Steinmeyer, Franz Ludwig - Petrus

Dem Lebensbilde, welches wir darzustellen suchen, hat der Erlöser mit selbsteigenem Munde eine Überschrift gegeben, an deren Stelle Niemand eine andere setzen darf und die das Haupt des hochbegnadigten Apostels mit einem unvergleichlich hellen Glanz umgibt. „Du bist Petrus,“ also lesen wir (Evangel. Matth. Kap. 16. V. 18), „und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“ Das überschwänglich große Wort ist nur an diesen Einen Mann ergangen; kein Anderer ist so hoch erhoben und in eine solche unmittelbare Nähe zu dem Haupt und König der Gemeinde gerückt worden. Wird er als ein Felsen angeredet, der nicht bloß schwächeren Brüdern irgend einen Halt gewähren, sondern welcher der ganzen Schar der Gläubigen in allen Zeiten zum festen und gediegenen Fundamente dienen werde: so steht er Dem in einer einzigen Weise nahe, von dem der Vater durch Prophetenmund gesagt, „siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Stein, der wohl gegründet ist.“ Unter allen Namen, die der evangelische Kalender uns in ein dankbares Andenken, in ein gesegnetes Gedächtnis rufen mag, unter allen Zeugen jener Wolke, deren Ende wir anschauen, deren Glauben wir nachfolgen sollen, unter allen Sternen, die am Himmel unserer Kirche prangen und die als Lehrer, Hirten und Propheten Viele zur Gerechtigkeit gewiesen haben, nimmt mithin Petrus unbedingt die erste Stelle ein.

Simon, der Sohn und Berufsgenosse eines armen Fischers Jonas in Bethsaida am galiläischen Meere, gehörte zu der kleinen Zahl der tieferen Gemüter, welche auf den Trost Israels harrten und die Zeichen ihrer Zeit verstanden. Vielleicht bereits zum Manne herangereift, jedenfalls schon verheiratet, hatte er sich dem Prediger der Buße angeschlossen, welcher die Nähe des Gesalbten verkündigte und ihm den Weg zu bereiten berufen war. Nicht er war unter jenen zwei Jüngern, an die des Täufers Wort erging, „siehe, das ist Gottes Lamm,“ und die derselbe hierdurch aus der eigenen Schule in eine höhere hinübertreten hieß; sondern erst von dem Andreas, seinem Bruder, empfing er die Botschaft, „wir haben den Messias gefunden,“ und durch ihn ward er dem Erlöser zugeführt. Aber schon bei dieser ersten Begegnung zwischen ihm und seinem künftigen Meister wurde es offenbar, dass ihm ein Los von einer sonderlichen Herrlichkeit in seinen Schoß gefallen war, dass große Dinge seiner warteten. „Da Jesus ihn sah, sprach er: du bist Simon, Jonas Sohn, du sollst Kephas heißen.“ Es wird uns nicht erzählt, welch einen Eindruck der verheißungsreiche Namenstausch auf ihn hervorbrachte und zu welcher lauten oder leisen Frage er ihn drängte; ob er, gleich der gebenedeiten Jungfrau, über die Rede erschrak und bei sich gedachte: welch' ein Gruß ist das? oder ob er, wie Tags darauf Nathanael, entgegnete: Rabbi, woher kennst du mich? Ihm lautete das Wort in dieser Stunde wohl noch gänzlich als ein Rätsel; uns aber deutet gerade dieser Anfang seines Jüngerlebens den wahren Grund der hohen Stufe, zu der er später aufgestiegen ist. Derselbe ruht durchaus in Gottes ewigem Ratschluss. So steht es nicht, als ob der Herr mit seinem scharfen, in das Verborgene eindringenden Blicke die edlen Keime in dem Herzen dieses Simon entdeckte, dass er es ermessen hätte, wie große Dienste sie in ihrer künftigen Entfaltung und Verklärung dem Bau des Himmelreichs auf Erden leisten würden: nach dieser Weise einer menschlichen Berechnung hat Jesus seine Auswahl nicht getroffen. Sondern wie er von den Jüngern allen sagte, der Vater habe sie ihm von der Welt gegeben, und wie er es ausdrücklich bekannte, das Sitzen zu seiner Rechten und Linken zu geben, stehe nicht ihm zu, sondern denen es bereitet sei von seinem Vater: so hieß er auch den Mann, der sich ihm hier von Bruderhand geleitet nahte, als den von Gott zum Felsen der Gemeinde Auserkorenen, als den von Mutterleibe her zu dieser höchsten Würde Ausgesonderten willkommen. Das ist der Sinn des ersten Grußes, das aber war zugleich für Ihn die Regel, nach welcher er fortan mit diesem künftigen Rüstzeug seines Reichs verfuhr. Die evangelische Geschichte, die überhaupt den Namen gerade dieses Jüngers viel häufiger als irgend einen anderen nennt, führt kraft zahlreicher Mitteilungen den Beweis, dass Christus Keinem von den auserwählten Zwölfen ein solches Maß von Sorgfalt angedeihen ließ, denn ihm. Wohl vergönnte er ihnen allen den Vollgenuss seiner mitteilenden und seiner dienenden Liebe, so dass sie frei und unbeschränkt aus seiner Fülle Gnade um Gnade schöpfen durften. Wohl verstattete er mindestens einem kleineren Kreise den Einblick in die Größe seiner Herrlichkeit, denn auch Johannes und Jakobus bestiegen mit ihm den Verklärungsberg und wurden Zeugen der verborgenen Tiefen seines Wesens. Doch nur dem Petrus widerfuhr die sonderliche einzige Pflege, an welcher nicht einmal der Jünger, der an Jesu Seite ruhte, Anteil hatte. Vor allem haftet unser Auge am Hergang seiner apostolischen Berufung. Mögen wir auf den Umstand achten, dass ihm sein hohes Amt zu wiederholten Malen versiegelt wurde, oder mögen wir der erschütternden Weise gedenken, in welcher das eigentlich entscheidende Wort an ihn erging: von allen Seiten fällt auf ihn das Licht einer eigentümlichen Auszeichnung. In Simons Schiff trat Jesus ein; dem Simon gab er den Befehl: Fahre auf die Höhe und werft eure Netze aus. Derselbe Simon fiel zu seinen Füßen nieder, - Herr, gehe vor mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch; und er insonderheit empfing die Verheißung: fürchte dich nicht, denn von nun an wirst du Menschen fangen. Den Simon Jona Sohr nahm der verklärte Herr bei jener letzten Offenbarung an dem See besonders; und was er scheidend von der Erde dem ganzen Kreise der verklärten Apostel entbot - wie mich mein Vater gesandt hat, also sende ich euch; geht hin und lehrt alle Völker -: das hat er ihm in einer neuen Form, mit einer Huld, die augenscheinlich nur auf ihn berechnet war, als Pflichtgebot der Liebe auferlegt, weide meine Schafe, weide meine Lämmer! In Simons Hütte sehen wir den Heiland den Segen seiner Wunderkräfte spenden, er legte hilfreich seine Hand auf dessen fieberkranke Schwieger. Das Werk steht einzig da inmitten aller seiner Wunderwerke, von einem ähnlichen erzählt das Evangelium nicht: es lässt sich nur verstehen aus einer Rücksicht Jesu Christi auf die besondere Stellung gerade dieses Jüngers. Und wollten wir auch alle die zahlreichen Fälle, wo sich der Herr mit ihm allein zu schaffen machte, aus mehr oder minder zufälligen Umständen deuten: das musste doch sehr bestimmte Gründe und Absichten haben, dass der auferstandene Fürst des Lebens sich diesem Jünger zuerst, mit Ausschluss aller übrigen, offenbart hat; denn „der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simoni erschienen“, mit diesem Rufe hat die Schar der Elf die erste Osterbotschaft ausgebreitet. So konnte es nicht ausbleiben, dass in dem eigenen Gemüt des Petrus eine Ahnung von dem Ratschluss Gottes über ihn erwachte, und dass er ganz von selbst, wohl ohne irgend eine klar bewusste Absicht, den ersten Platz im Kreise seiner Mitgenossen einnahm. Wenn er hervortrat, wo die übrigen verstummten, wenn er das Wort nahm, um der allgemeinen Stimmung einen Ausdruck zu geben, um bald das Erstaunen und die Überraschung, bald den Schmerz und die Bangigkeit, die sich aller Herzen bemächtigt hatte, vor Christo zu begründen: so darf das nicht aus seiner natürlichen Lebendigkeit, aus dem Feuer seines Charakters abgeleitet werden; sondern er fühlte sich dazu durch eine innere geheime Macht getrieben, er fühlte sich dazu von obenher befugt; und augenscheinlich haben auch die anderen Jünger ein solches Recht des Petrus willig anerkannt; die ganze Schar beherrschte der stillschweigend eingestandene Gedanke, er rage über sie hervor.

Wären wir darauf angewiesen, auf dem Gebiete der Natur und in der Ausstattung, welche dem Simon von ihrer Hand zu Teil geworden war, die Ursache dieser hervorragenden Stellung aufzusuchen: so würden wir vor einem unlösbaren Rätsel stehen. Denn kein anderer Jünger - wenn wir von dem Verräter absehen - hat dem Erlöser so viele Schmerzen zugefügt; und kein anderer ist so augenscheinlich als ein unzuverlässiges schwankendes Rohr erfunden worden, als er. Wir kennen die Äußerungen seines Eigenwillens, der sich in die göttlichen Wege nicht finden, der sich den göttlichen Gedanken nicht beugen mochte; eines Eigenwillens, welcher das Schwert der Sünde zum Kampfe wider einen ewigen Liebeswillen zog; wir wissen namentlich von jenem jähen Wechsel, da sein Gelübde, treu zu sein bis in den Tod, in einer schimpflichen Verleugnung endete. Ließe sich daher unser Auge, wenn es prüfend über den Kreis der Zwölfe gleitet, nur durch die Rücksicht auf die natürliche Ausstattung jedes Einzelnen bestimmen: es würde schwerlich gerade diesen Simon zum Felsen für die künftige Gemeinde tüchtig achten. Nun wohl, es war die freie Gnade seines Gottes, die ihn dazu vor allen Anderen ausersehen hat. So musste aber eben diese Gnade den Mann ihrer Wahl auch gründen, stärken, kräftigen, vollbreiten, damit er zur Erfüllung der empfangenen besonderen Bestimmung fertig würde. Und was sie in dieser Hinsicht an ihm geleistet hat, den Sohn des Jona in den Felsenmann verwandelnd: darüber verbreitet die evangelische Geschichte das hellste Licht. „Wer sagen die Leute, dass des Menschen Sohn sei? Und wer sagt ihr, dass ich sei?“ so fragte Jesus seine Jünger. „Da antwortete Simon Petrus: du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Und Jesus sprach zu ihm: selig bist du, Simon Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Zwei Strahlen geben von dem hellen klaren Worte aus. Wir hören einmal, wie der Herr ausdrücklich die Quelle seines innigen Bekenntnisses in einer unmittelbaren Machtwirkung seines Vaters sucht; aber nicht minder deutlich liegt es zu Tage, dass er den offenbar gewordenen Glauben seines Jüngers als dessen wahre und eigentliche Ausrüstung zu seiner künftigen Bestimmung geltend macht. Im Lichte dieser beiden Strahlen lässt sich das Wesen und der Wert des Glaubens Petri recht verstehen. Was ihm der Vater kraft uns mittelbaren Waltens in das Herz gegeben, was er ihm zu dem ausgesprochenen Zwecke verliehen hat, damit es ihn zum Felsen der Gemeinde mache: das kann nicht lediglich der Glaube sein, der die Verheißung hat, die eigene Seligkeit zu schaffen; es ist nicht bloß das herzliche Ergreifen des Erlösers, das die Gerechtigkeit vor Gott bedingt; nicht bloß die Hoffnung auf die künftige Belohnung, welche die Schmach des Heilandes den Schätzen Ägyptens vorziehen lehrt: es muss die Gnadengabe jenes Glaubens sein, welcher Berge versetzt und Bäume entwurzelt, die unerschütterliche Glaubenskraft und Stärke, die einen fremden Glauben auf sich selbst erbaut, und welche zündend, stärkend, tragend auf ihrem Grunde die gewonnenen Gemüter zu einem heiligen Tempel in dem Herrn erwachsen lässt. Die Art und Weise, wie die Kraft von oben an unserem Jünger diese Wirkung leistete, kann unser Auge freilich nicht verfolgen; kein Scharfblick, keine Feinheit der Beobachtung vermag den Hergang eines Gotteswunders zu durchschauen. Dass es jedoch ein wirkliches Bekenntnis war, in welches Simon auf die Frage seines Meisters ausbrach, kein Übergriff eines natürlichen Feuers, kein Ausdruck einer rein augenblicklichen Erregung: das lässt sich selbst an den Erscheinungen erkennen, welche einen derartigen Verdacht am entschiedensten zu rechtfertigen scheinen. Als ihm sein mutig angetretener Versuch, auf den Wogen des empörten Meeres zu wandeln, zu der bekannten Niederlage ausschlug, da rügte Christus seine Glaubensschwäche, „du Kleingläubiger, warum zweifelst du?“ und allerdings hat hier der Zweifel seine Kraft gebrochen oder doch gelähmt. Dass aber er vor allen anderen Jüngern auf Jesu Wort das Schiff verließ, gleich wie er einst auf Sein Wort seine Netze ausgeworfen hatte, und dass er anhob auf dem Wasser wie auf trockenem Lande aufzutreten: das gilt uns ungeachtet des beschämenden Erfolges schon an sich selbst als Merkmal einer Glaubenskraft. Als er dann später im Palaste des Hohenpriesters mit den Knechten am Kohlenfeuer saß, und wiederholt beteuerte, er sei kein Jünger des Verklagten, er kenne diesen Jesus nicht: da scheint er freilich einen noch viel herberen Vorwurf zu verdienen, als bloß den Vorwurf einer Glaubensschwäche; man achtet ihn deshalb ganz eigentlich des Abfalls von dem Glauben schuldig, so dass er sich, wie der Erlöser selbst weissagend spricht, zum Glaubenswege wiederum bekehren musste. Aber dass er es nun vermochte, sich aus der schweren Verirrung bald wieder zurechtzufinden, sich von dem tiefen Falle wieder aufzurichten, ohne dem Verräter gleich die Beute der Verzweiflung zu werden: das lässt sich schlechterdings nur aus der Glaubenskraft verstehen, die ihm in dieser dunklen Stunde nicht entschwand. Wohl flüchtete sich sein Glaube vor der andringenden Gewalt des Feindes in die verborgene Herzenskammer; doch weit entfernt, dass die Verleugnung seines Mundes auch eine innerliche Lossagung gewesen wäre, blieb hier im Herzen sein einst ausgesprochenes Bekenntnis nicht minder unerschütterlich bestehen wie sein Entschluss, ein Jünger dieses Jesus zu verbleiben. Auch dies ist nicht sein eigenes Verdienst. „Simon, Simon, siehe, der Satan hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen; ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre, und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder“: und das Gebet der hohepriesterlichen Liebe ward erhört. Gott können seine Gaben und Berufung nicht gereuen. Er hatte gerade diesem Jünger jene gute Beilage verliehen: so blieben seine Hände schützend über sie gebreitet bis zu der Stunde, wo die Gabe ihre Früchte trug. Die Stunde schlug.

Es ist im Wesen der Verheißung selbst begründet, dass der zum Felsengrunde der Kirche auserkorene und ausgerüstete Apostel vornämlich in den Zeiten der entstehenden, sich sammelnden und bildenden Gemeinde den Namen eines Petrus rechtfertigte, dass eben hier die Weissagung des Herrn den eigentlichen Triumph der Erfüllung feierte. Aber wir würden den richtigen Punkt verfehlen, dafern wir diese ihre herrliche Bewährung vor allem anderen in dem Umstande suchen wollten, dass die Gestalt des Petrus in dem Vordergrunde des Gemäldes steht, das die Geschichte von der ersten Christenheit entwirft. Allerdings er war es, welcher in den Tagen des Wartens die Ergänzung der gestörten Jüngerzahl betrieb; er war es, welcher jene Wunderkraft entfaltete, die der Erlöser scheidend seinen auserwählten Zeugen überantwortet hatte; er war es, welcher sich selbst und seine Mitapostel vor den Obersten des Volks verantwortete über den Grund der Hoffnung, die in ihnen war, und der Tätigkeit, die sie kraft eines unausweichlichen Dranges ausübten, der die mannhafte Erklärung gab, man müsse Gott mehr gehorchen denn den Menschen; er war es, welcher die Schänder der jungfräulich reinen Gemeinde züchtigte und aus ihrem Kreise ausschied, was nicht von der Ungerechtigkeit abtreten wollte. Aber wie innig diese Erweisungen auch mit seiner höchsten und letzten Bestimmung zusammenhangen mögen und wie unausbleiblich sie aus ihr hervorgehen mussten: in ihnen allen liegt die wirkliche Erfüllung der Verheißung Christi noch nicht vor; sie wurde wahr in einem buchstäblichen Sinne. Gleichwie ein anderer Apostel von sich rühmt, er habe durch die Gnade Gottes als ein weiser Baumeister den Grund zu der Gemeinde in Korinth gelegt, einen Grund, auf welchem fremde Hände fortgebaut: so war es Petrus, der dasselbe Werk für die gesamte Christenheit vollzogen hat. Und das, was Paulus zu der Ephesinischen Gemeinde sagt, sie ruhe auf dem Grunde der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein sei: das passt vornämlich auf den Einen unter ihnen, den die Geschichte als das Fundament der ganzen Kirche kenntlich macht. Sie krönt das Haupt des Petrus mit dem Ruhme, dass er die erste Schar der Gläubigen gesammelt hat, die den ursprünglichen Bestand der Kirche bildeten. Voll heiligen Geistes tritt er vor sein Volk: „so wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zu einem Herrn und Christ gemacht hat.“ Und da sie das hörten, ging es ihnen durchs Herz und sprachen: „Was sollen wir tun?“ „Die nun sein Wort gern annahmen, ließen sich taufen an dem Tage bei dreitausend Seelen.“ Aber so Viele nun von dem Tage an bis auf die gegenwärtige Stunde zu der Stadt des lebendigen Gottes gekommen sind: die sind hinzugetan, sind auferbaut auf die ursprüngliche Gemeinde, und sind mit ihr der Brief, der Lobbrief des Petrus, gelesen von der ganzen Welt, in welchem es mit unauslöschlichen Zügen verzeichnet steht, dass er der Träger der Gemeinde Christi sei. Noch mehr. Gott hatte sich ein anderes Rüstzeug ausersehen, um seines Sohnes Namen auch den Heiden kund zu tun. Gleichwohl selbst an dem neuen Arbeitsfelde, für das ein Paulus zubereitet war, erfüllte Petrus den ihm zugeordneten Beruf. Ihm zuerst wurde es offenbart, er zuerst erfuhr es mit der Tat und Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansehe, sondern in allerlei Volk, wer Ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm; er zuerst nahm es wahr, dass der Herr auch den Heiden Buße gab zum ewigen Leben, auch ihnen den heiligen Geist verlieh; ja er war es, der mit seiner Sichel den Erstling von der weißen Ernte schnitt. So war und blieb er in dem vollsten Umfange des Begriffes der Grund der Kirche Jesu Christi. Der Glanz, welchen die so erfüllte Weissagung des Herrn dem Namen unseres Apostels verliehen hat, strahlt wahrlich hell genug hervor, als dass es uns gemahnen könnte, ihn noch durch einen falschen Schimmer zu erhöhen. Hegen viele Christen den Wahn, als hätte sich der Mann, welcher zum Grundstein der Gemeinde ausersehen war, gleich als ein Herr und Stellvertreter ihres unsichtbaren Hauptes über sie gestellt, als hätten seine Mitgenossen in dem Amte sich in der Weise vor ihm beugen müssen, wie Joseph seine Brüder in dem Traumgesicht sich vor ihm neigen sah: so hat er selbst dagegen seinen Widerspruch erhoben. Was Paulus zur korinthischen Gemeinde sagt, dass Alles, auch Paulus, Apollo und Petrus ihr gehöre, dass die Apostel eben nur die Diener seien; und was der Heiland selbst gebietend spricht, „Einer ist euer Meister, ihr seid alle Brüder“: das war auch eines Petrus Herzensmeinung, und herrlich hat er sie bewährt. Wer hat wohl tiefer und lebendiger als er das Bedürfnis. empfunden, die eigene mangelhafte Kraft durch fremde Hilfe zu ergänzen? Was wir in der Geschichte seiner Berufung lesen, dass er den Gefährten in dem anderen Schiffe ein Zeichen gab, sie möchten kommen und das Netz ihm ziehen helfen: das ist ein Vorbild seiner späteren Erweisung auf dem höheren Gebiet. In der ersten Zeit seiner Laufbahn finden wir ihn fast ununterbrochen in der Gemeinschaft mit dem Johannes, und gerade in den hervorragenden Augenblicken seiner apostolischen Wirksamkeit stand dieser Jünger ihm zur Seite. Mit ihm ging er in den Tempel und tat mit ihm auf diesem folgenreichen Gange das große Wunder an dem Lahmen; mit ihm trat er vor das Angesicht der Hohenpriester und litt mit ihm Verfolgung, Schmach und Bande; mit ihm zog er gen Samarien und sicherte mit ihm vereint das dort begonnene Gotteswerk. Und als durch Umstände und Fügungen, in welche uns der Einblick versagt ist, diese gemeinschaftliche Tätigkeit unterbrochen worden war, da war es Paulus, dessen dargebotene Rechte er ergriff, auf dass sie Beide, mit einander kämpfend, leidend, wirkend ihren Lauf mit Freuden vollendeten und das überkommene Amt ausrichteten. So wenig war sich Petrus selbst genug, so lebhaft war in ihm der Drang nach einem brüderlichen Beistand.

Je treuer wir es im Gedächtnis behalten, dass Petrus zum Felsen der Gemeinde Christi auserkoren war und dass sich hierdurch sein besonderer Beruf von selbst begrenzte: desto weniger wird uns der Umstand befremden, dass die heilige Geschichte auf ihren späteren Blättern seinen Namen nur noch selten erwähnt. Nachdem die Kirche einen festen Bestand gewonnen hatte, da war seine eigentümliche Lebensaufgabe gelöst und beschlossen, und was ihm nun noch übrig blieb, war nur noch überhaupt die Mission, welche allen Zeugen des Auferstandenen gemeinsam übertragen war. Und in der Tat, es fehlt nicht an mannigfachen Spuren, dass er, „so lange er in dieser Hütte war“, die allgemeinen Pflichten eines Apostels mit Stetigkeit und Eifer wahrgenommen hat, dass er mit den lieblichen Füßen der Boten, die Gutes predigen, Heil verkündigen, Frieden predigen, gar manches fremde Land durchzogen haben mag (1 Korinth. 9,5). Aber es konnte nicht ausbleiben, dass diese seine spätere Wirksamkeit vor der glänzenden Laufbahn des Mannes verschwand, welcher von sich sagen durfte: ich habe mehr gearbeitet, denn sie Alle, doch nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Wie Petrus bei der Stiftung der Gemeinde der eigentliche Träger aller Gotteswirkung war, - die Anderen eben nur Gehilfen an dem Werke -: so hatte sich der Herr für ihre weitere Erbauung den Paulus als sein Rüstzeug auserwählt, und selbst ein Petrus trat hier mehr zurück und folgte gleichsam seinem Mitapostel nach.

Nur noch einmal stellt ihn die Geschichte in den Vordergrund, und wir vermuten schon von selbst, es wird das zu der Zeit gewesen sein, wo Paulus seinen Lauf bereits vollendet hatte. Das Neue Testament enthält zwei Briefe, welche nicht allein des Petrus Namen an der Spitze haben, sondern die auch durch und durch den Stempel seines Geistes an sich tragen. Dass der Apostel den zweiten derselben am Abend seiner Pilgerschaft geschrieben hat, das hat er selbst bestimmt gedeutet, - „ich weiß, dass ich meine Hütte bald ablegen muss, wie mir denn auch unser Herr Jesus Christus eröffnet hat“ - und jeder Laut der herzlichen Erweckung zu einer Treue bis ans Ende stimmt zu dem Bilde eines Scheidenden, der selbst bis zu dem letzten Hauch seines Lebens mit Hirtenhänden die gefährdete Gemeinde schirmen will. Aber auch der erste dieser Briefe gehört gewiss dem Ende seines Laufes zu. Er nennt den Kreis, an welchen er ihn richtet; es sind Gemeinden, die zum Teil der Predigt des Apostels Paulus ihren Ursprung verdankten; und in dies Arbeitsfeld wird er nicht früher eingetreten sein, als bis er es verlassen fand. Da aber musste es ihn drängen, die bedrückte und von schweren Leiden heimgesuchte Herde zu stärken, zu kräftigen, zu gründen, auf dass alle ihre Glieder standhaft und fröhlich blieben in der Hoffnung und sich alle Züchtigungen zur Vollbereitung auf die vorgestellte Herrlichkeit gereichen ließen. Einen Gruß finden wir am Schlusse dieses Briefes, der, wenn die Deutung der Worte keinem Zweifel unterläge, ein helles Licht über die späteren Lebenstage unseres Apostels verbreiten würde. „Es grüßt euch die Miterwählte zu Babylon und mein Sohn Markus“ (1 Petr. 5,13). Wird es aber trotz aller Widerreden immer die bei weitem wahrscheinlichste Auslegung bleiben, dass jene Miterwählte zu Babylon die römische Gemeinde sei: so haben wir hier eine Gewähr für die Richtigkeit der Mitteilung einiger Kirchenväter, dass Petrus im Schoße der römischen Gemeinde seine letzten irdischen Tagesstunden verlebt und in dieser Stadt, die unter eines Nero gräuelvoller Herrschaft als ein rechtes Babylon erschien, das Schicksal erduldet habe, welches ihm sein Herr und Meister als die Pforte seines Überganges in das himmlische Jerusalem geweissagt hatte. Allerdings stimmen jene Nachrichten der Väter im Einzelnen nicht überall zusammen, und es ist schwer, die Grenze zu bestimmen, wo die glaubwürdige Geschichte sich von der bürgschaftslosen Sage scheidet; doch so viel dürfen wir mit Zuversicht als das haltbare Ergebnis einer gründlichen Erwägung derselben festhalten: in Rom hat Petrus seinen Todeskelch geleert, hier starb er wie sein Herr den Tod am Kreuze, hier fand er seine Grabesstatt. Einen besonderen Zug aus der Geschichte seines Märtyrertums hat Clemens von Alexandrien aufbewahrt. Er erzählt, dass Petrus, als er vor seinem eigenen Ausgange sein Weib zum Tode führen sah, ihr, indem er sie bei ihrem Namen rief, mit innig mahnender und tröstender Stimme die Worte zugerufen habe: „gedenke du des Herrn!“ Es wäre dies der schöne Abschluss einer Ehe, die fern von allen irdischen Gedanken zur Ehre Gottes fortbestand, da jeder Teil, anstatt dem anderen zu gefallen, ausschließlich Christo wollte wohlgefällig sein.

„Und ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben; alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein“: das ist der Zusatz, den der Herr zu der Verheißung an den Felsenmann hinzugefügt. So hat die Phantasie der Kunst das Bild des Jüngers aufgefasst; sie malt ihn mit dem Himmelsschlüssel in der Hand. Der wahre Sinn der Worte Jesu Christi ergibt sich aus der innigen Verbindung, in welcher sie mit dem vorangegangenen Bekenntnis Petri stehen. Allerdings der Herr allein besitzt den Schlüssel Davids; er ist es, welcher auftut und Niemand zuschließt, welcher zuschließt und Niemand auftut. Aber ist es nun einmal nichts anderes als der Glaube, vor welchem sich auch uns dereinst des Himmels Pforte öffnen kann: so darf der Mann im Namen Jesu Christi eine gültige Entscheidung geben, welcher unter allen seinen Mitgenossen zuerst das innige Bekenntnis eines rechten Glaubens ablegte, welcher dann durch das Zeugnis dieses Glaubens die erste Schar von Gläubigen gesammelt hat und damit jenen Grund gelegt, auf welchem alle Gläubigen zu allen Zeiten ruhen. Folge mir nach: das ist das erste, das ist auch das letzte Wort, mit welchem Christus diesem Jünger nahe trat. Er ist ihm nachgefolgt mit einer Treue bis zum Tode. Hat er dafür die ewige Krone als feinen Gnadenlohn davongetragen, sitzt er auf einem der zwölf Stühle, die um den Thron des Lammes stehen, mitlebend, mitherrschend, mitrichtend: so lässt das Bild, welches sein Wort und Werk, sein Leben und Ende ergibt, in der Weise der Ermahnung und verheißungsvollen Bitte, doch auch in dem Tone des drohenden Gerichts, und jedenfalls uns zur Entscheidung drängend, die Forderung ergehen: so folgt meinem Glauben nach!

F. L. Steinmeyer in Berlin.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/steinmeyer/steinmeyer_petrus.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain