Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - III. Du willst gern alt werden.

Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - III. Du willst gern alt werden.

Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss (Psalm 39, 5).

Es war in einem kalten Winter kurz vor der Christzeit. Der Nordwind zog mit seinem eisigen Odem durch die Wälder. Alle Bäume hatten ihren Schmuck abgelegt; nur die Tannen und Fichten mit ihren dunkeln Nadeln boten dem Verstörer Trotz. Was alt und locker gewesen war von ihrem Laube, lag bereits unter dem Schnee; was jetzt noch an den Zweigen hing, wollte noch länger hangen. Da standen in einem geschützten Waldthale vier junge Tannen. Der Wind rauschte. hoch über ihnen dahin, da unten aber war es so stille, dass sie mit einander reden und sich wohl verstehen konnten. Da sprach die eine: „Ich möchte so hoch werden, dass mein Gipfel über die Berge ragte; und so gerade und stark möchte ich werden, dass man mich einst hinunter führte an die Meeresküste, als Mastbaum in ein Schiff stellte und ich so weite Meere und die Küsten fremder Länder besuchen könnte.“ - Es sprach die zweite: „Der Förster hat eine unserer Schwestern nach der andern angezeichnet und niederhauen lassen. Ich möchte so groß und stark werden, dass zehn Särge aus mir gezimmert werden könnten, einer für den Förster und neun für die Holzhauer, die den Schwestern das kalte Eisen in Leib und Leben getrieben haben.“ - Es sprach die dritte: „Ich hege andere Wünsche. Ich möchte in Balken zerschnitten in ein Haus der Menschen eingebauet werden, und die Schwalben sollten ihre Nester an meine Enden ankleben und ihre fröhlichen Lieder von denselben heruntersingen. Oder sie könnten mich auch verarbeiten zu einem Schranke, in dem der Bauer sein Geld aufhebt. Da wäre ich denn gewiss ein geachtetes Hausgeräth und verfaulte nicht in Sturm und Wetter an fremder Küste oder unter der Erde.“ Die vierte endlich sprach: „Mir ist Alles recht. Ich bin damit zufrieden, wenn mich der Sturm frühe abbricht. Am liebsten aber wäre es mir, wenn ich jung zu einem Christbaume abgehauen würde. Da sähe ich unter mir die Hütte von Bethlehem abgebildet, und über mir schwebte das Lamm mit der Fahne, und so reichte mein kleiner Wipfel hinein bis in den Himmel.“ - Wir sollen nicht Alle alt werden. Wohl steht geschrieben: „Unser Leben währet siebenzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig.“

Aber Gott hat nicht gesagt: „Dein Leben.“ Er hat wohl eine große Hauptregel aufgestellt; aber seine Weisheit, Gnade und Gerechtigkeit haben das Recht, Ausnahmen von der Regel zu machen. Doch macht er sie im Grunde nicht, sondern unsere Sünde. Um der Sünde der Menschen willen verkürzt seine Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit ihr Leben. Er schneidet seinen Weizen ab, wenn er gerade reif ist für seine Scheuern; er rauft das Unkraut aus, wenn es keinen Schaden mehr tun soll oder wenn es dürr geworden ist zum Brennen. Du willst gern alt werden. Auch der Alte will gern noch älter werden. Er will zu dem 80sten auch gern das 81ste Jahr noch durchleben. In der griechischen Fabel ruft ein armer müder Greis, der sein Holzbündel neben sich gelegt hat, im augenblicklichen Lebensüberdruß den Tod. Der Tod kommt und fragt ihn, was er von ihm wolle. „ Nichts“, lautete die Antwort, „als dass du mir mein Bündel wieder auf den Rücken hebest.“ - Die Lust zum Leben hat Gott selbst dem Menschen eingepflanzt. Richte dich aber ja auf beides ein, auf das Alt-Werden und auf das Jung-Sterben. Manchem hat Gott gleich bei der Geburt einen frühen Tod als Angebinde mitgegeben. Gott schickt ihn gleich elend und krüppelhaft auf die Erde. Er ist, er bleibt eine welke Blume. Wohl ihm, wenn aus dem matten Stengel und aus den Dornen gleich die Rose von Jericho, die in den Fluten des Todes erst recht frisch wird, herausblühet.

Bist du aber auch gesund, und hast du nach gewöhnlicher Menschenrechnung ein langes Leben vor dir, so denke dennoch fleißig an den Tod. Im langen Leben liegen auch große Gefahren. Ein Stein, etwa ein Grenzstein, der lange an seinem Platze steht, sinkt immer tiefer in die Erde ein. Dazu wird er immer dichter von Moosen überzogen, und seine Oberfläche verwittert so tief, dass man die Inschrift nicht mehr lesen kann. Ach, wie viele Alte sind tief, tief in die Erde eingesunken, und die große Inschrift, die Jesus Christus am Tauftage ihnen aufgedrückt hat: „Du bist ein Kind Gottes,“ ist so tief unter Moos und Flechten vergraben und so ausgewittert, dass sie selbst Nichts mehr davon wissen. Darum sei zufrieden, wenn dich dein Gott jung im Glauben sterben lässt. Wiederum freue dich auch darauf, dass er dir ein gesegnetes Alter schenke. Wenn du auf ein gesegnetes Alter hinarbeitest, hast du auch eine gesegnete Jugend. Wer sich in den Jahren der Kraft einen Notpfennig für das Alter zurücklegt, leidet auch schon in der Jugend keinen Mangel. Wenn ein edler Baum auch nicht die ganze Höhe erreicht, welche seine Art in einzelnen Fällen wohl erreichen kann, so hat er doch auch auf seinen jungen und niedern Zweigen schon dieselbe Art der Früchte getragen. Ein gottseliger Christ sorgt zugleich für Jugend und Alter. Er verliert Nichts, wenn er sich frühe dem Herrn hingibt; er hat im Gegenteil eine glückliche Jugend. Und außerdem erbauet er sich auf dieser Unterlage, wenn ihn Gott will alt werden lassen, ein gesegnetes fröhliches Alter. Darum rüste dich, jung zu sterben. Damit rüstest du dich auch auf ein begnadigtes Alter. Dann mag der Herr kommen, wann er will. Du findest dich erst in das Leben, wenn du dich in das Sterben gefunden hast; du wirst erst ruhig fürs Leben, wenn du getrost auf den Tod hinsiehst. Du wanderst nur fröhlich am Tage, wenn du weißt, wo du am Abend bleibst.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/ahlfeld_friedrich/dadc/ahlfeld_-_das_alter_des_christen_-_kapitel_3.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain