Schlatter, Adolf - Der Hebräerbrief - Kap. 10, 19-39. - Steht fest im Glauben.

Schlatter, Adolf - Der Hebräerbrief - Kap. 10, 19-39. - Steht fest im Glauben.

Auch der lange lehrhafte Abschnitt über Christi Priestertum endet in einem mahnenden Wort. Der Segen des Todes und der Erhöhung Jesu ist uns vorgehalten; nun gilt es ihn zu nützen und eine Macht werden zu lassen in unserem Herzen, die uns in Bewegung bringt.

Zunächst spricht die Stelle noch einmal aus, was wir durch Jesu Tod empfangen haben, V. 19-21. Wir haben in seinem Blute Zuversicht zum Eingang ins Heiligtum. Unser Auge dringt zwar noch nicht in dasselbe hinein. Wir stehen an unserem irdischen Ort, der vom himmlischen Heiligtum abgeschieden ist Wir sind uns auch unserer Unfähigkeit und Unwürdigkeit, in dasselbe eingelassen zu werden, wohl bewusst. Dennoch blicken wir in der fröhlichen Gewissheit zu demselben empor, dass es einen Eingang und eine Pforte für uns hat und uns geöffnet wird. Die Furcht ist überwunden, wir könnten von seiner Schwelle weggewiesen werden. Der Zweifel ist dahin, ob wir wohl herzunahen dürfen. Gottes Heiligtum ist uns zum Grund und Quell der Freude geworden. Wir werden es sehen, und an der Anbetung dort teilnehmen und den Reichtum der Offenbarung Gottes genießen, der seinen himmlischen Tempel erfüllt. Die Weihe, die uns ermächtigt Gottes Tempel zu betreten, ist Jesu Blut. In ihm haben wir solche Zuversicht.

Diese offene Pforte hat das Heiligtum für uns durch Jesus erhalten. Er hat den Weg in dasselbe neu für uns hergestellt durch den Vorhang, das heißt durch sein Fleisch, V. 20. Hier sind zwei Gedanken aufs engste miteinander verknüpft. Es ist einmal ans himmlische Heiligtum gedacht, wohin uns Jesus durch seinen Tod den Weg gebahnt hat, und zugleich an Jesu irdische Erscheinung unter uns. Auch er war ein Tempel Gottes, in dem Gott unter uns gegenwärtig war. Aber auch an ihm war das Allerheiligste durch einen Vorhang bedeckt und unsichtbar gemacht. Dies war sein Fleisch, seine menschliche Art und Natur. Sie verhüllte Gottes Herrlichkeit in ihm. Jesus hat jedoch diesen Vorhang weggetan durch seinen Tod, und in seiner verklärten Gestalt leuchtet nun Gottes Herrlichkeit und Geistesfülle mit offenbarem Glanz. Eben damit, dass er an seiner eigenen Person den Vorhang vom Allerheiligsten entfernt hat, hat er uns auch den himmlischen Tempel aufgetan.

So beleuchtet das Wort noch einmal den Grund unserer Zuversicht, die wir im Blick auf das obere Heiligtum haben. Sie steht auf Jesu Tod und Erhöhung. Jesu Knechtsgestalt ist kein Hindernis für unsere Zuversicht. Dieselbe war doch nur die Hülle, hinter der Gottes ewiges Leben stand und die Jesus mit seinem Tode von sich tat. Und weil wir wissen, dass er nun in der Herrlichkeit Gottes steht, so wissen wir auch, dass der Tempel Gottes für uns offen ist. Deshalb weil uns mit dem, was Jesus ist und tat, der Eingang ins Heiligtum erschlossen worden ist, heißt, der Weg zu demselben ein lebendiger, V. 20.

Nachdem wir zuerst erwogen haben, ob Gottes Tempel einen Eingang für uns habe, schaut V. 21 in sein Inneres hinein. Der Tempel hat eine offene Pforte und drinnen finden wir unseren großen Priester, den wir kennen, dem Gottes Haus nach dessen gnadenvoller Ordnung überwiesen ist, dass er es zu ihm hinzuleite.

Das ist unsere Lage vor Gott. Was machen wir nun? Tritt herzu! V. 22. Bleibe nun nicht in der Ferne stehen, während doch der Weg für dich hergestellt ist. Wende dich nicht vom Heiligtum ab, während es dir offen steht. Fliehe nicht vor Gott, während du einen großen Priester hast. Dass wir nun herzutreten, das ist das Ziel, welches die Gabe Gottes in uns sucht. Tritt mit wahrhaftigem, nicht mit geteiltem Herzen hinzu, das doch inwendig von ihm wegstrebt und in Unlust und Unwilligkeit das Heiligtum und seinen Priester verachtet. Die Weise, wie uns Gott zu sich führt, muss uns das ganze Herz nehmen und ihm zuwenden. Ihm gegenüber hat Schein, Zurückhaltung und Verstellung kein Recht mehr. Wir haben ihm offen und ehrlich all unser Inwendiges zu erschließen, gleichwie er uns mit einer ganzen wahrhaftigen Gnade sein Heiligtum geöffnet hat. Tritt mit völligem Glauben herzu, nicht mit einer geknickten Zuversicht, die mit argen Gedanken des Verdachts und Zweifels gemischt ist. Wo hast du Grund zum Argwohn? Was macht dich zweifeln? Vor Christi Tod wird der Zweifel Unrecht und der Verdacht zur Sünde. Hier hat nur ein ganzer Glaube Raum.

Der Blick auf das Heiligtum und seinen Priester entzündet in uns eine lebendige Hoffnung, und wenn wir hoffen, so stimmen wir Christo und seinem Werk und Worte zu und bekennen uns zu ihm. Nun denn: halte das Bekenntnis der Hoffnung fest und lass es nicht wanken, V. 23. Sieh den Grund deiner Hoffnung an: du bist besprengt. Besprengung war des Priesters Werk. So stand derselbe im alten Heiligtum und sprengte auf die zu weihenden das Opferblut und auf die unrein gewordenen das Wasser der Reinigung. So machte er das Opfer für sie gültig und maß es ihnen nach seiner heiligenden Wirkung zu. Aber auch Christus, hat seiner Gemeinde sein Opfer zugeteilt und seine Frucht ihr zu eigen gegeben. Das will's sagen: sie sei von ihm besprengt. Sein Tod ist für uns und in uns eine Macht und erfasst unser Inwendiges und treibt das arge, böse Wesen aus demselben weg. Aber auch unser Leib erhielt Christi Zeichen, welches das, was uns sein Tod erworben hat, auf uns übertragen hat. Wir sind am Leibe mit reinem Wasser gewaschen in der Laufe, welche uns Gottes Gnade in Jesu Blut vorgehalten und zugeeignet hat. Schwerlich sind hier das Gewissen und der Leib ohne besondere Absicht nebeneinander gestellt. Das deutet darauf hin, dass Christi Priestertum nichts an unserem menschlichen Wesen unberührt lässt, sondern uns ganz zu einem heiligen Bilde Gottes reinigt nach Seele und Leib. Auch unser Leib wird, wie er in der Taufe das Zeichen der von Christo uns erworbenen Reinheit empfangen hat, verklärt und rein zu Gottes Heiligtum erhöht. So wird uns in unserer Taufe noch in besonderer Weise ein Grund und eine Stütze unserer Hoffnung aufgezeigt.

Die Aufgabe, welche in der Bewahrung der Hoffnung liegt, haben nicht nur wir allein zu lösen. Wir sind mit vielen zu einer Gemeinde verbunden, welche zur selben Hoffnung berufen ist und ihr dasselbe Bekenntnis entgegenbringt. Daraus geht eine dritte Mahnung hervor: habt aufeinander Acht! seid einander nicht gleichgültig! öffnet das Auge, damit ihr seht, was in den anderen vorgeht, wo Schaden und Gefahr sich ihnen naht. Es wäre eine innere Unwahrheit, an der wir zu Grunde gingen, wenn wir den Menschen um uns her keine Bedeutung und Wichtigkeit zumessen und ihnen kein herzliches Interesse zuwenden, wohl aber unser eigenes Leben ans höchste Ziel anknüpfen und uns durch Christum zu Gott ins Allerheiligste erheben wollten. Sind wir selbst so hoch gewürdigt, so ist uns damit jede Geringschätzung und Verachtung der anderen verwehrt.

Wir haben auf die anderen zu achten und sie auf uns achten zu lassen. Keiner ist hier des anderen Vormund, jeder des anderen Gehilfe. Wir haben darum auch von ihnen das mahnende Wort anzunehmen, wie wir selbst es ihnen gönnen. Dasselbe mag oft fehlgreifen, mahnen, wo keine Mahnung nötig war, und am unrechten Orte tadeln, wo der Schaden doch nicht liegt. Allein das entbindet uns nicht von der Pflicht, sie reden zu lassen und sie zu hören. Besser ist's, wir machen mangelhaft und mit Ungeschickt den Versuch einander zu dienen, als wir unterlassen unseren Dienst ganz und gar.

Eins freilich darf nicht fehlen, sonst wird solche Achtsamkeit aufeinander uns zur Sünde und den anderen zur bitteren Quälerei. Sie muss zur Reizung der Liebe und guter Werke geschehen. Es liegt in der Wahl des Worts: Reizung, Ereiferung der Liebe, ein vielsagender Blick auf den gewöhnlichen Lauf des Lebens. Treten wir Menschen einander nah, so dass es zu innerer Berührung zwischen uns kommt, so wirkt das als ein Reiz und bringt Eifer in unser Leben, aber oft genug einen bitteren Eifer; und der Streit entzündet sich und das Leben vergiftet sich in Ärger und Hass, so dass jene Einsamkeit, da jeder seines Weges geht und keiner um die anderen sich kümmert, daneben als ein Glück erscheint. Vor euch, sagt der Brief, die ihr durch Christus in eurem Inwendigen gereinigt seid, soll man sich nicht mehr dadurch schützen müssen, dass man euch aus dem Wege geht. Ihr sollt einander so nahe treten und so ein gemeinsames Leben führen können, dass der Eifer, der daraus entsteht, derjenige der Liebe ist in euch und in den anderen, und an eurer Eintracht Lust und Kraft zum guten Wert sich stärken. So lange ihr noch mit dem Auge des Neids und des Hochmut aufeinander achtet, in der Absicht, euch an der Erniedrigung der anderen zu erhöhen, so lange eure Gemeinsamkeit sofort der Liebe hinderlich und gefährlich wird und nur Hader erzeugt, so lange haltet euch abseits und schweigt.

Deshalb dürfen wir da nicht fehlen, wo christliche Gemeinschaft gepflegt wird. Die innere Ermattung der Männer, an die der Brief zunächst gerichtet ist, scheint sich auch darin gezeigt zu haben, dass sie sich von den Versammlungen der Gemeinde zurückzogen. Sie werden nicht an die eigene Förderung erinnert, welche ihnen die Teilnahme an denselben bringen würde; noch wichtiger ist unserem Brief, dass sie damit eine Liebespflicht versäumen, und den Dienst nicht ausrichten, zu dem sie an den anderen berufen sind. Die Teilnahme an den Zusammenkünften der Gemeinde gibt ihnen Gelegenheit zum mahnenden Wort.

Dies alles soll mit stetig wachsendem Eifer geschehen. Denn je mehr die Zeit sich dehnt, umso näher rückt ihnen der große Tag, der ihnen den Spruch des Richters bringen wird und die Vollendung ins himmlische Wesen bringen kann. Die Länge der Zeit wirkt freilich auf jeden Eifer, zu dem uns nur natürliche Triebe bewegen, hemmend und schwächend ein. Er wird sich im Anfang am stärksten regen; hernach, wenn dieselbe Aufgabe und Arbeit immer wiederkehrt, nimmt er ab. Die Gewohnheit hat eine abstumpfende Macht. Allein dem Christenlauf darf die Länge der Zeit keine Abnahme der Liebe und Anstrengung bringen. Denn er läuft nach einem Ziel, das ihm mit jedem Tage näher rückt, und je näher das Ziel vor uns steht, um so eifriger, nicht um so schlaffer wird der Lauf.

So gibt uns dieses mahnende Wort einen kurzen, aber reichen und vollständigen Überblick über den ganzen Christenstand. Es erinnert zuerst an die Frucht des Todes Christi, an den Frieden der Versöhnung mit Gott. Das ist die Gabe, welche mit der Erkenntnis Christi unser Eigentum geworden ist. Von hier aus bezeichnet es uns die dreifache Bahn, auf der uns die Gabe Gottes tätig macht. Dadurch ist unser Herz zum Glauben, zum Hoffen und zum Lieben bewegt. Und den Schluss macht der Ausblick auf den kommenden Tag, der uns das ewige Gut verschaffen wird.

Nun erinnert der Brief noch einmal an die Gefahr, die jedem Christenleben droht, V. 26-31, in ganz ähnlicher Weise, wie in jenem Zwischenabschnitt, den er der Besprechung des Priestertums vorangestellt hat, 6, 4-8. Damals richtete er ihren Blick auf die Tiefe des Verderbens, in die wir fallen können, damit ihr Ohr sich öffne und sie aus ihrer Ermattung auffahren, und an der Hand unseres Briefs nach der Vollkommenheit laufen. Nun haben sie gehört, was er ihnen über Christus sagte. Aber damit, dass sie seine Rede und Lehre vernahmen, hat diese ihr Ziel noch nicht erreicht. Jetzt geht erst noch das eigentliche Hören an, welches das Herz, dem Wort aufschließt und zu dem bewegt, was das Wort in uns schaffen will. Darum ruft er ihnen auch an dieser Stelle nochmals zu: es handelt sich um Leben oder Tod.

Gerade die Vollkommenheit des Opfers Christi, wie sie im vorangehenden dargestellt war, wirft auf den Ernst dieser Drohung neues Licht, V. 26. Weil Christi Opfer vollkommen ist, ist es auch das einzige, das uns von Gott dargeboten wird. Das muss uns reinigen; das soll uns zum Glauben erwecken und in die Hoffnung stellen und zur Liebe reizen. Wenn dieses Opfer sich an uns als machtlos erweist und Christus vergeblich für uns gestorben ist und wir dennoch glaubenslos werden und hoffnungslos und lieblos, wenn uns sein Blut nicht von der Sünde lösen und bewahren kann, wo sollen wir ein anderes Opfer finden, das unsere Sünden deckt, wo einen anderen Priester, der uns zu Gott führt, wo eine andere Gnade, die uns aufrichtet? Hier ist das reinigende Opfer, hier der versöhnende Priester, hier die heiligende Gnade, hier und nirgends sonst; denn hier ist sie in ihrer Vollkommenheit. Die Vollkommenheit des Opfers Christi macht die Weise, wie wir uns zu Christo stellen, zur durchschneidenden Entscheidung, die uns zum Leben oder zum Tode führt.

Dadurch, dass wir Christum kennen, wird unser Sündigen überaus sündig, weit sündiger als vordem. Denn nun geschieht es willentlich, weil wir die Erkenntnis der Wahrheit erlangt haben. So lange wir ohne Kenntnis der Wahrheit handeln, ist auch noch kein ganzer völliger Wille in dem, was wir tun. Wir tasten dann im Dunkeln und das Ziel, zu dem wir gelangen, ist nicht von uns vorausgesehen, darum auch nicht eigentlich von uns gewollt. Wir lassen uns leiten und ziehen, und geben den verlockenden Reizen nach, ohne deutlich wahrzunehmen, wie bösartigen Mächten wir gehorchen. Diese Abhängigkeit, Gebundenheit und Unwissenheit im Sündigen hat für uns damit ihr Ende erreicht, dass durch Christus die Wahrheit vor uns stand und in uns leuchtete. Nun verleugnen wir nicht mehr einen uns noch unbekannten Gott, sondern den, welchen wir in seinem Sohne kennen, und verachten Christus nicht mehr deshalb, weil er uns arm und ohnmächtig scheint, sondern nachdem er seine versöhnende Macht an uns erwiesen hat, und werfen nicht mehr eine Gabe weg, die wir für wertlos halten, weil uns die Dinge, nach denen die sündige Luft sich streckt, bezaubern, als wären sie unsere Seligkeit, sondern wir wissen, dass Christi Gabe Geist und Leben ist, und die Sünde ist uns als Scheidung von Gott nach ihrer tödlichen und teuflischen Macht aufgedeckt. Jetzt erst ist unser Sündigen sündlich geworden ganz und gar. Nun kommt es nur dadurch zustande, dass unser eigenster Wille sich Gott entgegenstemmt. Nun hat uns die Bosheit innerlich im Kern unserer Person zu Widersachern Gottes gemacht. Darum sagte Jesus den Männern in Jerusalem, die nicht blind sein wollten, mit traurigem Ernst: wenn ihr blind wäret, so hättet ihr keine Sünde; nun aber sagt ihr: wir sehen! so bleibt eure Sünde, Joh. 9, 41.

Nicht unter denen, die Christum nicht kennen, geschehen die großen argen Sünden, sondern im Christenleben geschehen sic. Erst auf Christi Acker kommt es zum Wachstum des giftigen Unkrauts. Die Höhe, auf die uns sein Werk vor Gott stellt, macht unseren Fall tief, tiefer als vordem. Nachdem wir zum Gehorsam berufen und befreit sind, kommt nun erst die Versuchung zum gründlichen Ungehorsam. Nachdem wir beten gelernt haben, kann unser Mund auch lästern, und wer die Wahrheit kennt, der erst kann wirklich lügen. Wenn uns die Liebe vergeblich besucht hat, dann entbrennt der tiefe Hass. Das Heilige muss zuerst in unsere Hand gegeben sein, ehe wir es antasten und entweihen können. Wie viel mehr, sagt der Brief, ist euch gegeben als den Alten! Euch hat Gott nicht nur das Gesetz zum Band mit ihm gemacht, sondern seinen Sohn und das heiligende Blut des Neuen Bundes und den Geist, welchen euch die Gnade gab und welcher sie in euch bezeugt. Das sind die Klammern und Bande, mit denen Gott euch an sich zog. Wenn ihr sie antastet und entheiligt, seid ihr viel tiefer verschuldet als der Übertreter des Gesetzes. Aber wie ernst ahndete schon das Gesetz seine Übertretung. Eure Strafe wird noch größer sein. Zwar ist nicht wie einst unter dem Gesetz sofort der Richter zur Stelle, der euch das Leben abspricht. Ihr müsst warten auf den Tag des göttlichen Gerichts, der den Feuereifer Gottes enthüllen wird, aber das ist ein schreckliches Warten.

Es wird auch an Euch nach dem Wort des Gesetzes gehandelt werden, dass nach zweier oder dreier Zeugen Mund euch das Urteil gesprochen wird, V. 28. Ihr habt jetzt in Christo und seinem Blut und Geist die Zeugen des gnädigen Willens Gottes vor euch, die euch die himmlische Berufung bringen und Heiligkeit und Gnade darbieten. Sie werden als verklagende Zeugen wider euch dastehen, wenn ihr sie misshandelt und verhöhnt. Ihr verwandelt euch selbst die Zeugen eurer Errettung in die Zeugen eurer Schuld. Christus, sein Blut und Geist machen die Größe eurer Sünde offenbar; vor ihnen verstummt euer Mund.

Christus können wir verwerfen, aber Gott entgehen wir nicht, V. 30 u. 31. Die Trennung und Verhüllung, die uns Gott jetzt in die Ferne rückt, wird fallen. Wir werden ihn finden und er uns. Aber nun finden wir nur noch Gott, Gott ohne Christum, ohne den Mittler, in dem er uns seine Gnade erweist, ohne den Priester, der mit seinem Opfer unsere Sünden deckt und uns in den Frieden des Allerheiligsten geleitet. Außerhalb Christi finden wir nur noch den Gott, der das Recht zum Siege bringt und die Rache in seine Hand genommen hat und aller Bosheit zum verzehrenden Feuer wird. Soll es für uns nicht schrecklich sein, in des lebendigen Gottes Hände zu fallen, so dürfen wir Christum nicht mit Füßen treten, sondern müssen uns im Glauben und Gehorsam ihm untergeben, als sein Haus, über das ihn Gott zum Priester gesetzt hat. Dann wird uns die Offenbarung Gottes zum ewigen Leben; ohne ihn stoßen wir in Gott nur auf die rächende Zornesmacht.

Der Brief will auch an dieser Stelle seine Leser nicht nur schrecken, sondern aufrichten und trösten. Und das, womit er sie tröstet, sind die Leiden, die sie um Christi willen ertragen haben, V. 32-34. Sie haben allerdings noch nicht das Schwerste dulden müssen. Ihr Leben und ihre Freiheit blieben bisher verschont. Aber sie haben Jesu wegen Schmach getragen und sich treu und mutig zu denen gestellt, die härteres als sie selber leiden mussten, und auch Beraubung und Schädigung an ihrer Habe auf sich genommen. Wir brauchen hierbei nicht nur an eine öffentliche Verfolgung zu denken. Das alles kam einem jüdischen Manne schnell und mannigfach, wenn er sich zu Jesus hielt. Solche Leiden sind für sie ein Trost und geben ihnen Zuversicht.

Es gehört zur schönen Lehrkunst unseres Briefs, dass er seinen Trost aus ihren Leiden zieht. Gewiss trugen dieselben wesentlich zu der Ermattung bei, in der seine Leser stehen. Sie werden gedacht haben: wäre es in den Augen unserer Verwandten, Freunde und Volksgenossen keine Schande, ein Christ zu sein, wären nicht so viele Nachteile und Verluste damit verbunden, so wäre unsere Freude an Jesus größer und unser Bekenntnis zu ihm zuversichtlicher. Nein! ruft ihnen der Brief zu, weil ihr gelitten habt, dürft ihr getrost sein. Werft doch eure Freudigkeit nicht weg. Er mahnt sie nicht bloß, nachdem sie so viel an die Sache Christi gesetzt und gewagt haben, nun nicht zurückzugehen, sondern er zeigt ihnen in dem Leiden, das sie seinetwegen getragen haben, ein Band, das sie ihm verbunden hält und darum innerlich zur Freudigkeit und Zuversicht erheben darf.

In allen Lebensverhältnissen kann mans erproben, wie sehr sie befestigt und vertieft werden, wenn man füreinander leiden muss. Das bindet Herz und Herz noch fester zusammen als die gemeinsame Lust und der Genuss, den uns die Liebe gewährt. Es überträgt sich dies in höherer Stufe auch auf unseren Anteil an Christus. Wer für ihn gelitten hat, der hält ihn fest. Er hat es erlebt, dass er von ihm ergriffen ist und ihn ergriffen hat, dass er ihn nicht lassen kann, weil er ihm mehr wert ist und höher steht, als jedes andere Gut. Das Leiden bringt die Liebe allerdings in Versuchung; allein wenn sie dieselbe erträgt und überwindet, so macht es sie bewährt und ihrer Kraft bewusst. So begründet und mehrt es die Zuversicht und Freudigkeit. So wird aus dem Leiden selbst ein Quell des Trosts. Das ist die Art des Evangeliums, allem, was uns widerfährt, einen anderen, neuen Wert zu verleihen, den die natürliche Empfindung nicht darin zu finden vermag. Es macht uns aus dem, was wir für ein Unglück achten, Glück und Segen, und zeigt uns in dem, was wir als unser Glück begehren, das Unglück und die Gefahr. Es dreht unsere Gedanken über das, was für uns gut ist oder schlimm, um; denn es gibt uns einen neuen Maßstab für die Dinge in die Hand. Wir messen sie nun an unserem ewigen Gut, das uns durch Christum zugefallen ist. Damit tritt alles in ein neues Licht.

Die Freudigkeit und Zuversicht zu bewahren, bringt großen Lohn, V. 35. Aber ist denn das etwas, was Lohn verdient? Eben dies sucht Gott bei uns. Dass wir mit getrostem mutigem Sinn seinen Namen in uns tragen, und Christum fröhlich rühmen als unser Heil und Leben, das ist's, was uns Gott mit seiner reichen Gabe lohnt. Dazu ist Geduld nötig, die allem Druck und Kampf. eine ausharrende Beständigkeit entgegensetzt. Es geht nicht anders als durch Geduld, weil das, was uns errettet und ins Leben hilft, der Glaube ist, der nicht weicht, sondern bei Christo bleibt, ob wir ihn auch nicht sehen. Ein Weg des Glaubens wird nicht anders als in Geduld zurückgelegt.

Diesen Anspruch Gottes an uns, der Glauben von uns fordert, spricht der Brief mit dem Worte Habakuks aus: der Gerechte wird durch Glauben leben, das auch am Eingang des Römerbriefs und im Galaterbriefe steht. Es ist aber hier in andrer Weise gebraucht als dort. Wenn Paulus in diesen Spruch den ganzen Inhalt des Römerbriefs zusammenfasst, so drückt er damit aus, wie köstlich und selig die Stellung ist, die Gott uns durch das Evangelium bereitet hat. Wir dürfen ihm in Christo glauben! Wir sind nicht auf unser eignes Werk verwiesen und nicht mit einem Gesetz belastet. Wir stehen vor Gottes Gabe und vor Christi Werk, und dürfen uns an ihn anlehnen und uns aneignen, was er für uns erworben hat, und haben Gerechtigkeit und Leben in ihm. So bezeichnet jenes Wort des Propheten die Herrlichkeit und Größe des Evangeliums. Eben deshalb ist es ein Evangelium, weil es uns zum Glauben beruft und uns sagt, dass wir unser Vertrauen auf Christum stellen dürfen. In unserem Briefe wird dagegen der Glaube nach einer anderen Seite ins Auge gefasst, nämlich nach der Anstrengung und dem Mangel, der in ihm enthalten ist. Du musst glauben, heißt es hier, wenn du Gottes Wohlgefallen haben willst. Es tritt die Schwierigkeit hervor, die dem Glauben entgegensteht, der Kampf, den seine Bewahrung mit sich bringt, die Entbehrung, die in unserem Leben bleibt, so lange es auf Glauben gegründet ist.

Das sind die beiden Seiten am Glauben, die ihm beide eigen sind und die in der apostolischen Predigt abwechselnd hervortreten. Der Glaube bringt uns ein Haben, und ist doch zugleich ein Nichthaben, ein Wissen, und ist doch auch ein Nichtwissen, ein Empfangen, und doch führt er uns noch nicht ins Empfangen, ein neues Sein und doch sind wir es noch nicht. Diese Doppelheit steht nicht nur dem Glauben an Christus als Eigenschaft zu, sondern findet sich in jedem Glaubensverband auch in den natürlichen Lebensverhältnissen. Denken wir an die Stellung des Kinds zu den Eltern, des Schülers zum Lehrer, des Gläubigers zum Schuldner usf., überall finden wir ein ähnliches Haben und Nichthaben zugleich. Das Kind hat Sicherheit und allen Lebensunterhalt und lebt darum in unbekümmertem Vertrauen. Es hat dies, weil es ihm die Eltern geben. Aber für sich allein ist es hilf- und ratlos und unfähig, sein Leben zu erhalten. Es hat die Erhaltung seines Lebens nicht in dem, was es selber ist. Der Schüler löst die Aufgabe an der Hand des Lehrers, aber er kann sie nicht lösen, wenn ihm die Unterweisung fehlt. Der Gläubiger ist der Besitzer seines Gelds. Es bleibt ihm durch die Obligation dessen, dem er es übergab. Eine solche Obligation ist Vermögen und sie ist es doch nicht. Bricht sie der Schuldner, so ist sie ein leeres Papier. Ein Glaubensverhältnis entsteht immer dann, wenn zwei Lebensläufe ineinander gefügt sind, so dass der eine im anderen seine Ergänzung hat und auf das Werk und die Gabe des anderen angewiesen ist. Diese Gabe des anderen ist mein Besitz; ich muss auf sie zählen, denn ich bedarf ihrer, und ich kann auf sie zählen, denn sie bleibt nicht aus. Und doch ist sie nicht mein. Ich kann sie nicht herbeischaffen, sie steht nicht in meiner Macht und Verfügung. Der andere muss für mich handeln und seine Hilfe und Gabe in mein Leben einfügen, die er allein mir geben kann. So verhält es sich auch mit unserem Anteil an Christo. Was er uns verschafft hat, das gehört mir zu, denn er gibt es mir. So ist es mein und ich bin reich, weil ich ihm glaube. Aber ich habe es nicht in mir, sondern es ist und bleibt sein, und ich kann es nur deshalb mein heißen, weil ich auf ihn zählen kann. So lang er mich aber auf ihn trauen heißt, so lange behält. er seine Gabe noch in seiner Hand und ich besitze und genieße jenen Reichtum noch nicht, obwohl er mir im Glauben angehört. Darum ist der Glaube beides: Friede, tiefe Ruhe und volles Genügen, und zugleich Streben und Verlangen und ein Lauf nach dem uns vorgesteckten Ziel. Er ist unser Glück und Gut, und selbst die allerhöchste Gabe, deren wir uns als unseres Reichtums rühmen dürfen, und zugleich eine Zumutung und Aufgabe, die von uns mit Kampf und Anspannung festzuhalten und zu ihrem Ende zu führen ist.

Wenn unser Brief die Zumutung, die im Glauben an uns gestellt ist, ins Auge fasst, so folgt er hierin dem unwilligen müden Sinn derer, zu denen er spricht. Sie wären froh, wenn sie nicht mehr glauben müssten, sondern zum Sehen und Genießen dessen kämen, was ihnen die Verheißung in Aussicht stellte. Ihr Anstoß an Jesus entstand nicht nur aus der Weise, wie Gott den Lebensgang Jesu geordnet hat, sondern sie lehnten sich innerlich auch gegen den Anspruch Christi an sie auf, dagegen, dass er Glauben von ihnen forderte. Die Gabe schien ihnen zu klein, die Aufgabe zu groß. Sie klagten: warum ist Jesus gestorben und uns entrückt? und sie klagten weiter: warum müssen wir glauben? Beides hängt natürlich aufs engste zusammen. Weil sie sich in den Weg Jesu nicht fanden, darum wurde ihnen der Glaube zur Last, und weil sie zum Glauben unwillig waren, darum wurde ihnen Jesu Kreuz und Erhöhung ärgerlich. Darum ist der Brief noch nicht zu Ende, nachdem er uns gezeigt hat, wie Jesus durch seinen Tod und seine Erhöhung unser Priester geworden ist, so dass dieselben voll von Segen und Gaben für uns sind, sondern er fügt hierzu noch einen neuen lehrhaften Abschnitt, welcher das Wesen und die Frucht des Glaubens bespricht, damit wir erkennen, was uns denn eigentlich von Gott zugemutet ist.

Nun erst, nachdem der Brief Jesu Tod und Erhöhung ausgelegt hat, spricht er nochmals vom Glauben. Wir sollen zuerst die Güter ansehen, die uns Christus erworben hat, weil sie uns zum Glauben bewegen. Kann uns derselbe noch schwer fallen, wenn wir erkannt haben, was wir bei Christo finden? Kann er uns als eine harte Pflicht erscheinen, nachdem ihn Jesus auf solche Gaben und Güter gegründet hat?

Und doch ist auch uns jene Betrachtungsweise des Glaubens, welche der Brief vor Augen hat, sehr geläufig. Man hört die Klage oft genug: bloß Glauben das ist ein beschwerliches und bedenkliches Ding. Nur glauben? sagen wir; wir wollen wissen! Und auch jene noch tiefere Ungeduld ist unter uns vorhanden, die nicht bloß auf das Erkennen, sondern auf das Werk zielt und die Herrlichkeit und Macht Christi nicht bloß glauben, sondern erlebt haben will. Nach Macht verlangen viele, nach Macht der Heiligung, die uns ganz erneuert, nach Macht der Heilung, die allen Schaden von uns nimmt, nach der Macht der Herrlichkeit. Und den Glauben, der mich in mir selbst arm und ohnmächtig lässt, aber weiß, dass Christus reich und mächtig ist, wie gering schätzen wir das. Hören wir darum, was unser Brief uns sagt.

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