Schlatter, Adolf - Der Galaterbrief - Gal. 4, 8-20. Von der schlimmen Veränderung in den Gemeinden.
Von der großen weltgeschichtlichen Betrachtung, die Gottes ganze Haushaltung überschaut, steigt der Blick des Apostels mit einer natürlichen, nahe liegenden Bewegung herab zu dem, was seine Gemeinden erlebt haben. Er schaut auf die Anfänge ihres Christentums zurück, und zwar mit Schmerz. Denn damals stand es besser als jetzt in zweifacher Hinsicht. Damals traten sie aus der Knechtschaft in die Freiheit; jetzt streben sie in die alte Knechtschaft zurück. Damals nahmen sie den Apostel mit überströmender Liebe auf; jetzt gilt er ihnen als ihr Feind. Er hält ihnen diesen Rückschritt vor, weil sie von Fortschritt träumen und von einer höheren Stufe des Christentums. Nein! Rückschritt ist's in das, was sie vorher gewesen sind.
Die Wendung, welche die Predigt des Evangeliums ihrem Leben gab, ist unendlich wichtig. Vorher kannten sie Gott nicht, V. 8. Religiös waren sie auch als Heiden, und dies mit Eifer, freigebig in Opfer und Festen, und bekümmert um die Gunst und Ungunst der Götter. Aber diese Gottesdienstlichkeit war nichtig, weil sie Gott nicht kannten. Damit ist eine große Leere und Finsternis von ihrem Geist und Herzen ausgesagt. Nun aber haben sie Gott erkannt. Welch eine Veränderung! Sie scheidet ihren Lebenslauf in zwei Hälften wie Nacht und Tag. Der Apostel sagt jedem, der Christus kennt: du hast Gott erkannt, und er macht uns die Größe dieser Gabe deutlich: ihr habt Gott erkannt, vielmehr ihr wurdet von ihm erkannt. Gott kennt uns, das ist das weitaus größere, als dass wir ihn kennen, und der Grund, weshalb wir ihn finden.
Wie spürt ein Mensch Gott, so dass er seiner inne wird? Gottes Auge sieht ihn an. Das macht, dass er sich umsieht nach ihm und ausschaut zu ihm. Gott hat acht auf dich, darum gibst du acht auf ihn. Gott hat an dich gedacht, darum denkst du an ihn. Gott hat dich erkannt mit jener innigen Erkenntnis, die eine vereinigende Macht ist, weil sie die Liebe in sich hat; darum erkennst du ihn. Gott ist der Anfänger und Urheber unserer Erkenntnis. Er zieht unsern Geist sich nach. Wir lenken nicht Gottes Auge auf uns. Er lenkt unser Auge auf sich mit seinem Auge, und bringt sich selbst uns in Erinnerung und weckt unser Herz, dass wir ihn finden mögen. Alle Erkenntnis und Gewissheit Gottes ist seine Gabe. Darum ist sie unschätzbar. Sage ich's mit tiefer Dankbarkeit: ich habe ihn kennen gelernt, soll sich mein Dank nicht noch mächtiger entzünden, da ich eben deshalb fortfahren darf: ich stehe vor seinem Blick und bin von ihm gekannt?
Zur Zeit, da sie Gott nicht kannten, waren sie denen als Knechte untertan, die ihrer Natur nach nicht Götter sind. Was Knechtschaft heißt, das haben sie damals erfahren in der schlimmsten Weise. Denn die Herren, denen sie damals dienten, tragen ihren göttlichen Namen nicht mit Recht; sie sind nach ihrem Wesen etwas ganz anderes als Götter. Der Apostel wird auch hier auf das hindeuten, was er 1 Kor. 10, 20 ausgesprochen hat, dass der heidnische Gottesdienst den bösen Geistern des teuflischen Reichs Dienst und Ehre erzeige. Das ist schlimme Knechtschaft, wenn die Menschen ihre gefährlichsten Feinde über sich zu Herren sehen und dies mit dem Namen und der Ehre, als wären sie Gott. Sie wussten es damals nicht, wem sie dienten, wie sie ja auch Gott nicht kannten. Sie sahen weder in die Höhe noch in die Tiefe, und erkannten weder den wahrhaftigen Gott noch die wahre Art der Mächte, denen sie göttliche Verehrung erzeigten. Das ist das Los des Sklaven, dass er blindlings auf seinem unseligen Wege weitergetrieben wird.
Nun sind sie aber aus ihrer Knechtung befreit und haben Gott erkannt. Sollten sie jetzt ihm nicht untertänig sein? Ja wohl, das wäre das rechte Ende, zu dem die Erkenntnis Gottes und die Dankbarkeit für ihre Befreiung die Gemeinden treiben sollte. Aber der Apostel kann seinen Satz nicht so zu Ende bringen. Sie wenden sich ja dem Gesetze zu. Und wir wissen bereits, dass das eine Abwendung ist von dem, der sie berufen hat, da man für Gott nur dann lebt, wenn man dem Gesetz gestorben ist. Sie haben Gott erkannt und geben seinen Dienst wieder auf. Sie haben erfahren an sich selbst, was Knecht sein heißt. Dennoch streben sie aufs Neue mit ihrem eigenen Willen der Knechtschaft zu. Sie kehren um zu den armen und schwachen Elementen, denen sie aufs Neue dienen wollen. Das also ist ihr Fortschritt und ihre neue Vollkommenheit, ein Rückfall in das, was sie früher waren, eine Rückkehr in ihre heidnische Art und in dasselbe Elend, das ihnen schon als Heiden beschieden war.
Sie wollen zwar nicht Heiden werden, vielmehr Juden, sogar christliche Juden. Der Apostel schätzt aber den Unterschied zwischen den verschiedenen Formen menschlicher Religiosität gering. Was am Heiden fromm war, das war Dienst des Gesetzes, so wie es ihm ins Herz geschrieben war. Er zog seine Sittlichkeit und Gottesdienstlichkeit aus jenen Elementen, welche das Wissen der Menschheit von Gott ausmachen. Wiederum was am Juden Gott widerwärtig war, das war von derselben Art, wie das Heidentum, hoffärtige Erhebung gegen Gott, die sich vor ihm nicht beugen noch ihn ehren will, Undankbarkeit, die Gottes Gnade und Gabe verschmäht, Verdunklung der Herrlichkeit Gottes in irdischen menschlichen Gedanken, die Gottes Segen ins Fleischliche verkehren und an der Menschen Kraft und Kunst gebunden halten. Da macht die Verschiedenheit der Formen, Namen und Gebräuche einen kleinen Unterschied. Sie haben in Galatien wieder einen Festkalender eingeführt und zeichnen sich heilige Tage an. Das hattet ihr, sagt Paulus, im Heidentum auch. So Gott dienen konntet ihr ohne Evangelium, ohne den Sohn Gottes, ohne die Erlösung, die er mit seinem Tode uns erworben hat. Früher waren es freilich andere Festtage; jetzt ist's der Sabbat, Passah, Pfingsten und Laubhütten. Doch das macht keinen wesentlichen Unterschied. Hier und dort ziert sich das Fleisch; hier und dort biegt ihr ab von der Anbetung dessen, der in Geist und Wahrheit verehrt sein will; hier und dort führt euch dasselbe göttliche Gesetz wegen der Sünde in die Verlorenheit.
Der Sabbat war dasjenige Stück des Gesetzes, das die Gemeinden zuerst anlockte. Während sie sich erst noch besannen, ob sie die Beschneidung annehmen sollten, 5, 2, haben sie bereits den Sabbat zum Teil bei sich eingeführt. Er ließ sich auch mit besonders scheinbaren Gründen empfehlen. Wie sollten sie denn eines der zehn Gebote aufheben? Wie schön war's, einen heiligen Tag zu haben! Paulus hatte keine „heiligen Tage“ mit seinen Gemeinden gefeiert, deshalb, weil er keine „unheiligen Tage“ gelten ließ. Ein verständiger Wechsel von Arbeit und Ruhe ist natürlich unerlässlich. Und die Gemeinde bedarf der Stunden, in denen alle ihre Glieder frei sind, zu ihrer Vereinigung. Paulus hat mit der Zeit nicht gespart, weder für seinen eigenen persönlichen Verkehr mit Gott, noch für die Versammlungen der Brüder. Allein er wusste hierbei von keinem Gebot. Sein Gottesdienst bestand nicht darin, dass er diesen oder jenen Tag absonderte als reserviert für Gott. Und er hat es deshalb als eine bösartige Verirrung bekämpft, als in den Gemeinden der Sabbat wieder austauchte. Die Grundbegriffe über das, was Dienst des lebendigen Gottes in Christo ist, werden dadurch verkehrt. Das gibt jene Frömmigkeit, die Christus an Israel so ernst verworfen hat, die Gott mit dem siebenten Tag abfindet, die sich selber bläht mit dem siebenten Tag und ihn als Decke breitet über alle übrige Gottlosigkeit. So wird der Sabbat der Tod der lebendigen Reue und des wahrhaftigen Glaubens zu Gott, und deshalb fährt Paulus fort: ich fürchte für euch, dass ich umsonst an euch gearbeitet habe.
Was der Apostel den Gemeinden gewidmet hat, war eine angestrengte Arbeit gewesen. Man kann nicht christliche Gemeinden schaffen mit leeren Worten und Bequemlichkeit. Diese Arbeit bestand im Mitleben mit den einzelnen, im Mittragen ihrer Sünden und Schwachheiten, im Darreichen dessen, was jedem einzelnen in seiner Lage an Licht und Kraft nötig war. Solche Arbeit hat ihn den Gemeinden verbunden nicht nur durch einen Amtstitel, sondern mit einem lebensvollen, wahren Band. Darum ist ihm ihr Schicksal nicht gleichgültig. Das gibt ihm ein heiliges Recht, den Mund zu öffnen zur Warnung, Bestrafung und Bitte. Nicht nur sie, auch er wird direkt betroffen von dem, was bei ihnen geschieht; die Frucht seiner eigenen Anstrengung steht in Gefahr.
Wie war es früher so ganz anders! Noch in einer andern Hinsicht bildet ihr gegenwärtiger Zustand einen großen Rückschritt gegen den Anfang ihres Christenlaufs. Sie begannen mit der größten Dankbarkeit und der innigsten Liebe gegen ihn. Aber sie hielt nicht stand.
Werdet wie ich! V. 12. Was können sie sich Höheres wünschen, als einen Christenstand, wie er ihn hat? Er hat den heiligen Mut allen seinen Gemeinden zu sagen: werdet meine Nachfolger! Vgl. 1 Kor. 4, 16. 1 Thess. 1, 6 und namentlich Phil. 3. Sie sehen in ihm, was die reine freie Glaubensstellung in Christo ist, wie das Leben wird, wenn es im Glauben geführt wird, ohne Gesetz; und das, was sie an ihm sehen, soll sie locken. Sie haben keinen Grund zum Zweifel, sie könnten des Himmelreichs doch verlustig gehen, wenn sie's machen, wie es Paulus macht. Oder scheint ihnen eine heiligere und innigere Einigung mit Christo denkbar, als die, die sie an ihm sahen? Nein, sie können sich nichts anderes wünschen, als des Paulus Lebensgestalt, und er darf sie ohne Scheu bitten: werdet wie ich.
Denn auch ich bin wie ihr. Das ist der kräftige Grund, auf den er seine Bitte stellen kann. Er hat sich ihnen gleich gemacht; darum darf er fortfahren: tretet auch ihr zu mir. Er fordert nicht nur von ihnen Nachfolge, sondern hat, ehe er fordert, ihnen gegeben, was ihnen die Erfüllung seines Wunsches möglich macht, ein Beispiel, das wirklich für sie brauchbar war, weil er in ihre Lebensverhältnisse eingegangen ist und sich nicht von ihnen gesondert hielt, abseits auf besonderer Höhe. Er hat es an seinem Teil gehalten, wie Christus, der auch geworden ist wie wir, damit wir werden wie er, und herabgestiegen ist zu uns, damit wir hinaufsteigen mit ihm. So hat auch Paulus alles, was ihm Gewinn war, für Schaden geachtet und vergessen, was dahinten war. Er hat den Glanz seiner jüdischen Frömmigkeit darangegeben, seine schönen, geweihten Sabbate hinweggetan, seine Reinigkeit abseits von der Unreinheit der Menschen begraben und hat sich den Heiden gleichgemacht. Er war an ihrem Tisch, in ihrem Haus, in ihrer Werkstatt, wie sie. Er hat nichts für seine Frömmigkeit geachtet, als Christus zu kennen, und hat keine besondere eigene Gerechtigkeit hervorgekehrt, sondern aus Glauben gelebt, und hat ihnen dadurch gezeigt, wie auch sie Christo sich verbunden halten und seiner Berufung nachfolgen. So ist er geworden wie sie. Warum sollten sie nun nicht werden wie er? Warum wollen sie Juden werden und auf die Beschneidung sich stützen, während er dies alles um ihretwillen begraben hat?
Ihr habt mich mit nichts gekränkt. Werdet wie ich! Das setzt ungetrübte Liebe zwischen ihnen voraus, setzt voraus, dass das Herz der Gemeinde sich Paulus zuwendet, dass sein Bild hell vor ihnen leuchtet und ein mächtiger Eindruck von der Erhabenheit seines Christentums in ihnen ist. Darum treibt er die trüben Schatten hinweg, die sich zwischen sie drängen möchten. Es ist in den Gemeinden ohne Zweifel manches zum Nachteil des Paulus gesagt und getan worden. Wozu müsste er ihnen sonst seine apostolische Vollmacht neu beweisen? Manche feine Verleumdung, manche giftige Verdächtigung, manches in blindem Eifer scheltende Wort mag gefallen sein. Wie ein Keil drängen sich solche Versündigungen zwischen uns und lösen uns voneinander ab. Das Herz schließt sich zu im Bewusstsein des Unrechts, das wir aneinander begangen haben. Wir scheuen innerlich die, welchen wir Böses taten. Paulus will diese Mauer durchbrechen, welche die Gemeinde von ihm scheiden könnte. Kein Unrecht steht hindernd zwischen ihnen. Er sagt das im Rückblick auf die Weise, wie sie ihn früher aufnahmen, und kann es sagen, was immer seither in den Gemeinden geredet worden sein mag. Er kann ja vergeben und er hat vergeben. Sie sollen seiner ungeschwächten Liebe sicher sein. So allein findet sein Wort bei ihnen offene statt.
Darum erinnert er sie an seinen ersten Besuch bei ihnen, als er ihnen das Evangelium brachte, und an die tiefe Dankbarkeit und warme Liebe, die sie ihm erwiesen, wie sie ihn mit höchster Ehrerbietung aufnahmen und zu jedem Opfer für ihn willig waren. Und doch fanden sich in seiner Person starke Hindernisse, die sie leicht von ihm hätten wegtreiben können. Schwachheit des Fleisches hat ihn zu ihnen geführt. Er hatte in seiner auswendigen Erscheinung nichts Anziehendes, da manches an ihm Widerwille und Abscheu erwecken konnte. Schwerlich will er sagen, dass er in Galatien krank gelegen sei. Er wird vielmehr an seine Bedrängnisse durch den Widerstand der Menschen denken. Vertrieben von Ort zu Ort, kam er auch zu ihnen. Als Flüchtling zog er in ihren Städten ein. Spott und Schande lag auf ihm, Narben und Wunden entstellten ihn. Vergebliche Versuche, in den Synagogen und unter der heidnischen Bevölkerung mit dem Evangelium durchzudringen, und mancherlei Unterliegen im Kampf mit den Menschen kennzeichneten seinen Weg.
Das war eine Versuchung für die Gemeinden. Sie wurden dadurch auf die Probe gestellt, ob sie Gottes Wort auch in seinem Munde hörten und hinter der Schwachheit des Fleisches die Kraft Heiligen Geistes wahrnahmen, oder nur das irdene Gefäß sahen und ob demselben den kostbaren Schatz, der in ihm eingeschlossen war, verachteten. Sie haben diese Probe bestanden und in ihm den Boten Gottes erkannt, den sie mit warmem Herzen und vollem Gehorsam ehrten, und den unschätzbaren Wert des Evangeliums empfunden, so dass sie willig das Teuerste, auch ihr eigenes Auge, dafür hingegeben hätten.
Solche Erlebnisse und Erinnerungen waren die helle Kehrseite zu jener Schwachheit des Fleisches, die Paulus mit schmerzensreicher Bitterkeit in seiner Apostelarbeit täglich erfuhr. Das waren die Erquickungen auf seinem Lebensweg.
Die ganze Stelle ist, so ernst sie mahnt, von einer wunderbaren Zartheit der Selbsterniedrigung. Ich fürchte für euch, nicht dass ihr euch verderbet und Gottes Werk zerstört, sondern: dass ich umsonst mich um euch gemüht habe. Werdet wie ich, nicht: denn ich, der reife Christ und Apostel, stehe hoch über euch Schwachen, sondern: denn ich bin wie ihr. Nicht: warum denkt ihr so viel Arges von mir? Sondern: ihr habt mich nicht gekränkt. Ihr habt mich aufgenommen, nicht: so war's recht und billig, sondern: meine Schwachheit habt ihr übersehen, die Versuchung, die ohne meinen Willen in meiner Erscheinung für euch lag, habt ihr überwunden. Er verwundert sich über ihre Liebe und dankt für sie. Für diese Zartheit in der Fassung des Ausdrucks soll uns das Auge nicht fehlen. Das ist die apostolische Bescheidenheit.
Paulus erinnert sie nicht nur dazu an die schönen Tage, die er unter ihnen verlebt hat, um sie mit warmem Gefühl nochmals zu genießen, noch schließt er bloß eine wehmütige Klage daran, dass jetzt ihr Preis, mit dem sie sich des Evangeliums wegen selig achteten, verstummt ist. Er zieht aus jenen Erinnerungen einen hellen Lichtstrahl, der ihnen scharf beleuchtet, was jetzt unter ihnen vor sich geht. Somit bin ich euer Feind worden, weil ich wahr bin gegen euch, V. 16.
Er ruft sie selbst zum Zeugen auf wider ihr gegenwärtiges Verhalten. Sie selbst haben ihm das Zeugnis gegeben, dass er ein echter Bote Christi an sie war und sein Evangelium eine seligmachende Gotteskraft. Sie selbst sind somit Zeugen, dass er ihnen keinen Anlass gab zu ihrer Entfremdung von ihm, dass sie nichts von ihm wegtreiben konnte, als das Einzige, was er ihnen brachte die Wahrheit allein. Jetzt gilt er ihnen als ihr Feind. Denn er widersteht ihren Plänen. Er ist das Hindernis auf ihrem neuen Weg. Sie wären schon längst Juden, wenn nur Paulus nicht wäre. Ihn fürchten sie, weil sie wissen, dass er verbietet, was sie jetzt begehren. Seit sie den jüdischen Leuten folgen, können sie nichts anderes in ihm sehen, als ihren Widersacher. Aber das rührt doch nur daher, dass er wahr gegen sie ist, und sie selber wissen das.
Die Glaubenspredigt in ihrer Reinheit macht unsern Verkehr mit den Menschen durch und durch nüchtern. Sie schließt alles Schöntun mit der menschlichen Art und Leistung aus. Sie macht ernst damit, dass wir Sünder sind, und gibt nicht uns, sondern Gott die Ehre. Der Mensch wird klein und Gott groß. Mit dem Gesetzesdienst kehrt es sich um. Und die galatischen Gemeinden ließen es sich wohl gefallen, dass die jüdischen Leute sich um sie bewarben. Gingen ihre Zumutungen weit, so lag ja gerade darin etwas schmeichelhaftes, was die Eitelkeit nährte. Man hielt sie für reif und stark, Gottes wegen einen mutigen Schritt zu tun. Das mundete den Gemeinden besser, als die Wahrheit des Paulus mit ihrem Bußernst und dem Preise Gottes allein. Er hebt das selbstsüchtige am Treiben derer hervor, die sie umwarben. Auch diese Leute, mochten die Gemeinden sagen, geben sich viele Mühe um uns; wir liegen ihnen offenbar am Herzen. Jawohl, sie eifern um euch; aber das Eifern für sich allein ist noch keine Gabe. Es fragt sich, welcher Art solcher Eifer ist, ob er rein und löblich ist. Ihr Zweck ist selbstsüchtig und eben darum verderblich für euch. Sie binden euch an ihre eigene Person. Dazu müsst ihr hinausgeschlossen und abgesperrt werden von Paulus, aber mehr noch von Christus, von der Gemeinschaft der an ihn Glaubenden, vom Himmelreich. Das ist der Schaden, den sie euch antun, und der Gewinn, den sie suchen, ist der: ihr sollt sie bewundern und als eure Führer verehren, die euch die Türe geöffnet haben ins Judentum. Sie stellen sich euch als die großen Heiligen vor, und der Lohn ihrer Mühe soll sein, dass ihr euch vor ihrer Größe verneigt.
Und die Gemeinden lassen sich durch ihren Eifer auch in Eifer bringen und reden sich ein, ihr Eifer könne doch kein Fehler sein. Sie eifern ja für Gott, für sein Gesetz und Himmelreich. Aber auch für sie gilt: nicht jeder Eifer ist recht. Er muss gut sein in seinem Ziel und Grund, und er muss beharrlich sein. Die Kraft und Glut des Strebens rechtfertigt es noch nicht und entbindet uns nicht von der Pflicht, nüchtern zu prüfen, ob es auf der Wahrheit steht und in der Bahn Christi bleibt nur dann ist der Eifer löblich; wozu ferner kommen muss, dass er kein Strohfeuer sei, rasch ausflammend und wieder dahinsinkend. Schmerzlich erinnert sie Paulus an die Wandlung ihres früheren Eifers, den sie einst ihm und seinem Evangelium erwiesen haben und der vorhielt, so lange er bei ihnen war. Er hätte standhalten sollen auch in seiner Abwesenheit, auch gegen die widerwärtigen Einflüsse der jüdischen Werber.
So hat der Apostel aufs Neue die Arbeit der Mutter an ihnen zu tun, die das Kindlein mit eigner Beschwerde in ihrem Leibe formt und mit Schmerz und Angst zur Welt gebiert. Das Ziel dieser Geburtsarbeit ist, dass Christus in ihnen Gestalt erhalte. Christi Bild soll in uns erscheinen, so dass man ihn erkennen kann an uns. Das geschieht in dem Maße, als wir sein Werk sind. Immer ist das Werk ein Abbild dessen, der es schafft, umso mehr, je mehr es vermittelst des Geistes hervorgebracht ist. Gestaltet uns Christi Geist, so erscheint seine Art an uns und gibt uns Ähnlichkeit mit ihm. Der Apostel kann jedoch in den Galatern Christus nicht mehr wahrnehmen, wenn sie dem Gesetze dienen und von der Gnade Gottes weichen und dadurch das Fleisch in sich regieren lassen. Dadurch ist Christus in ihnen bedeckt. Dieses Verschwinden Christi aus dem geistigen Antlitz der Gemeinden ängstigt Paulus und bringt ihn in jene Arbeit, die er ein Gebären heißt. Dann aber, wenn wieder Christus an ihnen erkennbar wird, dann ist sein Werk gelungen und seine mütterliche Arbeit getan.
Aber wie soll ein Brief für solch ein Ziel genügen? Der Apostel schreibt in der tiefen Empfindung, welch unvollkommene Art der Mitteilung das Schreiben ist. Er denkt nicht hoch und keck vom Erfolg desselben, sondern schreibt in Furcht und Zittern. Wäre er bei ihnen, so könnte er seine Stimme wandeln. Dann wüsste er, wie's mit ihnen steht, was sie bedürfen, wo das Hindernis liegt, das sie irre macht, und wo das Heilmittel, das sie aufrichtet. Da könnte er auch jedem einzelnen geben, was ihm heilsam ist. Aber jetzt in der Ferne, getrennt von ihnen, ist er unsicher über sie. Es bleibt ihm in ihnen ein dunkles Geheimnis, wie er ja seine Verwunderung schon mehrfach ausgesprochen hat. Wer weiß, ob sein Brief den rechten Eingang in ihre Herzen trifft? Er greift darum nochmals nach einem neuen Mittel, um ihnen den Kern der ganzen Frage klarzumachen. Er tut es mit einem großen Gleichnis aus der Geschichte Abrahams.