Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Vorwort des Übersetzers.

Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Vorwort des Übersetzers.

Der Hl. Anselm gab seine Betrachtungen oder Meditationen und Gebete auf die Bitte eines seiner Freunde heraus. Wenn die Liebe der Grundton der Andacht und Frömmigkeit ist, so stellt sich der tiefe Denker mit diesem Werke das Zeugnis des innigsten Umgangs mit Gott aus. Denn bald erhebt sich seine Seele zum freudigsten Jubel, bald seufzt sie im tiefsten Schuldbewusstsein; bald ruht sie voll Trost in Gott, bald ringt sie verzweiflungsvoll angefochten von Sünde und Hölle. Die frömmste Mystik ist mit dem höchsten Flug des Denkens in Anselm geeinigt. Kein Wunder, dass diese Betrachtungen und Gebete zu allen Zeiten ihre Wirkung auf Niemand verfehlten, der sie nur aufmerksam und gemütlich1) lesen mochte. Denn wer von Anselm nicht betrachten und beten lernt, mit seinen Homilien nicht tief in das Christentum eindringt, muss blind und lahm an Geist und Herz sein. Wo findet man leicht eine Perle, wie die Homilie über den ungerechten Haushalter, eine Parabel, die für fast alle Ausleger ein unerträgliches Kreuz ist!

Unter diese Sammlung von Betrachtungen und Gebeten scheinen sich einige eingeschlichen zu haben, die nicht von Anselm herrühren, z. B. die 9. und 13. und 15-17. Meditation, wie sich ja in der 15. eine Ansicht von der Erlösung ausgesprochen findet, welche von Anselm in seiner berühmten Schrift: Cur Deus homo2) bekämpft wird.

Die zweite asketische Schrift Anselms, die hier mit seinen Betrachtungen übersetzt und verbunden ist, enthält seine Homilien und Ermahnungen. Am Faden des biblischen Textes wird die Erklärung der Lektion gegeben und nur zuweilen eine Paränese3) oder Ermahnung eingeschaltet. Daher fehlt der Eingang und wird kein Thema aufgestellt. Die geistliche, allegorische Erklärung ist vorherrschend, in welcher Deutung und Anwendung des Textes zusammenfallen. Überraschende Gedanken und doch so voll Einfalt, Alles so ungesucht und doch am Platz, Alles so innig und doch so nüchtern und wahr das sind Vorzüge dieser asketischen Schriften, die Jedem in die Augen springen. Mit Nutzen wird sie der Prediger zu seiner Belehrung, mit Gewinn jeder Christ zu seiner Erbauung lesen.

Bekanntlich ist die beste Ausgabe der Werke Anselms die von Gerberon und diese ist bei dieser Übersetzung benützt worden.

Der Übersetzer.

1)
hier: mit offenem Gemüt, mit wachen Sinnen
2)
„Warum Gott Mensch wurde“ - eine der berühmtesten Schriften Anselms
3)
allgemeine Mahnrede
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