Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst du auch, was du liest? - Jak. 2,24.

Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst du auch, was du liest? - Jak. 2,24.

So seht ihr nun, dass der Mensch durch die Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben.

Die Leute, die wir so eben haben reden hören, bedienen sich auch dieses Ausspruchs der heiligen Schrift, weil sie meinen, deutlicher als in ihm könne doch nicht der Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben widersprochen werden. Seht da, sagen sie, Gott sieht auf den Wandel, nicht auf den Glauben; wer nur gute Werke vollbringt, der hat, wie immer seine Glaubensüberzeugungen auch sein mögen, Gottes Wohlgefallen. Aber der Unglaube beutet noch in anderer Weise dieses Wort aus. Er sagt: Ihr, die Ihr Euch die Gläubigen nennt, behauptet, die heilige Schrift sei unter besonderem Einfluss des göttlichen Geistes geschrieben, die Männer, welche dieselben abfassten, seien bloß Werkzeuge in höherer Hand. Das ist doch klar am Tage, mit dieser göttlichen Eingebung kann es nicht weit her sein. Die Leute widersprachen sich aufs Klarste; Paulus sagt: So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben (Röm. 3,28), Jakobus dagegen: „So seht ihr nun, dass der Mensch durch die Werke gerecht werde, nicht durch den Glauben.“ Auf die göttliche Eingebung hört also nur auf zu fußen; Paulus spricht nach seiner, und Jakobus ebenfalls nach seiner rein menschlichen Ansicht. Uns liegt es ob, zu prüfen, was der Vernunft am Angemessensten sei. Solchen Reden gegenüber tut es wohl not, zu untersuchen, wie die Sachen stehen. Aber es kommt noch Eins hinzu, das diesen Gegenstand unserer Forschung empfiehlt. Es beruht auf diesen beiden Sprüchen der Unterschied zweier christlichen Konfessionen, unserer evangelischen und der katholischen Kirche. Stellen wir deshalb diesen Gegensatz zuerst voran. Die lutherische Kirche lehrt nach dem 20ten Artikel der Augsburgischen Konfession: „Unsre Werke können uns nicht mit Gott versöhnen und Gnade erwerben, sondern solches geschieht allein durch den Glauben, so man glaubt, dass uns um Christi willen die Sünden vergeben werden, welcher allein der Mittler ist, den Vater zu versöhnen; wer nun vermeint, Solches durch Werke auszurichten und Gnade zu verdienen, der verachtet Christum und sucht einen eigenen Weg zu Gott wider das Evangelium. Und dieweil durch den Glauben der heilige Geist gegeben wird, so wird auch das Herz geschickt, gute Werke zu tun. - Deshalb ist die Lehre vom Glauben nicht zu schelten, dass sie gute Werke verbiete, sondern vielmehr zu rühmen, dass sie lehre, gute Werke zu tun und Hilfe anbiete, wie man zu guten Werken kommen könne; denn außerhalb dem Glauben und außerhalb Christus ist die menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach, gute Werke zu tun. Dagegen sagt die katholische Kirche in den Beschlüssen der Tridentiner Synode VI. Kap. 24: „Wenn Jemand sagt, die empfangene Gerechtigkeit werde durch gute Werke nicht erhalten, noch auch vermehrt vor Gott, sondern diese Werke feien allein Früchte und Zeichen der erlangten Rechtfertigung, nicht aber eine Ursache ihrer Vermehrung, der sei verflucht.

Wie sollen wir nun in diesem konfessionellen Gegen alle und jenen Ungläubigen gegenüber, die auf das Wort des Jakobus zu fußen vorgeben, unsre Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben entfalten? Mein Christ, die Schrift lehrt Folgendes:

Um mit frischem Mute an das Werk seiner Heiligung gehen zu können, bedarf der Mensch vor allem des Bewusstseins, dass er mit Gott in Gemeinschaft stehe, bedarf er, da er dem Schuldbewusstsein sich nicht entziehen kann, der Überzeugung, dass Gott ihm seine Sünde vergeben und nicht zurechnen wolle. Diese Erlassung aller Schuld wird dem Menschen dargeboten in dem Versöhnungswerk Christi, an dem wir haben die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden (Eph. 1,7). Mit dieser Erlösung aber würde nimmer Frieden in die menschliche Brust kommen, wäre ihre Uneignung an eine bestimmte Stufe der Heiligung geknüpft, d. h. müsste der Mensch, um sich ihrer versichert zu halten, mit einem gewissen Schatz guter Werke auftreten können. Dann würde er nämlich stets im Ungewissen bleiben müssen, ob er die erforderliche Stufe schon erreicht hatte, und nie und nimmer würde er seiner Versöhnung mit Gott gewiss sein dürfen. Darum hat Gott einen andern Weg für die Aneignung dieser Versöhnung vorgezeichnet, d. i. den Glauben, der eben nichts anderes ist, als das einfache Empfangen jener Gnadengabe. Der Augenblick nun, wo dieses Werk im Gemüte beginnt, ist für das ganze Leben von unermesslicher Bedeutung; es ist nämlich der Augenblick, wo der Schuldbrief des Einzelnen vernichtet wird, wo er vor Gott gerechtfertigt dasteht; dies ist der Zeitpunkt, wo seine Rechtfertigung als ein Werk Gottes an ihm und in ihm vollzogen wird. So ist also die Rechtfertigung eine einmalige Handlung Gottes in dem einzelnen Menschen, die keiner Wiederholung fähig ist; denn was sich daran anschließt, ist schon das Werk der Heiligung. Der Apostel Paulus nennt nun diese Rechtfertigung auch ein Zurechnen der Gerechtigkeit, d. i. der Gerechtigkeit Christi (Röm. 4). Der Gedanke, den derselbe dort durchführt, ist folgender: Menn Jemand wirklich gerecht d. h. Gott wohlgefällig lebte, so könnte ihm die Gerechtigkeit nicht zugerechnet werden, sondern sie würde nach Gebühr sein Eigentum sein. Solchen Menschen gibt es aber nicht; wenn dennoch von Gerechten die Rede ist, so müssen diese mit Bezug auf eine zugerechnete, nicht selbsterworbene Gerechtigkeit so genannt werden. Dies ist auch in der Tat der Fall. Dem, der Christo, dem Gerechten, im Glauben sich zuwendet, wird die Gerechtigkeit desselben als seine eigne zugerechnet. Aber, fragt man, wie kann der allwissende und gerechte Gott den Menschen anders ansehen und behandeln als er wirklich ist? Die Lösung dieser Schwierigkeit liegt in dem Wesen des Glaubens. Der Glaube ist nämlich kein bloßes Fürwahrhalten, nicht bloße Überzeugung von der Wahrheit der christlichen Religion, sondern er ist die Tat der Hingebung an Christum, worin also ein Verzichtleisten auf das eigene Verdienst und alle natürliche Kraft liegt. Diese Tat steht nun nicht den früheren guten Werken gleich, die man als Nichterlöster vollbrachte; sondern sie hat eine viel umfassendere Bedeutung. Durch sie ist die Sünde aus dem Mittelpunkt des Lebens, in dem dieselbe früher sich befand, weggedrängt; daher drücken den Menschen auch seine vormaligen Schulden jetzt nicht mehr. Es ist eine neue Geburt mit ihm vorgegangen; er kann von diesem Augenblick an sprechen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir (Gal. 2,20).“ Kraft dieser Vereinigung mit Christo nimmt er ja nun auch an Allem Teil, was Christus hat, und somit ist Gottes Urteil, das diesen Menschen für gerecht erklärt, keineswegs ein willkürliches. - Die Rechtfertigung ist demnach, das müssen wir der katholischen Kirche gegenüber unerschütterlich behaupten, ein einmaliger und an den Glauben allein geknüpfter Akt (Röm. 3,28. Eph. 2,8. Phil. 3,9. 2 Kor. 5,21. Röm. 3.24. 1 Joh. 5,1.); von ihr muss die Heiligung getrennt werden, weil man bei einer Vermischung beider dem Irrtum von der Verdienstlichkeit unsrer Werke gar nicht entgehen kann. Wo aber einmal dieser rechtfertigende Glaube in einem Herzen sich findet, da muss die Heiligung notwendig folgen, d. h. da muss er Werke, Werke der Liebe, erzeugen. Ohne diese lässt nur der Glaube, der ein bloßes Fürwahrhalten ist, sich denken, nicht aber der Glaube, wie wir ihn so eben beschrieben haben; dieser wäre ohne Werke tot und gar nicht existierend (Sac. 2,17). Für uns haben diese Werke eine ganz andere Bedeutung als für Gott. Wir bedürfen sie als des Kennzeichens, um zu sehen, ob irgendwo lebendiger Glaube sich finde, Gott aber nicht. Wir z. B. würden den Schächer am Kreuze nicht für einen Gerechtfertigten erklärt haben nach dem bloßen Worte, das er aussprach; der aber, für den es keiner Tat zur Bestätigung des Wortes bedurfte, rief ihm dennoch zu: „Heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.“

Ein Bild wird uns den Zusammenhang des Glaubens und der Werke deutlich machen. Das Geldstück hat ein Gepräge; für dieses Gepräge kann ich Nichts kaufen; ich bekomme, was ich verlange, für den Wert des Geldstücks, und das Gepräge bestätigt nur, dass die Münze jenen Wert habe. Wenn nun ein Geldstück auch nicht das Gepräge so deutlich hat, wie es im Handel und Wandel verlangt wird, so wird, wer ohnedies seine Gültigkeit prüfen kann, es annehmen; jeder andere wird es zurückweisen. Umgekehrt wird der Kenner auch manche Münze, obgleich sie das gehörige Gepräge hat, nicht annehmen, weil er sie anderweitig für falsch erkennt. Ähnlich verhält es sich mit dem Glauben und den Werken bei der göttlichen und bei der menschlichen Prüfung. Die Werke, obgleich die ganz notwendige Frucht des Glaubens, sind als Kennzeichen desselben und als Beweis, dass Jemand gerechtfertigt sei, nur bei Menschen nötig; bei Gott nimmermehr. So wird der Mensch vor Gott gerecht ohne die Werke. Wer sie als auch vor Gott notwendiges Rechtfertigungsmittel betrachtet, glaubt entweder an keinen allwissenden, Herzen und Nieren prüfenden Gott, oder er leidet auch noch an der Krankheit der Werkheiligkeit. -

Wie kommt es aber, dass Christus, wo er vom Jüngsten Gericht redet, überall nicht den Glauben, sondern die Werke hervorhebt (Mat. 16,27 u. ö.)? Ganz natürlich. Dies Gericht wird aller Frommen wegen gehalten, dass sie einen Blick tun können in das göttliche Urteil, das ihnen hier auf Erden oft dunkel blieb. Hier müssen offenbar die Werke hervortreten, ganz in der vorhin ihnen beigelegten Bedeutung. -

Oft führt man gegen unsere Lehre von der Rechtfertigung an, dass Christus zu dem Pharisäer Simon über jene Sünderin sage: „Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt.“ Darin würde doch die Liebe als der Grund der Sündenvergebung, der Rechtfertigung angegeben und nicht der Glaube. Allein hierum steht es also. Der Pharisäer hatte gedacht: „Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er auch, dass diese eine große Sünderin ist und würde ihre Salbung sich nicht gefallen lassen.“ Nun will Christus ihm zeigen, dass er wohl wisse, sie sei eine Sünderin gewesen, ihm aber zugleich den Beweis geben, dass sie es nicht mehr sei. Simon konnte ihr nicht ins Herz schauen, darum verweist der Herr ihn auf ihre Liebestat. Das denn haben wir uns zu erklären: Das siehst Du daran, dass usw. Nehmen wir nun endlich den Einwand her, der von dem obigen Ausspruch des Jakobus gegen unsre Rechtfertigungslehre gemacht wird. Zuvorderst muss bemerkt werden, Jakobus hatte gar nicht den Zweck, die Lehre von der Rechtfertigung seinen Lesern auseinanderzusetzen, und sodann: er geht ganz auf den Sprachgebrauch ein, der sich bei ihnen bereits gebildet hatte. Sie hielten den Glauben für ein bloßes Fürwahrhalten; demgemäß sagt Jakobus: Die Teufel glauben auch, aber sie zittern (2,19) d. h. auch sie nehmen die Wahrheit an, dass ein Gott ist usw., aber das beruhigt und beseligt sie nicht, im Gegenteil dies Bewusstsein ängstigt sie. Da ihr Christentum ein bloßes Redewerk war, so fordert er seine Leser auf, ihren Glauben nun auch durch die Tat zu beweisen. Für so beschränkten Geistes können wir doch unmöglich den Apostel halten, dass wir annehmen, er habe diesen Beweis für Gott verlangt, auch ihm könne man seinen Glauben nur durch Werke kund tun. Er verlangt diesen Beweis von Einem für den Andern und will dann sagen: Ihr redet viel vom Glauben, aber Euer Glaube rechtfertigt nicht vor Gott, der muss erst tatkräftig werden. So kann und der Apostel ein Beispiel der Lehrweisheit geben. Da, wo man fortwährend vom Glauben spricht, predige man wie Jakobus, und das möchte in unsern Tagen an manchen Orten Not tun, damit der Glaube nicht zur leeren Gefühlssache und zum eitlen Lippenwerk werde. - Wer aber an diesem Ausdruck des Jakobus Anstoß nimmt, der muss dann auch darin einen Widerspruch finden, dass Paulus am Versöhnungswerke Christi vorzugsweise die Vergebung der Sünden, Johannes vornehmlich die erworbene Kindschaft hervorhebt, oder dass der Letztere in seinem Evangelio andere Züge und Seiten des Lebens Christi ausführlicher behandelt, als die anderen Evangelisten. Zum Schluss: So gewiss einerseits der Glaube ohne Werte nicht existiert, so gewiss die Werke für uns Menschen die Kennzeichen sind, dass dieser oder jener Nebenmensch die Rechtfertigung des Glaubens erhalten habe: so gewiss steht andrerseits fest, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben (Röm. 3,28), dass also die Rechtfertigung nicht menschliches Verdienst, sondern Gottes Gnadengabe sei (Eph. 2,8).

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