Zinzendorf, Nicolaus Ludwig Graf von - 4. Von der Menschwerdung Jesu Christi.
In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewige Gut. Dies müsste entweder die ärgste Schwärmerei sein, oder wenn das wahr ist, wie es denn unfehlbar ist, so muss es der Grund unserer ewigen Seligkeit und unsers ganzen geistlichen Bestehens sein und bleiben. Es ist daher ein Hauptstück der seligmachenden Lehre, und eine zur Seligkeit absolut notwendige Erkenntnis, zu wissen, dass ein Mittler ist zwischen Gott und den Menschen. Dieser Mittler hat alle Majestät, Macht und Allgenugsamkeit der Gottheit, und alle Niedrigkeit, Armseligkeit und Schwächlichkeit der Menschheit an sich unzerteilt und unverworren. Die Majestät, die der Heiland gehabt hat, ehe der Welt Grund gelegt worden, ist allerdings von der Erniedrigung, die Er sich aus Liebe hat gefallen lassen, wohl zu unterscheiden; aber es ist gleichwohl eben der Jesus Christus, Eine Person, Ein Christus. Darüber müssen wir nie hinausschweifen: erstlich, dass Gott „ein Gast in der Welt“ und ein ebenso armer Mensch hier war, als wir arme Menschen sind, nur ohne Sünde; und zum anderen, dass dieser unser Bruder, unser inniggeliebter Heiland, der Versöhner der Sünder, der Liebhaber der Menschen, der eine elende Knechtsgestalt angenommen hat, nichts desto weniger Gott der Herr in der Höhe ist.
Es benimmt der Gottheit des Heilandes nichts, wenn man Seine Menschheit recht menschlich und klein lässt. Seine unbegreifliche Majestät hatte Gefallen an der gar schlechten und geringen Gestalt der Menschlichkeit. Er hätte ja können ein König und Fürst werden, aber Er wollte nicht. Die außerordentliche, und ausgesucht niedrige, bettelarme Art Seiner Geburt, darin es heut zu Tage etwas seltenes ist, ordentlicher Eltern Kinder zu sehen, hinderte Ihn Alles nicht, zu gleicher Zeit und Stunde derselbe unermessliche Gott und Schöpfer aller Dinge zu sein. Und wenn Er endlich am Kreuze stirbt, so bleibt Er doch der Gott, der allein Unsterblichkeit hat; denn die Welt fürchtet mit Seinem Strahl, und den wir lieben ums Wundmal.
Das ist eine göttliche Wahrheit, wir glauben sie, und sie macht uns selig. Über die Art und Weise aber wollen wir uns freuen, wenn wir Ihn werden sehen. Hier sagen wir zu Seiner Gottheit und Menschheit: Amen! und das weiß Niemand zu verstehen, als wem es des Menschen Sohn offenbart.
So lange ein Mensch die Historie von der Menschwerdung und Geburt, von dem Leiden und Sterben des Heilands aus Gewohnheit nur so herbetet, und sie ihm nicht viel anders ist als ein geistlicher Roman, den er von Jahr zu Jahr singen, musizieren, und auf die und jene Art, nicht anders als eine jede andere Geschichte, vortragen hört, so geht er mit dem großen Haufen mit, und glaubt es mit etlichen tausend Menschen, wie sie es glauben, und lässt es damit gut sein.
Sobald es aber zu einer ernsthaften, gründlichen Untersuchung kommt, so entsteht wirklich die Frage: Ist's denn in der Tat wahr? Ja wenn der Heiland wäre vom Himmel gleichsam herunter geflogen, und vom Kreuz gleich wieder hinauf, dass man so eine Erscheinung von Ihm, wie ehedem Jesaias und Ezechiel, gesehen, oder wie Abrahams glückselige Stunde war, die der Heiland einen Tag Christi nennt, so möchte das ein natürlicher Mensch wohl gelten lassen. Aber wenn man sich denn neun Monate im Mutterleib der Welt und hernach so lange in der Wiege und an der Mutterbrust vorstellen soll; Dann so lange als ein Knäblein mit einem Kinderverstand; hernach so lange als Lehrling, Geselle und vielleicht Meister bei einem Handwerk in einem kleinen, verschrienen Landstädtchen; und damit härte Er eine Zeit von dreißig Jahren so zugebracht, dass in derselben nichts vorgegangen, das Ihn mit einiger Feierlichkeit ausgezeichnet hätte; hingegen alle die Versuchungen, Krankheit, Dürftigkeit, die Er als der treue Hohepriester erfahren müssen, hätten Ihm von der Kindheit an unsägliche Leiden und Proben gemacht; wenn man, sage ich, sich das vorstellen soll: so stutzt die verderbte Natur eines bloßen Namen Christen noch mehr darüber, als eines Heiden. Wie! fragt man ist dann der Schöpfer aller Dinge ein Mensch geworden? ist Er geboren worden und ein Kind gewesen? Ist Er etliche und dreißig Jahre von einem Grade des Alters zum anderen, von einer Lebensart zur anderen, durch alle Proben des menschlichen Alters und alle Beschwerlichkeiten und Kränklichkeiten so fortgegangen? Hat Er wirklich mehrere Jahre bloß damit zugebracht, dass Er Seinen Eltern in der Wirtschaft und beim Handwerk zur Hand gewesen? Und das hätte der Schöpfer aller Dinge getan! Man hätte so mit Ihm geredet, mit Ihm gegessen und getrunken! und danach wäre Er wirklich gekreuzigt, gestorben, begraben, auferstanden, gen Himmel gefahren, und da wäre Er noch, und würde wiederkommen! Wenn man die Frage mit Ernst und Überlegung tut, so wird man über der Antwort entweder vollends ungläubig, und denkt wie ganze Sekten in der Christenheit tun Alles, was von Jesu in den Evangelisten steht, muss wohl wahr sein, aber folglich kann Er nicht Gott sein, das kann Gott nicht begegnen, was Ihm begegnet ist; oder man wird selig, sobald man es glaubt, und einem nichts gewisser ist, als dass wir einen Jesum haben, der in der unergründlichen Ewigkeit Gott im Wesen ist, der aber in der Fülle der Zeit Mensch worden, von einem Weibe geboren, der im ordentlichen Fortgang der Tage bis zum Mannsalter herangewachsen, an Leib und Seele gelitten hat, und am Kreuz gestorben ist, dadurch Er die Welt von dem Fall, dem Fluche der Sünde und dem Tode durchs Recht erlöst und durch Seinen Tod am Kreuze Segen und Leben verdienet hat. O da weiß man vor Freuden nicht, was man zu seinem Herrn sagen soll: Wie soll ich Dich empfangen, und wie begegn ich Dir? Da hast Du mich gar; ich bin Dein eigentümlich Gut, Dein teu'r erkauftes Erbe; wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Und so bringen wir unsere Tage zu in Segen und Frieden.
Wenn wir nur das erst haben glauben und einsehen lernen, dass sich unser Schöpfer auch ins Sterbliche, ins leibliche, ins natürliche, elende Leben herunter gelassen, und sich in dasselbe arme Fleisch und Blut eingekleidet, darin wir sind, dass Er eben einen solchen Leib, wie wir, getragen hat, auch einmal gestorben und begraben ist: so macht dieses, dass uns das leibliche Leben, welches sonst ein pures Sterben ist, lieblich und angenehm wird, so dass wir dächten, es würde uns etwas abgehen, wenn wie Engel wären, wir wären danach nicht Seines Fleisches und Gebeines, und Er nicht unseres. Dass der Heiland Mensch geboren ist, tröstet uns über hunderterlei Schwachheiten und Schwierigkeiten. Wenn uns unsere Menschheit lieb werden, und es uns nicht reuen soll, dass wir mit so viel Müh' und Schmerzen zur Welt gekommen sind: so muss es darum sein, weil man weiß, dass der Heiland auch wie ein anderes Menschenkind geboren ist. Seine schmerzliche Erstgeburt macht, dass wir uns unserer Geburtstage mit Freuden erinnern, und dass uns der Tag der Geburt so lieb ist, als der Tag des Heimgangs, so dass sich die alten Ideen, nach welchen man den Tag des Todes für besser angab, als den Tag der Geburt, geändert haben. Nun, da sie beide geheiligt sind durch Jesu menschliche Geburt, und dadurch, dass es von Ihm heißt: Er neigte Sein Haupt und verschied, so werden aus beiden Festtage, Man hört auf, aus Furcht des Todes ein Knecht zu sein, man erwartet lauter Seligkeiten, man geht nicht dem Tode entgegen, sondern, wie Paulus spricht, der Auferstehung der Toten, der Herrlichkeit. Man lebt, ob man gleich täglich stirbt; und wenn man nun lebt und an Ihn glaubt, so stirbt man gar nicht; man kanns nicht mehr sterben nennen, sondern eine Erlösung von unzähligen Sachen, die uns beschwerlich und gefährlich sind. Da lernt man, was das ist: „sich der Menschwerdung Jesu tröstlich freu'n.“
Wer uns sagt, dass der Heiland Fleisches und Blutes teilhaftig worden ist, wie ein anderes Kind, der sagt uns auch darum einen wahren Trost, weil wir daraus die Möglichkeit her. leiten, so zu werden, wie Er war in dieser Welt. Unser Gott und Heiland, der allerdings Seinen Brüdern gleich worden, ist zugleich sowohl das Opfer für uns, als auch das einzige zuverlässige Modell, nach welchem wir uns können bilden lassen, gesinnt zu sein, wie Jesus Christus auch war, dass Er an unserer Ähnlichkeit mit Ihm Seine Freude und eine Luft Seiner Augen haben könne.
Wenn wir auf der einen Seite bedenken, dass Jesus, der für unsere Sünde gestorben ist, Gott über Alles ist gelobt in Ewigkeit, der die Welt erschaffen und erlöst hat, so können wir unmöglich an unserer Seligkeit zweifeln; da ist unsere Rechtfertigung und Versöhnung mit Gott eine ausgemachte Sache. Wenn wir aber auf der anderen Seite bedenken, dass der lebendige, ewige Gott und Schöpfer aller Dinge Mensch geworden wie wir, so ists nicht möglich, unsere Menschheit, unsere Seel und Glieder anders, als mit geziemendem Respekt, als ein Gotteshaus, als einen Abdruck der Person Jesu Christi anzusehen; wie Paulus sagt, nach Ihm geschaffen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, nach Ihm gebildet zu einem Ihm wohlgefälligen Geistestempel. Wenn sich der Glaube an die Wahrheit mit der Einfalt, die uns gegeben ist, in Alles mengt, so dass man den Herrn allezeit vor Augen hat: so kann es der Heilige Geist sehr weit bringen. Wir werden verklärt in dasselbige Bild, nicht erst in jenem Leben, sondern nun. Zu dieser Zeit, spricht Paulus, spiegelt sich in uns des Herrn Klarheit; aber freilich nicht die göttliche, majestätische Gestalt, die dem eingebornen Sohn in des Vaters Schoß eigen ist, sondern die nie alt werdende Kreuzgestalt. Man kann, auch bei unserer Ähnlichkeit mit Seiner Menschheit, immer merken, dass wir nicht Er, sondern Kopien sind, wie sie Anfänger machen, die gut getroffen sind, aber das Kolorit und die Majestät des Originals fehlt; man begnügt sich mit einem wohlgetroffenen Holzschnitt, wenn man nur die Lineamente findet. Wenn man nur das sehnliche Verlangen, Ihm ähnlich zu sein, an uns gewahr wird; da freut sich ein Jedes, das den wahren Sinn des Heilands über uns versteht. Unsere ganze Seligkeit des Lebens besteht in der beständigen Erinnerung an das Verdienst des Lebens und Sterbens Jesu, und in der Anwendung Seines Verdienstes auf alle selige, tugendliche Eigenschaften und Beweise des neuen Gehorsams durchs ganze Leben. Der Glaube, „dass der selige Schöpfer aller Ding' anzog ein's Knecht's Gestalt gering, dass Er das Fleisch durchs Fleisch erwürb', und Sein Geschöpf nicht all's verdurb';“ diese gläubige Erinnerung macht uns unser Leben in fortwährender Beugung und Bewegung führen. Unser Fall und Elend, unsere vielen Unanständigkeiten, die unserem Herrn manchmal sehr zur Unehre gereichen, machen uns wohl blöde, doch fassen wir uns bald wieder: Er ist Mensch gewesen und gestorben.“ Man spricht zur Lust, zum Stolz, zum Geiz: dafür hing unser Herr am Kreuz.“ Man hat also keinen Zweifel, dass uns der Heiland von allen solchen Dingen, wenn wir ihnen nur herzlich gram sind, unfehlbar erlösen und uns zu solchen Menschen machen wird, die Seiner heiligen Menschheit keine Unehre sind; denn Er ist darum für Alle gestorben, auf dass, sobald wir das geistliche Leben haben, wir nicht mehr uns selbst leben, sondern Ihm; unser keiner lebt ihm selber, und keiner stirbt ihm selber. Wir seien in diesem Sterbensleben, oder wir gehen heraus, der unverwelklichen Lebhaftigkeit ewig zu genießen, so sind wir des Herrn.