Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - X. Rückzug der Alten.

Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - X. Rückzug der Alten.

Und Mose ging hin und redete diese Worte mit dem ganzen Israel und sprach zu ihnen: „Ich bin heute 120 Jahre alt, ich kann nicht mehr aus- und eingeben; dazu hat der Herr zu mir gesagt: „Du sollst nicht über diesen Jordan gehen.“ Josua, der soll vor dir hinübergehen, wie der Herr geredet hat“
(5. Mos. 31,1-3.)

Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führet; und ihrer sind Viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und Wenige sind ihrer, die ihn finden.** (Matth. 7, 13 und 14)

In den Tagen, wo der Mensch noch zu Fuß ging, wollten einmal zwei Studenten eine Reise von Halle nach der Schweiz machen. Sie hatten sich lange auf die Reise gefreut und auf dieselbe gespart und gesammelt. Sie versahen sich auch reichlich mit allem Reisebedarf. Außer der nötigen Wäsche, etlichen Büchern und einer guten Karte hatte jeder von ihnen einen zweiten vollständigen Anzug in das Tornister gepackt. Selbst mit Wehr und Waffen hatten sie sich versehen, denn in etlichen Tälern von Tessin, wo sie auch hin wollten, sollte es nicht ganz geheuer. sein. Am 4. August 1832 packten sie das Tornister auf die Schultern und wanderten muntern Schrittes nach Naumburg. Naumburg liegt etwa 6 Meilen von Halle. Als sie dort im Gasthofe die Tornister abgelegt hatten, griff jeder unwillkürlich auf seine Schultern. Sie waren wund von der schweren Last. Da hob denn Einer an: „Du, so geht das nicht weiter, wir haben zu Viel mitgenommen.“ Der Andere stimmte ein. Beide setzten sich zusammen, wählten aus den Sachen das Entbehrlichste aus, machten ein Bündel und schickten es zurück nach Halle an den alten ehrwürdigen Superintendenten G., bei welchem der Eine von ihnen wohnte. Den zweiten Tag wanderten sie nach Jena. War der Reisesack auch noch schwer genug, so schwiegen doch beide aus Stolz. Nachdem sie in Jena etliche Tage bei Freunden ausgeruht, setzten sie ihre Wanderung weiter bis Coburg fort. Dort im Gasthof wohl zum roten Ochsen ging dem Einen wieder der Mund auf: „ Du, so geht das nicht weiter, wir haben des Gepäcks noch zu Viel.“ Der Andere stimmte, genügend überzeugt durch die Schmerzen in den Schultern, wieder mit ein. Beide setzten sich zusammen, wählten das Entbehrlichste aus - und dessen wurde ziemlich Viel - machten ein Bündel und schickten es wieder an den alten ehrwürdigen Superintendenten G. Nun waren sie aber genugsam erleichtert. Was sie noch hatten, brachten sie mit hin nach der Schweiz und, nachdem sie einen guten Teil derselben, wenn auch nicht gerade jene verdächtigen Täler, gesehen hatten, wieder zurück. Es hatte auch vollkommen gereicht. Diese Geschichte ist mir im Leben oft durch die Seele gegangen, ja sie ist mir ein Bild des Lebens geworden. Breit spannt der Jüngling seine Segel und weit steckt er die Pflöcke seines Zeltes. Er möchte Alles lernen, die halbe Welt bereisen und alles Mögliche tun. Aber schon im ersten Mannesalter wird es ihm klar, dass er, wenn er sich nicht zersplittern und ein leichtfertiger Dilettant werden will, sich beschränken muss. Es wird ein Bündlein nach dem andern geschnürt und in die Herberge der Jugendpläne und Träume zurückgeschickt. Und so geht es auch im reiferen Mannesalter weiter. Immer mehr müssen wir uns konzentrieren, immer mehr ist die ganze Kraft auf das uns übertragene Amt zu verwenden. Ein lieber Nebenplan nach dem andern muss geopfert, ein Isaak nach dem andern auf den Morijah getragen werden. Der Tannenbaum ist unten breit, oben aber läuft er spitz in eine Krone zusammen. Dieselbe Gestalt muss unser Leben auch annehmen, und jeder verständige Alte geht mit klarem Bewusstsein in solchen Verzicht und in solche Beschränkung ein. Er darf sich die Abnahme seiner Kräfte nicht verhehlen. Er darf sich in dem Umfange seiner Tätigkeit und überhaupt an seinem Platz nicht für unentbehrlich halten. Wir können Alle entbehrt werden, Gott weiß alle Stellen wieder zu besetzen. Der Alte muss es mit Freuden sehen, wie Jüngere eine Frischere und weitere Tätigkeit entfalten. Er muss ihnen gegenüber in Demut sagen können: „Sie müssen wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Doch ist dies leichter gefordert als geübt. Mit andern Geisteskräften nimmt bei dem Alten auch das Urteil über sich selbst, über seine Wirksamkeit und über das ab, was zu dieser Zeit Not ist. Wir sind Alle in uns selbst verliebt, und unser Urteil über uns selbst wurzelt auch zum Teil in dem eigenen Ich. Wir haben oft mit Bedauern gesehen, wie Männer, denen ein bedeutendes Amt übertragen war, und die dasselbe längst nicht mehr ausfüllen konnten, hartnäckig in ihrer Stellung blieben, wenn sie auch durch den Rücktritt von derselben nicht in äußere Not geraten wären. Ja sie betrogen sich selbst, um sich noch in gleicher Wirksamkeit zu sehen wie früher. So stand an einer deutschen Universität ein Professor, der in jüngeren Jahren einen sehr gefüllten Hörsaal hatte. Später nahm die Zahl der Zuhörer ab, und er sah hinten einen ziemlich großen leeren Raum. Was tat der Mann? Er ließ - der Saal gehörte zu seinem eigenen Hause - die Wand so weit vorrücken, wie die Zuhörer etwa reichten. Und als nur noch wenige Seiten von Hörern übrig waren, ließ er sie noch einmal vorrücken. So behielt er immer einen vollen Hörsaal. Ein angesehener katholischer Geistlicher war in jüngeren Jahren der beliebteste Prediger in unserer Stadt. Seine Kirche war stets gefüllt, es drängte sich Kopf an Kopf. Dieser Mann hatte einen treuen Diener, der mit ihm fast gleichen Alters war. Zu dem sprach, er eines Tages: „Joseph, so bleibt es nicht immer, ich werde nicht immer der Liebling der Gemeinde sein, meine Kirche wird auch einmal leerer werden. Weil dies aber nach und nach geschieht, merkt man es selbst kaum. Darum gebe ich Dir hiermit den Befehl, es mir zu sagen, wenn meine Kirche namhaft leerer geworden ist. Ich will dann einem frischeren und tüchtigeren Arbeiter nicht im Wege stehen. Es mag dann ein Anderer meinen Platz einnehmen.“ Der Diener versprach seinem Herrn, diesem Befehle getreulich nachzukommen. – Es gingen nun Jahre über Jahre hin; die Zahl der Hörer ward kleiner und immer kleiner. Der Diener, der seinen Herrn lieb hatte, bemerkte es wohl, aber er schwieg lange. Endlich trieb ihn das Gewissen, dem Befehle nachzukommen. In ehrerbietigster Form trug er seinem Herrn vor, dass von der früheren Hörerschar nur noch ein kleines Häuflein übriggeblieben sei. Und was war die Antwort und der Dank? Ein Paar Ohrfeigen! Gott behüte alle Alten vor solcher Verblendung. Wenn Männer wie Moses und Samuel erkennen, dass sie nicht mehr in der alten Kraft stehen und dem Amte nicht mehr gewachsen sind: wollen wir uns denn solches Bekenntnisses schämen?

Gott erhalte uns klar und nüchtern über uns selbst; er helfe, dass wir die Abenddämmerung nicht für hellen Tag ansehen! Gegen Abend führt der Hirt seine Herde von der Weide in das Dorf, gegen Abend eilen die Arbeiter vom Felde und aus dem Walde nach Hause. Wenn der Herbst kommt, bringen die Sennen ihre Kühe von den Bergen herab in die Täler; ehe die Winterstürme losbrechen, suchen die Schiffer in den nördlichen Meeren die Häfen. Wenn der Abend kommt, sammelt sich Gottes Volk noch in besonderem Sinne zu seinen Hütten. Wer außer seinem festen Beruf Nebenämter hat, legt sie dann nieder. Nach altem Herkommen ist über das 60ste Lebensjahr hinaus Niemand verpflichtet, städtische Ämter im Rat, in der Armenpflege etc. zu verwalten. In dem eigenen Berufe verflicht sich der Alte nicht mehr in neue und weite Unternehmungen, er bleibt auf bekanntem, sicherem Boden. Wie er die großen Reisen lässt und sich am liebsten in seinem Garten ergeht, so schweifen auch seine geschäftlichen Gedanken nicht mehr in die Weite hinaus. Alexander der Große trauerte, dass er sterben müsse, bevor er die Welt erobert hätte. Ein rechter Alter ist zufrieden, wenn er die Welt darangeben kann, um desto gewisser den Himmel zu erobern. Das Alter ist ein Ruhekämmerlein nach dem bewegten Leben. Der alte Geschäftsmann nimmt bei guter Zeit seinen Sohn oder einen andern tüchtigen Helfer mit in das Geschäft hinein. Der alte Grundbesitzer tut ein Ähnliches. Sie behalten sich aber ihr festes Recht und ihren Teil vor; denn es soll sich nach dem Sprichwort Keiner eher ausziehen, als er sich zu Bette legt. Er soll in seinem Ruhestübchen wohnen, aber wenigstens im Rat noch eine Ehrenstellung einnehmen. Was er arbeitet, soll er mehr arbeiten wollen als müssen. Geistliche, Lehrer und Beamtete sollen auch ihren Feierabend haben. Sie sollen an der Last ihres Amtes nicht wälzen als an einem Steine, den sie nicht mehr vorwärts bringen können. Sie sollen eine Zeit haben, sich in Ruhe über das fast beendete Leben zu besinnen. Dabei können sie in dem weiten Gebiete der freien christlichen Liebestätigkeit doch noch nach Kräften mitarbeiten. - Das sind freilich menschliche Wünsche und Entwürfe. Gott fragt uns nicht, wie wir es gern haben möchten, und Viele sterben gewiss am Besten mitten in ihrem Berufe. Zum Rückzug im Alter gehört auch die Beschränkung in der Lektüre. Ein Alter soll nicht mehr Vielerlei lesen; er wird sonst hin- und hergezogen, und das Eine, welches Not ist, wird ihm leicht aus den Augen gerückt. Wie in einem armen Hause das letzte Stümpfchen Licht oft dazu verwandt wird, um den Abendsegen zu lesen, so soll der Alte das letzte blasse Augenlicht vorherrschend auf Gottes Wort verwenden. Es ist ja das Buch, der Brief aus der Heimat, in die er nun bald wandern soll; es ist der Wegweiser durch das letzte dunkle Tal. Er zieht sich auf ein immer kleineres Gebiet zurück. Im Mittelpunkt seines Lebens stehen nur noch zwei Sorgen. Die erste gilt der eigenen Seele und Seligkeit; die schließt sich zusammen in die Bitte, dass ihm Gott ein selig Stündlein bescheren und ihn mit Gnaden aus diesem Jammertal in den Himmel zu sich nehmen wolle. Die andere bezieht sich auf die Seinen. Er möchte nicht von ihnen scheiden, ohne sie auf dem Heilsweg zu wissen, ohne ein Siegel zu haben, dass er einst mit Jesaja sagen könne: „Siehe, hier bin ich und die Kinder, die du mir gegeben hast.“

Bergsteigen und Leben.

Unser Leben ist ein Steigen aus uns selbst und aus der Welt heraus hinauf zum Herrn. Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem! Lasset uns auf des Herrn Berg gehen!

In den Tiefen und Tälern liegen die Seen, fließen die Flüsse, prangen die stolzen Blumen, singen die Vögel, stehen die Bäume in üppiger Pracht. Auf den Tälern lagern die Nebel; oft sieht man vor ihnen den Himmel nicht. Im Jünglingsalter haben wir meist Freude und Freunde die Fülle, unser Himmel ist in den eigenen Plänen und Träumen. Die lichten Wohnungen, die Gott droben gebaut hat, sehen wir nicht.

Aber es muss gestiegen sein! Der blaue See, in dem sich Bäume und Höhen spiegelten, bleibt bald unten, der Atem geht schwerer, die Schweißtropfen rinnen von der Stirn. Die stolzen Bäume, die im Tale so tiefen Schatten gaben, steigen noch eine Strecke mit hinauf, aber von Absatz zu Absatz werden sie kleiner. Die Bäche rinnen auch noch an uns vorüber, aber sie werden schmaler, und ihre Stimme klingt matter. Die Vögel hüpfen und singen noch in den Zweigen, aber sie kennen ihre Grenze.

Im Mannesalter kommt der Ernst über den Menschen. Der tiefe blaue See in der Seele, in welchen Phantasie nahe wie ferne Höhen in buntester Gestalt malt, trocknet weg. Das Herz in seiner Mühe und Sorge hat für ihn keinen Raum mehr. Die Tat und der Bedarf des Lebens verlangen Verstand und nehmen die Kraft in Anspruch, der Traum wird seltener. Wir bilden das Leben nicht mehr, wie wir es haben möchten; wir müssen es nehmen, wie es gegeben wird. Die alten Freunde, die unsere Jugend schirmten und Schatten über uns breiteten, sterben dahin. Altersgenossen umstehen uns, die denselben Kampf mit uns kämpfen. Wir fühlen, wie Wenig mit unserer Macht getan ist. Die Lieder der Freude klingen leiser. Das Herz sagt sich: „Ich kann nicht allein fortsteigen; ich bedarf eines Starken, der mich trägt.“

Aber es muss gestiegen sein, wir dürfen nicht am Abhange liegen bleiben! Und die Bäume wandeln sich in Krüppel und hören nach und nach ganz auf. Dünn tröpfeln die Quellen aus den Felsenspalten. Keine Sänger, nur einsame Schmetterlinge verirren sich noch auf die Höhe. Die Kraft des Wanderers weicht, nach kurzem Steigen setzt er sich zur Ruhe nieder; und die neue Kraft dauert wieder nur eine kleine Zeit. Aber stille Blumen mit hellen Augen begleiten ihn auf der sauren Bahn.: - Um den Alten her sind die meisten Gefährten schlafen gegangen. Ein neues Geschlecht umsteht ihn und spielt mit großer Wichtigkeit das alte Spiel, das für ihn keinen Sinn mehr hat. Sein Auge schauet weiter; ob er auch mit ihnen wandelt, so hat ihn Gott doch durch lange Erfahrung auf eine andere Höhe gestellt. Die meisten Erdenfreuden sind für ihn gestorben; nur stille Blumen des Hauses blühen und duften noch für sein Auge und Herz. Und über dem fühlt er tief, wie er Nichts ist und Nichts vermag, und wie er nur weiter steigen kann an dem Stecken und Stabe, der nie zerbricht.

Aber es muss gestiegen sein, der Wanderer muss hinauf auf die letzte Höhe! Kalt wehet die Luft, und Schnee liegt in den Klüften links und rechts. Still ist es rings herum, das Tosen der Welt dringt nicht herauf. Endlich steht er auf dem letzten Felsen. Er hat Alles unter sich, Nichts mehr über sich. Unten dunkelt es, oben ist's hell. Ringsum sieht er die weißen Spitzen, die in der Himmel ragen. Wolken und Nebel hüllen ihn plötzlich ein, Nacht wird es am Tage, wild umtobt der Sturm den Obdachlosen. Da legt er sich nieder auf seinen Felsen, damit er den festen Boden nicht verliere; da wartet er, bis das Wetter vorübergezogen ist. Arm und kalt sind oft die letzten Jahre des Alten. Als ein Wanderer aus vergangenen Tagen, als ein Fremdling geht er unter dem neuen Geschlecht. Aus dem dünn gewordenen Freundeskreise, aus dem verzweigten Baume der eigenen Familie trifft ihn eine Trauerbotschaft nach der andern. Ein Zweig wird abgebrochen, ein anderer verkommt und verkrüppelt. Wenn er in das Treiben des neuen Geschlechts sieht, liegt die Zukunft flugs vor ihm wie lauter Nacht. Schmerzen des Körpers kommen dazu. Der alte Träger des Geistes will nicht mehr steigen, er ist müde geworden. Kleinglaube umhüllt wie eine dunkle Wolke auf Zeiten seine Seele. Aber durch die Nacht greift eine heilige, allmächtige Hand, hält und stärkt ihn und treibt die Nacht vor seinen Augen weg. Fest stellt er sich in die Felsenspalte (2. Mose 33,21-23), damit die weiteren Wetter seinen Fuß nicht gleiten machen. Er bekennt: „Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde; und ob mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil!“ Unten ist's dunkel, aber über sich sieht er die helle Sonne der Gerechtigkeit, die warm in sein kaltes Alter scheint. Um sich sieht er die alten Freunde, die vor ihm und mit ihm gelebt und die Heilige Höhe erklommen haben. In seiner Seele lebt das Gebet: „Hier, Herr, lass mich feststehen bis in mein letztes Stündlein. Hierher, Herr, ziehe auch die Meinen, die du mir gegeben hast.“ Und so wartet er auf diesem Felsen des letzten Wegstückes, auf dem er selbst nicht mehr steiget, wo die Engel des Herrn auf Eliä Wagen ihn hinaufführen auf die Höhe, über der es keine mehr gibt.

Ein Lied von den letzten Höhen.

Ich bin heraus aus Flora's Königsgarten,
Ringsum nur Fels vom ewigen Granite,
Der alte Gletscher selbst mit seinem harten
Crystalle sucht sich tiefere Gebiete.

Gestorben sind an diesen kahlen Wänden
Die hochgestielten, stolzen Blumenarten ;
Als matte Krüppel sah ich sie verenden
Sie sind zu zart für diese rauen Scharten.

Die Königskerzen sind schon längst verglommen,
Umsonst such ich die blaue Akonite,
Kein Alpenröslein wagt hierherzukommen,
Es braucht mehr Lenz zu seiner zarten Blüte.

Was blüht denn hier, wo zwischen toten Steinen
Ein Häuflein Erde Tau und Regen trinket?
Was lobt Gott hier in diesen Totenbeinen,
Wenn seine Sonn' aus Gnaden steigt und sinket?

Die Demut tuts, hier blühn die armen Kleinen,
In tiefem Himmelblau die letzten Gentianen,
Lebend'ge Augen auf den toten Steinen,
Loblieder Gottes auf den rauen Bahnen;

Blutarme Nelken ohne Stab und Stengel,
Die letzte Primel wie ein Kreutz gestaltet,
Tun ihren Mund auf als die Bergesengel,
Dass Gottes Ruhm hier oben nicht erkaltet.

Umschließt der Nebel sie mit grauer Hülle,
Sie bleiben ohne Sonne treu und heiter,
Zertobt der Wind die sel'ge Bergesstille,
Sie loben auch im Sturme fröhlich weiter.

Das sind die Treuen Gottes auf den Höhen!
Wer viel von Welt und Erde braucht zum Leben,
Wem Feld und Tau nicht g'nügen zum Bestehen
Der mag vor solchem Wacheposten beben. -

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