Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 8. Andacht.

Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 8. Andacht.

Jesaja 53.

Meine Lieben! Dieses Kapitel fängt mit einem „Aber“ an, das wir ja nicht übersehen wollen. Denn nachdem der Prophet den Messias 700 Jahre vorher um unserer Sünden und Missetaten willen den schmachvollen Kreuzestod sterben sah, erblickte er zugleich auch, wie Viele sich an Ihm ärgern, und wie Wenige Seiner Predigt Glauben schenken würden. „Aber“ sagt der Prophet. Damit drückt er seine große Verwunderung aus, dass obgleich Alles zur Erlösung der Menschen geschehen, der Sohn Gottes einen Thron zur Rechten des Vaters verlassen, 33 Jahre in Armut und Verfolgung auf der Erde gewandelt und dann noch den schmerzhaften, schmachvollen Kreuzestod erduldet hat um unsertwillen und uns zu gut, es doch so. Wenige sind, die dieser Predigt glauben und dem Herrn Sein Kreuz, Seine Schmach und Verachtung nachtragen wollen. Aber weil die Nachfolge Christi nicht in Lust, Weltfreude und Bequemlichkeit, sondern in Schmach, Verachtung und mancherlei Unannehmlichkeiten besteht, deshalb hat sie so wenige Verehrer, so wenige Anhänger. Es ist auch dem natürlichen Menschen eine Unmöglichkeit, das Geheimnis der Liebe und des Erbarmens Gottes, unsers hochgelobten Heilandes, ergründen und verstehen zu können. Wer aber versteht und glaubt denn unserer Predigt? Nur die Demütigen und geistlich Armen. Meine Lieben! Diese allein besitzen den Schlüssel zum Verständnis derselben. So lange wir uns noch von Eigenliebe, eigenem Willen und eigener Ehre beherrschen lassen, so lange verstehen wir nichts oder wenig von der Versöhnung Jesu. Wir von uns selbst vermögen nichts, das Erbarmen des Herrn tut Alles. Wie kann sich aber der Herr uns offenbaren, wenn wir nur gute Tage von Ihm begehren, wenn wir unsere Glieder noch zum Dienst der Sünde hergeben, wenn wir nichtswürdige Kreaturen uns nicht beugen, und den stolzen Heiligen in uns nicht gänzlich vernichten lassen wollen und sobald Er uns ein Leiden zu unserem Besten zuschickt, ungeduldig werden und darüber murren mit den Worten: Womit habe ich das verdient? Völliger Willensbruch und gänzliche Vernichtigung, das ist allein der Weg zu Heil und Frieden; wobei es dann von Freude zu Freude, von Frieden zu Frieden geht. O, meine Lieben! ich kann euch diesen seligen Zustand nicht genug schildern. Glaubet ihr, wenn ich mich nicht ganz ausziehen lassen würde und noch in meiner eigenen Kraft wirkte, der Herr würde sich zu mir bekennen und mir so unendlich viele Gnaden und Segnungen zuströmen lassen, wie Er es, ich darf es zur Ehre Gottes bekennen, tut? Aber es geht auch durch viele Schmach und Verachtung hindurch. Es gibt in diesem Beruf viele Unannehmlichkeiten, wie ihr euch wohl denken könnt, und diese kommen gewöhnlich nie allein, sondern meistens mehrere zusammen, da ist es gut, nur auf den Herrn allein zu blicken und recht stille zu sein. O, meine Lieben, das ist köstlich. Aber diese Stille müssen wir uns schenken lassen; sie liegt auch auf dem Gnadentisch, und wir dürfen sie nur holen. Ja, stille müssen wir werden, denn „durch Stillesein werden wir stark.“ Jes. 30,15.

Wenn ich in eine Waagschale alle Mühe, Unannehmlichkeiten, alle Verachtung, Schmach und Widerwärtigkeiten meines Berufes lege, und in die andere alle die reichen Segnungen, Gebetserhörungen, Gnadenerfahrungen, alle die Freuden, die mir der Herr zu Teil werden lässt, besonders wenn Er wieder einen Kranken an Leib und Seele geheilt hat; o so wiegen diese das Schwere weit auf, und ich muss mich in den Staub beugen, die Macht der ewigen Liebe anbeten, und Jesu Gnadenhände küssen. So erhielt ich zu meiner großen Freude und Erquickung einen Brief von einer lieben Kranken, an welcher der Herr Großes getan hat. Es war eine Frau aus dem Schwarzwald, welche schon fünf Jahre lang ein von den Ärzten für unheilbar erklärtes Leiden, den Magenkrebs und die Herzerweiterung hatte, wodurch sie so elend und siech wurde, dass sie kaum hierher zu bringen war; sie konnte keine Nahrung mehr bei sich behalten und erbrach alle genossenen Speisen schwarz. Ihr Mann, welcher sie in einem Wagen hierher brachte, wollte unterwegs zweimal umkehren, da die Kranke die schrecklichsten Schmerzen bekam, und er fürchtete, sie werde sterben. So kam sie nun, todkrank und ganz abgezehrt, am 9. Juni an, und am 12. Juli verließ sie das Haus, vollständig geheilt nach Seele und Leib. Ihr Heimkommen erregte natürlich große Sensation, denn seit fünf Jahren war sie nicht mehr aus dem Bett gekommen, und nun kehrte sie nach der kurzen Zeit von vier Wochen gesund nach Hause zurück. Da schrieb sie einen Brief an mich mit folgendem Inhalt:

„Am 12. Juli, Abends um 8 Uhr, bin ich nach Hause gekommen, die Leute haben es fast nicht erwarten können, bis sie mich gesehen haben; als wir in unserm Ort eingefahren sind, hat schon Alles gerufen: „jetzt kommt sie, seht nur, sie sieht ganz gesund aus.“ Unser Fuhrwerk wurde ganz umringt von Menschen, dass wir fast nicht mehr fahren konnten. Jedes will mir die Hand zuerst reichen. Wenn wir einige Schritte gefahren sind, kamen wieder Andere und stunden um uns herum und waren sehr erstaunt. Bei unserm Haus standen die Nachbarn, Männer und Weiber, mit Tränen in den Augen vor Scham und Freude, als sie mich wieder sahen, weil Alles geglaubt hatte, ich komme nicht mehr nach Hause. Es kommen immer noch Leute, um mich zu sehen; alle Sonntage ist mein Haus voll mit Besuch, auch von andern Ortschaften besuchen sie mich. Den ersten Besuch machte ich bei Herrn Pfarrer. Als ich hinein kam, grüßte er mich als eine Unbekannte; er sagte zu mir: „nicht wahr, sie sind nicht von hier?“ Da sagte ich ihm meinen Namen; ach, erwiderte er, sind sie die Frau, die in so kurzer Zeit so hergestellt wurde? Ach seht nur, sagte der Herr Pfarrer zu den Seinen, ich habe diese Frau fast alle Tage besucht, sie war so elend und schon so lange krank, und in 4 Wochen wurde sie so gesund, dass ich sie nicht mehr kenne; das hätte ich nicht geglaubt, wenn ich sie nicht selber gesehen hätte.“ Er wunderte und freute sich über mich, dass er mir zugeredet habe, zu Fräulein von Seckendorff zu gehen, das freue ihn heute noch. Und ich kann dem lieben Heiland nicht genug danken und loben, dass Er sich meiner mit so großem Erbarmen angenommen und mich mit so unaussprechlich reicher Gnade gesegnet hat nach Leib und Seele.“

So lautete der Brief. Solche Erfahrungen wiegen viele Widerwärtigkeiten auf, denn der Herr tut noch dieselben Wunder wie vor 1800 Jahren. Er ist derselbe gestern und heute und derselbe in alle Ewigkeit. O, meine Lieben! wollt ihr noch länger zaudern? Euch nicht völlig hergeben, damit euch der Herr Seine Segenskraft mitteilen und euch aller der Segnungen teilhaftig machen könne, die Er uns verheißen hat? Wir dürfen ja nur kommen und Gnade um Gnade nehmen. Die Versöhnung ist ja vollbracht.

Ferner heißt es in V. 4. Fürwahr, Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten Ihn für Den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf Ihm, auf dass wir Friede hätten, und durch Seine Wunden sind wir geheilt.“ Ja

„Ich, ich und meine Sünden,
Die sich wie Körnlein finden
Des Sandes an dem Meer;
Die haben Dir erreget
Das Elend, das Dich schläget,
Und Deiner Martern ganzes Heer.“

Wir wollen uns doch recht in die Tiefe der Liebe und des Erbarmens unsers treuen Heilandes hinein versenken, damit wir die Größe dieses Geheimnisses immer besser verstehen lernen, was das heißen will, dass durch Seine Wunden wir geheilt sind und Frieden haben! Wir müssen die Vergebung unserer Sünden fest glauben. Ja, „bis zum Schwören kann ich's wissen, dass mein Schuldbrief ist zerrissen.“ Ebenso dürfen wir auch glauben, dass der Herr alle unsere Krankheiten, auch die leiblichen getragen hat.

Seine gesunden Nerven, die Sehkraft Seiner Augen, die Gesundheit Seines ganzen Leibes, Alles liegt auf dem Gnadentisch; wir dürfen es nur im Glauben erbitten und auch von demselben nehmen. Dort vor diesem Gnadentisch steht der Herr, und lädt uns freundlich und dringend ein: „Kommt her und kauft umsonst, beides, Wein und Milch.“ Jes. 55, 1. Dort ist Alles zu finden, was wir nur brauchen, nach Innen und Außen. „Es heilte sie weder Kraut noch Pflaster, sondern Dein Wort, Herr, welches Alles heilt!“ Weisheit 16,12. Das beweist euch, meine Lieben, der Brief, den ich euch oben mitgeteilt habe, und wie oft, und wie viele solche Heilungen darf ich durch die Gnade Jesu erfahren! So heilte der Herr erst vor einigen Wochen dasselbe Leiden, den Magenkrebs, bei einer armen Frau. Diese litt schon seit 4 Jahren daran, musste auch, was sie aß, wieder schwarz erbrechen und konnte nur ein wenig Zimttee und warmes Bier mit Zucker trinken, womit sie ihr trauriges Leben unter unsäglichen Schmerzen fristete, denn von den Ärzten war sie längst aufgegeben. Sie kam am 22. Mai hierher und konnte schon am 24. alle Speisen ertragen; sie ging am 29. Mai mit fröhlichem und dankbarem Herzen gegen ihren Heiland, der sich ihrer so schnell erbarmt, vollständig gesund wieder nach Hause. O, fasst es doch: unser hochgelobter Heiland hat zum Heil der Seele und des Leibes 33 Jahre auf dieser armen Erde gewandelt, um Alles wieder zu bringen, was wir durch den Sündenfall verloren haben.

Auf Golgatha ist allein das Kräutlein zu finden, das uns heilen kann nach Leib und Seele. Das Blut Jesu Christi macht uns rein von allen Sünden und heilt alle Schäden und Gebrechen, wenn wir uns nur heilen lassen und die Bedingungen erfüllen wollen, die daran geknüpft sind; wenn wir Glauben, Demut und Gehorsam üben. Wir wollen recht oft zum Kreuz unsers Herrn gehen, unter demselben Glauben und Gehorsam lernen und ihn bitten, dass Er uns Seine Geduld, Sanftmut, Demut und Stille schenke. Denn von dem Heiland heißt es: V. 7. „Da Er gestraft und gemartert ward, tat Er Seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor Seinem Scherer, und Seinen Mund nicht auftut.“ Meine Lieben! ich bitte euch noch einmal, seid still, ganz still vor dem Herrn und lasst euch Seine Wege wohl gefallen. Sind wir allein mit dem Herrn, so sollen wir nicht viele Worte machen, sondern uns mit unserm Anliegen in Seine heilige Gegenwart versenken; durch Seine heilige Nähe, wenn wir im Glauben vor Ihm stehen, werden wir der Erhörung unserer Bitte gewiss werden, nur müssen wir um Stille des Herzens bitten, dass aller Jahrmarktskram ferne bleibt. Der Herr ist nicht ein parteiischer Gott, der etwa nur mein Gebet erhört, wie Manche meinen; nein, Er erhört Alle, die auf Sein Wort blicken und planmäßig nach dem Worte Gottes beten, wie der liebe Schulmeister Kolb sagt, und danach tun, diese werden stets bekommen, was ihr Herz begehrt, wenn es Bitten sind nach Seinem heiligen Willen. Aber im kindlichen Glauben, in Demut und Gehorsam müssen wir vor den Herrn treten, und schon für die Erhörung unserer Bitte danken, noch ehe wir dieselbe haben. Gleichwie der Heiland bei der Auferweckung des Lazarus und anderen Seiner Wunder im Voraus dankte für die Erhörung Seiner Bitte, ehe Er sie noch hatte. Der Herr gebe, dass wir immer tiefer und tiefer eindringen in den Heilsrat und die Geheimnisse der göttlichen Offenbarungen, und uns auch immer mehr demütigen und vernichten lassen, damit uns der Herr mit Seiner Gnade und Kraft füllen und nach Leib und Seele erquicken könne. Das gebe der Herr in Gnaden. Amen.

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