Schlatter, Adolf - Der Galaterbrief - Gal. 6, 11-18. Was Paulus von den Gesetzesleuten trennt.

Paulus fügt noch ein persönliches Wort zum Schlusse bei1). Er spricht aus, wie vollständig er von den Männern geschieden ist, die sie verwirren. Nach allem, was er ihnen über das Gesetz und das Evangelium, deren Unterschied und deren Einheit, gesagt hat, vermögen sie nun zu begreifen, warum er diese Dinge so ernst behandelt und die jüdischen Leute aus den Gemeinden mit aller Kraft wegtreiben möchte als die Zerstörer des Evangeliums. Wenn ihnen jemand die Beschneidung aufnötigt, so können sie sicher sein, dass er sich am Fleisch zieren will. Darauf läuft dieser Preis des Judentums hinaus. Der Mensch nach seiner natürlichen Art und mit all seiner Sündigkeit soll schön, groß und heilig sein und recht behalten. Und die Absicht dabei ist, nicht verfolgt zu werden durch Christi Kreuz. Um sich die Verfolgung zu ersparen, kehren sie ihr Judentum hervor und wollen nicht den Schein haben, als seien sie wider das Gesetz. Zu diesem Zweck soll auch die Gemeinde Christi den Formen des Gesetzes unterworfen sein. Jene Eitelkeit, die mit sich selber prunkt und den Bußernst des Evangeliums nicht kennt und das Urteil nicht unterschreibt, welches in dem Worte Fleisch enthalten ist, so wie es Paulus braucht, und diese Leidensscheu, die ängstlich mit den Folgen rechnet und zur obersten Regel macht, keinen Sturm entstehen zu lassen und Israel nicht zu erzürnen, das sind Zweige aus derselben Wurzel. Das stammt beides aus der glaubenslosen Befangenheit des Herzens in sich selbst. Die Verfolgung, der sie auszuweichen wünschen, ist ja nur die Folge und Fortsetzung von Christi Kreuz. Gegen den gekreuzigten Christus, mit dem alle Gerechtigkeit des Fleisches begraben ist, erbitterte sich Israel. Aber sie fürchten sich vor Jesu Kreuz und begehren keine Ähnlichkeit mit ihm. Es liegt ihnen selbst nichts am Gesetz, sie halten es nicht. Würden sie's ernstlich halten, so wären sie in Demut gebeugt vor Gott und ihre Eitelkeit wäre dahin. Es liegt ihnen nur an denen, die sie an sich ziehen. Aus diesen wollen sie sich Ruhm bereiten. Diese sollen ihnen zum Schemel dienen, der ihnen Erhöhung bringt. Und wie widerwärtig ist dieser Ruhm! An eurem Fleisch suchen sie ihn. Dass ihr diesen oder jenen frommen Brauch annehmet und euch ins Fleisch das Zeichen Israels schneiden lasst, das zählen sie zu ihren großen Taten und tragen es in das Register ihrer herrlichen Erfolge ein. Euch für dergleichen Zwecke gebrauchen zu lassen, dazu seid ihr viel zu gut. Paulus hält es anders. Er verschmäht jeden Ruhm als den einen, den er aus dem Kreuze zieht, aus demselben Kreuze, das jenen ein widerwärtiges Rätsel ist. Dort ist er angewachsen mit seiner ganzen Seele. Dort ist seine Übertretung untergegangen, dort die Gerechtigkeit ihm aufgegangen, dort die Gnade und Freiheit erschienen, dort ist Gott für ihn. Wie sollte er nicht Christo danken für sein Kreuz? wie etwas anderes loben als seinen Tod? Nicht das Fleisch, nicht die Menschen, nein umgekehrt, was alle Menschen erniedrigt und in die Buße bringt, aber Gottes Liebe und Gerechtigkeit erstrahlen lässt, das ist sein Ruhm.

Sein ganzer Verkehr und Umgang mit den Menschen ist durch den Blick auf Christi Kreuz regiert. Durch dasselbe ist mir die Welt ans Kreuz gehängt und ich der Welt. Gekreuzigt sein heißt freilich in den Tod gegeben und gerichtet sein, aber durch Christi Kreuz, also so, dass die Gnade eben hierin aufbricht und in neuer, höherer Weise Leben gibt. Glanz und Größe hat die Welt nicht mehr für Paulus. Durch Christi Kreuz ist ihre Sündhaftigkeit, Nichtigkeit und Verlorenheit aufgedeckt. Was gibt's noch an den Menschen zu bewundern? oder was sollte er von ihnen fürchten? Er achtet sie alle, ob sie beschnitten seien oder nicht und was immer sie sonst haben mögen, für tote Leute und schaut sich weder nach ihrem Lob noch nach ihrem Widerspruche um. Er schaut sie aber auch alle als gesucht von der Gnade, die am Kreuz sich offenbart, als umfasst von der Vergebung, die die Sünden der Welt nicht in Rechnung bringt, sondern sie zur Versöhnung mit Gott und zur Freiheit beruft.

Wie die Welt sich ihm darstellt als einbefasst in Christi Kreuz, so ist auch er für sie ein Gekreuzigter geworden. Er kann und will ihr nichts anderes zeigen, als den Gekreuzigten. Daher begehrt sie sein Evangelium nicht; daher kommt der Hass und die Verfolgung, und er muss ihr selbst ein Gekreuzigter sein. Er ist es gern. Denn indem er vor die Welt tritt als einbefasst in Christi Kreuz, wird er ihr der Bote der Gnade. So bietet er ihr die Versöhnung an. So bringt ihr sein Evangelium, was allein Bestand hat: eine neue Kreatur. Ein Schaffen Gottes fasst durch die Gnade den Menschen und macht ihn zu einem neuen Wesen. Was sie gibt, wickelt sich nicht heraus aus dem, was in uns besteht, als wäre es schon darin enthalten und nur eine Umwandlung mit neuem Namen für den alten Stand.

Ein Göttliches wird uns dargereicht, noch bedeckt von der Naturgestalt unseres Wesens und doch der Anfang einer vollkommenen Schöpfung, die unser ganzes Wesen umfassen und auch die Gemeinschaft zwischen uns verklären wird in Gottes Reich. Darum kann der Apostel die ganze Welt versinken lassen mit Christi Kreuz. Es entsteht durch dasselbe an ihrer Statt etwas Neues, ungleich herrlicheres, Gottes neue Schöpfung. Dieser zu dienen ist sein Beruf.

Hierin ist die Richtschnur gegeben, wonach wir alle zu wandeln haben. Nichts naturhaftes, nichts aus uns selbst entsprungenes, sondern nur das, was Gott als sein eigenes neues Schöpfungswerk durch Christus in uns erbaut, darf uns an uns selbst und an den andern wichtig sein. Die, die so wandeln, segnet Paulus. über ihnen steht der Friede, der Gottes neue Kreaturen schützt, und die Barmherzigkeit, die ihnen hilft und sie begabt. Und zu diesen Gesegneten, die Gottes Friede und Barmherzigkeit umfängt, gehört auch das Israel Gottes. Es gibt in Israel ein Israel Gottes, das sich nicht an seine Beschneidung hängt, sondern eine neue Kreatur in Christo ist. „Ich bin auch ein Israelite“, hat Paulus stets gesagt. Dieses Israel schließt er eben jetzt ausdrücklich in seinen Segen ein, da er das falsche Israel völlig weggewiesen hat. Er vergisst darob seine echten Brüder nicht. Am fleischlichen Bau ihres jetzigen Volkstums und an ihrer irdischen Stadt liegt ihm nichts. Aber inmitten dieses vergänglichen Gebildes hat sich Gott ein Volk bereitet, das ihm wahrhaft eigen und geheiligt ist. Von ihm ist Paulus durch nichts entfremdet. Dasselbe wandelt mit ihm nach derselben Regel und genießt denselben Frieden und dieselbe Barmherzigkeit.

Die Gemeinden haben ihm Mühe gemacht mit ihrer Torheit und Verirrung. Er bittet, dass dies künftig von niemand mehr geschehen möge. Wozu immer wieder diese Angriffe auf sein Evangelium? dieser nutzlose Streit um das Gesetz? diese unermüdlichen Verdächtigungen gegen sein Apostelamt? Warum muss er sich immer wieder verteidigen, Schutzbriefe schreiben, damit die Gemeinden bleiben bei dem, was sie von ihm empfangen haben? Er hat das Recht, von den Gemeinden zu erwarten, dass sie selbst solche Einflüsse kräftig abwehren und sich nicht immer wieder ins Schwanken bringen lassen,

so dass er neue endlose Mühe hat. Denn er trägt die Abzeichen Jesu an seinem Leib. Er wird an seine Narben denken, durch die ihn Jesus gezeichnet hat, wie man etwa einen Knecht an seinem Leib mit einem Zeichen versah oder wie damals der Rekrut an seinem Arm ein Zeichen erhielt. Seine Wundmale, die er in Jesu Dienst in der Nachfolge seines Leidens empfangen hat, sollen jedem, der ihm widersprechen möchte, den Mund schließen; denn sie besiegeln, dass er sein Wort aus Christi Offenbarung empfangen und in der Lauterkeit des Heiligen Geistes verkündigt hat.

1)
V. 11 scheint anzudeuten, dass Paulus das bisherige durch eine fremde Hand schreiben ließ, nun aber selbst die Feder nahm, und zwar zu großen Buchstaben, wie wir etwas zu unterstreichen pflegen. Paulus wollte dadurch dem Schlusswort besonderes Gewicht geben: seht, das folgende habe ich selbst geschrieben und ich unterstreiche es euch.
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