Schlatter, Adolf - Der Hebräerbrief - Kap. 11, 1-40. - Der Glaubensweg der Alten.
Wer unter den Lesern zum Glauben unwillig ist, der sehe zurück auf Israel. Ist es denn eine neue, unerhörte Forderung, dass wir Gott glauben sollen? Ist diese Aufgabe etwa erst der Gemeinde Jesu gestellt? Nein! Auf Glauben war aller Verkehr und jede Gemeinschaft der Menschen mit Gott begründet von deren ersten Anfängen an. Auch der Weg Israels war zu allen Zeiten ein Glaubensweg. Keiner von den Alten konnte Gott dienen außer dadurch, dass er ihm Glauben erwies, und sie haben sich dessen nicht geweigert, sondern freudig Gott eines ganzen Vertrauens wert geachtet, das zu jedem Gehorsam und zu jedem Opfer willig war. Wer sich des Glaubens entschlägt, der ist nicht nur kein Christ, sondern auch kein Israelite mehr, und tritt von der Bahn der Väter ab und wirft das weg, was ihre Größe und Ehre, ihre Kraft und ihren Sieg ausgemacht hat.
Es lässt sich aber an den Vätern nicht bloß die Art und das Wesen des Glaubens erkennen, sondern auch dessen Frucht und Wert. Sie haben Gott nicht umsonst geglaubt. Ihr Glaube betrog sie nicht und fiel nicht als eine leere Hoffnung dahin. Gott bekannte sich zu demselben, und alles Große und Herrliche, was die Geschichte Israels aufweist, wurde im Glauben erlangt und war Gottes Gabe an die, welche Glauben übten. Wer des Glaubens müde ist, der verzichtet auf Gottes Hilfe und Gabe, und verleugnet alle Zeugnisse der Macht und Gnade Gottes, die er in der Geschichte Israels aufgerichtet hat.
Während bisher in der Vergleichung der beiden Testamente der Blick vorwiegend auf den Unterschied zwischen denselben gerichtet war, hebt der Brief auch hier wieder wie in dem früheren Abschnitt, der vom Unglauben Israels redete, 3,7-4,13, die Gleichheit zwischen beiden hervor: sie stellen beide den Menschen in gleicher Weise in ein Glaubensverhältnis zu Gott. Auf den Unterschied kam es ihm an, wo von der Gabe Gottes die Rede war. Wir sollen erkennen, wie weit Christi Werk und Gabe alles, was vor ihm von oben den Menschen dargereicht war, übersteigt. Wo aber wie hier vom Verhalten der Menschen die Rede ist, da zeigt er auf die Gleichartigkeit zwischen der alt und neutestamentlichen Gemeinde hin. Der Brief geht mit seinem Wort hilfreich und dienend den Müden und Matten nach. Klagen sie: Gottes Gabe ist klein und unsere Aufgabe groß, so antwortet er: Gottes Gabe ist groß, euch ist mehr gegeben als den Alten, und eure Aufgabe ist klein, es ist nicht mehr von euch gefordert als von den Alten; glauben mussten sie auch. Hernach freilich folgt auch hier eine Erinnerung an den Vorzug des neuen vor dem Alten Bund. Ihr habt es besser als jene, fährt der Brief fort, 12, 1-3, da ihr Christum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, kennt.
Weil der Brief mit Glaubensmattigkeit im Kampfe steht, gibt er zuerst eine Erklärung und Beschreibung dessen, was der Glaube ist. Seht euch an, sagt er, was Gott von euch fordert. Glauben sollt ihr; das dünkt euch schwer. Was ist denn dieser Glaube, der euch drückt und beschwert? Glaube ist Bestehen bei Gehofftem, Überführung von Dingen, die man nicht sieht, V. 1.
Bei dieser Beschreibung dessen, was im Glauben in uns vorgeht, haben wir auf zwei Punkte zu achten, einmal auf die Beschaffenheit der Gegenstände, mit denen wir es im Glauben zu tun haben, sodann auf die Art, wie wir uns zu diesen Dingen stellen und sie anfassen.
Die Dinge, mit denen wir im Glauben in Berührung stehen, sind gehofft. Damit ist nach unten und nach oben die Grenze abgesteckt, bei welcher der Glaube aufhört. Wenn noch keine Hoffnung in mir erwacht, oder sie wieder in mir untergegangen ist, wie soll ich glauben können? Wie soll ich Gott trauen, wenn ich nichts von seinen guten und vollkommenen Gaben weiß, die er mir zugeteilt und zugesprochen hat, so dass ich sie erhoffen darf? Dem Guten kann man trauen, dem, der uns nach seiner Güte Gutes gibt. Darum geht all unserem Glauben Gottes Verheißung voran und verschafft demselben seinen Inhalt und Gegenstand und legt so des Glaubens Grund. Ein Glaubensgut bleibt aber Gottes Gabe nur so lange, als sie ein Gehofftes bleibt. Damit ist dem Glauben die Grenze nach oben gezogen, wo er sein Ziel erreicht. Wenn die Verheißung sich erfüllt hat und das Gehoffte in meine Hand gekommen ist und ich es nun besitze und genieße, da bedarf es keines Glaubens mehr.
Darum handelt es sich beim Glauben um Dinge, die man nicht sieht; wo aber das Sehen beginnt, da hört das Glauben auf. Es können sehr wohl Dinge sein, die wir einst sehen werden, dann wenn sie uns gegeben sind und die Verheißung und Hoffnung sich erfüllt hat. Aber jetzt stehen sie noch nicht vor uns, und geben sich uns noch nicht kund mit jener hellen Deutlichkeit und kräftigen Gegenwart, die man ein Sehen heißt, sondern sie sind uns noch verborgen und verhüllt und unser Auge erreicht sie nicht.
Die Dinge des Glaubens sind gehofft: das zeigt, wie sie in unser Verlangen und Begehren hineingreifen. Sie erregen und entzünden dasselbe und kehren es zu sich, so dass wir uns nach ihnen strecken als nach unserem Ziel und Gut. Sie sind nicht sichtbar: das zeigt, wie sie sich zu unserem Erkennen verhalten, wie sie unser Wahrnehmen noch nicht anrühren, noch keine Gestalt und Fasslichkeit für uns besitzen, sondern durch eine Decke von uns geschieden sind. Aber nun achte weiter darauf, wie du dich zu diesen Gegenständen stellst. Was bedeuten uns diese Dinge, die wir hoffen? Wir können unsere Hoffnung zu einem Spielzeug machen, das wir hie und da beschauen, um uns an ihm zu ergötzen, zu einem Gast, mit dem wir uns gelegentlich unterhalten, der aber keine Macht über uns hat und keinen Einfluss auf unseren inneren Haushalt übt. Wir können sie unserer Einbildungskraft zuteilen und in einem Winkel unsres Kopfs aufspeichern, während unser Sinnen und Denken, Trachten und Handeln von ihr unberührt bleibt und unser Leben seinen Weg geht, als wären jene gehofften Dinge gar nicht da. Das heißt nicht glauben. Glauben heißt: beim Gehofften bestehen. Darin hast du nun deinen Standort, auf den du dich stellst und woran du dich hältst und hängst. Du hast dein Auge auf diese gehofften Dinge gerichtet und legst sie mit ihrem ganzen Gewicht in die Wage deines Geists. Du ziehst sie bei allem mit in Rechnung, lässt dein Urteil von ihnen bestimmen und dein Begehren von ihnen regieren. Du bindest dein Herz an sie fest, so dass es nicht von ihnen loskommen kann. So sind sie eine Macht in deinem Leben, die dich trägt und bewegt. Das heißt gläubig sein.
Aber wie können die Glaubensdinge eine Macht in uns werden, während wir sie doch nicht sehen? Sie bleiben uns dennoch nicht unbekannt und ungewiss, ob sie auch unser Auge nicht erfüllen. Glaube ist Überführung von Dingen, die man nicht sieht. Sie haben ihre Zugänge zu uns und bezeugen sich uns, von außen und von innen, auf den mancherlei Wegen und Mitteln, durch die Gott mit uns Menschen spricht. Sie tun sich uns kund als eine Macht der Wahrheit und Gerechtigkeit, die uns innerlich ergreift und festhält und keinen Widerspruch aufkommen lässt, sondern Gewissheit schafft. Dann wenn Vernunft und Wille fest ans Unsichtbare gebunden sind, so dass wir weder mit unseren Gedanken noch mit unserem Begehren von demselben loskommen wollen, dann ist Glaube da.
Er entsteht freilich, wie der Vers mit wohl erwogener Absicht sagt, nur durch eine Überführung, die uns zurechtweist und unsere nächsten Gedanken widerlegt. Denn das Sichtbare ist uns so nah und redet so laut zu uns, dass es unseren Geist zuerst beschäftigt und an sich zieht. Da nur, meinen wir, sei Wirklichkeit, und hier suchen wir die Stützen unseres Lebens. Wir müssen, denken wir, auf dem stehen, was wir sehen, wenn wir nicht in die Wolken bauen und in die Luft greifen wollen. Aber so laut und kräftig uns das Sichtbare berührt, dennoch ist die Stimme des Unsichtbaren noch lauter und mächtiger und lässt uns keine Ruhe, sondern dringt zu uns und zerstört jenen Schein und widerlegt jene falschen Hoffnungen und wendet uns vom Sichtbaren ab und stellt uns auf das, was wir doch nicht sehen, sondern bloß hoffen können, als auf die gewisseste Gewissheit und mächtigste Macht.
Wir lasen Kap. 4, 2: das sei Glaube, wenn sich das Wort mit seinen Hörern mischt. Damit stimmt die hier gegebene Erläuterung des Glaubens aufs Beste überein. Das Wort verbindet sich mit unserem Geist, so dass es in uns lebt, das Unsichtbare bezeugt sich an uns, so dass wir seiner gewiss werden; das Gehoffte tritt uns nahe, so dass wir darauf stehen das ist alles ein und dasselbe Erlebnis, ein zusammenhängender innerer Lebensvorgang. Im Wort wird uns das, was wir hoffen dürfen, vorgestellt, und das, was wir nicht sehen, uns gegenwärtig gemacht. Wenn uns das Wort sich unterworfen hat, dann sind wir vom Unsichtbaren überführt und vom Gehofften gehoben und getragen.
Unsere Stelle fügt aber zu der früheren die Erinnerung hinzu, dass das Wort, das zu uns kommt, eben nicht ein bloßes Wort ist, sondern von Dingen spricht, die vorhanden sind und Macht und Leben haben, und dies auch dann, wenn das Wort noch Verheißung ist. Sie stehen vor Gottes Auge und sind in seinem Willen gegründet und in Christo uns bereitet und mit seinem königlichen und priesterlichen Werk für uns erworben und zu unserem Eigentum gemacht.
Scheint uns solcher Glaube schwer? Allerdings setzt die Beschreibung, die uns diese Stelle von ihm gibt, hell ins Licht, wo die Schwierigkeit im Glauben liegt, und was die Glaubensaufgabe und den Glaubenskampf ausmacht. Wir müssen das Gegenwärtige fahren lassen und uns ans Zukünftige halten, und können im Sichtbaren nicht ruhen, sondern müssen im Unsichtbaren unser Ziel und unsere Kraft, unseren Trost und unsere Lust suchen. Denn das, was wir sehen und haben, ist noch nicht derart, dass es uns hielte und trüge und zu Gott erhöbe und an Christi Reichtum Anteil gäbe. Das macht den Mangel und die Lücke an unserem gegenwärtigen Christenleben und bringt in dasselbe viel Schmerz und Druck, dem wir mit starker Anstrengung alle unsere innere Kraft entgegenstellen müssen. Allein wir sehen an unserem Wort auch dies., wie leicht der Glaube ist. Wir machen ihn nicht selbst. Glauben kann ich nimmermehr selbst in mir hervorrufen und durch irgendwelche Tätigkeit aus mir hervorlocken. Denn nicht ich dringe zum Unsichtbaren empor, so dass ich es erfassen würde; sondern es kommt zu mir und fasst mich und ich werde von ihm überzeugt. Und dieses Unsichtbare erweist sich uns nicht als ein schreckhaftes Ding, sondern ist so beschaffen, dass ich darauf hoffen kann und darf. Ists denn schwer, zu dem zu stehen, was unsere Hoffnungen erfüllt? Schon das Sprichwort sagt: der Mensch glaube leicht und willig, was er hofft. Nur das ist von uns verlangt, dass wir die Gaben Gottes, auf die wir hoffen, nicht gleichzeitig wieder geringschätzen und verachten, und das, wonach wir begehren, nicht zugleich auch verleugnen, sondern es in Wahrheit und ganz unser Gut sein lassen, um das sich unser Herz und Leben dreht.
Die Beschreibung des Glaubens ist so gehalten, dass sie alle Formen und Äußerungen desselben von seinen einfachsten Anfängen an umfasst. Wer immer in irgendwelcher Lage des Lebens Glauben übte, war durch ein Unsichtbares getrieben, das ihm Hoffnung gab, von der er sich erfüllen ließ. Aber der Blick des Briefs ist keineswegs nur auf die anfänglichen und alttestamentlichen Stufen des Glaubens, sondern auf denjenigen Glaubensstand gerichtet, der Christum erfasst. Auch unser Glaube an Christus sucht Dinge, die noch gehofft werden müssen; denn Christi rechte ganze Gabe ist die zukünftige Welt und das ewige Leben. Und auch das, was Christi Erscheinung uns gebracht hat zu gegenwärtigem Besitz, ist alles unsichtbar. Es war wohl sichtbar, dass er sein Blut vergossen hat. Aber dass dieses Opfer für uns eine ewige Erlösung und vollkommene Reinigung ist, das sehen wir nicht. Wir sehen wohl, dass Gott ihn von der Erde weggenommen hat; aber dass er als unser Priester ins Allerheiligste Gottes und in seine Majestät erhöht ist und dort nach seiner Barmherzigkeit uns vertritt, das ist unsichtbar. So ist auch Christi Gemeinde, so wie sie jetzt auf Erden ist, ganz aufs Unsichtbare und Zukünftige gestellt und hat Gott in Christo solchen Glauben zu erweisen, wie er uns hier beschrieben ist.
Fällt er uns schwer, so sollen wir auf die Alten sehen. An ihnen sehen wir, wie reich sich der Glaube lohnt und wie wirksam er ist. Sie haben Gottes Zeugnis empfangen, V. 2. Über ihnen steht Gottes Lob in Wort und Tat. Gott hat sich zu ihnen bekannt und ist für sie eingetreten, und hat es durch seine Hilfe und seinen Segen offenbar gemacht, dass ihr Werk vor ihm getan war nach seinem Geheiß und Willen und ihr Weg ihm wohlgefiel. Warum fanden sie in Gott den Zeugen, der sich auf ihre Seite stellte und sie verteidigte und alle Anklage niederschlug und ihre Gerechtigkeit besiegelte? Darum, weil sie glaubten, und zwar so, wie es Vers 1 beschrieben ist, darum, weil sie das, was Gott ihnen als Hoffnung vorhielt, ergriffen und dabei blieben, ob sie es auch nicht sahen.
Nun durchgeht der Brief das Alte Testament, um uns zu zeigen, einmal wie die Alten stets vor dieselbe Glaubensaufgabe gestellt waren, wie wir, und sich auf Unsichtbares gründen mussten, sodann, wie sie sich dieser Aufgabe nicht weigerten, sondern die Verheißung Gottes höher achteten als alles, was vor Augen lag, und endlich, wie das Zeugnis Gottes ihrem Glauben Antwort gab und ihn nicht zuschanden werden ließ, sondern ihnen als ihres Glaubens Frucht und Lohn große Hilfe und Segnung wiederfahren ließ.
Schon das erste Blatt der Bibel, das die Schöpfung der Welt erzählt, fordert uns zum Glauben auf. Unser Brief spricht aber nicht bloß darum zuerst von der Weltschöpfung, weil die Bibel mit ihr beginnt, sondern er weist damit auf das erste grundlegende Besitztum Israels hin, auf die Wurzel seiner ganzen Frömmigkeit. Was hat Israel vor den Heiden voraus? Es kennt Gott als den Schöpfer und Herrn der Welt. Was bliebe ihm noch, wenn es diese Erkenntnis wegwürfe? Kein Israelite kann sie verleugnen, ohne aufzuhören Israelite zu sein. Aber diese erste Erkenntnis, die alles Weitere trägt, ist Sache des Glaubens. Schon damit sind wir auf ein Unsichtbares gewiesen und gestellt. Wenn die Leser vom Unsichtbaren nichts wissen wollen, wenn ihnen der Glaube lästig ist und sie nur sehen möchten, was bleibt ihnen noch von der Schrift und von dem, was Israel teuer hält? So fallen sie über das erste Blatt der Bibel hinab und es bleibt ihnen nichts als Heidentum, Leugnung Gottes und Gottlosigkeit.
Gott hat die Welt durch sein Wort gemacht, V. 3. Das, was wir sehen, ist somit nicht aus Dingen und Kräften entstanden, die erscheinen und dem Auge sich darbieten, sondern das, was die Welt hervorgebracht hat und erhält, ist unsichtbar. Wir sehen wohl, dass die Dinge um uns her geworden sind; aber die schaffende Kraft, die sie erzeugt, und die Weise, wie sie gemacht worden, sehen wir nicht. Wir würden sie auch nicht gesehen haben, wenn wir an den Schöpfungstagen dabei gewesen wären. Wir hätten wohl gesehen, wie die Erde sich vom Wasser schied und mit Pflanzen und Tieren bedeckte und der Mensch auf ihr erschien, aber wir hätten nicht den Finger Gottes zwischen die Dinge hineinragen und sie machen sehen. Sie wären vor unseren Augen dagestanden, aber beobachtet hätten wirs nimmermehr, woher und wie. Denn es ist Gottes Wort, welches die schaffende Kraft in sich hat und die Dinge macht, und das ist nichts Sichtbares. So ruht die gesamte Welt auf einem unsichtbaren Grund, und schon unsere natürliche Existenz stammt aus einer Höhe, wohin unser Auge nicht dringt. Sollen wir uns denn verwundern, wenn Gott auch unser Herz und Begehren nicht ans Sichtbare, sondern ans Unsichtbare bindet und uns dort unsere Heimat und unser Erbe suchen heißt?
Und dennoch, obgleich uns die Welt den Schöpfer und sein Wirken nicht sichtbar macht, so bringt sie ihn uns dennoch zur Erkenntnis. Dass die Welt Gottes Werk und Gebilde ist, das ist für uns keine unerreichbare Einsicht und keine unfassliche Wahrheit, der unsere Vernunft notwendig widerspräche und widerstünde; vielmehr erkennen wir das und werden dessen gewiss. Wenn wir mit vernünftigem Nachdenken auf den Bestand und Lauf der Dinge achten, uns selbst und unsres Lebens Gang ansehen und damit vergleichen, was uns die Schrift über Gottes Schaffen und Regieren sagt, so kommen wir zu keinem anderen Schluss und Ziel als dazu: die Welt ist Gottes Werk, und zwar Werk seines Worts, das seiner Macht und Weisheit voll ist. Das geht unserer Vernunft auf und wird ihr Erwerb und Besitz. Aber durch Glauben erkennen wir das. Wenn uns die unsichtbaren Dinge innerlich nicht nahe wären und uns von ihrer Existenz nicht Kunde gäben, hätte niemals jemand vermutet, dass die Welt Werk Gottes sei. Und wenn wir gegen jene Bezeugungen des Unsichtbaren unser Ohr verstopfen und ihnen widerstreben und uns ihnen entziehen, dann können wir uns allerdings einbilden, das Sichtbare allein mache und regiere die Welt und einen Schöpfer gebe es nicht. Wir müssen uns innerlich ans Unsichtbare binden lassen, wenn unsere Vernunft zur Erkenntnis kommen soll, dass die Welt uns den Schöpfer bezeugt. Und hier greift auch die Art und Richtung unseres Hoffens und Trachtens sehr folgenreich ein. Wenn unser Herz an dem, was vor Augen liegt, satt und befriedigt würde, wie könnten dann unsere Gedanken über die Welt emporsteigen? Die Welt nötigt uns über sie emporzuschauen dadurch, dass sie uns nirgends ein Gut bietet, in dem wir zur Ruhe kämen; dadurch treibt sie auch unsere Gedanken in die Höhe und macht sie achtsam und offen für das, was Gottes ist. Wenn wir aber in sündiger Verkehrtheit unsere Begier nur aufs irdische und sichtbare stellen, dann freilich verkehrt sich auch unsere Vernunft in Unvernunft und wir finden in der Welt nichts als die Welt und nichts von Gott.
Der Weltschöpfung entspricht die Weise, wie Gott die Väter führte und mit ihnen verkehrte von Anfang an.
Abel legt sein Tier als Opfer auf den Altar. Soll nur das gelten, was vor Augen ist, so ist er ein Tor und handelt in Unverstand. Warum verbrennt er sein Tier? Er langt nach Unsichtbarem und greift nach Gaben, die er nur hoffen kann. Henoch wandelt so, dass Gottes Wohlgefallen auf ihm ruht. War es das Sichtbare, was sein Herz einnahm? Nein! zu Gott trat er hinzu und begehrte Gottes Freundschaft und Gottes Lob und stellte das über alles, was ihm die Welt vor die Augen hielt. Es tritt aber niemand zu Gott herzu anders als im Glauben, V. 6. Wenn ich nicht glaube, dass Gott ist, suche ich ihn nicht. Wir mögen uns wohl einen Gott denken und vorstellen, träumen und dichten; allein deshalb tut unser Herz und Wille keinen Schritt zu Gott. Zuerst muss uns das feststehen, dass wirs in Gott mit einer Wirklichkeit zu tun haben; dann erst rechnen wir ernstlich mit ihm. Man hat sich oft eingeredet, man könne ja die Religion auch dann behalten und pflegen, wenn man sie zu einer Art Dichtung mache, „welche das Leben verschönere und erheitere, den gemeinen Mann zügle, Zucht und Sitte befördere und dergleichen mehr. Das ist die leerste Torheit, die es gibt. Solche poetische Religion ist keine bestimmende, bewegende Kraft in unserem Leben mehr. Wenn ich meinen Gott selber mache, so ist er mir nichts wert. Anders aber steht die Sache, wenn er da ist ohne mich, über mir, für mich, wenn ich ihn suche, wider mich, wenn ich ihn verleugne. Dann fällt Gewicht darauf, wie ich mich zu ihm stelle; dann lasse ich mich ernstlich mit ihm ein und trete zu ihm herzu. Allein Gott, den Unsichtbaren, als Wirklichkeit behandeln, das eben ist die Glaubenstat.
Ohne die Gewissheit, dass wirs in Gott mit einer Realität voll lebendiger Macht zu tun haben, kann kein Gottesdienst bestehen; mit ihr verbindet sich aber noch eine zweite Überzeugung, die wir ebenso notwendig in uns tragen und bewahren müssen, wenn wir Gott dienen wollen.} Nur der tritt zu ihm, welcher glaubt, dass er denen, die ihn suchen, ein Vergelter ist. Wer wird ihn suchen, wenn er sich mit dem Gedanken trägt, er tue es umsonst? Wir reden nur zu dem, der uns antwortet, und suchen nur den, der sich finden lässt. Kümmern wir uns um Gott, so tun wirs in der Gewissheit, dass Gott in unser Leben eingreift und sein Verhalten dem unsrigen entsprechend macht nach einer festen göttlich bemessenen Gerechtigkeit, welche unserem Suchen Frucht und Lohn zuteilwerden lässt. Aber diesen Lohn haben wir noch nicht in der Hand und vor Augen, wenn wir ihn suchen. Da gründen wir uns aufs Unsichtbare und Zukünftige und sind zum Glauben geführt.
Abel und Henoch zeigen uns beide, wie Gott den Glauben ehrt und begabt. Abels Opfer war nicht unnütz, sondern Gott nahm es an und bezeugte ihm, dass er gerecht sei vor ihm. Sein Opfer hatte in Gottes Augen höheren Wert als Kains Opfer. Warum? Nicht die Art der Gabe bewirkte das, sondern der Glaube. Ihn sah Gott an und ihn schätzte er. Und sein Glaube war es, der ihn auch nach dem Tode noch reden macht. Es ist dabei an das göttliche Wort gedacht: die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir, 1 M. 4, 10. Was gab Abels. Blut diese Stimme, die zu Gott drang und ihn als den Richter und Rächer seines Todes herbeirief? Hier zeigt es sich, was der Glaube schafft. Er hat Abel Gott teuer gemacht und bewirkt, dass er in seinen Augen wert gehalten. war. Wir sollen im Sinne unserer Stelle dieser Rede Abels schwerlich Ziel und Ende geben. Sie tönt vor Gott noch fort und ist bei ihm unvergessen, bis Gott Abel im Himmel reich mit seiner Auferstehung aus dem Tode alles vollkommen wieder erstattet hat, was ihm der Mörder nahm. In anderer Weise hat Henoch des Glaubens Lohn und Frucht geerntet. Er fand in Gott den Retter vor dem Tod.
Noah erbaut mitten in einer sorglosen Welt die Arche, V. 7. Was bewog ihn dazu? Das Auge sah noch keine Gefahr. Er hatte nichts vor sich als ein Wort Gottes, das von dem kommenden Gerichte sprach und ihn Errettung hoffen ließ. Aber durch dieses göttliche Wort ließ er sich zur Furcht bewegen, und wartete nicht, bis er seine Erfüllung mit Händen greifen konnte. Das war Glaube, und durch ihn errettete er sein Haus. Die ganze Welt stand gegen ihn und verspottete seine Furcht und verachtete das göttliche Wort, das ihn bewegte, weil sie sich mit Sicherheit auf das verließ, was vor Augen lag. Aber er wagte es, die Welt zu verurteilen, und gab ihr nicht Recht gegen Gott, sondern Gott Recht gegen die Welt. Und sein Urteil erhielt die göttliche Sanktion und schlug der Welt in der Tat zur Verurteilung aus. Noahs Tat nahm ihr jegliche Entschuldigung. Denn er brachte ans Licht, dass die Welt nur an ihrer eignen Schuld unterging, gewarnt, aber umsonst.
Damit ist eine neue Seite an der Glaubensstellung berührt, nämlich der tiefe Gegensatz zur Welt um uns her, in welchen sie uns führt. Unser Leben erhält im Glauben einen Grund und ein Ziel, welches man ohne Glauben nicht kennt noch versteht. Die Welt teilt unsere Hoffnungen nicht und achtet das Unsichtbare, auf dem wir stehen, für einen Traum. Da trennen sich die Wege, und dieser Zwiespalt führt zu einem harten Kampf. Das macht den Glaubensweg schwer, aber auch groß. Es ist ein hoher Standort, auf den der Glaube Noah erhob. Er vertrat als Gottes Zeuge sein Recht gegen eine Sünderwelt und machte seine Gerechtigkeit gegen sie offenbar. Auch hierbei wird unser Brief an die Stellung der christlichen Gemeinde denken, zumal an diejenige der hebräischen Christenheit. Sie stand mit ihrem Bekenntnis zu Jesus einsam und verlassen da mitten im heftigen Widerspruch ihres Volks. Auch ihre Aufgabe war, Gott Recht zu geben gegen der Menschen Urteil und Beschluss, die Christum verworfen haben, und deren Unglauben zu verurteilen. Will euch das schwer fallen, sagt ihnen der Brief, dann seht auf Noah; auch er stand allein wider eine sündige Welt.
Während die Welt an Gottes Gericht unterging, wurde Noah der Erbe der Gerechtigkeit, wie dies die Schrift dartut, welche ihn einen Gerechten heißt, 1 M. 6, 9. Die Gerechtigkeit ist ein Erbe, weil Gott allein dieselbe austeilt und verleiht dem, der in seinem Urteil und Gericht besteht. Wer aber vor Gott bestehen will, der muss ihm Glauben erzeigen. Die Übung und Bewährung des Glaubens lobt und lohnt Gott als Gerechtigkeit.
In besonderem Maße sind die Erzväter Zeugen für des Glaubens Wesen und Art, V. 8-16. Die Last, die sie durch Glauben zu tragen hatten, war schwer, und die Entbehrung, in die sie ihr Glaubensweg führte, groß. Abraham musste die Heimat preisgeben und sich der göttlichen Führung überlassen, ohne dass Gott ihm gleich schon das Ziel zeigte, zu dem er ihn bringen wollte. Und als er im Lande der Verheißung stand, musste er, wie auch Isaak und Jakob, sich lediglich an der Hoffnung genügen lassen und der Verheißung sich getrösten. Sie blieben Fremdlinge und Pilgrime, denen nur das unstete Zelt zum Obdach war. Der verheißene Sohn blieb aus, bis im Blick auf die natürliche Kraft jede Hoffnung erloschen war. Der Tod nahm sie dahin, ehe sich an ihnen die Verheißung erfüllt hatte; sie mussten sterben als die, welche sie nur von ferne gesehen hatten.
Aber sie beharrten willig und männlich bei dem, was Gott sie hoffen hieß. Abraham gehorchte dem göttlichen Ruf und Sarah achtete die Erstorbenheit ihres Leibes nicht, im Blick auf die Treue dessen, der die Verheißung gab. Sie ließen es sich gerne wohlgefallen, zeitlebens Fremdlinge zu sein, und schauten nicht mit Bedauern nach der alten Heimat rückwärts, die sie verlassen hatten, sondern vorwärts auf die Stadt, die Gott selbst erbaut, und auf das himmlische Vaterland. Diese Worte sprechen den innersten Kern und das höchste Ziel der Verheißung aus, die Abraham empfangen hat, und geben so der Hoffnung, die ihn erfüllt hat, ihren höchsten Ausdruck. Allerdings versprach die Verheißung Abraham zunächst eine neue Heimat auf Erden, nämlich den Besitz Kanaans. Aber die Absicht Gottes zielte mit seiner Berufung über das alles weit hinaus auf Gottes Reich in seiner ewigen Gestalt. Wollen wir darum ganz aussprechen, was Abraham in seinem Herzen trug, wenn er sich von der Verheißung Gottes bestimmen und erfüllen ließ, so war es auch für ihn schon das, was auch uns als das Kleinod unserer Berufung vorgehalten ist und das Ziel unseres Christenlaufs ausmacht: die Stadt, in die Gott uns als unsere bleibende Heimat führt, die nicht aus dem Material dieser irdischen Natur, sondern zu ewigem Bestand nach Gottes eigner Kunst und Macht erbaut wird, in der wir zu einem lebendigen Gemeinwesen versammelt und verbunden sind um seinen Thron. Wie sollte er nicht die alte Heimat vergessen, und die Mühsal der Wanderschaft willig tragen? Allerdings hat sein Wanderzelt keine Fundamente, sondern wird rasch errichtet und rasch wieder abgebrochen, so dass man seine Stätte nicht mehr kennt. Aber er sah eine Stadt vor sich, welche Grundfesten hat, und auf unerschütterlichem Fundament errichtet ist, und nicht mehr abgebrochen wird, sondern dem der ihr Bürger geworden ist, für immer Heimat wird. Darum starben sie auch so, wie es dem Sinn und der Kraft des Glaubens entspricht, nicht enttäuscht, nicht verzagend, sondern der Verheißung auch noch im Tode gewiss.
Der Weg der Väter zeigt den jüdischen Christen ganz unmittelbar ihren eigenen Weg. Auch diese hatten zwischen ihrem irdischen und ihrem himmlischen Vaterland zu wählen. Sie verloren die irdische Heimat um ihres Bekenntnisses zu Jesu willen und wurden unter ihrem eignen Volk Fremdlinge. Gott verlangt von ihnen damit nichts Schwereres als von den Vätern, und an ihnen können sie sehen, was glauben heißt. Glauben heißt: nicht zurückschauen nach dem, was verloren ist und preisgegeben werden musste. Glauben heißt willig ein Fremdling sein auf Erden. Glauben heißt die Stadt Gottes sich geöffnet sehen und an ihr in Hoffnung sich erfreuen.
Es fehlt auch im Leben der Väter nicht an göttlichen Zeugnissen, welche die Kraft und den Segen des Glaubens erweisen. Der Glaube machte Sarah zur Mutter des verheißenen Sohns und derselbe wuchs zum unzählbaren Geschlecht heran, welches das verheißene Land zum Eigentum empfing. All dies wird aber an Wert und Bedeutung dadurch weit übertroffen, dass Gott sich ihrer nicht schämte, sondern sich nach ihnen nannte und sich für immer darin seinen Namen und sein Erkennungszeichen gab, dass er der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sei, V. 16. Das tat er deshalb, weil er ihnen die ewige Stadt bereitet hat. Er verknüpft seinen Namen mit ihrer Person, weil er an ihnen den Reichtum seiner Gnade offenbaren und sie zum Erweis und Zeugnis seiner Größe machen will. Er hat ihnen damit zugesichert, dass an ihnen erscheinen und sichtbar werden soll, was er denen ist, deren Gott er sein will. Unser Brief wiederholt damit jene Auslegung des göttlichen Namens: Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, welche Jesus den Sadduzäern gegeben hat, als sie über die Auferstehung der Toten spotteten. Schwerlich sind unsere Worte ohne eine bewusste Erinnerung an jene Antwort Jesu geschrieben. Die Worte Jesu waren ja der ersten Gemeinde wohl bekannt und wurden ernstlich von ihr erwogen und bedacht.
Nach diesem umfassenden Überblick über das Leben der Erzväter werden noch zwei einzelne Punkte hervorgehoben, an denen ihr Glaube sich in besonderem Maß als wirksam erwies, die Opferung Isaaks und die Segnung der Söhne durch die Väter vor ihrem Tod, V. 17-22. Abraham soll den einzigen Sohn opfern, der ihm doch als der Stammvater für das ihm verheißene Geschlecht bezeichnet war. Da scheint Gott selbst seine Verheißung umzustoßen und das göttliche Wort sich selber aufzuheben. Das nötigt Abraham zur höchsten Anspannung des Glaubens. Es gibt für diesen Zwiespalt keine Lösung als die, dass er Gott zutraut, dass er auch durch den Tod seines Sohns hindurch seine Verheißung erfüllen wird. Er muss sein Vertrauen über jede Schranke und Begrenzung erheben, und Gottes Wahrheit und Macht als schrankenlos erfassen, so dass sie auch am Tode kein Ziel und Ende findet, weil sie aus dem Tode wieder auferwecken kann. Er glaubte auch damals nicht umsonst. Gott gab ihm den Sohn wieder, weil er ihm denselben im Glauben dargebracht hatte. Und nun heißt der Brief dies, dass Abraham seinen Sohn vom Altar weg wieder erhielt, ein Gleichnis Da denkt er sicherlich an Jesu Gang. Die Gemeinde hat ihn sterben sehen und muss sich an den Auferstandenen halten. Es ist auch in dieser Hinsicht ihre Aufgabe dem Glaubensweg Abrahams verwandt. Auch sie muss Gott zutrauen, dass der Tod seinen Gnadenrat nicht bricht, dass er vielmehr aus dem Tod erwecken und durch den Tod hindurch seine Verheißung erfüllen kann. Auch sie wird das nicht umsonst von Gott erwarten, sondern wenn sie ihm Glauben hält, den, der sich selbst am Kreuz geopfert hat, wieder empfangen. Dann wird sie ihn wiederfinden als ihren Heiland in Macht und Herrlichkeit.
Der Segen, den die Väter über ihre Söhne sprachen, ist darum in besonderer Weise eine Äußerung ihres Glaubens, weil sie hier über das, was ihnen verheißen ist, verfügen, als wäre es ihr gegenwärtiger Besitz. Sie rechnen dasselbe zu ihrer Habe, die sie ihren Söhnen hinterlassen können, nicht nur in Wünschen, sondern mit machtvoll segnendem Wort. So fest eigneten sie sich die Gaben Gottes an und so gewiss waren sie derselben.
Auch Moses Lebensgang ist ein großes Glaubenszeugnis, V. 23-29. Schon die Erhaltung seines Lebens nach seiner Geburt war eine Glaubenstat seiner Eltern. Sie ließen sich durch die Schönheit des Kinds zur Hoffnung erwecken und hielten dieselbe auch gegen den Befehl des Königs fest und überwanden mit ihr die Furcht vor ihm. Später öffnet sich für Mose die Wahl, ob er ein Sohn der Tochter Pharaos heißen oder ein Israelite bleiben will. Auf jenem Wege winkt ihm Genuss und die Schätze Ägyptens liegen vor ihm, auf diesem Wege findet er Bedrückung und Schmach. Nun ist freilich dieses Leiden ein Mitleiden mit dem Volke Gottes, zu dem zu gehören über alle Schätze geht, und die Schmach ist Schmach des Christus, wie der Brief mit Nachdruck sagt, des Gesalbten, des von Gott mit Ehre und Würde Gekrönten, dessen heilige Salbung durch keine Schmähung der Menschen Schaden leidet. Dagegen ist jener Genuss ein Genuss der Sünde, weil er durch Verleugnung des Volkes Gottes erkauft werden muss, und deshalb ist er vergänglich und währt nur kurze Zeit, da die Sünde mit Genuss nur anfängt, aber mit Jammer und Tod endet. Allein würde ihm das Unsichtbare nichts gelten, ließe er sich von dem bestimmen, was gegenwärtig ist, so wäre seine Wahl alsbald getroffen; dann wird er nicht alle Lust und Ehre des Lebens verlassen für Not und Schmach. Mose hat anders gewählt. Warum? Er stand im Glauben und hat die Not und Schmach um deswillen hoch geschätzt, was ihr als Lohn von Gott folgen wird.
Der Brief nennt die Schmach, welche damals auf Israel lag, auf Christus geworfene Schmach. Auch dies zeigt, wie ganz und gar ihm Israel Christi wegen existiert. Um Christi willen hat Gott Israel geschaffen und berufen; so trifft alles, was Israel geschieht, ihn. Auch alle Feindschaft und Verfolgung, die über Israel ergeht, richtet sich, wenn ihr letztes Ziel ausgesprochen werden soll, gegen ihn, und der Hohn, mit dem Pharao Israel missachtet, ist darum auf ihn geworfene Schmach. Der Brief will damit den jüdischen Christen die Anwendung dessen, was sie an Mose sehen, auf ihre eigene Lage nahe legen und erleichtern. Sie finden freilich, wenn sie zur Gemeinde Jesu treten, nicht Ehre und Genuss, sondern Misshandlung und Schmach, eben die Schmach, die auf Christo liegt. Sie sollen aber an Mose sehen, wie der Glaube urteilt und wählt.
Hernach tritt er vor Pharao und jenes wunderbare Ringen beginnt, bei dem er allein ohne irgendein sichtbares Mittel der Macht dem mächtigsten Manne der damaligen Welt gegenübersteht und dessen grimmigen Zorn erregt und doch sich nicht vor ihm beugt, sondern mit unerschütterlicher Beharrlichkeit Schlag um Schlag über ihn bringt und schließlich mit seinem Volt Ägypten verlässt. Was gab ihm diese Festigkeit? Der Brief hat es unübertrefflich schön gesagt: er stand fest, als sähe er den Unsichtbaren. Und wenn er nun Israel das Passah halten lässt, als es noch in Ägypten war, und mit dem Blut die Häuser zeichnet für die Erstgeburt zur Verschonung, und mit der ihm anvertrauten Schar auf den Meeresgrund tritt, damit er ihnen der Weg zur Rettung werde, so sind dies alles Taten, die auf Gottes Hilfe stehen als auf der allergewissesten Macht, und nach seinem Glauben geschah ihm auch.
Aus der späteren Geschichte erwähnt der Brief nur noch den Umzug um Jericho, wo Josua die Waffen niederlegt und selbst vom Kampf absteht und das Volk darauf zählen heißt, dass Gott für sie streiten wird, und die Tat der Rahab, die dem, was sie von Israels Gott gehört hat, ihr Herz öffnet und dem Eindruck seiner Größe und Majestät untertan wird, und dafür von ihrem Volke sich trennt und ihr Leben wagt, und es auch gewinnt. Dann fasst er, was die Schrift weiter noch von Beispielen des Glaubens enthält, kurz zusammen. Er erinnert teils an die Siege, welche die Alten erfochten, und an die Wunder der Hilfe, welche sie erlebten, z. B. Daniel, die drei Männer im Feuerofen, Hiskia, die Sunamitin usf., teils an den Märtyrermut, mit dem sie das Schwerste um Gottes willen litten und alles für ihn opferten. Beides, jene Siege und Errettungen und dieses Leiden und Sterben, beides ist die Erweisung und Wirkung desselben Glaubens. Beides zeigt ihn in seiner Lebendigkeit und Kraft. Nicht nur der Sieg und die Hilfe von oben sind des Glaubens Siegel: der Leidensmut und die Willigkeit zum Sterben sind es nicht weniger. Der Weg, auf dem Gott die Alten führte, war sehr verschieden. Dort half er, hier half er nicht. Dort sahen sie seine Wunder, hier nicht. Aber nicht nur jene waren die Gläubigen; diese waren es auch. Und nicht nur jene verherrlichten Gott mit ihrem Leben; auch diese priesen ihn mit ihrem Tod. Der Glaube macht zu allem stark und willig, zum Siegen und zum Fallen, zum Leben und zum Sterben; er folgt Gott, wohin er führt.
Ihr Leiden zeigte, dass die Welt ihrer nicht wert gewesen ist, V. 38. Gottes Urteil und das Urteil der Welt widersprechen sich hier total. Nach der Meinung der Menschen waren sie der Welt nicht wert. In Wahrheit sind ihre Leiden, ihre Einsamkeit und Verborgenheit im Versteck der Berge und Höhlen, vielmehr der Beweis dafür, dass sie eine Würde und Größe besaßen, für welche die Welt keinen Raum hat und zu niedrig und fündig ist. Ihr Geschick ist die Verurteilung der Welt und überführt sie dessen, dass sie gegen Gott streitet und seinem Gericht entgegenreift.
Dieser Überblick über das Leben der Väter hat den Glauben vor unseren Augen groß gemacht. Er steht als eine fruchtbare, wirksame Kraft vor uns, die in mannigfaltiger Weise in unser Leben eingreift und es auf den Weg Gottes stellt. Er öffnet unsere Vernunft zur Erkenntnis Gottes, bewegt uns zum Opfer und Gottesdienst, erweckt in uns die Furcht vor Gottes Drohung und Gericht, und schafft den Gehorsam gegen Gottes Weisung; er treibt uns, das Himmlische über das Irdische zu stellen und das Ewige über das Zeitliche; er wendet unser Herz ab vom Genuss der Sünde und macht es zum Leiden willig um Gottes willen; er befreit uns von Menschenfurcht und lässt uns nicht erbeben vor ihrem Zorn; er macht uns fähig und würdig, Großes zu wirken für die Welt und Großes zu leiden von der Welt. Und diese lebendigen Wirkungen des Glaubens sind von der Antwort Gottes begleitet und getragen, welche immer wieder in mancherlei Weise den Glaubenden bezeugt, dass Gott ihr Vertrauen sieht, lohnt und erfüllt.
Allein ob auch die Alten reichlich in Wort und Werk durch ihren Glauben das Zeugnis Gottes erlebten, das für sie eintrat und sie als seine Knechte kennzeichnete, die auf seinen Wegen wandeln, so haben sie dennoch die Verheißung nicht erlangt, V. 39. Sie sahen wohl einzelne Verheißungen und Zusagen Gottes sich erfüllen; aber die eine große Verheißung, Christus und sein Reich, ward ihnen noch nicht gegeben, und die Tore der ewigen Stadt wurden ihnen noch nicht aufgetan; und vollendet und ans Ziel gebracht wurden sie noch nicht, um unsertwillen, sagt der Brief, V. 40. Gott lässt die Zeit sich dehnen, die Geschlechter einander folgen, und gibt der irdischen Gestalt der Dinge immer wieder neue Frist, weil er noch mehrere zu seinem Hochzeitsmahl laden und in sein Reich einpflanzen will. Um der späteren willen müssen die früheren warten und Gott Glauben erweisen, und im Glauben nicht bloß leben und leiden, sondern auch sterben, ohne die Verheißung zu empfangen, weil der Festsaal Gottes noch nicht voll und noch nicht alle Garben Gottes reif geworden sind. Mussten aber die Alten um unsertwillen im Glauben verharren, damit auch wir in Gottes Reich noch Raum hätten, wie sollten wir uns weigern, ihnen auf ihrem Glaubensweg nachzugehen und wie sie zu hoffen mit jener lebendigen Hoffnung, die an das Unsichtbare gebunden ist?