Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 31. Predigt.

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 31. Predigt.

Text: Matth. VII, V. 24-27.

Darum, wer diese meine Rede höret, und thut sie, den vergleiche ich einem klugen Manne, der sein Haus auf einen Fels bauete. Da nun ein Platzregen fiel, und ein Gewässer kam, und weheten die Winde, und stießen an das Haus, fiel es doch nicht, denn es war auf einen Felsen gegründet. Und wer diese meine Rede höret, und thut sie nicht, der ist einem thörichten Manne gleich, der sein Haus auf den Sand bauete. Da nun ein Platzregen fiel, und kam ein Gewässer, und weheten die Winde, und stießen an das Haus, da fiel es und that einen großen Fall.

Das sind die erschütternden Worte, mit welchen Jesus die Bergpredigt schließt. Was Er Seinen Jüngern hat sagen wollen über ihre Pflichten und Rechte, über ihre Verirrungen und Bewahrungen, ist nun zu Ende; Sein ganzes Herz hat Er vor ihnen ausgeschüttet, und ihnen Blicke eröffnet in eine neue Welt voll Geist und Leben, vor denen sie staunen mußten sammt den Tausenden der Zuhörer, die sie umringten. Noch wenige Minuten: dann gingen die Tausende wieder auseinander, Jeder in seine Heimath; Viele unter ihnen hörten den Sohn Gottes wohl nie wieder auf dieser Welt, und gewaltig bewegend trat der Gedanke vor die Seele des göttlichen Erlösers: Wie? werden diese Alle, die das Wort des Lebens gehört haben, es nun auch wohl behalten? und werden sie danach ihr Leben fortan einreichten? werden sie wirklich ein Salz der Erde und ein Licht der Welt werden, wie ich ihnen zugemuthet habe? Ach, mit Seinem alldurchdringenden Blicke sah Er wohl die Verschiedenheit ihrer Auffassung und Bewahrung des von ihm gepredigten Wortes, und darum konnte Er es nicht lassen, gleichsam als einen eindringenden Spieß und Nagel zur Anheftung Seines Vortrags die Worte zum Schlusse hinzuzufügen, welche heute unsern Text ausmachen. Sie drücken der ganzen Rede das Siegel auf, und bringen die große Frage zur Sprache: 1) Wann erscheint der Mensch als klug in Beziehung auf das göttliche Wort? 2) wann handelt er durch und durch thöricht?

I.

Darum, weil es so wichtig ist, in Sachen der Seligkeit auf dem rechte Wege zu wandeln, und weil uns dereinst Alle ein ernstes, entscheidendes Gericht erwartet, darum wer diese meine Rede höret, und thut sie, den vergleiche ich einem klugen Manne, der sein Haus auf einen Fels bauete. Da nun ein Platzregen fiel, und ein Gewässer kam, und weheten die Winde, und stießen an das Haus, fiel es doch nicht, denn es war auf einen Felsen gegründet. Das Hören des göttlichen Worts, oder, was mit demselben völlig eins ist, das Lesen desselben, ist schon etwas Gutes und Lobenswerthes; denn o wie Viele hören und lesen es nicht; sind Christen, und wissen nicht einmal, was Jesus für sie gethan hat; wollen Kinder Gottes sein, und verachten die Werke und Schriften ihres Vaters im Himmel! Aber die Hauptsache ist es nicht; die Hauptsache ist das Thun des gehörten Worts. Das Hören ist der Eingang in’s Heiligthum, das Thun ist das Heiligthum selbst. Das Hören ist die Morgenröthe des neuen Tages, das Thun ist der herrliche, glänzende Tag selbst. Darum wird dieses so oft auch in der heiligen Schrift als Bedingung des wahren Christenthums gefordert, und das Hören nur verlangt, sofern es das einzige Mittel ist, um zum Thun zu gelangen. „Selig sind,“ sagt der Herr, „die Gottes Wort hören und bewahren. Die auf dem guten Lande, das sind, die das Wort hören, und behalten in einem feinen, guten herzen, und bringen Frucht in Geduld.“ (Luc. 11,28. 8,15.) „Seid Thäter des Worts,“ sagt der Apostel, „und nicht Hörer allein, womit ihr euch selbst betrüget. Denn so Jemand ist ein Hörer des Worts, und nicht ein Thäter, der ist gleich einem Manne, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschauet; denn nachdem er sich beschauet, gehet er von Stund’ an davon, und vergißt, wie er gestaltet war. Wer aber durchschauet in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharret, und ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Thäter, derselbige wird selig sein in seiner That.“ (Jac. 1,22-25.) Doch laßt uns, Geliebte, näher in’s Einzelne gehen, um die Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit der Ausübung des göttlichen Worts nach allen Seiten hin recht lebendig inne zu werden.

Jesus sagt: „Wer diese meine Rede höret und thut sie, der ist einem klugen Manne gleich, der sein Haus auf einen Felsen bauete.“ Wie der Fels fest steht und durch Sturm und Wetter nicht umgerissen werden kann: so steht auch das göttliche Wort in der Seele des Menschen fest, wenn es bei ihm zur Ausübung und zur That kommt. Durch das Thun sichert er sich das gehörte Wort; er behält es in seinem Gedächtniß und in seinem Herzen, und es kann ihm nunmehr nicht wieder entrissen werden. So oft er betet, fällt ihm ein, was der Herr für Verheißungen in Seinem Worte den Gläubigen gegeben hat, und er kann es nun nicht lassen, erst recht inbrünstig zu beten, und treu auszuharren, und mit jedem neuen Gebete, mit jeder neuen Erhörung prägt sich immer tiefer seiner Seele ein, was er in diesem Worte darüber gelesen und gelernt hat. So oft er ein Werk der Liebe übt, und nun bald die Schwierigkeiten in seinem selbstsüchtigen Herzen, bald die Hindernisse in der Welt und den Umständen überschaut, gräbt sich die Wahrheit des Ausspruchs ihm immer tiefer in die Seele, daß die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist und der Mensch ihr Schuldner bleibt sein Leben lang. So oft er sich selbst verläugnet, sei es im Verhältniß zu Gott oder zu seinen Brüdern, so oft er seinen Eigenwillen bricht, sein Fleisch kreuzigt sammt den Lüsten und Begierden, und der Glaubenskampf ihm schwer wird, denkt er bei sich selbst: wie wahr hat doch Jesus gesprochen, wenn Er sagte, daß der Weg, der zum Leben führt, schmal, und die Pforte eng ist und es nur Wenige sind, die darauf wandeln. So oft er Christum bekennt vor den Menschen, und es erfährt, daß es dem Jünger geht, wie dem Meister, steht lebendig vor seinem Gemüthe das Wort: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen, und reden allerlei Uebles wider euch so sie daran lügen.“ So oft er in großer irdischer Noth nicht weiß, wo aus, noch ein, und kein Hülfe mehr findet bei sich und bei der Welt, um so zuversichtlicher aber seine Sorge auf den Herrn wirft, ist es ihm, als wenn Jesus unmittelbar vor ihm stände und zu ihm spräche: „Darum sollt ihr nicht sorgen, und sagen: Was werden wir essen? was werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? Nach solchem Allem trachten die Heiden; denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr deß Alles bedürfet. Trachtet am Ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen.“ Wie die Worte des Herrn uns nicht dazu gegeben sind, daß wir sie bloß anhören, auswendig lernen, sie wissen und über sie reden können; sondern wie sie uns dazu gegeben sind, daß wir danach thun und handeln und unser Leben im Geiste des Herrn Jesu Christi führen: so werden auch alle Worte des Herrn erst für uns wahrhafte Lebensworte und ewige Wahrheiten, wenn sie bei uns in Fleisch und Blut übergehen, und nicht allein Auge und Ohr, sondern auch Hand und Fuß, Herz und Willen in Bewegung setzen. Mit jeder neuen Erfahrung und Ausübung werden sie immer felsenfester, vertrauter und uns zur andern Natur; und daher hat kein Mensch ein besseres Gedächtniß für das göttliche Wort, als derjenige, der danach thut. Er ist gleichsam ein verkörpertes Wort Gottes geworden. Wüßte er auch keinen Spruch buchstäblich auswendig. er weiß sie alle inwendig, und darum weiß er sie recht und kann sie nimmer vergessen. Mit goldenen Buchstaben, was sage ich? mit unvergänglichen Zügen stehen sie geschrieben auf seiner Stirn, auf seinen Mienen, in den Thaten seiner Liebe, in der Treue seiner Gebete, und in der unbedingten Hingabe seines ganzen Herzens an den Herrn.

Weiter! Durch das Thun behalten wir nicht bloß am Besten das göttliche Wort, wir lernen es auch dadurch am Besten verstehen. Man hat sich oft beklagt, daß die Bibel ein unverständliches Buch sei, versiegelt mit sieben Siegeln; aber mit Unrecht. Schon Paulus erwiedert auf diese Klage: „Ist nun unser Evangelium verdeckt, so ist es in denen, die verloren worden, verdeckt, bei denen der Gott dieser Welt der Ungläubigen Sinne verblendet hat, daß sie nicht sehen das Licht des Evangelii von der Klarheit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes.“ (2. Cor. 4,3.4.) Wer Gottes Wort hört und liest, in der Absicht, nicht bloß sein Wissen und Schriftverständniß zu bereichern, sondern zunächst, um sein Leben zu bessern, sein Herz zu reinigen von aller Untugend, seinen Wandel unsträflich und unbefleckt zu erhalten und seinem Gottes treu zu dienen: der erhält durch solches Thun den sichersten Schlüssel zu allen Geheimnissen der heiligen Schrift. Darum haben fromme Christen oft gesagt: das Evangelium wolle nicht sowohl erlernt, als vielmehr erbetet werden; menschliche Dinge müsse man kennen lernen, um sie zu lieben, göttliche Dinge aber müsse man lieben, um sie zu verstehen; sonst gehe der Weg durch den Verstand zum Herzen, hier aber gehe der Weg durch das Herz zum Verstande. Woher käme auch sonst die häufige Erfahrung, daß einfältige Christen oft an Schriftkenntniß und Schriftverständniß die größten Gottesgelehrten beschämen? Woher die Erfahrung, daß Geheimnisse der heiligen Schrift, über die ein Mensch durch alles Nachdenken, Forschen und Grübeln nicht klar werden konnte, sich ihm mit einem Male aufschließen, sobald sie ihm verwirklich in seinem eigenen Leben dastanden; und daß dieselbe Stelle in reifern Jahren uns in einem ganz andern Lichte erscheint, als in früheren Zeiten? Woher die Bemerkung, daß das Wort „erkennen“ in der Bibel meist so viel heißt als: anschaulich erkennen, erfahren, erleben, unmittelbar inne und gewiß werden? Alles ist in der Bibel Leben, und selbst die Erkenntniß soll keine todte bleiben, sondern eine lebendige werden. Mit wie ganz andern Augen liest der wiedergeborene Christ das Wort des Herrn, als der natürliche Mensch! Diesem ist zum Beispiel das Wort Christi: „Geben ist seliger, denn Nehmen!“ ein Räthsel; denn seines Lebens Seele ist das Nehmen, Haben, Besitzen und Gewinnen, und Nichts wird ihm saurer, als das Geben; während der Christ durch eigene Erfahrung es weiß, daß die Liebe seliger ist, als die Selbstsucht. Diesem klingt das Gebet Jesu Christi: „Vater, ich danke Dir, daß Du solches den Klugen und Weisen dieser Welt verborgen hast, und hast es den Unmündigen offenbart,“ (Matth. 11,25.) höchst wunderlich; denn in seinen Augen haben nur die weisen und klugen Leute werth, und Nichts ist ihm verächtlicher, als Einfalt und Kindessinn, während der Christ aus eigener Erfahrung es weiß, daß er von dem ganzen, seligmachenden Evangelium Nichts wissen würde, wäre es ihm nicht geoffenbart von oben herab. diesem dünkt der Anfang der Bergpredigt. „Selig sind, die da geistlich arm sind, die da Leide tragen, die hungern und dursten nach der Gerechtigkeit!“ wenigstens Ueberspannung und Schwärmerei, weil jedes dieser Worte seinen Vorurtheilen und Ansichten schnurstracks zuwider ist; während der Christ buchstäblich aus eigener Erfahrung unterschreibt, was der Sohn Gottes hier vorgeschrieben hat. Wahrlich, er allein ist der rechte Gottesgelehrte. Und je mehr er fortschreitet in seinem praktischen Christenthum, in dem Wege der Heiligung, desto deutlicher und tiefer wird ihm auch der Zusammenhang und jede einzelne Behauptung der heiligen Schrift, und der Ausdruck seines Glaubens wird in ihren Worten ihm immer klarer und treffender. Von Jahr zu Jahr dringt er weiter ein; von Jahr zu Jahr wird ihm Gottes Wort immer mehr seine Leuchte und ein Licht auf seinen Wegen, süßer, als Honig und Honigseim, köstlicher, als Gold und viel feines Gold, und er stimmt buchstäblich dem königlichen Sänger bei: „Wenn Gottes Wort offenbar wird, so erfreuet es, und macht weise die Einfältigen.“ (Ps. 119,130.)

Endlich. Durch das Thun des göttlichen Worts sichern wir uns die Wirksamkeit desselben an unserm Herzen. Wie man durch Leseübungen lesen lernt, wie man durch tägliches Gebet beten lernt, wie man durch Werke der Liebe lieben lernt, wie Uebung in allen Gebieten den Meister macht: so macht der Christ auch das göttliche Wort erst wirksam dadurch, daß er danach lebt und wirkt. Nun steht demselben Nichts mehr im Wege, und es kann die ganze Fülle seiner Segnungen ungestört ausströmen. Nun kann dem Christen Nichts mehr in der Welt schaden, sobald er sich selbst nur nicht schadet. Die Grundlage des Gebäudes seiner Seligkeit liegt für alle Gefahr und für allen Wechsel der Stürme zu tief; sie kann von denselben weder erreicht, noch umgestürzt werden. „Thue das, so wirst du leben!“ sagt der Herr. „Wer den Willen Gottes thut, der bleibet in Ewigkeit!“ sagt der Apostel. Und im Texte heißt es: „Wer diese meine Rede hört und thut sie, den vergleiche ich einem klugen Manne, der sein Haus auf einen Felsen bauete. Da nun ein Platzregen fiel und kam ein Gewässer, und weheten die Winde, und stießen an das Haus, fiel es doch nicht; denn es war auf einen Felsen gegründet.“ Sonst hemmen Zweifel des Verstandes gar gewöhnlich und heftig den Einfluß des göttlichen Worts auf unser Herz und Leben; aber sehet: den, der nicht bloß ist ein Hörer, sondern auch ein Thäter der göttlichen Lehre, kann kein Zweifel mehr erschüttern, und wäre er auch der scheinbar begründetste und für ihn schlechthin unwiderleglichste: er trägt einen Glaubensgrund in sich, der über alle Zweifel unendlich erhaben ist und die Bedenklichkeiten und Meinungen der bethörten Welt völlig verlachen kann, das ist die Erfahrung seines eigenen Herzens. Wer das göttliche Wort einmal als wahr an sich erprobt hat, für den ist aller und jeder Zweifel überwunden, und er antwortet jedem Klügler auf der Stelle: Es steht geschrieben: „So Jemand wird Deß willen thun, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob seine Lehre von Gott sei, oder ob er von sich selber rede.“ (Joh. 7,16.17.) Sonst können Leiden und Trübsale des Lebens den Menschen wohl losreißen von Gott und ihn zur Verzweiflung treiben; aber sehet: den gläubigen Christen, der nicht bloß ist ein Hörer, sondern auch ein Thäter des Wortes Gottes, wundert es gar nicht, daß er in der Welt leiden muß; denn er weiß, so steht es in seiner Bibel geschrieben, da ist es ihm verkündigt, daß er müsse durch viele Trübsale in’s Reich Gottes eingehen; er weiß, so ist es zu allen Zeiten allen Heiligen Gottes ergangen, wie könnte er sich anmaßen, eine Ausnahme machen zu wollen; er weiß, die Leiden hat er verdient, und sie gereichen so sehr zu seinem Besten, daß er bekennen muß, daß dieser Zeit Leiden nicht werth sind der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden, und daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Sonst können Anfechtungen der Seele, Glaubenskämpfe, Opfer und innere Entbehrungen einen Menschen wohl zaghaft und mürbe machen: aber sehet, den wahren gläubigen Christen, der nicht bloß ist ein Hörer des göttlichen Worts, sondern auch ein Thäter desselben, machen sie nicht irre; so lange es in diesem Buche noch heißt: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will ich mich dein erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser“ (Jes. 54,7.8.): so lange hat es bei ihm gute Wege, und der Schmerz hat seinen Stachel, die Zukunft ihre Schrecken, der Kampf seine Größe und die Entbehrung ihre Bitterkeit verloren. Sonst ist wohl der Tod mit seinen Erinnerungen und Aussichten im Stande, auch den Herzhaftesten kleinmüthig zu machen, und der Gedanke an das künftige Gericht kann beim Rückblick auf sein vergangenes Leben für ihn ein Gedanke voll Nacht und Grauen werden; aber sehet den, der nicht bloß ein Hörer, sondern auch ein Thäter des göttlichen Wortes ist, im Angesicht des Todes: er fürchtet ihn nicht, und erschiene er auch in der scheußlichsten Gestalt; im Gegentheil, er heißt ihn willkommen wie einen lang ersehnten Freund, er schließt seine Rechnung für diese Welt und begrüßt mit Hoffnungen und Erwartungen ohne Gleichen den frohen Morgen der Ewigkeit. Seine Losung ist die apostolische: „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Gelobt sei Gott, der uns den Sieg gegeben hat durch Jesum Christum, unsern Herrn.“ Je länger wahre Christen nach der Bibel leben, desto tiefer leben sie sich in die Bibel hinein; ihre Berufung und Erwählung wird immer fester, und ihr treues Anhängen an ihren Heiland, der da Worte hat des ewigen Lebens, immer entschiedener. Sie wissen, an wen sie glauben, und sind gewiß, daß Er ihre Seligkeit bewahren wird bis an jenen Tag.

Nun saget selbst, meine Lieben, hat Jesus nicht Recht im Texte: „Wer diese meine Rede hört und thut sie, den vergleiche ich einem klugen Manne, der sein Haus auf einen Felsen bauete. Da nun ein Platzregen fiel und kam ein Gewässer, und weheten die Winde und stießen an das Haus, fiel es doch nicht; denn es war auf einen Felsen gegründet.“? Klug ist derjenige, der die besten Mittel ergreift für die besten Zwecke: der Thäter des göttlichen Worts hat das beste Mittel ergriffen, nämlich das Thun, also das Glauben, Annehmen, Bewahren und Befolgen desselben. Klug ist derjenige, der Nichts vergeblich thut in der Welt, und einen großen, guten Zweck bei allen seinen Schritten verfolgt und erreicht: kann es einen erhabenern Zweck geben, als das Seligwerden? – Wer unter uns gehört aber zu diesen wahrhaft Klugen? Ach, wir müssen gestehen: Wenige nur versuchen es mit dem Herrn! Wenige nur fangen an und vollenden den Versuch! Unter Tausenden giebt es kaum Einen, der es sich zur Lebensaufgabe setzte, das Wort Gottes zu hören, um es zu thun; die Meisten, die Allermeisten hören es bloß, um es zu hören. Unter Tausenden giebt es kaum Einen, der nur einige Tage mit der Einfalt, der Treue, der Emsigkeit und Gewissenhaftigkeit den Befehlen seines Gottes und Heilandes nachlebte, wie bald in jeder Straße wenigstens ein Dienstbote dem Willen einer gütigen oder strengen Herrschaft genug zu thun sich bestreben mag. Daher aber auch die nachtheilige Folge, daß das Evangelium so außerordentlich wenig wirkt in der Welt, und daß mehr Thorheit als Klugheit, mehr Finsterniß als Licht, mehr Elend als Heil, mehr Sünde als Gerechtigkeit in ihr verbreitet ist.

II.

Laßt uns denn zu unserer Warnung und Ermunterung nun auch die Schattenseite kennen lernen, wenn der Mensch wohl Gottes Wort hört, aber es bloß hört, um es zu hören. Jesus sagt: Wer diese meine Rede hört, und thut sie nicht, der ist einem thörichten Manne gleich, der sein Haus auf den Sand bauete, d.h. der sein Heil nicht auf Gottes Wort, sondern auf menschliche Meinungen, vergängliche Einfälle und leere Vorsätze, gründete. Da nun ein Platzregen fiel, und kam ein Gewässer, und weheten die Winde, und stießen an das Haus, da fiel es, und that einen großen Fall. Wir gewahren oft so viele Verirrungen beim Hören des göttlichen Worts, bald daß man es zur Gewohnheitssache macht und zur Lebensordnung am Sonntage, bald daß man es als Modesache behandelt und launenhaft mit Kirche und Prediger wechselt, bald daß man auf diese Weise eine Art Zeitvertreib und Genuß sich zu verschaffen sucht: würden diese Abirrungen eintreten können, wenn man Gottes Wort nicht hörte, bloß um es zu hören? Wir wundern uns oft, daß so wenig Schriftkenntniß verbreitet ist, daß die einfachsten Wahrheiten den Menschen verborgen sind und sie die allerwesentlichsten Heilslehren mit verkehrten Augen ansehen; aber dürfen wir uns darüber wundern, da wir fast Alle das göttliche Wort hören, bloß um es zu hören? Werfen wir einen Blick auf das Leben, so sehen wir eine Entfremdung vom göttlichen Worte und eine Losgerissenheit aller Verhältnisse von demselben, die gar nicht greller aufgestellt werden kann; die meisten unserer Bücher, Zeitungen und Zeitschriften könnten ebenso gut unter den Heiden geschrieben worden sein, wie in der Christenheit; die meisten Verordnungen, Befehle, Einrichtungen, Stiftungen, Anstalten und Vergnügungen tragen Nichts weniger an sich, als das Gepräge des Christenthums, man kann meilenweit gehen, man kann Tage und Wochen lang zubringen, ohne von christlichen Mahnungen geweckt und getroffen zu werden; das Recht, die Arzneiwissenschaft, die Weltweisheit, berühren in ihrer Handhabung auch nicht im Entferntesten das christliche Gebiet; woher das Alles, als daher, weil wir Gottes Wort bloß hören, um es zu hören, nicht, um es zu thun?! Und warum kommt im großen Ganzen der Kirche keine rechte Erweckung und Erwärmung der erstarrten Todtengebeine, keine durchdringende Erweichung und Befruchtung des hartgetretenen Feldes vor? Warum finden wir im Einzelnen so vieles Hin- und Herschwanken, und keine Festigkeit; so vieles kleinmüthige Zittern und Zagen, und keine fröhlich Anwendung der evangelischen Verheißungen; so vieles ängstliche Anbequemen, und keine Freudigkeit, die eigene selige Erfahrung mit Kraft Anderen an’s Herz zu legen und dem Herrn Ehre zu machen durch offenes, entschiedenes Bekenntniß? Warum so wenig wahren Frieden, so wenig ächte, treue Liebe zu Anderen, so wenig großartige Leistung und seelenvolle Thätigkeit für’s Reich Gottes? Ach, Alles daher, weil wir nur hören, um zu hören, und nicht hören, um zu thun. Ohne das Ueben bleibt das göttliche Wort todt und unfruchtbar. Alle unsere Erkenntniß ist dann todte Erkenntniß; wir lernen immerdar, und kommen doch nie zur Erkenntniß der Wahrheit. Alle unsere Stimmungen sind dann gehaltlos und wandelbar; heute für den Herrn, morgen wider ihn; ein schnell aufloderndes, aber ebenso schnell verlöschendes Feuer. Alle unsere Vorsätze sind dann Schlösser in die Luft gebaut, Hirngespinste ohne Wirklichkeit, süße Träume, von denen wir beim Erwachen Nichts mehr wissen. All’ unser Kirchengehen und Bibellesen ist dann Nichts, als ein müßiges Nichtsthun und verlorene Zeit. Was half es dem reichen Jünglinge, daß er von Jesu hörte, was er thun müsse, um das ewige Leben zu ererben, da er doch Nichts von dem that, noch thun wollte, was Jesus ihm vorschrieb? Er ging betrübt von dannen. Was half es den Pharisäern, daß sie so oft Ohrenzeugen waren der holdseligen Worte, die der Herr im Tempel sprach? Sie suchten nur ihre eigene Ehre, sie wollten nicht an Jesum glauben; darum trag sie das achtmalige Wehe, das der Herr über die Pharisäer ausrief. Was half es dem ganzen jüdischen Volke, daß Jesus unermüdet, bald in Gleichnissen, bald in klarer, einfacher Rede, den Weg Gottes sie lehrte? Sie hörten Ihm bloß zu aus Neugier, ohne den gewiesenen Weg zu betreten: darum mußte Jesus weinen über Jerusalem, daß es nicht bedachte zu dieser seiner Zeit, was zu seinem Frieden diente, und daß es sich nicht wollte sammeln lassen, wie die Küchlein sich sammeln lassen unter die Flügel der Henne. Ach, es ging damals in Beziehung auf das Reich Gottes in der Welt zu wie heute: ein Theil der Menschen hört das Wort Gottes gar nicht; ein anderer hört es, aber mag es nicht glauben, noch befolgen; ein dritter hört es und thut es auch, aber nur eine Zeit lang, dann ist er’s überdrüssig; ein vierter hört es und thut’s, aber nur mit halbem, nicht mit ganzem Herzen, und nur der kleinste Theil hört’s und bewahrt es in feinem, guten herzen, und bringt Frucht in Geduld. Darum gilt von den meisten Menschen das Textwort: „Wer diese meine Rede hört und thut sie nicht, der ist einem thörichten Manne gleich, der sein Haus auf den Sand bauete. Da nun ein Platzregen fiel, und kam ein Gewässer, und weheten die Winde, und stießen an das Haus: da fiel es, und that einen großen Fall.“ – Und wäre es das Alles: ach, es wäre schon traurig genug! Aber die Geschichte des Menschen ist einmal keine zeitliche Geschichte, sie reicht in die Ewigkeit hinüber. Oder wißt ihr nicht, was Jesus sagt: „Der Knecht, der seines Herrn Willen weiß, und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen gethan, der wird viele Streiche leiden müssen“? (Luc. 12,47.) Wißt ihr nicht, was Jesus für ein furchtbares Wehe ausrief über Chorazim, Bethsaida und Kapernaum, die die meisten Seiner Thaten gesehen und sich doch nicht gebessert hatten? (Matth. 11,21-24.) Es giebt keine größere Thorheit im Leben, als Gottes Wort zu hören, und nicht danach zu thun. Das ist ebenso thöricht, als wenn Jemand an reich besetzter Tafel säße, und doch verhungerte; als wenn ein Kranker gesund werden könnte, und die hülfreiche Arznei doch von sich wiese; als wenn ein Armer vornehm und reich werden sollte, und verschmähete das Testament, welches ihn in Besitz dieses Vorrechts setzt. Wer würde einen solchen Menschen nicht einen Thoren nennen? Und doch ist er bei weitem nicht so thöricht, als derjenige, dem ewige Seligkeiten versprochen sind, und der sie ausschlägt, weil er die Bedingungen derselben nicht erfüllen mag. Es ist ein großes Unglück, das Evangelium nicht zu kennen; aber es ist Unsinn und Wahnsinn, es zu kennen und zu hören, und doch nicht mit beiden Händen zuzugreifen, und es an uns zu reißen. In der Welt hält man Alles auf die Klugheit, und will eher ein Bösewicht gescholten werden, als ein einfältiger Mensch; und doch sind die Meisten in Beziehung auf die allerwichtigste Angelegenheit, auf die Erlangung der ewigen Seligkeit, die größten Thoren, die es geben kann. Wie viele Thoren giebt es da auf Erden, die für große Weise gelten!

Jesus schließt die Bergpredigt mit den Worten unseres Textes und beruft sich zur Entscheidung gleichsam auf das Ehrgefühl Seiner Zuhörer. Auch bei uns nimmt Er dies Ehrgefühl in Anspruch. Im Reiche Gottes gilt es, entweder für, oder wider Christum sein. Für Christum sein, ist die größte Klugheit der Erde; wider Ihn sein, ist ein Unverstand, der an Wahnsinn grenzt. In allen Jahrhunderten sind die klügsten Menschen für Ihn gewesen, und nur diejenigen waren gegen Ihn, welche Ihn weder hörten, noch nach Seinen Worten thaten. Wohlan, laßt uns nicht den thörichten Jungfrauen gleichen, die vom Reiche Gottes ausgeschlossen wurden, weil sie kein Oel in ihren Lampen hatten. Wohlan, laßt uns ringen mit Furcht und Zittern, selig zu werden, daß auch wir einmal sprechen können, wie der Apostel: „Seid meine Nachfolger, gleichwie ich Christi.“ Amen.

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