das, was die häusliche Erziehung leisten sollte, und die Bemühungen der Lehrer nicht im mindesten unterstützen. Wen könnte es da noch wundern, wenn ihre Erwartungen so oft vereitelt werden und Unarten und Sittenlosigkeit bei den Zöglingen überhand nehmen!

IV.

Wir wissen also nun, worauf es hauptsächlich ankommt bei einer christlichen Erziehung, Geliebte; ihr Grund, ihr Zweck, ihr Wesen liegt vor uns, und es bedarf nur noch, daß wir auch ihre Folgen uns vergegenwärtigen, um des ganzen, vollen Segens derselben theilhaftig zu werden. Natürlich, was mit Gott unternommen wird, muß auch wieder von ihm gesegnet werden, und der Segen einer gläubigen Erziehung ist unermeßlich. Er setzt sich fort durch alle Alter, Stände und Lebensweisen, und erscheint in jeder derselben groß und herrlich.

Ein christlich erzogener Mensch ist zunächst schon als Kind folgsam, dankbar, liebend, vertrauensvoll, und dadurch die Freude und der Segen aller Verwandten und Gefreundte. Als Jüngling bleibt er rein und unbefleckt, und ob der Versucher auch Leidenschaften wecke, Vorspiegelungen ersinne, die Bibel selbst mißbrauche und in Worte des Himmels die Anträge der Hölle kleide: vergebens! Aus der wohlbekannten Rüstkammer holt er sich siegreiche Waffen gegen die Finsterniß. Als Mann oder Frau endlich ist er treu im Berufe, fest im Bekenntniß, reich an Werken der Gerechtigkeit, geduldig im Trübsal, stark in der Versuchung, selig im Tode. Leuchtend ist der Gang des Christen durchs Leben, und jeder Tag und jede Erscheinung an demselben weisen zurück auf den Grund, den einst der Herr gelegt hat.

Nicht minder erfreuen sich alle Lebensverhältnisse eines fruchtbaren Bodens und einer gedeihlichen Aussaat. Die Schule begrüßt das fromme Kind: und siehe da, es ist fleißig, aufmerksam, lernbegierig, bescheiden, und durch seine sichtbaren Fortschritte die Zierde der Anstalt und der Lohn gewissenhafter Lehrer. Die Kirche ertheilt dem Jüngling die Weihe, und siehe da, er ist nicht blos ein äußeres, sondern auch ein inneres, lebendiges Mitglied des Gottesreichs; seine Liebe zum Heiland, sein Eifer im Gebet, seine gottesdienstlichen Uebungen, sein gottergebener Sinn und Wandel strahlen heilbringend durch alle seine Schritte hindurch. Der Staat und das öffentliche Leben nimmt zuletzt den Mann auf in seine Berufs- und Wirkungskreise: und siehe da, mit der göttlichen Ordnung sind auch die menschlichen Ordnungen geheiligt, und ein Heil, eine Freude, eine Kraft, ein Segen entwickelt sich unter seinen Händen nach dem andern.

Am meisten aber fällt der Lohn christlicher Erziehung auf diejenigen zurück, von denen er ausging; sie sind die ersten und die letzten, die nächsten und die gewissesten Zeugen des Wohlergehens ihrer Kinder; ihr Segen baut den Kindern Häuser, und wenn sie ihre Augen schließen und ins Grab gesenkt werden, erstirbt der Dank für das Gute, was sie gethan, in den Herzen der Hinterbliebenen nicht; sie fühlen, daß sie den Vollendeten nimmer vergelten können, was sie von ihnen empfangen haben, daß die treuste Gegenliebe immer unendlich weit zurückbleibt hinter der erhaltenen Liebe, und tragen daher das Andenken der Verklärten in, Herzen, bis sie einst mit ihnen vereinigt werden vor Gottes Thron. So oft im spätern Leben wichtige Ereignisse oder glückliche Wendungen ihres Schicksals eintreten, wird in ihnen die Stimme laut: Gewiß ist dies Glück, was mir jetzt widerfahren ist, die Erhörung der Gebete meines seligen Vaters oder meiner seligen Mutter.

Wie nun aber? wenn diese Freude dennoch ausbleibt und trotz aller christlichen Erziehung die Kinder mißrathen und den Weg des Verderbens betreten und Kinder der Hölle werden? Eine traurige, herzzerreißende Erfahrung, wo sie eintritt! Möge Gott euch Alle in Gnaden davor bewahren, geliebte Eltern! Aber seid ihr so unglücklich, Herzeleid und Schande an euren Kindern zu erleben: o dann klaget nur nicht gegen Gott, sondern gehet in euch und prüfet euch, ob ihr wirklich bei ihrer Taufe, Geburt, Erziehung sie Gott geopfert, ob ihr ihnen nicht zu viel Willen gelassen oder sie zu scharf behandelt, ob ihr ihnen nicht manchmal mit bösem Beispiel vorangegangen, ob ihr auch allezeit geduldig und zufrieden waret mit Gottes Wegen und Schickungen; o prüfet euch und demüthiget euch in aufrichtiger Buße vor dem Herrn, und höret nicht auf, die Abgefallenen und Verirrten zu ermahnen, zu warnen, ihnen die Gelegenheit zur Sünde zu nehmen und vor allem für sie unablässig zu beten: wahrlich, Kinder solcher Gebete und Thränen werden nicht verloren gehen.

Noch drei Bemerkungen, Geliebte, die sich uns beim Rückblick auf unsere Betrachtung und unser Leben ganz von selbst aufdringen. Manche von uns nämlich hatten gewiß auch Eltern, denen sie eine fromme, christliche Erziehung verdanken: o wer zu diesen gehört, sein Loos ist ihm gefallen aufs lieblichste, ihm ist worden ein schön Erbtheil. Dankbar erneuert denn, ihr Glückseligen, den Schutzengeln eurer Kindheit Opfer und Gelübde, und sind sie bereits entschlafen, haltet ihr Andenken allezeit in hohen Ehren. - Andere von uns dagegen werden klagen, daß eine christliche Erziehung ihnen leider nicht zu Theil geworden. Diese bitte ich heute: Bedenket, Gott hat der Wege viele zu seinem Ziele; auch Verirrungen können den rechten Pfad nachweisen, auch Verwahrlosungen können Schulen des Glaubens werden, auch wer in der Jugend beten zu lernen keine Gelegenheit oder keine Lust hatte, kann es später lernen durch die Noth. Kein Mensch ist zu alt, als daß das Alter ihn nicht noch wiedergebären könnte, wenn er nur die Geburtskämpfe nicht scheut. Klaget also nicht über das, was dahinten ist; strecket euch zu dem, was vor euch liegt, und trachtet nach dem himmlischen Kleinod, welches euch vorhält eure himmlische Berufung in Christo Jesu. - Euch aber, die ihr Eltern seid und eben jetzt Kinder erziehen sollt, euch mahnt der heutige Tag, nichts zu versäumen. Gott hat viel, sehr viel in eure Hände gelegt, und eure Verantwortung, eure Rechenschaft wird einst groß sein. Fühlet die Wichtigkeit eurer Stellung, umfasset den Werth eurer Gegenwart und Zukunft, betet für euch und die Eurigen unablässig zum Herrn; thut, was ihr könnet, Lehrer, Lehrerinnen, Väter, Mütter, und erziehet vor allem euch selbst christlich, damit ihr die euch Anvertrauten christlich erziehen; werdet selbst Kinder Gottes, damit ihr. eure Kinder zu Kindern Gottes bilden könnet und heiliger Geist von euch übergehe auf das junge Geschlecht. Dann werdet ihr euch ein fröhliches Leben bereiten, reich an Erfahrungen, Erinnerungen und Hoffnungen, und noch sanfter wird das Sterbekissen sein, auf welchem ihr einst auszuruhen gewürdigt werdet. Amen.

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