Schopf, Otto - Wie man Jesu Jünger wird

Des andern Tages stund abermal Johannes und zwei seiner Jünger. Und als er sah Jesum wandeln, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm. Und die zwei Jünger höreten ihn reden, und folgeten Jesu nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was suchet ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi (das ist verdolmetscht: Meister), wo bist du zur Herberge? Er sprach zu ihnen: Kommt und sehet's. Sie kamen und sahen's, und blieben denselbigen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. Einer aus den zweien, die von Johannes höreten und Jesu nachfolgeten, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus.

Johannes 1,35-40.

Wie man Jesu Jünger wird und wie man Jesu Jünger wirbt, das lernen wir, wenn wir aufmerksam zuschauen, wie Jesus seine Arbeit anfängt, und wie Jesus seine ersten Jünger gewinnt.

Der Herr hatte es verschmäht, den Weg der Selbsthilfe, Welthilfe und Scheinheiligkeit zu gehen, und so kam er allein, aber des Geistes voll, zurück aus der Wüste, als Sieger in dem ersten großen Versuchungskampf, den er mit dem Fürsten dieser Welt hatte bestehen müssen. Nun begann er auf eine göttliche Weise sein Werk, Israel und die Menschheit zu retten.

Wie sollte er dieses große Werk angreifen? Jedenfalls gerade in einer den Feindesrat entgegengesetzten Weise. Statt auf dem Weg der Selbsthilfe die Leute an sich zu reißen, wollte er nehmen, was ihm vom Vater gegeben war, statt in selbsterwählter Frömmigkeit den Erfolg der Scheinheiligkeit zu suchen und sich vom Tempel herabzustürzen, zieht er vor das stille Wandeln vor den Augen derer, die er retten wollte, und statt im Bunde mit der Welt und ihrem Fürsten die Reiche der Welt sich zu eigen zu machen, knüpft er an an die gottgegebene Bundesgenossenschaft des Täufers, der ihm ja zum Wegbereiter von altersher bestimmt war.

Und so kommt er denn an den Ort, wo der Täufer mit seinen Jüngern sich aufhält. Und als er zum Täufer kommt, da weist jener auf ihn hin: „Siehe das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Dieser ist's, der mit dem heiligen Geiste tauft, der Sohn Gottes.“ Dieses Zeugnis hat der Vater gewirkt durch jenen wunderbaren Vorgang, als mit dem Zeugnis des väterlichen Wohlgefallens der Geist sich auf ihn herabließ. Dieses Zeugnis war aber auch die Frucht des Gehorsams Jesu, der in die Taufe hinabgestiegen, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, und der in 40tägiger Versuchung sich bewährt hatte als der geliebte Sohn des Vaters. Dieses Zeugnis war ferner die Frucht und Vollendung der Arbeit des Täufers, der kam, auf daß er zeugete vom Licht der Welt. Und diejenigen, die mit verlangendem und empfänglichem Herzen in der Nähe des großen Gottesmannes weilten, um von ihm unterwiesen zu werden, die hörten dieses Zeugnis.

Der Täufer hatte sein Zeugnis abgelegt. Der Herald hatte, seiner Sendung getreu, hingewiesen auf den, vor dem er hergehen sollte und dessen Nahen und Gegenwart er ankündigen sollte. Dies genügte für den ersten Tag. Dem Herrn genügte dieses Zeugnis, ließ es doch der Vater ihm geben, und der Sohn konnte abwarten, was es in der Hörer Herzen wirkt; dem Täufer genügte es, er wußte, er hatte seinen Auftrag ausgerichtet; den Hörern genügte es, denn sie nahmen des Täufers Zeugnis auf in ihre Herzen und bewegten es darin.

Und als am andern Tage der Täufer Jesum wieder stille dahinwandeln sieht, da braucht er nur kurz noch einmal den Hinweis auszusprechen: „Siehe, Gottes Lamm.“ Da trägt das Zeugnis des vergangenen und des gegenwärtigen Tages seine Frucht. Und das Sehen und Hören der zwei von seinen Jüngern führt zum Nachfolgen.

Laßt uns hier einen Augenblick stille stehen. Fühlen wir nicht die mächtige Sprache der heiligen Vorgänge, die sich hier so geräuschlos vor unsern Augen vollziehen? Haben uns der stille Heiland, sein treuer Zeuge und die schweigsam zuhörenden und nachfolgenden Jünger nichts zu sagen? Der Heiland, der eine Welt erlösen will und dessen Herz brennt mit aller Glut und Macht einer heiligen, ewigen Liebe und der einfach stille dahinwandelt, bis der Vater ihn reden heißt, sagt er uns nicht durch sein schweigendes Dahinwandeln: Seht mich an, seht mich einfach an, ihr unruhigen, hastigen, friedlosen Menschen, hier ist einer, der selber stille ist und der darum hat, was euch vor allem fehlt: Stille. Ihr braucht Stille, wenn ihr zu euch selbst kommen wollt. Ihr habt keine Stille bei eurem Rennen und Hasten und Kämpfen ums tägliche Brot, um Genuß und Gewinn, ihr habt keine Stille, denn euer Herz und Gewissen sind unruhig und wollen nicht schweigen.

Sagt er nicht den Kindern Gottes: Wenn ihr mir nachfolgen wollt, wenn ihr für mich arbeiten wollt, so werdet zuerst stille. Nicht euer Reden und Rennen, nicht einmal euer Beten und Seufzen will ich zuerst, sondern werdet nur einmal recht stille und seht mich an. Und dann wirket für mich durch euren stillen Wandel ohne Worte. Sagt er nicht: Meine Lieben, lernet doch von mir, den Vater wirken lassen; lernet auf des Vaters Stunde warten; lernet auf die Macht seines Wortes trauen, das nicht leer wiederkommen kann, sondern ausrichtet, wozu es gesandt ist.

Und der Täufer, hat er uns nicht auch etwas zu sagen? Mahnt sein Vorbild uns nicht zur Treue im Zeugnisablegen. Es gefällt dem Herrn, sich menschlicher Werkzeuge zu bedienen. Solche, die Jesum erkannt haben als den, der er ist, sollen seine Zeugen sein. Das einfache Zeugnis von dem, was wir erlebt haben, ohne Kunst, in Einfalt und Wahrheit abgelegt, hat eine große Kraft. Gott verbindet sich mit diesem Zeugnis, der Heiland rechnet damit, die Menschen fühlen seine Kraft und Wahrheit heraus und glauben auch.

Aber der Täufer sagt nicht nur, was er erfahren hat, sondern er zeigt den Leuten Jesum als den, der er für sie ist, als das Lamm Gottes. Darum sagen wir den Leuten nicht bloß, wir sind glücklich, wir haben Frieden und Kraft gegen die Sünde gefunden, wir erfahren Gebetserhörungen usw., sondern wir möchten ihnen immer wieder so gut wie wir können Jesum zeigen als das Lamm Gottes. Woher hat er wohl diesen Namen? und was bedeutet er? Nun, man kann an jene vorbildliche Geschichte von Isaaks Opferung denken, wo Abraham seinem Sohne sagt: Der Herr wird ihm selbst erwählen ein Schaf zum Brandopfer, und wo Gott dem Abraham einen Widder gab. Ja, der Herr Jesus ist das Lamm, das Gott der Welt gegeben hat; er ist die unaussprechliche Gabe Gottes, die unsere Herzen und unser Leben reich und glücklich macht, denn hat Gott seines eigenen Sohnes nicht verschonet, sondern ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

An eine andere Geschichte werden wir auch bei dem Namen Lamm Gottes erinnert. Ich meine jene Geschichte vom Passahlamm, das geschlachtet und gegessen wurde vor dem Auszug aus Aegypten und dessen Blut an die Türpfosten gestrichen wurde und so den Straf- und Würgengel ferne hielt. Ja, der Herr Jesus ist der, dessen Blut für uns vergossen ist, damit wir nicht ins Gericht kämen. Denn wer an den Sohn Gottes glaubt, kommt nicht ins Gericht, sondern ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Der Herr Jesus ist endlich die Erfüllung jenes Vorbildes im Opferdienst des Versöhnungstages. Da wurden zwei Opfertiere vor den Priester gestellt. Auf das eine wurden alle Sünden des Volkes gelegt und dann wurde es hinausgeführt in die Wüste, um die Sünde des Volkes hinwegzutragen auf Nimmerwiedersehen, und das Blut des andern wurde auf den Gnadenstuhl gesprengt, zur Versöhnung des Volkes mit Gott, der nun die Sünden des Volkes wieder für ein Jahr hingehen ließ. Jesus ist der, der, nachdem er sein eines großes Opfer gebracht und eine ewige Erlösung erfunden, allen Opfern ein Ende gemacht hat, der nicht alle Jahre einmal ins Allerheiligste kommt, sondern der immerdar als unser Hoherpriester vor Gott ist, der uns vertritt. Und er hat zugleich der Welt Sünde hinweggetragen, so daß kein Mensch mehr um seiner Sünde willen verloren geht. Hieran erinnern wir alle, die unter ihrer Sünde seufzen und bitten sie, Gottes wahre Worte nicht anzuzweifeln.

Nachdem wir aber dieses unser Zeugnis abgelegt haben, wollen wir es machen wie der Täufer, der, nachdem er seine göttliche Botschaft ausgerichtet, es Gott und seinen Zuhörern überließ, wie diese Botschaft aufgenommen wurde. Aber einen Wink aus unserer Geschichte wollen wir uns nicht entgehen lassen. Der Täufer selbst hatte Jesum vor Augen, als er sein Zeugnis ablegte. Hinblickend auf Jesum sprach er: Siehe, das Lamm Gottes. Nicht mit einem Gedankenheiland und Gedächtnisheiland, sondern mit einem gegenwärtigen Heiland sollen wir es zu tun haben, wenn wir von ihm Zeugnis ablegen. Die Leute sollen merken, daß wir mit ihm in Gemeinschaft stehen, daß er eine selige Wirklich ist, daß wir, während wir zu ihnen reden, es machen wie Nehemia, der so schön sagt: Da betete ich zu dem Gott des Himmels und sprach zum Könige usw.

Das, daß wir unser Zeugnis im Blick auf den Herrn ablegen, wird uns auch davor bewahren, daß wir uns und unsere Ehre im Auge haben beim Ablegen unseres Zeugnisses. Der Täufer ist auch in diesem Stück ein erquickendes Vorbild. Er war bis jetzt der erste Mann in Israel gewesen. Das Volk war zu ihm geströmt und hatte ihn verehrt als Propheten Jehovas, man hatte sogar gedacht, er sei am Ende der Messias. Aber demütig, heldenmütig hat er die, die ihn darum fragten, darauf hingewiesen, daß er nur die Stimme eines Predigers in der Wüste sei. Und als nun Jesus kam, da hat er alsbald alles Volk von sich weg auf Jesum hingewiesen. Er war auch ein Mensch wie wir und hatte dieselben Empfindungen, er hätte auch gerne seine Jünger bei sich behalten. Aber er wies sie auf Jesum hin. Es ist die Gefahr der Prediger und Sonntagsschullehrer, überhaupt aller, die andere auf den Herrn hinweisen wollen, daß sie ihr eigenes ich dabei sich vordrängen lassen. Aber der Herr wird seine Ehre keinem andern lassen und ehret, die ihn ehren.

Und ist es nicht auch ein vom Herrn Geehrtwerden, wenn, nachdem der Täufer sein selbstloses, gottgefälliges, Jesum verherrlichendes, Seelen seligmachendes Zeugnis abgelegt hat, alsbald zwei seiner Jünger Jesu nachfolgen? Die Jünger verstanden, daß der Täufer wirklich es ernst meinte, daß er nicht in einer augenblicklichen Erregung ihnen etwas sagte, was keinen praktischen Wert für ihr Alltagsleben hatte.

Und wie bitten die Prediger, die es ernst meinen, den Herrn, daß er ihnen schenke, so zu ihren Zuhörern zu reden, daß dieselben merken: Es geht uns an, es ist ernst, es gilt für diesen Augenblick, was uns der Prediger sagt.

Lieber Zuhörer! Ich habe im Verlauf meiner Ausführungen manches gesagt, was nur die Gläubigen anging, d.h. diejenigen, die Jesu wirklich nachgefolgt sind; aber ich habe etwas gesagt, das geht die an, von denen ich gerne möchte, daß sie von heute an Jesu nachfolgen. Habt ihr es gehört? Habt ihr es gehört, daß ich sprach von dem Lamme Gottes, daß um eurer Sünden willen dahingegeben ist? Es heißt von den zwei Jüngern: es hörten ihn die zwei Jünger reden. Ach, daß auch ihr alle hören möchtet den Ruf: Siehe, das ist Gottes Lamm. Sie blickten hin in der Richtung, nach welcher der Täufer gezeigt hatte, und sahen ihn. Manche Leute hören wohl die Predigt von Jesu, aber sie sehen ihn dann nicht an. Sie hören wohl von Jesu Liebe, Opfer und Tod, aber dann blicken sie auf sich, auf ihre Sünden und Gefühle, und dann wagen sie nicht aufzusehen. O, es ist ein wichtig Ding um das Sehen. In unserem Abschnitt kommt das Zeitwort sehen wohl zwölf mal vor. Bald heißt es von dem einen und andern, daß er aufgefordert wurde zu sehen, bald heißt es von Jesu, daß er einen anblickte, bald heißt es von seinem Jünger, daß er gesehen habe. O liebe Freunde, schmeckt doch und sehet, wie freundlich der Herr ist. Lasset uns aufsehen, oder wie es wörtlich heißt, wegsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens.

Und wenn wir gesehen haben, dann laßt uns Jesu nachfolgen, zunächst in dem Sinn, daß wir, wenn wir durch den Anblick Jesu Mut gewonnen haben, weiter seinen Spuren folgen in der Heiligen Schrift, indem wir sie lesen. Da begleiten wir ihn auf Schritt und Tritt; unsere Sündenerkenntnis wächst, indem wir ihm zusehen, indem wir versuchen zu tun, was er will, und zu lassen, was er haßt. Aber auch unser Mut wächst, wenn wir sehen und hören, wie er mit den Suchenden und Fragenden umgeht, und wie er Sünder sucht und ihnen vergibt.

Lasset uns ihm nachfolgen, indem wir uns unter die Verkündigung seines Wortes begeben, wo er von unseresgleichen uns sagen läßt, wie er ist; wo er im Kreise der Seinen weilt, und wo begnadigte Sünder ihr Zeugnis ablegen, daß sie waren wie ihr, daß sie dieselben Schwierigkeiten hatten wie ihr. Und aus ihren Zeugnissen werdet ihr seine Stimme heraushören: Wenn ich so an den und jenen handelte, sollte ich nicht auch an dir so handeln?

Lasset uns ihm nachfolgen, indem wir ihn verfolgen mit unseren Gebeten, wie das kananäische Weiblein; hat er doch uns sagen lassen, daß, wer den Namen des Herrn anruft, errettet werden soll.

Und wenn ihr dieser köstlichen Verheißung geglaubt habt, wenn der gläubige Blick auf den, der wie die eherne Schlange erhöht ist, euch geheilt hat, dann laßt uns ihm auch weiter folgen. Laßt uns nicht unsere eigenen Wege gehen, sondern seinen Fußtapfen folgen, denn er will, daß wo er ist, sein Jünger auch sei.

Und wenn ihr im nachfolgt, dann werdet ihr es erleben, was die Fortsetzung unserer Geschichte erzählt. Er wird nicht ein kühler, unnahbarer Heiland sein, der nicht nach euch umschaut; o nein, es wird von euch heißen, wie von unsern beiden Jüngern in der Erzählung: Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen. Und er wird auch euch sagen: Was suchet ihr? und dann könnt ihr all eures Herzens Begehren und Fragen ihm sagen.

Wieviel Mühe kostet es, den Menschen klarzumachen, daß der Herr sich unsagbar freute, die ersten Nachfolger zu sehen.

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autoren/s/schopf/schopf-wie_man_jesu_juenger_wird.txt · Zuletzt geändert: von aj
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