Schlatter, Adolf - Der Galaterbrief - Gal. 5, 26 - 6, 10. Wie es in einer Gemeinde zugehen soll.
Paulus hält den Gemeinden mit einigen bestimmten deutlichen Weisungen vor, was durch den Geist wandeln heißt. Er denkt dabei an die Aufgaben, die im Leben einer christlichen Gemeinde hervortreten.
Sie hat Unterschiede der Begabung und Stellung in sich. Da gilt es, sich gegenseitig zu achten und zu ehren in der Verschiedenheit unserer Gaben und Kräfte. Aber die, welche als die Bevorzugten erscheinen, können sich durch ihre Kraft und Größe blenden lassen, so dass sie übermütig die andern herausfordern, ihnen ihre Schwäche vorhalten und sie mit Zwang und Drang in eine Bahn hineintreiben, die nicht für sie taugt. Und die, welche sich schwach und benachteiligt erscheinen, beneiden jene. Missmutig und unzufrieden mit ihrer eigenen Gabe gönnen sie jenen ihre Größe nicht. So war die ganze Verwirrung in Galatien entstanden. Der Jude blähte sich mit seinen Vorzügen und dem Heiden stach dies in die Augen und er wollte diesen Ruhm auch an sich ziehen. Das heißt nach eitler Ehre trachten. Der Ruhm, der so gewonnen wird, ist kein Lob, das bleibt.
Eine andere noch größere Aufgabe entsteht daraus, dass Fehlende aus ihrem Falle aufzurichten sind. Eine Bewegung wie die in Galatien ging ohne schwere Fehltritte nicht ab. Da gab es manches böse Wort, manchen unbedachten Schritt von großer Tragweite, allerlei Verkrümmungen des inwendigen Menschen. Vielleicht hatte sich ja dieser oder jener schon beschnitten, ehe der Brief des Apostels kam, um es nachher bitter zu bereuen. Aber auch wenn keine besondere Gärung die Gemeinden aufregte, solche, die von irgendeinem Fehltritt betroffen werden, gibt es stets. Was ist dann der Weg des Geistes? Ihr, die ihr des Geistes Art habt und seiner Leitung folgt, bringt einen solchen zurecht. Nicht wer klagt und schilt, sondern wer hilft, den Schaden heilt, den Fehlenden aufrichtet zu neuem Stand in Christo, der hat den Sinn des Geistes verstanden und die Kraft des Geistes erzeigt.
Dazu braucht es Sanftmut; aber diese gehört ja zu des Geistes Frucht, welche dem Fehlenden zugutekommen soll. Weiter gehört zu solchen Hilfeleistungen, dass wir uns selbst im Auge behalten. Der Apostel hieß uns auf die Fehltritte der andern aufmerken, damit wir ihnen zu rechter Zeit aufhelfen mögen. Aber wir dürfen nicht so auf die andern achten, dass wir unachtsam werden gegen uns selbst. Das wachsame Auge darf sich nicht von uns selbst abwenden, damit nicht auch du versucht wirst. Eben dann, wenn wir andere zurechtzubringen versuchen, haben wir unserer Gleichheit mit den Fehlenden eingedenk zu sein. Sonst wird aus unserer Hilfe eine hochmütige Erniedrigung der andern und unser eigener Fall.
Helfen kann nur der, der mitleiden und mittragen will. Wir müssen die Last der andern anfassen als unsere eigene Last. Aber da wir auch unsererseits in der Furcht zu wandeln haben und selbst auch in der Versuchung stehen, nimmt keiner unter uns nur fremde Last auf sich, sondern jeder gibt dem andern auch die seinige zu tragen. Hier hat gegenseitige Hilfe statt. Die Sünde des einen fällt schwer auf den andern und bringt ihn seinetwegen in Arbeit und Kampf, und die seinige fällt auf ihn. In diesem wechselseitigen Austausch unserer Lasten erfüllen wir Christi Gesetz. Das ist die Lebensvorschrift, die uns Christus gestellt hat. Wie er selbst unsere Sünden getragen hat, so hat er uns dazu in eine Gemeinde vereinigt, dass wir miteinander unter der Sünde leiden, miteinander sie niederkämpfen, miteinander uns aufrichten in gemeinsamer Neue und gemeinsamem Glauben in des Geistes Kraft. Das ist unser Gehorsam gegen Christus und dies das Wesen seiner Kirche: sie besteht nicht anders als im gemeinsamen Tragen unserer Last.
Entziehen wir uns der Last der andern, verachten und richten wir sie, so hat dies seinen Grund in unserer hochmütigen Eitelkeit. Wir dünken uns selber groß und sind eben deshalb nichts. Diese Selbstbespiegelung ist eine Lüge, und zwar eine gefährliche: der betrügt sich selbst. Wir sollen unsern Hochmut fürchten wegen seiner verblendenden Macht. Er verfinstert unsern Blick mit seinen Lügen. Was sind wir dann noch? hilflos jedem Fall preisgegeben, blindlings dahin schwankend, während wir doch des klaren Auges und des wachen Geistes so sehr bedürfen, weil es vorsichtig zu wandeln gilt.
Dieser hochmütigen Verblendung stellt der Apostel die Erprobung unseres eigenen Werks entgegen. Der Aufgeblähte hat bei sich selbst nichts zu bessern und zu richten, dagegen wägt er eifrig die Werke der andern um ihn her. Das christliche Verfahren geht den umgekehrten Weg. Es richtet auf das eigene Werk die Aufmerksamkeit, wägt es mit genauer Wage, misst es an Christi Gesetz und am Verlangen des Geistes und ruht nicht, bis es dasselbe richtig und gut heißen kann. Dann wirst du einzig gegen dich selbst den Ruhm haben und nicht gegen die andern. Nicht das sagt Paulus, dass uns der Ruhm bei solcher Selbstprüfung genommen werde. Er hofft, Ruhm bleibe uns, sicherlich nicht jener Selbstruhm, der Gott erniedrigt, sondern ein Ruhm im Herrn, doch ein Ruhm der Gabe, Kraft und Wahrheit, die uns verliehen ist. Dies aber hat nun ein Ende, dass wir unsern Ruhm den andern entgegenhalten, um sie zu beschämen, sondern wir behalten ihn für uns selbst und freuen uns, dass wir selbst aus unserem Werk ein gutes Gewissen ziehen können und unser Herz stillen dürfen. Weil, was gut ist an unserem Werk, Gottes Gabe ist, und was übel daran ist, unsere Verfehlung, Blindheit und Schuld, deshalb eignet sich unser Werk nicht zum Mittel, um die andern auf die Knie zu bringen vor unserer Größe. Wohl aber dürfen wir uns nicht zufrieden geben, bis wir mit Dank und Bitte vor Gott treten können, auf ein gutes Gewissen gestützt.
Denn jeder wird die eigene Bürde tragen, sei sie nun leicht oder schwer. Paulus heißt uns für uns selbst besorgt sein und auf uns selber achten, denn wir werden nicht für die andern, sondern für uns selbst Rechnung geben. Wie merkwürdig und fein steht es nebeneinander: „einer trage des andern Last“, „und jeder wird die eigene Bürde tragen“! Jenes Wort verflicht unser Leben mit dem des andern; dieses macht uns selbständig. Jenes legt uns die Sorge für die andern auf; dieses heißt uns unsere eigene Seligkeit schaffen und nicht tun, als wären wir für die andern Richter, Heiland und Herr. Und beides ist eine einträchtige Wahrheit. Jedem gibt Gott Selbständigkeit. Meine Bürde hat auf keiner fremden Schulter Raum. Ich muss selbst sorgen, dass ich sie bis zum Ziele trage. Wiederum sind wir miteinander verbunden zu einem einigen Ganzen, dessen Regel und Kraft die Liebe ist. Darum gibt es hier zwei Abwege. Der eine ist die Gleichgültigkeit und Verachtung des andern; soll ich meines Bruders Hüter sein? Hiergegen steht das Wort: tragt einer des andern Last! Und der andere Abweg ist der der herrischen Vielgeschäftigkeit, die den andern zur Unselbständigkeit erniedrigt und der Bewährung des eigenen Werks vergisst. Hiergegen steht: jeder trägt seine Last, steht und fällt für sich selbst. Das lässt sich beides vortrefflich zusammen üben. Auch jene beiden Irrwege sind immer beieinander. Die Vielgeschäftigkeit trägt an den Lasten des andern niemals mit. Sie überlässt dieselben ihm allein. Ebenso können wir einander ehren in der selbständigen Verantwortlichkeit und dem eigenen Beruf, den jeder unter uns hat, und doch mittragen an den Lasten des andern. Wir tragen mit, nicht um ihm seine Würde und Freiheit zu nehmen, sondern um sie ihm zu erhalten. Wir tragen mit, damit er seine Bürde tragen kann, und wir die unsrige. Trügen wir nicht mit, so fiele seine Schuld als Anklage auch auf uns. Nur in ihrer Verbindung geben uns die beiden Worte des Apostels die Regel für jeden heilsamen Verkehr und alle christliche Gemeinschaft unter uns.
In einer Gemeinde gibt es nicht nur Schwache und Starke, Fehlende und vom Geist geleitete, sondern es gibt auch Lehrende und Lernende, solche, welche das Wort verwalten zur Unterweisung für die andern, und solche, denen der Unterricht zugutekommt. Nennen uns die vorangehenden Verse, was Kirchenzucht ist im reinen apostolischen Sinne des Worts, so nennt uns das neue Wort die Aufgabe, welche die Kirche ihren Lehrern gegenüber hat. Sie muss dieselben erhalten, und zwar willig ohne Geiz. Wer im Wort unterrichtet wird, gebe dem, der ihn unterrichtet, an allen Gütern teil. In der ersten Gemeinde war der Lehrstand nicht durch ein gesetzliches Statut besoldet. Er lebte von der freien Opferwilligkeit der Gemeinden. Darum mahnt Paulus, dass hier nichts versäumt werden darf. Jede Störung in den Gemeinden schädigte sofort auch ihre Opferwilligkeit. Die Lehrenden bekamen die Schwierigkeiten der Lage zu spüren auch in der Art, wie die Gemeinden für sie sorgten. Paulus erinnert ernst an die Dankespflicht, welche uns denen gegenüber obliegt, die uns das Wort darreichen. Und er hat sie absichtlich weit bemessen: er lasse ihn mitgenießen an allem Guten. Hier soll kein Geizen statthaben, weder auf Seite der Lehrenden, aber auch nicht bei den Unterwiesenen. An die Undankbarkeit, die sich hier zeigen kann, denkt Paulus mit ernster Warnung. Irret euch nicht, Gott wird nicht verlacht. Es ist spöttische Verachtung Gottes, wenn wir sein Wort mit geizigem Undank lohnen; aber solcher Spott gelingt uns nicht. Gottes Antwort wird ernst sein. So greifen wir hinein ins Feuer seines Zorns und verbrennen uns die Hand daran. Paulus erinnert an die heilige Gottesordnung, die immer der Saat ihre Ernte beigesellt. Zwei Saatfelder bieten sich uns zur Bestellung dar. Wir können in unser Fleisch hinein säen, oder in den Geist. Denn beider Trachten macht sich in uns geltend. Beide locken uns. Wir säen in das eine oder das andere, wenn wir uns ihrem Zug ergeben, mit ihrem Verlangen uns einigen und es zum Werk ausgestalten. Auf das Fleisch säen heißt dem Fleisch gehorchen, wenn es uns zum Geiz rät und zum eigenen Genießen dessen, was uns Gott gegeben hat, und zur Geringschätzung des göttlichen Worts. Auf den Geist säen heißt dem Geist gehorchen, wenn er uns Gott und sein Wort höher schätzen heißt als alles andere Gut. Die Ernte wird hier und dort nicht ausbleiben. Unser Handeln kommt wieder zu uns zurück. Haben wir das Fleisch als den Acker betrachtet, auf dem uns unsere Saat erwachsen soll, so werden wir auch bekommen, was dort allein wachsen kann, nämlich Verderben. Das Fleisch hat kein ewiges Leben in sich und kann uns keines verschaffen, mögen wir es hegen und pflegen wie wir wollen. Je mehr wir's nähren und schmücken, umso sicherer zieht es uns in seinen Tod hinein. Ewiges Leben gibt der Geist dem, der ihm seine Aussaat anvertraut.
Aber allem guten Handeln droht ein Feind: man wird seiner müde. Immer neu tritt das Bedürfnis an uns heran, dem wir abhelfen sollen. Man wird nicht fertig mit Geben und Sorgen und Dienen. Gegen solche Ermattung stärkt uns der Apostel durch den Vorblick auf die Ernte. Unser Tun ist ja nicht vergeblich; wir machen es nur dann vergeblich, wenn wir schlaff werden. Wir werden aber ernten, wenn wir nicht ermatten, zu seiner Zeit. Das setzt die Ernte hinaus über unsre Gegenwart und heißt uns unsern Lohn nicht bei den Menschen suchen, sondern bei Gott, und den Ertrag unserer Arbeit nicht hier unten genießen wollen, sondern im himmlischen Reich. Aber im Blick auf die Ernte wird uns auch die Arbeitszeit als ein göttliches Geschenk erscheinen, das wir mit Freuden ausnützen. Wir haben jetzt die Zeit, Gutes zu schaffen gegen alle, besonders aber gegen die Genossen des Glaubens. Wir sind allen verbunden als Glieder derselben Schöpfung Gottes, zusammengefügt in ein natürliches Reich, in welchem einer für den andern Gutes zu erarbeiten hat. Wir sind aber noch in eine andere höhere Gemeinschaft eingefügt, in die, welche in Christo entspringt und sich durch die Gemeinsamkeit des Glaubens erhält. Das ist der höhere und engere Verband, die vollkommenere Einigung und Gemeinsamkeit. Sie reicht ins Innerste hinein, nicht nur ins natürliche, sondern auch ins geistliche Leben. Sie stellt darum ganz besondere Ansprüche an unser gutes Werk. Wir haben in beiden Kreisen uns zu bewegen, nach der Ordnung Gottes, der beide nebeneinander aufgebaut hat und die Genossenschaft des Glaubens aus der natürlichen Gemeinschaft der Menschen erwachsen lässt, und haben jedem Kreise alles Gute zu gewähren, das in unserem Vermögen liegt.