Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - I. Alle Menschen müssen sterben.

Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - I. Alle Menschen müssen sterben.

Der Tod ist zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben (Röm. 5, 12).

In Miltig bei Meißen ist ein prächtiger Park voll alter echter Kastanienbäume oder Maronen. Sie sehen aus wie Fremdlinge im Lande; die meisten Stämme nehmen gleich vom Boden ab eine kegelförmige Gestalt an. Man kann ihnen aus dem Winkel gleich nachrechnen, wie hoch sie sein können. Sie sind auch Fremdlinge; der alte Bischof Benno von Meißen hat sie aus dein fernen Süden in unsern Norden herübergepflanzt. Sie sind alte Fremdlinge. Allerdings fehlt es auch nicht an jungem Nachwuchs; aber über denselben erheben sich als Altväter der ganzen Pflanzung klafterdicke Bäume, zum Teil hohl bis in die Mitte hinauf, zum Teil mit Klammern und Stützen zusammengehalten und gefestigt gegen die Stürme, zum Teil Herbergen von Eulenfamilien, deren Vorfahren schon viele Geschlechter hindurch da oben wohnten, und die allabendlich ihren düstern Ruf von dort erschallen lasen. Ob aber auch Alter und Wurm und Sturm und Eulen an den Bäumen arbeiten, so breitet sich doch jedes Frühjahr eine neue grüne Krone über die morschen Stämme und lohnt dem Besitzer und Pfleger seine Mühe mit reichlicher Frucht. In einen dieser klafterdicken Bäume, der gleich unten im Stamme eine breite drei bis vier Ellen hohe Höhlung bietet, hat der Besitzer des Parkes, Herr von Heynitz, für seinen Pastor eine Bank zum Meditieren und Memorieren bauen lassen. Er sitzt bei Sturm und Regen ganz geschützt in dieser Baumhöhle. Nun denke dir, lieber Leser, in dieser Höhle einen alten Geistlichen, der ein Stück Erfahrung darin hat, einzugehen in Gottes Wort und Ordnungen, in sein eigen Herz und in des Menschen Leben und Wege. Neben sich hat er die vom Wurme zernagten morschen Wände, und über ihm rauscht der Wind durch die grünen Zweige, die trotz aller Stützen am ersten besten Herbsttage mit ihrem morschen Stamme im Staube liegen können. - Was geht ihm da durch die Seele? - Unwillkürlich gehen seine Gedanken ein auf die Vergänglichkeit aller Dinge. Sitzt doch jeder Mensch, besonders jeder Alte, so lange er auf Erden wandelt, in solcher Höhle. an ihm und rings um ihn nagt der Wurm, und über ihm rauschen oder knarren die Zweige seines eigenen Lebensbaumes samt denen seiner Zeitgenossen. Und was rauschen sie? Was sagen uns diese Lieder ohne Worte?: „Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben von Mutterleibe an, bis sie zu der Erde begraben werden, die unser Aller Mutter ist (Sir. 40,1).“ Die Schrift kann nicht fertig werden mit Variationen über dieses große Thema. Moses singt im 90. Psalm: „Du lässt die Menschen dahinfahren wie einen Strom, und sind wie ein Schlaf, gleich wie ein Gras, das doch bald welk wird; das da frühe blühet, und bald welk wird; und des Abends abgehauen wird und verdorret.“ David fährt im 103. Psalm fort: Der Mensch ist in seinem Leben wie Gras; er blühet wie eine Blume auf dem Felde. Wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.„ (Vgl. Psalm 102, V. 12 und 13.) Jesaias fügt hinzu (Cap. 40. V. 6-8): “ Alles Fleisch ist Heu, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Heu verdorret, die Blume verwelket, denn des Herrn Geist bläset darein. Ja, das Volk ist das Heu. Das Heu verdorret, die Blume verwelket; aber das Wort unseres Gottes bleibet ewiglich.„ St. Petrus endlich beschließt den Reigen mit den Worten (1 Petri 1, V. 24 und 25): “ Alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorret, und die Blume ist abgefallen; aber das Wort des Herrn bleibet in Ewigkeit.„ Der Tod, der alte Gleichmacher, siehet weder Alter noch Stand an. Der Tod frisst alle Menschenkind, fragt nicht wes Alters und Standes sie sind. Er klopft mit gleicher Hand an die Paläste der Könige und an die Hütten der Armen. Für den Tod kein Kraut gewachsen ist1). Da ist das bestimmte Haus für alle Lebendigen (Hiob 30,23). Ein wenig hinausschieben können reiche Leute zuweilen ihre Sterbestunde. Während die Kraft des Armen unter mühseliger Arbeit bei dürftiger Kost und Pflege schnell gebrochen wird, können reiche Leute durch gemächliches Leben und gute Pflege ihre Tage verlängern. Sie können in Krankheitsfällen die besten Ärzte herbeirufen und sich die teuersten Arzneien beschaffen. Sie können die sinkende Lebenskraft in Bädern oder in einem gesündern Klima auffrischen, Endlich aber heißt es doch auch für sie: „Der Mensch hat seine bestimmte Zeit, die Zahl seiner Monden steht bei dir; du hast ihm ein Ziel gesetzt, das wird er nicht übergehen (Hiob 14, 5).“ - Es gibt eine alte Sage von einem Vezier oder Minister des Königs Salomo. Diesem Minister zeigte Gott in der Nacht in einem Traume an, dass ihn der Tod nach dreien Tagen abfordern würde. Der Minister meinte, der Tod werde ihn in Jerusalem in seinem Hause neben der Burg des Königs suchen. Er wollte dem Tod aus dem Wege gehen und ihn einen vergeblichen Gang machen lassen. Als der Tag anbrach, trat er vor den König, erzählte ihm sein Gesicht und bat ihn, er möchte ihm sein schnellstes Roß geben, und dazu möchte er ihm Briefe mitgeben an seine Landpfleger im Süden und an den König von Edem, dass ihm überall, wo er hin käme, neue Pferde zum schnellen Ritt überlassen würden. Der König willfahrte seinem Wunsche, die Briefe wurden geschrieben, und der Minister ritt, was er reiten konnte, nach Süden. Als die drei Tage um waren, lag das jüdische Land samt dem Königreiche Edem hinter ihm; er war am Rande der arabischen Wüste.

Dort am Wüstenrande saß auf einem grauen Steine der Tod, stand auf, trat dem Vezier entgegen, schüttelte sein dürres Haupt und sprach: „Ich wunderte mich, als mir der große Gott, mein Herr und König, diesen Morgen Befehl gab, hierherzugehen, auf diesem Steine zu warten und den Vezier des Königs Salomo abzuholen. Und nun sieh, da kommst du geritten!“ - Wer dem Tode entlaufen will, läuft ihm doch stets entgegen. Der große Schnitter mähet immerfort, sein Feld hat immer reife Lehren, seine Sichel ist immer scharf. Er mähet die Einzelnen weg, und in den Einzelnen die ganzen Geschlechter. Der alte Grieche Homer singt Iliade VI, V. 146 rc.):

Gleich wie die Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen;
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann
Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet der Frühling:
So der Menschen Geschlecht, dies wächst, und jenes verschwindet.

Und Sirach (Cap. 14. V. 19-21), wie wenn er den Homer gelesen hätte, fügt hinzu: „Gleich wie die grünen Blätter auf einem schönen Baume etliche abfallen, etliche wieder wachsen; also gehet es mit den Leuten auch: etliche sterben, etliche werden geboren. Alles vergängliche Ding muss ein Ende nehmen; und die damit umgehen fahren auch mit dahin.“ Gott lässet die Menschen sterben und spricht: „Kommt wieder, Menschenkinder (Psalm 90,3).“

Woher nun der Tod, dieser Schnitter, der so schonungslos Dürre und grüne Pflanzen weg schneidet? der ohne Unterschied hohe und niedere Bäume fällt? der auch das letzte Pflänzlein im Winkel nicht vergißt? Aus der Sünde. Durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen; und weil alle Menschen gesündigt haben, ist auch der Tod zu allen durchgedrungen. Wären wir in der Unschuld geblieben, hätte sich die Unschuld durch feste Treue im Kampf gegen den Versucher zur bewussten Heiligkeit vollendet, so hätte der Tod kein Recht an uns und keine Tür in unsern Leib gehabt. Hätten wir nicht den innern Tod, die Sünde, den Abfall von Gott, in den Geist eingelassen, so hätte der Tod nicht in den Leib einbrechen können. Gott ist das Leben; und wer in der ungestörten Kindesgemeinschaft mit dem Vater stehet, der stehet im wahrhaftigen Leben, an dem hat der Tod keinen Teil. Du fragst wohl, was aus dem Menschengeschlechte geworden wäre, wenn es nicht gesündigt hätte. Nun was doch? - Wie wir durch die Sünde Leib und Seele verwüstet haben zum Tode, so hätte uns, wenn wir treu geblieben wären, die Liebe Gottes völlig vollendet und geheiliget in verklärte Kreaturen. Die Namen Sünde und Schuld und Tod wären auf der Erde nie genannt worden. Ob wir nun als solche Kinder Gottes auf der unentweihten und immer höher verklärten Erde unsterblich fortgelebt hätten, oder ob uns Gott ohne Tod noch durch eine besondere Liebestat in seine Nähe gerückt hätte, das wissen wir nicht. Jedenfalls wären wir mit ihm aufs Innigste verbunden worden. Wir sind ja zu ihm geschaffen; und dass auch die ursprüngliche Art der ersten Menschen noch ein viel engeres und innigeres zu ihm übrig hatte, das sehen wir ja aus der Möglichkeit des Falles, mit welcher sie erschaffen waren. Durch die Treue wären wir des vollen Lebens teilhaftig geworden; durch die Sünde, durch das innere und äußere Losreißen von der Wurzel alles Lebens, haben wir uns den Tod geholt. Der Tod ist der Sünde Sold.

Und was ist Schwachheit, Krankheit und Alter?

Die laufende Anzahlung auf diesen letzten Sold, auf dies große Stammcapital, ein stetes memento mori, eine stete Erinnerung an den letzten Posten, der für deine Erdenwallfahrt in deinem Strafbuche steht. Schwachheit, Krankheit und Alter sind einerseits Strafen für unser Leben im Tode, für unsere Schuld. Andererseits sind sie freundliche, wenn auch noch so ernste Erinnerungen Gottes - er kann ja nicht strafen, ohne zugleich Gnade anzubieten; in seine Ruten ist ja immer sein Herz mit hineingebunden - den Ted im Leben zu überwinden, und durch den Tod in das volle Leben hindurchzudringen.

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