Ursinus, Zacharias - Antwort und Gegenfrage auf sechs Fragen von des Herrn Nachtmahl

Ursinus, Zacharias - Antwort und Gegenfrage auf sechs Fragen von des Herrn Nachtmahl

geschrieben von Dr. Zacharias Ursinus, Anno 1564

Die erste Frage

Ob es besser sei und sicherer einem Christen, daß er Gott und seinem klaren, hellen Wort glaube, oder den Menschen, so Gottes Wort nach menschlicher Weisheit glossiren und deuten?

Antwort

Ein jeder Christ ist ohne Zweifel schuldig, nicht den Menschen, welche Gottes Wort nach menschlicher Weisheit glossiren und deuten, sondern dem Wort Gottes, wie es Gott selbst geredt und erkläret hat, zu glauben.

Ist aber die Frage:

Ob diese Rede: Der Leib Christi ist wesentlich in oder unter dem Brode, und das Blut Christi wesentlich in oder unter dem Wein - das klare helle Wort Gottes, oder der Menschen Glosse und Deutung sei?

Die zweite Frage

Ob man auch solle oder dürfe Gottes Gebot und Befehl anderst denn die Worte lauten, figurative verstehen, deuten und glossiren.

Antwort

Wenn die Worte des göttlichen Gebots und Befehles der Liebe Gottes oder des Nächsten, d.i. den Artikeln des Glaubens oder zehn Geboten Gottes nicht zuwider lauten, soll man sie verstehen wie sie lauten. Wenn sie sich aber, da man sie also verstehen wollte, an dieselben stoßen, muß man von dem Laut auf die Meinung und den Verstand der Worte gehen, wie derselbe anderstwo in Gottes Wort erklärt ist, wie z.B. Deut. 10 Beschneidet die Vorhaut eueres Herzens. Matth. 5 u. 19. Aergert dich dein rechtes Auge, so reiße es aus und wirf es von dir. So deine Hand und dein Fuß dich ärgert, so haue sie ab und wirf sie von dir. Apg. 22. Wasche ab deine Sünde. Joh. 6. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.

Ist aber die Frage:

Welche Worte des Gebots und Befehls Gottes also lauten, daß man das wesentliche natürliche Fleisch Christi im Brod und sein wesentlich natürlich Blut im Wein mit dem leiblichen Munde essen und trinken solle?

Die dritte Frage

Dieweil man denn der Juden Gebot und Befehl von dem Osterlamm des alten Testaments, welches doch eine Figur ist, nicht figurative, sondern nach dem Buchstaben, wie die Worte lauten, verstehen muß; warum man denn die Worte des Nachtmahls Christi, welche sind Gebot und Befehl des neuen Testaments, soll figurative verstehen, deuten und glossiren und nicht wie der Juden Abendmahl nach dem Buchstaben, wie die Worte lauten, einfältig stehen solle?

Antwort

Wollte Gott, daß alle in dieser Regel bleiben, mit welcher sich diese Frage behelfen will, daß nemlich die Worte der Schrift vom alten und vom neuen Abendmahl gleicherweise sollen verstanden werden, so wäre aller Streit schon entschieden und hingelegt. Denn gleich wie die Juden so gläubig waren, zweierlei Osterlamm, das sichtbare, das sie jährlich schlachteten, leiblich, und das unsichtbare, das noch geschlachtet werden sollte, geistlich aßen: also essen auch wir zweierlei Brod, das sichtbare, das wir täglich brechen, leiblich, und das unsichtbare, das einmal am Kreuz für uns gebrochen ist, geistlich: und wie die Schrift das Lamm oder die Schlachtung und Nießung des Lammes, den Ueberschritt Gottes über die Israeliten in Egypten und über die Glaubigen in dem ganzen menschlichen Geschlecht nennt und die Erklärung dazu setzet, daß es sollte ein Gedenkzeichen dieses Ueberschritts oder dieser Verschonung sein, also nennt Christus eben das sichtbare natürliche Brod, das wir brechen und leiblich essen und den natürlichen Wein, den wir leiblich trinken, sein Leib und Blut, so für uns gegeben und vergossen ist, und setzt diese Erklärung und Ursache solcher seiner Rede darzu, nemlich, daß wir dieses Brod und Wein sollen essen und trinken zum gewissen Gedächtniß, daß sein Leib für uns am Kreuz gebrochen und sein Blut für uns vergossen sei zur Vergebung unserer Sünde und wir derselben Gemeinschaft bekommen, also daß wir mit ihm als Glieder seines Leibs werden vereiniget. Derhalben freilich wie das Essen des sichtbaren Osterlamms im alten Testament nach dem Buchstaben und leiblich, des unsichtbaren aber, nemlich Christi, figürlich und geistlich mußte verstanden werden aus vermög der Artikel des Glaubens, der Art aller Sacramenten und einiger Erklärung der Schrift: also muß auch eben aus diesen Ursachen das Essen des sichtbaren Brods im N. Testament nach dem Buchstaben und leiblich, des unsichtbaren aber, nemlich Christi, figürlich und geistlich verstanden werden.

Ist derhalben die Frage:

Ob man darum das Essen des Fleisches Christi, es sei im A. oder im N. Testamente liberaliter oder nach dem Buchstaben und leiblich müsse verstehen, daß im alten das Essen des Lammes und im neuen das Essen des Brodes nach dem Buchstaben und leiblich muß verstanden werden; oder ob darum auch das Besprengen mit dem Blute Christi im A. oder N. Testamente müsse nach dem Buchstaben und leiblich verstanden werden, daß die Besprengung mit dem Blute der Böcke und Rinder im Alten und mit dem Taufwasser im Neuen Testamente nach dem Buchstaben und leiblich muß verstanden werden.

Die vierte Frage

Und dieweil man die Parabeln und Gleichnisse Christi deutet und glossirt, daß man sie figürlich verstehen muß, ob man auch darum den gestracken und ausgedrückten Befehl und Gebot Christi im N. Testament figurative anders denn die Worte des Herrn im Abendmahl lauten, verstehen, deuten und glossiren muß?

Antwort.

Den Befehl Christi, daß wir sein Fleisch sollen essen, muß man nicht aber darum figurative und geistlich verstehen, daß die Parabeln figürlich und nicht nach dem Laut der Worte verstanden werden, sondern darum, daß jene Artikel des Glaubens von der wahren natürlichen Menschheit und wahren Himmelfahrt Christi und von der Gemeinschaft der Heiligen mit Christo, welche vor und nach dem Abendmahl nicht leiblich, sondern geistlich ist, nicht anders lassen verstehen. Item die Art und Eigenschaft aller Sacramenten, in welchen die unsichtbaren Gaben Gottes allein geistlich, die sichtbaren Wahrzeichen aber leiblich zur Bekräftigung und Vermehrung derselben werden empfangen und darum auch oft ihren Namen tragen. Item die Erklärung Christi, welcher kein andere als die geistliche Nießung seines Fleisches und Bluts je gelehret hat. St. Lucas, welcher das Abendmahl, das neue Testament, nicht in dem leiblich getrunkenen, sondern in dem vergossenen Blut Christi zur Vergebung der Sünden und derhalben nicht eine leibliche, sondern eine geistliche Nießung, und St. Paulus, der es die Gemeinschaft des Leibs und Bluts Christi nennt, welche ist, ein Leib mit Christo werden und mit der Teufel Gemeinschaft nicht bestehen mag.

Ist derhalben die Frage:

Warum man aus gemelten Ursachen die Nießung des Leibs und Bluts Christi nicht ebensowohl figürlich und geistlich verstehen müsse als in andern Sacramenten, die Beschneidung des Herzens, die Besprengung mit dem Blut und Geist Christi: Oder, wo dieser gestracke und ausgedrückte Befehl und Gebot Christi geschrieben stehe, daß wir sein wesentlich natürlich Fleisch und Blut durch den Mund in unsern Leib sollen nehmen?

Die fünfte Frage

Ob das eine genugsame Ursache sei, die Worte des Herrn Christi im Abendmahl figurative zu deuten, daß sie in der Philosophie und vor der Vernunft unmöglich scheinen und lauter, und sich mit menschlicher Weisheit gar nicht schicken und reimen, nemlich, daß Christus Leib so im Himmel ist, auch zugleich hienieden auf Erden solle im Brod sein und von Menschen gegessen werden?

Antwort

Wenn Christus je gesagt hätte, daß sein Leib vor oder nach seiner Himmelfahrt im Brod wäre und leiblich gegessen würde, so sollte und müßte es freilich keine Philosophie noch menschliche Vernunft und Weisheit hindansetzen und dem Worte Christi glauben; aber es ist nicht allein die Philosophie und die Vernunft, sondern auch der Grund unsers allgemeinen christlichen Glaubens, und alle Schrift von Christo, von der Gemeinschaft der Heiligen mit ihm, und von seinen Sacramenten, solcher Lehre stracks zuwider.

Ist derhalben hie abermal die Frag:

Wo der Herr Christus diese Worte im Abendmahl je geredet habe, daß sein Leib im Brod sei und leiblich gegessen werde, es sei gleich da er in menschlicher Schwachheit und Todesangst, in Einsetzung des Abendmahls unter seinen Jüngern am Tische saß, oder nachdem er ist gen Himmel gefahren?

Die sechste Frage

So lasset sie ein einig Gebot oder Befehl Gottes oder Christi aus dem A. und N. Testamente anzeigen, das figurative verstanden werde. Dieweil denn alle Gebote und Befehle sollen und müssen nach dem Buchstaben verstanden werden, wie käme denn dies einige Gebot unseres Herrn Jesu Christi darzu, daß man es glossiren und deuten soll, anders denn die Worte lauten und der Buchstabe mit sich bringt?

Antwort

Es sind viel ernstliche und strenge Gebote oder Befehle Gottes in beiden Testamenten, die keineswegs nach dem Buchstaben können verstanden werden, wie vorhin Exempel angegeben und die ganze hl. Schrift derselben voll ist, als Joel 2. Zerreißet euere Herzen. Jes. 1. Waschet, reiniget euch. Jer. 4. Pflüget ein Neues und säet nicht unter die Hecken. Matth. 7. Ihr sollt euere Perlen nicht vor die Säue werfen und das Heiligthum nicht den Hunden geben. Joh. 21. Weide meine Schafte etc. etc. Und derhalben ist dieß eine neue und übelbegründete Regel, daß Gott in seinen Geboten und Befehlen nimmer figürlich, sondern allezeit buchstäblich redet, nur wenn gleich solches wäre, was keineswegs ist.

So bleibet dennoch immerdar die Frage:

Wo dieß Gebot des Herrn Jesu Christi geschrieben stehe, daß man sein wesentliches natürliches Fleisch und Blut, im Brod und Wein verborgen, leiblich durch den Mund in den Leib empfangen soll? Denn daß Christus das natürliche, sichtbare Brod, das wir brechen, seinen Leib genannt und dasselbe zum gewissen Gedächtniß seines für uns gegebenen Leibes hat heißen leiblich und mündlich essen, und Sct. Paulus dasselbe Zeugniß und Beweis der geistlichen Gemeinschaft des Leibes Christi anzieht, finden wir in Gottes Wort: Daß aber Christus gesagt habe, in oder unter diesem Brode sei sein Leib wesentlich verborgen, und gehe mit demselben leiblich durch den Mund in unsern Leib, oder auch, daß diese Glosse und Deutung der Worte Christi recht und wahr sei, stehet denselben, die solches vorgeben, aus Gottes Wort zu beweisen.

Quelle: Sudhoff, Karl - C. Olevianus und Z. Ursinus Leben und ausgewählte Schriften

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/u/ursinus/ursinus-antwort_und_gegenfrage_auf_sechs_fragen_von_des_herrn_nachtmahl.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain