Trenkle, Georg Hermann - Die Reformation - ein Gotteswerk.

Trenkle, Georg Hermann - Die Reformation - ein Gotteswerk.

Predigt über 1 Kor. 3, 11-15,

gehalten am Reformations- Feste den 3. November 1867

Dank und Preis bringen wir dir heute, Herr Jesu, erhöhtes Haupt deiner Kirche, dass du sie auf dem Grunde der Apostel und Propheten erbaut, dein Wort und heiliges Sakrament ihr gegeben, das Licht deines Evangeliums heller gemacht und sie von allerlei Irrtum der Lehre gereinigt und erneuert hast. O gib, dass sie von diesem Grund und Fels des Heils, daraus sie gehauen ist, nicht weiche, dass sie dein seligmachendes Wort und das Bekenntnis der Wahrheit rein bewahre und wachse zu göttlicher Größe, zu einem heiligen Tempel und einer Behausung Gottes im Geiste. Verleihe auch uns Gnade, dass wir als lebendige Steine uns bauen zum geistlichen Hause und würdig wandeln deines Evangeliums, damit Jedermann unseren Glauben an unseren Werken sehe und aller Mund der Lästerer verstopfet werde. Und wie du sie gegründet und erneuert hast, so vollende sie auch und errette sie aus aller Anfechtung und erfülle an ihr deine Verheißung, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen sollen. Amen.

1 Kor. 3, 11-15.

Einen andern Grund kann Niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. So aber Jemand auf diesen Grund baut, Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stoppeln, so wird eines jeglichen Werk offenbar werden, der Tag wird es klar machen; denn es wird durchs Feuer offenbar werden, und welcherlei eines jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren. Wird Jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfahen. Wird aber Jemandes Werk verbrennen, so wird er dessen Schaden leiden: Er selbst aber wird selig werden, so doch als durchs Feuer.

Wir feiern heute das Fest der Reformation, die Erneuerung der Kirche und ihres Wiederaufbaues auf dem Grunde, der ein für alle Mal gelegt ist, welcher ist Christus. Wir freuen uns dieses Werkes und danken Gott dafür und preisen es als ein Gotteswerk, wenn er es gleich wie alle seine Werke von Alters her durch den Dienst von Menschen ausgeführt hat. Aber gerade das ist's, meine Zuhörer, was man nicht bloß von jeher bestritten hat, sondern auch heute noch bestreitet. Dass die Kirche Christi im Laufe der Jahrhunderte von ihrer ursprünglichen Bestimmung, das Licht der Welt, das Salz der Erde, die Lehrerin der Völker, der Tempel Gottes, der Leib des Herrn zu sein, weit abgekommen sei, darüber ist unter Kundigen wohl nur Eine Stimme. Aber Luther soll keinen Beruf, keine göttliche Vollmacht gehabt haben, Hand anzulegen, die vorhandenen Schäden der Kirche zu bessern, er soll kein Recht gehabt haben, gegen den Widerspruch der ihm vorgesetzten kirchlichen Obrigkeit den geistlichen Bau, den Tempel Gottes auf seinen ursprünglichen Grund zu stellen, abzutun, was auf diesen schriftwidriges aufgebaut wurde und herzuzubringen, was darauf gebaut werden muss. Diese Anklage wird neuerdings auch von solchen erhoben, welche vorgeben, mit uns, den Predigern und Dienern der evangelischen Kirche Hand in Hand gehen und mit ihnen gemeinschaftlich dem allerdings nicht zu leugnenden innerhalb der Kirche herrschenden Verderben steuern und an ihrer Wiederherstellung und Vollendung arbeiten zu wollen, von solchen, die selbst keinen Auftrag und keine Vollmacht empfangen haben, in unsere Gemeinden sich einzudrängen und durch ihre Lehre und Verkündigung in denselben Verwirrung und Spaltung anzurichten.

Ich muss mich darüber in Kürze näher erklären, weil ich nicht voraussetzen kann, dass alle meine Zuhörer wissen, welche Vorgänge ich im Auge habe. Im Anfange der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts ist in England eine Sekte aufgetaucht, welche man nach ihrem Urheber und Begründer Irvingianer nennt, die sich selbst aber den Namen der apostolisch-katholischen Kirche beilegt. Sie ist mit der Versicherung hervorgetreten, dass Christus durch unmittelbare Wirkung seines Geistes, die in Prophetenstimmen sich kund gegeben, seine ursprünglichen Ämter und Ordnungen, Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer wiedererweckt habe, um seine Kirche für seine nahe bevorstehende, sichtbare Wiederkunft zu bereiten und zu vollenden. Aus der Mitte dieser kirchlichen Gemeinschaft ist denn nun auch an uns in den jüngsten Tagen Botschaft getan und uns bedeutet worden, dass nur auf diesem außerordentlichen, von dem Herrn selbst wunderbar eröffneten Wege der Kirche zu helfen sei. Wäre dies der Fall, hätte die Reformation weder das Recht noch die Macht gehabt, den Schaden der Kirche zu heilen, entbehrten wir Prediger und Diener der evangelischen Kirche der Vollmacht, durch Wort und Sakrament heilskräftig zu zeugen und zu wirken: dann, meine Freunde, täten wir Unrecht, ein Reformationsfest zu feiern, dann dürften wir heute noch unserer Kirche das Todesurteil sprechen, dann müssten wir, ihre Diener, heute noch unser Amt in ihr niederlegen und es denen überlassen, welche unmittelbaren Beruf und Auftrag von Christo selbst dazu empfangen zu haben versichern. Es wird daher unsere Pflicht sein, zu untersuchen, ob Luther eine göttliche Sendung an die Kirche gehabt hat oder nicht, ob die Reformation eine göttliche Tat gewesen oder nicht, ob die Kirche, die daraus hervorgegangen, das Zeugnis des göttlichen Geistes für sich habe oder nicht, ob das Wort, das sie predigen und die Sakramente, die sie verwalten lässt, zum Heile und zur Erbauung des Leibes Christi dienen oder nicht. Darüber lasst uns weiter nachdenken, meine Zuhörer.

Die Reformation ein Gotteswerk - das soll der Gegenstand unserer heutigen Betrachtung sein. Als solches erweist sie sich aber

1) nach dem Grunde, worauf sie ruht,
2) nach dem Bau, den sie geführt,
3) nach dem Gericht, das über sie entscheiden wird.

I. nach dem Grunde, worauf sie ruht

Ob die Reformation ein Gotteswerk sei, das wird sich also zuvörderst nach dem Grunde bemessen lassen, worauf sie ruht. Den Parteien gegenüber, welche in Korinth sich gebildet hatten und die Namen der hohen Apostel oder gar Christi selbst benützten, um sich gegenseitig zu bekämpfen und über einander zu herrschen, weist Paulus auf den gemeinsamen Grund hin, auf dem sie stünden, und der sie trüge. Christus ist der Gründer und der Grund der Kirche. Einen andern Grund kann Niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Es ist dieselbe Wahrheit, nur anders ausgedrückt, wenn der Herr sagt: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden; oder wenn Paulus schreibt: so seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf dem Grunde der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist. Denn ist der Grundstein der das ganze Gebäude tragende, so ist der Eckstein der dasselbe schützende und stützende Stein, Christus also in dem einen wie in dem andern Sinne der wichtigste Stein beim Bau der Kirche. Und wenn nach den Worten Pauli nicht Christus, sondern die Apostel und Propheten Grund der Kirche genannt werden, so sind sie es eben nicht ohne sondern durch Christum. Christus ist es, der sie selbst zusammenfügt und als Eckstein hält und trägt. Bei einem jeglichen Bau, also auch bei dem der Kirche, ist aber der Grund die Hauptsache. Eine Kirche, die auf Christum sich gründet, hat keinen schwachen, menschlichen falschen Grund. Unsere Kirche steht auf diesem Grunde.

Es ist Luther und den übrigen Reformatoren nicht von ferne in den Sinn gekommen, eine neue Kirche zu gründen und auf einem andern als dem bereits gelegten, altbewährten Grunde aufzubauen, noch viel weniger haben sie sich beikommen lassen, dieselbe nach Luthers oder eines Anderen Namen zu nennen, wie die Parteien in Korinth getan haben. Wenn wir gleichwohl unsere Kirche die lutherische heißen, so geschieht es nicht in der Meinung, als ob sie die Kirche Luthers sei, sondern lediglich zur Bezeichnung der unterscheidenden Lehren, die sie gegen andere Kirchen festhalten zu müssen glaubt, wie ja jede Kirche so einen besonderen Nebennamen trägt, und auch die Irvingianische sich den Namen der apostolisch-katholischen Kirche beilegt Freilich hat es Protestanten gegeben, und es gibt ihrer heutzutage mehr denn je, welche von diesem Grunde gewichen sind. Das sind die, welche leugnen, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, und welche nicht mit Petro bekennen wollen: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Aber diese Protestanten, welche gegen Alles, gegen den Sohn Gottes selbst protestieren, sind die unechten Söhne jener gläubigen Bekenner vom Jahre 1529 und 1530; von solchen dürfen wir sagen, was St. Johannes von den Lügenpropheten und Widerchristen gesagt hat: sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns: denn wo sie von uns gewesen wären, so wären sie ja bei uns geblieben, aber auf dass sie offenbar würden, dass sie nicht alle von uns sind.

Luther und die deutsche Reformation hat von keinem andern Grunde wissen wollen, als den der Glaube in Christo hat. Das könnt ihr aus ihren sämtlichen Zeugnissen und Bekenntnissen, vor allem aus ihrem Hauptbekenntnis, der Augsburgischen Konfession, ersehen. Da steht, um die Übereinstimmung mit der Kirche aller Jahrhunderte zu bezeugen, das Bekenntnis zu dem Dreieinigen Gott voran, welches in den drei ältesten Bekenntnissen, dem Apostolischen, Nicänischen und Athanasianischen weiter dargelegt ist, und woran alle Kirchen festhalten, welche überhaupt noch an den Namen einer christlichen Anspruch machen. Damit will gesagt sein, dass die Kirche der Reformation nicht auf Luthers, Melanchthons, Zwinglis und Calvins Namen, auf die Lehre und Anschauung, auf die Weisheit und Gelehrsamkeit des 16. Jahrhunderts gegründet sei, dass es keinen andern Weg des Heils gäbe, als den durch Christum, durch sein heiliges und teures Blut, durch sein unschuldiges Leiden und Sterben, keine andere Wahrheit als die, so durch Christum offenbart worden, keine andere Lehre als die, so allein in Christo Wurzel und Ursprung hat, kein anderes Propheten-, Priester- und Königtum, als das in Christo, dem Gottmenschen vereinigt ist. Aber freilich wusste die Reformation und will nichts wissen von einer Erneuerung und Wieder-Herstellung dieses Grundes durch neue Apostel und Propheten, wie sie die Irvingianische Lehre als zum Heile der Kirche notwendig erachtet; sie hält fest an dem einmal gelegten Grunde, sie ist der Meinung, dass dieser alte auch der unvergänglich junge Grund der Kirche sei, sie hegt die Überzeugung, dass dieser Grund des Anfangs lebenskräftig hindurchwirke durch alle Jahrhunderte, und wie zur Pflanzung so auch zur Vollendung der Kirche hinreiche, sie begreift nicht, wie die neuen Apostel und Propheten, welche die Irvingianische Lehre uns bringt, auf oder neben den alten noch Platz haben sollen.

Kann man nun nicht leugnen, dass die Reformation auf dem einmal gelegten Grunde, auf Christo ruht, so weiß ich nicht, wie man es wagen kann, zu behaupten, sie sei Menschenwerk und habe keinen göttlichen sondern menschlichen Ursprung und eben darum auch kein Recht und keine Verheißung des Bestandes. Ich erkläre diese Behauptung geradezu für eine Versündigung wider die Wahrheit. O ihr evangelische Christen, wer hat euch denn bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorchet? mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst auf ein anderes Evangelium, so doch kein anderes ist, ohne dass etliche sind, die euch verwirren. Haltet was ihr habt, dass Niemand eure Krone raube.

II. nach dem Bau, den sie geführt

Die Reformation ein Gotteswerk! Als solches erweist sie sich auch nach dem Bau, den sie geführt. Der Apostel spricht von zweierlei Bauleuten, von solchen, welche auf dem gelegten Grunde Holz, Heu und Stoppeln, also vergängliche wertlose Dinge, die der Zahn der Zeit zernagt, der leiseste Wind verweht, das Feuer verbrennet, und von solchen, welche Gold, Silber und Edelstein, das ist gediegene, wertvolle Stoffe darauf bauen, die der Zeit, den Stürmen, dem Feuer trotzen. Solch' törichte Bauleute hat es ohne Zweifel in der Korinthischen Gemeinde gegeben, und der ganze Brief des Apostels lässt hindurchblicken, was er meint. Diese ungebührliche Wertlegung auf Weisheit und Bildung, auf Erkenntnis und Gabe der Rede, hinter welcher die törichte Predigt vom Kreuze Christi zurückstehen musste, und neben welcher eine sittliche Lauheit und Schlaffheit um sich griff, die selbst Blutschande und Ehebruch ohne Gewissens-Vorwurf ertragen konnte, dieses Pochen auf christliche Freiheit, welche den Genuss vom Götzenopferfleisch gestattete, ohne Rücksicht darauf, dass ängstliche Gemüter dadurch geärgert wurden, diese Überschätzung der geistlichen Gaben, Wunder und Kräfte, denen Viele nur der eitlen Ehre willen nachstrebten, anstatt damit dem gemeinen Nutzen zu dienen, und darüber sie den überschwänglich köstlicheren Weg der Liebe verließen, ohne welche Wunder und Weissagung und ein Glaube, der Berge versetzt, ein tönend Erz und eine klingende Schelle sind, diese Unordnung bei ihren Gottesdiensten, wo jeder reden, keiner den andern zum Wort kommen lassen wollte, - diese Missbräuche bei der Feier ihrer Liebesmahle, ja bei der höchsten Feier des heiligen Mahles, diese falschen Lehren über Auferstehung, die sie als eine geistige, bereits geschehene betrachteten, - das sind Holz, Heu und Stoppeln, welche törichte Bauleute in Korinth auf den guten und heiligen Grund gebaut haben. Dergleichen, meine Zuhörer, sind im Laufe der christlichen Jahrhunderte noch mehr auf dem Grunde der Apostel und Propheten aufgehäuft worden, Holz, das nicht vom Baum des Lebens genommen, Heu, dürres, welkes Gras, das nicht auf der grünen Aue des Evangeliums gestanden, Stoppeln, an denen keine goldene Ähre, keine Frucht des ewigen Lebens mehr zu finden war.

Was hat nun die Reformation als eine weise Baumeisterin getan? Hat sie den ganzen kirchlichen Bau von achtzehn Jahrhunderten abgetragen, und alsdann von Grund auf einen neuen nach eigenem Muster und Gutdünken aufgeführt? O nein! Sie hat nur mit dem Hammer des göttlichen Wortes an den Bau der Kirche geschlagen und was Holz war, zertrümmert, sie hat mit der Worfschaufel des göttlichen Wortes die Tenne gefegt und Spreu und Weizen gesondert, sie hat das Feuer des göttlichen Wortes in der Kirche entzündet und damit die Stoppeln vernichtet. Alles aber, was die Hammerschläge, die Sichtung, das Feuer dieses Wortes aushielt, das wurde als Gold, Silber und Edelstein, als probehaltig und feuerfest an Ort und Stelle belassen und der Kirche als unverlierbares Gut bewahrt. Dazu hat sie alsdann hinzugefügt, was sie sonst aus Gottes Wort als Perlen und Kleinodien erkannt und gefunden, vor allem das teuer werte Wort von Vergebung der Sünden aus Gnaden allein durch den Glauben an Christum, diesen bis dahin im Acker verborgenen Schatz, diese köstliche Perle, gegen welche wir, wie jener Kaufmann, alle andern hingeben. Kennt ihr, meine Freunde, die Kirche der deutschen Reformation, ihre aus Gottes Wort geschöpfte Lehre, ihre herrlichen Gottesdienstordnungen, ihren reichen Schatz an Liedern, ihre gesalbten Gebet- und Erbauungsbücher, ihre Liebesarbeit an ihren Gliedern wie an Fremden, selbst den Heiden, ihre Werke der inneren wie der äußeren Mission? Vermögt ihr aus Gottes Wort nachzuweisen, wo sie irrt? Wisst ihr mir eine Kirche zu nennen, wo man sicherer wohnen könnte, wo Verstand und Herz, Gewissen und Gemüt in gleicher Weise oder besser befriedigt wird? Das, was man mir, neuerdings als eine Kirche der Vollkommenen anpreist, weil sie von Aposteln und Propheten geleitet wird, das hat meines Dafürhaltens in den wichtigsten Punkten das Zeugnis des göttlichen Wortes nicht für sich, was sie aber an Wahrheit besitzt, das ist uns nichts Neues, das dankt sie selbst dem Lichte der Reformation, die sie schmäht. Damit behaupte ich nicht, dass unsere Kirche eine fleckenlose und vollkommene sei. Gewiss nicht! Es gibt überhaupt keine fertige, sondern nur eine wachsende, keine vollkommene, sondern nur eine zur Vollkommenheit strebende Kirche, sie ist, wie Luther sagt, ein Hospital, in welchem Manche des ewigen Todes sterben, aber Viele auch, genesen zum ewigen Leben. Was unserer Kirche fehlt und nottut, das ist mir nicht verborgen. Es fehlt ihr vor allem an dem rechten Glaubens- und Gebetsleben ihrer Glieder; würde das sich wieder an dem Feuer des göttlichen Wortes entzünden, so würden bald die vorhandenen Mängel und Gebrechen geheilt werden, die in der äußeren Verfassung, der Ordnung des Gottesdienstes, der wegen seiner Nacktheit und Leere tiefere Gemüter unbefriedigt lässt, und in noch manchen. andern Verhältnissen unleugbar vorhanden sind. Die Reformation selbst kann indessen für die Schäden, die geraume Zeit nach ihr und meist in Folge des Abfalls von ihren Grundsätzen zu Tage getreten, ebenso wenig verantwortlich gemacht werden, als dafür, dass sie den ganzen Bau der Kirche nicht mit einem Male fertig gebracht hat; sie hat eben den folgenden Jahrhunderten überlassen, denselben fortzusetzen; wie sie Gold, Silber und Edelsteine aus dem Schacht des göttlichen Wortes zu Tage zu fördern und auf dem nämlichen Grunde fortzubauen. Kann man nun nicht leugnen, dass, was sie gebaut hat, aus Gott ist, so wird man auch nicht bestreiten können, dass sie selbst ein Gotteswerk gewesen ist.

III. nach dem Gericht, das über sie entscheiden wird.

Als solches erweist sie sich auch durch das Gericht, das über sie entscheiden wird. Eines Jeglichen Werk wird offenbar werden, der Tag wird es klar machen; denn es wird durchs Feuer offenbar werden, und welcherlei eines Jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren. Wird Jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfahen. Wird aber Jemandes Werk verbrennen, so wird er dessen' Schaden leiden, er selbst aber wird selig werden, so doch, als durchs Feuer. Welch ein Tag und Feuer hier gemeint sei, ist klar. Es ist der jüngste Tag und das Feuer des Gerichts. Hat unsere Kirche Gold, Silber und Edelsteine auf den rechten Grund gebaut, so wird sie das Feuer jenes Tages nicht zu fürchten haben, sie wird ihr Werk zwar brennen, aber nicht verbrennen sehen. Das Feuer wird es bewähren. Wollet mich nicht missverstehen, meine Zuhörer! die evangelische Kirche macht keinen Anspruch darauf, für die unfehlbare, in allen ihren Lehren, Ordnungen, Gebräuchen als tadelfrei zu gelten. So lange die Kirche Christi überhaupt auf Erden ist, so lange sind auch dem edelsten Metall der Wahrheit, das sie besitzt, irdische Bestandteile beigemischt, gleichwie Gold, Silber und Edelsteine nicht immer rein und gediegen, sondern zumeist mit anderen Steinen, Erdarten und Erzen verbunden sich vorfinden. Sie trägt ihren Schatz in irdenen Gefäßen, ihr Wissen ist Stückwerk und ihr Weissagen ist Stückwerk, sie sieht jetzt noch durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, es gilt auch von ihr, was der Apostel von sich sagt: nicht dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei, ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Jesu Christo ergriffen bin. Doch ist's nur Gold, Silber und Edelstein, was sie gebaut hat, so wird das Feuer des Gerichtes ihr Werk nicht vernichten, sondern nur reinigen und verklären. Das sage ich nicht bloß von der evangelischen, das sage ich von jedweder anderen Kirche. Was eine jegliche an edlem, feuerfesten Metall, an Wahrheitsgehalt besitzt, das wird sie nicht verlieren und sie selbst, sofern sie nur auf dem rechten Grunde steht, die Feuerprobe des Gerichts bestehen. Was sie aber an Holz, Heu und Stoppeln darauf gebaut, was sie geirrt und gefehlt hat, ihr eigenes, menschliches Werk wird verbrennen.

Dasselbe, was von der Kirche in ihrer Gesamtheit gilt, das gilt auch von ihren einzelnen Gliedern. Sind diese durch den Glauben in Christo gegründet, durch die Liebe in ihm eingewurzelt und in allen Stücken an ihm, der das Haupt ist, gewachsen, so werden sie Lohn empfangen, es wird das Werk, die Arbeit ihres ganzen Christenlebens durch das zukünftige Feuer offenbar und darin bewährt werden. Ja, sofern sie nur mit Christo noch Gemeinschaft haben, so werden sie ihre Person, wenn auch nur wie durchs Feuer retten, obschon die Irrtümer, die sie gehegt, die Fehler, die sie begangen, das Unrecht, das sie getan, darin untergehen wird.

Freilich denen, die den Grund des Heils verlassen, ist keine Verheißung gegeben, sie haben keine Bürgschaft, dass sie selbst unversehrt dem Feuer des Gerichtes entkommen. Davor schützt sie alsdann keine Kirche; denn über die Seligkeit des Einzelnen entscheidet nicht die Zugehörigkeit zu irgendwelcher kirchlichen Gemeinschaft, sondern allein die Zugehörigkeit zu Christo. Nur wer den Sohn Gottes hat, der hat das ewige Leben; nur wer an ihn glaubt, wird selig.

Unsere Kirche, meine Zuhörer, hat schon manche Feuerprobe bestanden; sie ist im 16. Jahrhundert der vereinigten geistlichen und weltlichen Macht nicht unterlegen, sie hat der blutigsten Verfolgung Trotz geboten, sie hat unter allen Stürmen des Unglaubens, die in ihrem eigenen Schoß sich erhoben, ihr Panier festgehalten; das gibt uns Hoffnung und Gewissheit, dass sie auch die letzte, große Probe des jüngsten Tages bestehen werde.

Das Feuer dieses Tages wird über sie endgültig entscheiden und es erweisen, dass die Reformation, aus der sie hervorgegangen, nicht Menschen sondern Gotteswerk gewesen ist.

Amen.

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