Schlatter, Adolf - Der Hebräerbrief - Kap. 8, 1-6. - Der neue Tempel Christi.
Beim priesterlichen Werk handelt es sich um Gottes persönliches Verhalten zu uns, darum dass uns Gott seine Gnade und Gabe zuwende, und um unser persönliches Verhalten zu Gott, darum dass wir mit unserem Verlangen. und Willen zu Gott herzutreten. Solche Wirkung ins Inwendige der Person geht nicht von sachlichen Heilmitteln und toten Besitztümern aus, sondern stammt aus dem, was der Priester selber in sich trägt als seinen eignen inneren Kraft- und Lebensbesitz. Darum war bisher davon die Rede, was Jesus selbst nach seinem inwendigen Wesen ist. Nun steht aber auch seine Umgebung und Verrichtung mit diesem in Einheit und Zusammenhang. Das Heiligtum, das ihm übergeben wird, und die Gaben, die er Gott darbringt, entsprechen seinem inneren Wesen. Auch in dieser Hinsicht wird uns jetzt Christi unvergleichliche Herrlichkeit gezeigt.
Ein Hauptpunkt bei Christi Priestertum, sagt V. 1, ist dies, dass er zur Rechten des göttlichen Throns im Himmel seine Stätte hat. Eben noch wurde uns gesagt, dass er höher als der Himmel geworden sei, 7, 26 vgl. 4, 14. In Bezug auf den Himmel wechselt also der Ausdruck des Briefs, da er von Christus beides sagt, dass er im Himmel und dass er über dem Himmel sei. Dieser Wechsel rührt daher, dass der Blick zum Himmel uns an ein doppeltes denken lässt, vor allem an Gott und an die Erscheinung und Offenbarung der göttlichen Lebens- und Herrlichkeitsfülle, dann aber auch an die höchsten Werke der Schöpfung, die Gott am nächsten stehen und an seiner Vollkommenheit den reichsten Anteil haben, an das Reich der höchsten Geister, in denen sich Gott besonders verherrlicht hat. Ist nun vom Himmel so die Rede, dass dabei vor allem an Gott gedacht ist, so wird gesagt, dass Christus im Himmel sei. Überwiegt dagegen der Gedanke an die höchsten Wesen der Kreatur, so sagt unser Brief, dass Christus höher als der Himmel sei.
Auf die Erhöhung Christi in den Himmel ist, wie uns das erste Kapitel sagte, seine königliche Macht gestellt; sie ist aber ebenso sehr auch der Grund seiner priesterlichen Macht. Es ist für dieselbe von höchster Wichtigkeit, dass ihm selbst das Reich der göttlichen Kräfte und des göttlichen Lebens nicht verschlossen ist, dass er vielmehr mitten in demselben steht neben Gottes Thron, dass er nicht aus der Tiefe empor für sein Volk zu Gott rufen muss, sondern mit ihm spricht als der, der zur Rechten seines Thrones sitzt. Ist seine Erhöhung zu Gottes Thron sein Sieg über die Welt, da er nunmehr seinen Feinden entzogen und überlegen ist und den Triumph behalten wird, ebenso kommt sie auch seinem priesterlichen Dienst an uns zu gut und gibt demselben seine Vollkommenheit und stellt sein Sühnen und Fürbitten in die Kraft und schafft seiner Barmherzigkeit freie Bahn, so dass sie sich erfüllt mit Gottes erlösender Gnade und Gabe zu uns wenden kann.
Durch seine Erhöhung ist Jesus ins wahrhaftige Heiligtum gestellt, V. 2. Was ist das: „Himmel?“ Wie soll ein Mund aussprechen, was kein Auge sah? Und dennoch ist uns allen eins gewiss, das, was unsere Stelle sagt: der Himmel ist ein Heiligtum, die Stätte der Offenbarung Gottes, der Ort der Anbetung. Im einleitenden Wort des Briefs, 1, 3, war Christi Sitz zur Rechten Gottes beschrieben als ein Sitzen in der Höhe. Aber diese hohen Wesen, in deren Mitte er lebt, sind zugleich heilige Wesen. Sie ragen nicht nur durch die Fülle, Stärke und Macht ihres Lebens hoch über unsere irdische Region empor. Sie tragen Gottes Bild. Sie sind der Spiegel, in dem sein Angesicht erglänzt. Weihe liegt auf ihnen. Gottes Anbetungswürdigkeit erscheint in ihrem Wesen und erfüllt ihr Wort. Sie loben ihn ohne Rast und Ruh. So bilden sie den einzigen Tempel, der es in Wahrheit ist, den einzigen, den Gott selbst erbaut hat. Und wie kann ein wirklicher Tempel entstehen anders als durch Gottes eigenes Werk? Neben ihm sinken alle anderen Tempel zum leeren Gleichnis und trüben Abbild herab. Und in dieses wahrhaftige Heiligtum ist Christus als dessen Pfleger und Diener hineingestellt. Er ist der lebendige Mittelpunkt desselben; in ihm strömt alles zusammen, was der Himmel Gott zum Lob und zur Anbetung darzubringen hat.
Er konnte nur droben Priester sein; denn auf Erden hatte er keinen Raum, V. 3 u. 4. Ein Priester muss opfern; das ist seine Verrichtung, die ihn zum Priester macht. Das könnte er aber auf Erden nicht. Denn das Gesetz ordnete die irdischen Gaben, die Gott dargebracht werden sollten, und bestellte für dieselben die dazu nötigen Priester. Nur um ihre Zahl zu vermehren oder sie abzulösen, dazu ist Christus nicht gesandt. Er kann seinen Gottesdienst nur droben ausrichten. Sich selbst in der Vollkommenheit seines Gehorsams und in der Herrlichkeit seiner Liebe macht er zur Gabe, mit welcher er den Vater droben ehrt. Und wenn wir auch von solchem Gottesdienst noch keine Ahnung haben, so ist doch das gewiss, dass er höher ist als alles, was in der irdischen Welt Gott an Verehrung und Anbetung dargebracht wird, V. 6.
Sicherlich war auch die Hütte, die Aaron zur Besorgung und Bedienung übergeben war, ein Heiligtum. Allein ihr heiliger Charakter kam ihr daher zu, dass sie zu den himmlischen Dingen in Beziehung stand, und dasjenige Heiligtum, in welchem Christus steht, in irdischen Formen zur Abbildung brachte. Diese himmlische Bedeutung des Heiligtums zeigt sich darin, dass Mose zu demselben von Gott ein Vorbild und Modell gewiesen wird, V. 5. Das Heiligtum wird gebaut nach göttlichem Muster und Plan. Aber damit wird es doch nur einem Schatten gleich, der allerdings die Gestalt dessen, der ihn wirft, nachzeichnet, aber nur den Umriss seiner Figur wiederholt; er ist nicht die Person selbst. Sicherlich hat es seine himmlische Beziehung, wenn Mose ins Allerheiligste das göttliche Gesetz hinein legen muss. Aber anders liegt das Gesetz in der Mitte des himmlischen Lebens- und Herrlichkeitsreiches, anders liegt es in Moses Allerheiligstem. Dort liegt es nicht in Stein gegraben, dort füllt es das Allerheiligste als lebendige Liebe und Macht. Sicherlich weist es nach oben, wenn im Allerheiligsten über der Lade die Cherubim stehen, und im Heiligtum der Leuchter brennt, und der Weihrauch entzündet wird auf goldenem Altar und des Volkes Nahrung, die Brote, hingelegt werden vor Gottes Angesicht. Aber was ist das alles neben der himmlischen Thronstätte Gottes, neben dem Licht, das droben leuchtet, und dem Feuer der Anbetung, das sich droben entzündet, und der Speise, die das himmlische Leben nährt, und dem himmlischen Dank, der sie dem wieder darbringt, von dem sie ausgegangen ist! So zeigt sich auch hier wieder die Hoheit Christi, der in seinem Tempel nicht nur Schatten und Bilder um sich hat, sondern Leben, Geist und Herrlichkeit der Himmelswelt.
Wenn für den alttestamentlichen Priester bloß ein irdisches Zeichen des göttlichen Throns errichtet ward, Jesus dagegen zu seinem Priestertum in den Himmel selbst erhoben wird, so hat dies seinen Grund in dem großen Unterschied und Fortschritt, der zwischen Christi Bund und dem Alten Bund besteht, V. 6. Gottes ganzes Werk dient seinem Bund, auch das, was er seinem Sohne tut. Sein Blick richtet sich nicht nur auf Jesus allein, sondern Jesus steht vor seinem Auge als der Mittler des Neuen Bundes, den er uns überbringen soll. Wiederum schaut er nicht nur auf uns allein, sondern wir stehen vor seinem Blick als die Glieder des Bundes, in den uns Christus versetzt hat. So ordnet es Gottes Liebe. Sie fasst uns mit Christo, Christum mit uns zusammen; sie begabt uns um Christi willen, Christum um unsertwillen. Sie verherrlicht Christum, damit er uns priesterlich dienen kann, und verherrlicht uns, weil Christus unser Priester ist. Warum genügte also das alte Heiligtum nicht mehr? Die Gabe, die uns Christus bringen soll, ist eine größere geworden als vordem, und der Bund ein besserer. Darum wurde an Stelle des alten Heiligtums unserem Priester der Himmel selber aufgetan und ihm ein höherer Gottesdienst zuteil. Nun fließen uns nicht mehr aus einem irdischen, sondern aus dem wahrhaftigen oberen Heiligtum die Gnadengaben zu.