Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der Römerbrief.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der Römerbrief.

Nach Rom waren Christen aus den östlichen Gegenden gekommen, ehe ein Apostel dorthin gelangte. Sie fanden einander zunächst in der Synagoge, schlossen sich wegen ihres gemeinsamen Bekenntnisses zu Jesus an einander an, führten auch andere zum Glauben an ihren Herrn, und eine römische Gemeinde war da. Der Römerbrief nennt uns eine große Zahl von Männern und Frauen, die schon irgendwo mit Paulus zusammen gekommen waren, darunter einen Andronikus und Junias, die das Evangelium schon vor Paulus, also wohl in Jerusalem empfangen hatten und offenbar thätig in die Missionsarbeit eingriffen, da sie einst des Evangeliums wegen Gefangenschaft litten, oder einen Epänetus, welcher der erste gewesen war, der sich in den Seestädten Kleinasiens zu Christo bekannt hatte1). Wie es dabei zuging, zeigt uns auch die Gelegenheit, mit der Paulus seinen Brief nach Rom gelangen ließ. Eine Diakonissin von Kenchreä bei Korinth war durch ihre Angelegenheiten genötigt, nach der Hauptstadt zu reisen, Röm. 16,1.2. Wer so aus einer Christengemeinde nach Rom kam, schwieg dort von Jesus und von Paulus nicht.

Der römischen Gemeinde gab schon dies eine hohe Wichtigkeit, daß sie sich in der Haupt- und Kaiserstadt befand, nach der sich die Blicke des ganzen Reiches richteten. Es war für den Gang der Christenheit von Anfang an von großer Bedeutung, wie sich das Christentum dort gestaltete. Sie hatte aber für Paulus noch besondere Wichtigkeit, weil er Spanien als neues Arbeitsfeld in Aussicht nahm. Dann hatte Rom das Mittel- und Verbindungsglied zu bilden zwischen ihm und seinen älteren Gemeinden. Paulus spricht kurz im Eingang des Briefes, 1,8-15, und ausführlicher am Schluß desselben, 15,14-33, vom Beweggrund, der ihn zu seinem Schreiben trieb. In seinem bisherigen Missionsgebiete, sagt er, habe er feinen Raum mehr, weil er nur in heidnischen Gegenden predigen will, wo sonst niemand den Namen Christi verkündigt. Nun hat er aber von Jerusalem an durch Syrien, Kleinasien und Griechenland hindurch eine Kette von Gemeinden begründet, denen er die weitere Evangelisation jener Länder übertragen konnte. Er muß sich deshalb ein neues Arbeitsfeld suchen, und das nächste, noch ganz heidnische Land war nicht Italien, weil ja in Rom schon eine Gemeinde bestand, die Christi Sache in Italien vertreten soll, sondern Spanien. So führt ihn sein Weg doch nach Rom, womit ein Wunsch zur Erfüllung käme, den er schon längst bei sich gehegt hat. Vorerst muß er freilich Jerusalem besuchen, weil er die Steuer seiner Gemeinden dorthin bringen muß, und dies macht seine Pläne unsicher. Denn die Reise nach Jerusalem war mit großer Gefahr verbunden und führte ihn unter allen Umständen nahe am Tode vorbei. Diese Mitteilungen zeigen, daß der Brief an Schluß der dritten Missionsreise geschrieben ist, als der letzte Besuch des Apostels in Korinth sich seinem Ende näherte. Sie stellen zugleich den Zweck des Briefes ins Licht. Derselbe bildet die Anknüpfung der persönlichen Beziehungen zwischen Paulus und der römischen Gemeinde, die Einleitung und Vorbereitung zu seiner Ankunft in Rom. Was machte nun aber seinen Brief, der dieser einfachen und nahe liegenden Absicht entsprang, zum größten und lehrhaftesten unter allen seinen Schreiben?

Der Brief enthält keineswegs einen gleichmäßigen Abriß der apostolischen Lehre nach allen ihren Teilen. Der Apostel hat den Römern etwas Besseres gegeben, als eine kurze Übersicht über sein Lehrsystem. Den Kern und Grund seines Glaubens hat er ihnen gezeigt. Er legt ihnen dar, wie er zu Christo steht, was er bei ihm sucht und in ihm hat. Die Gewißheit, die Kraft, den Triumph seiner Zuversicht zu Gott in Christo hält er ihnen vor. Er redet mit ihnen über drei Fragen: ist wirklich der Glaube an Jesus unsere Gerechtigkeit? Kap. 1-8; wie verhält es sich mit Israels Unglaube und Feindschaft gegen das Evangelium? Kap. 9-11; und: was heißt christlich wandeln? Kap. 12-15. Daß er auch über die letzte Frage spricht, bedarf keiner besonderen Erklärung. Anleitung zum rechtschaffenen Christenwandel gab Paulus stets. Aber auch der Beweggrund, der ihn bestimmte, die beiden ersten Fragen zu besprechen, liegt offen zu Tage. Das waren die Kern- und Grundfragen seines eigenen Lebens, wie seines ganzen Apostelwerkes. Ihm hatte Christus gezeigt, was glauben heißt, als er ihm bei Damaskus den Ruhm seiner Schriftgelehrsamkeit und die Gerechtigkeit seines Gesetzesdienstes zerbrach und ihn mitten aus seiner Feindschaft heraus durch eine That freier Gnade in's Apostelamt versetzte. Damit war ihm alles versunken, worauf sich die Menschen sonst zu stützen pflegen, und nichts war ihm geblieben, als Christus; aber in ihm hatte er auch alles gefunden, was er suchte, Rechtfertigung, Versöhnung, Kraft, Geist, ewige Hoffnung, Gott mit dem Reichtum seiner Gnade und Herrlichkeit. Und in der Festigkeit und Fülle seines Glaubens war er der Hort und Schirmer der Freiheit der Gemeinden geworden wider alle Verderbnis derselben durch Gesetzesdienst. Das gab in der Christenheit weit und breit viel zu reden; er war auch in Rom schon längst bekannt vor seinem Brief. Viele dankten ihm und priesen ihn; andere ärgerten sich an ihm, fürchteten ihn, schalten ihn. Und das, was ihn vielen unverständlich machte und jene Besorgnisse und Einreden gegen ihn hervorrief, das war eben seine Glaubensstellung, daß er nichts vom Gesetz erwartete, sondern alles, Gerechtigkeit und Leben, bei Christo suchte und im Glauben an ihn als ihm geschenkt ergriff, weshalb ihm auch alles Pochen und Prunken Israels mit seinem Vorzug nichts galt, weil er von keinem Anrecht an's Himmelreich etwas wußte, als von dem, welches Gottes freies Erbarmen verleiht. Daher kam die Feindschaft wider ihn; hierin lag aber auch seine Kraft und Stärke, die ihn zum Gründer der Gemeinden gemacht hatte, und das Ziel, dem seine ganze Predigt und Mission diente. Darum legt er den Römern gleich jetzt, wie er zum erstenmal zu ihnen spricht, Wesen und Kraft des Glaubens aus, sowohl gegenüber dem Gesetz als gegenüber dem Vorrang Israels. Er stellt sich ihnen sofort nach der Seite vor, nach der er angefochten ist, in der aber auch Kern und Stern seiner ganzen Existenz und Thätigkeit enthalten ist. Sie sollen ihn in Rom von Anfang an als den kennen, der allein den Glauben an Christus für seine und ihre Gerechtigkeit hält. Wenn sie ihn hierin verstanden, dann war alles gewonnen; dann entfaltete sich sein Verkehr mit ihnen frei und fruchtbar; dann kam kein Argwohn und Mißtrauen gegen ihn auf; dann konnte er getrost nach Spanien gehen.

Man hat darüber gestritten, ob die Gemeinde in Rom ihrer Mehrheit nach jüdisch oder heidnisch gewesen sei. Der Apostel zählt sie zu den Heiden, 1,13-15 vgl. 1,6. 11,13; 28-31. Übrigens war es sicher eine bunt gemischte Schar: Palästinenser, Juden aus der Diaspora, Orientalen, Griechen, Römer. Die Bedenken und Einwände, die Paulus in seinem Briefe beantwortet, sind diejenigen der Juden2); aber er thut's in ruhiger Erörterung, die den Brief zu einer großen Übersicht über den Gang Gottes mit der Menschheit macht. Dies zeigt, daß er es hier nicht mit Eindringlingen zu thun hat, welche die Gemeinde störten und verwirrten; und die Freude, mit der er auf ihren Glauben und auf ihre Erkenntnis schaut, 1,8.12. 15,14, schließt den Gedanken aus, als stünden sie selbst noch in gesetzlicher Befangenheit. Wenn er gleichwohl des Glaubens Art und Gut im Gegensatz gegen jene jüdischen Einreden entfaltet, so thut er's freilich nicht bloß deshalb, weil er selbst seine innere Stellung im Kampf mit denselben erworben hat, sondern weil diese Gedanken überall in der Christenheit eine Macht waren. Was will das göttliche Gesetz? Was bedeutet es noch für den Glaubenden? Wie ist's möglich, daß Israel fällt und verdirbt? Wie stimmt das zu seiner Berufung? Darüber hatten die Juden schon längst und laut geredet und die Welt erfüllt mit ihrem Eifer für das Gesetz und seine Werke und für Israels Vorzug und dessen Unaufhebbarkeit. Und auch wo Glaube und Freiheit in Christo war, war damit noch lange nicht helle Einsicht in diese Fragen gegeben. Sie waren für viele und gerade auch für die Christen aus den Heiden eine Schwierigkeit, ein dunkles Rätsel, schwere Fragen, die sie belasteten. Was Paulus im Römerbrief gibt, besaß niemand in der Christenheit in derselben Weise wie er; das war seine besondere Gabe, die Frucht seiner besonderen Berufung und Führung; eben darum spricht er mit den Römern hievon.

Schon die stark erweiterte Aufschrift des Briefes ist sehr bezeichnend. Sie beschreibt die Stellung des Apostels in der Christenheit, sowohl nach dem, was ihn mit allen anderen verbindet, als nach dem, was seine besondere Kraft und Gabe ist. Er predigt die Erfüllung der in der Schrift niedergelegten göttlichen Verheißungen in Jesus, dem Davidssohne und Gottessohne, welcher auferstanden ist. Das ist ihm mit der ganzen Kirche gemein. Er, der Auferstandene, durch dessen Auferstehung alles, was dem Fleische angehört, bedeutungslos geworden ist, hat ihn zu den Heiden gesandt. Das ist sein besonderer Beruf. 1,1-7.

Darauf erzählt er zuerst von dem, was seinen Brief veranlaßt, von seinem Vorsatz, nach Rom zu kommen. Hiebei liegt ihm daran, daß sie den Beweggrund verstehen, der ihn zu seiner rastlosen Arbeit treibt. Er findet sich in der Herrlichkeit des Evangeliums. In ihm und nicht im Gesetz offenbart sich als Gottes Werk und Gabe die Gerechtigkeit, und dies so, daß sie für uns im Glauben ihren Grund und ihr Ziel, ihre Bedingung und ihre Wirkung hat. Somit müssen wir die Gerechtigkeit nicht mehr erst suchen, da wir sie glaubend durch das Evangelium empfangen, und wo Gerechtigkeit ist, da ist Leben, ist Seligkeit, ist die errettende Gotteskraft. Damit hat Paulus deutlich und bestimmt ausgesprochen, wie er zu Christo steht, und der ganze erste Teil des Briefes schließt sich deshalb an dieses Wort an, als dessen Beweis. 1,8-17.

Was wir im Glauben an Christum sind und besitzen. 1-8.

Paulus überschaut zuerst:

was wir mit unserm eignen Wirken erreichen. 1,18-3,20.

Hiebei fängt er mit dem Heiden an, weil dessen Sünde und Elend offenbar sind. Im Besitz der Wahrheit Gottes und im Genuß seiner Gaben ehrt er ihn doch nicht als Gott, noch dankt er ihm, und er erfährt deshalb die Folgen seiner Sünde, darin daß sich seine Gedanken über Gott verdunkeln und im Zusammenhang damit heillose Gelüste ihn knechten und schänden. Da ist nicht Gerechtigkeit zu finden, sondern der Zorn Gottes wird hier offenbar, welcher die Sünde zu ihrer zerstörenden Frucht ausreifen läßt. 1,18-32.

Das Mittel, mit welchem der Mensch sich über diesen jämmerlichen Zustand zu erheben sucht, ist zunächst das Gesetz aber das Gesetz ist für uns keine Hilfe. Wir verurteilen zwar mit demselben die andern, thun es aber selber nicht, und das ergibt dieselbe böse Antastung der Wahrheit, wie sie den Heiden verdirbt. Unerschütterlich bleibt über allen in unparteiischer Gerechtigkeit die Regel Gottes, die jedem Lob zuteilt, der das Gute thut. 2,1-11.

Unter diese Regel ist der Jude mit dem Heiden in derselben Weise gestellt, weil die Kenntnis des Gesetzes den Juden nicht vom Thun des Guten dispensiert und der Mangel des geschriebenen Gesetzes den Heiden nicht zum Sündigen ermächtigt. 2,12-16.

Aber am Vollbringen des Gesetzes fehlt es auch dem Juden. Er weiß und predigt es, und übertritt es zugleich. Deshalb ist sein Ruhm am Gesetze nichts. 2, 17-29.

Freilich ist Israels Vorzug unerschütterlich, weil er nicht in dem beruht, was der Jude ist und thut, sondern darin, daß Gott ihm seine Worte gab. Aber wehe dem, der aus Gottes Treue und Wahrhaftigkeit folgert: also darf ich sündigen! 3,1-8.

Was die Erfahrung zeigt, bezeugt auch die Schrift durch ihre Klagen über Israel, dem Zweck des Gesetzes entsprechend, das Erkenntnis der Sünde wirken soll. 3, 9-20.

So bleibt der Mensch durch sein eigenes Wirken, sei er Jude oder Heide, mit oder ohne Gesetz, fern von der Gerechtigkeit, genötigt, vor Gott zu verstummen und sich selbst als Sünder zu verurteilen. Aber nun hat Gott in Christo für uns gehandelt und im Glauben an ihn uns Gerechtigkeit bereitet.

Die Gerechtigkeit, die Gott uns gibt. 3,21-5,21.

Indem Gott Jesus in den Tod gegeben hat, der Sünde zur Verdammung und den Sündern zur Erlösung, hat er ein rechtfertigendes Urteil über uns kundgethan, das uns aller Sünde los und ledig spricht und alles uns zuerkennt, was ein Gerechter vor Gott sein soll und haben kann. Uns liegt nur ob, die Gnade Jesu als wahr und gültig hinzunehmen. Glauben wir ihm, dann ist Gottes Urteil für uns wirksam und kräftig und wir sind gerechtfertigt. 3, 21-31.

Nun ist nach der Schrift Gottes Verheißung den Kindern Abrahams gegeben; eben deshalb wird sie durch den Glauben unser Besitz. Denn Abraham hat die Gerechtigkeit nicht durch eignes Wirken, sondern durch Glauben als Geschenk der Gnade empfangen. 4,1-8.

Deshalb werden die Beschnittenen genau eben so wie die Unbeschnittenen nur im Glauben Abrahams Söhne, 4,9-12, wie denn Gott nicht durch das Gesetz, sondern durch freie Verheißung und Zusage den Kindern Abrahams sein Reich zugeteilt hat. 4,13-16.

Was aber wahrer Glaube ist, das läßt sich an Abraham sehen, der sich selbst für tot und doch als Vater vieler Völker betrachtete, weil er die Zusage Gottes fest ergriff. Nicht anders hat der Glaubende im Blick auf den auferstandenen Christus die Gerechtigkeit und das Leben zu erfassen als ihm geschenkt mitten in der Sünde und im Tod. 4, 17-25.

Damit ist aus unserm Verhältnis zu Gott jede Trübung und Störung verschwunden. Der Friede mit ihm ist gefunden, die Hoffnung entsprungen mit ihrem gewissen, freudigen Ruhm; denn die Liebe Gottes ist erlebt. Das läßt uns auch dem Gerichte Christi mit Zuversicht entgegengehn. 5,1-11.

So entspricht das Werk Jesu der Wirkung, die von Adam ausgeht. Wie durch dessen Fall Sünde und Tod mit königlicher Macht alle beherrschten, ebenso, ja noch vielmehr ist in Christi Gehorsam Gerechtigkeit und Leben in wirksamer Kraft für alle gegeben. 5,12-19.

Das Gesetz überwindet die von Adam ausgehende Sündenkette noch nicht, macht sie vielmehr erst recht fest. Und dennoch dient auch das Gesetz der Gnade Gottes, weil das göttliche Erbarmen an der Tiefe des Falls zu seiner königlichen Kraft erwächst. 5,20-21.

Durch diesen Blick in die göttliche Weltregierung ist der Glaube als deren Ziel und Ende dargethan. Sind wir durch Adam in die Sünde und den Tod versetzt und durch Christus in die Gerechtigkeit und das Leben gestellt, so haben wir von uns selber abzusehn, und dafür der Gabe Christi mit freudigem Dank gewiß zu sein. Damit ist der bisherige Beweis für des Glaubens Grund und Hecht zu seinem Schluß und Ruhepunkt gelangt.

Doch nun tritt erst noch die einschneidende Hauptfrage auf: bewährt sich die im Glauben enthaltene Gerechtigkeit auch im Leben und Handeln? oder läßt sie die Sünde ungebrochen, fördert sie dieselbe vielleicht sogar?

Die Erneuerung, die der Glaube dem Menschen bringt. 6-8.

Mit dem Begehren zu sündigen hat der Glaube nichts gemein, weil ja Jesus der Sünde wegen starb, der Glaubende aber Jesu Tod als für ihn geschehen bejaht. So ist er miteingeschlossen in den Tod und das Leben Jesu und hiedurch der Sünde abgestorben, und sein Beruf besteht einfach darin, bei der Erstorbenheit für die Sünde, die er im Glauben besitzt, immer wieder festzustehn. 6,1-14.

Das ist Freiheit vom Gesetz aber diese führt nicht zur Freiheit für die Sünde; denn wer der Gerechtigkeit gehorcht, der wird innerlich fest an sie gebunden und ihr Knecht. 6,15-23.

Auch ist es nicht eine eigenmächtige That, wenn wir uns vom Gesetz lösen, sondern wir sind nach der Regel, daß der Tod der Herrschaft des Gesetzes ein Ende macht, durch Christi Tod göttlich giltig von ihm frei gemacht, damit wir Gott leben. 7,1-6.

Solcher Befreiung vom Gesetz bedürfen wir. Dasselbe spricht allerdings nur den heiligen und geistlichen Willen Gottes aus, bringt aber eben deshalb nur Sünde in uns hervor. Mit seiner Forderung reizt und weckt es die fleischliche Begier, die in uns ist, und die uns um's Leben bringt. 7,7-13.

Allerdings stimmt unsre Vernunft dem Gesetze zu und freut sich seiner, doch ohne daß das Wollen und Wirken ihm auch unterthan würde. So schafft das Gesetz in uns einen Riß: das Wollen steht gegen das Wirken, ein Wille gegen den andern, das Gesetz, nach dem unser äußerer Mensch sich bewegt, gegen das Gesetz, an dem unser inwendiger Mensch sein Wohlgefallen hat. Wer aber das Gute nicht vollbringen kann, der ist ein elender Mensch. 7,14-25.

Was aber das Gesetz nicht vermochte, das ist uns in Christo gegeben. Denn in ihm erlangen wir Gottes Geist, und damit die neue Regel und Kraft, die uns von innen her bewegt und führt, und Gottes Gesetz in uns zur Erfüllung bringt. 8,1-17.

Und aus dem Geist entspringt die Hoffnung. Denn freilich ist das, was wir jetzt von Christo empfangen, noch nicht unsre Vollendung in Herrlichkeit, sondern wir hoffen auf sie. Aber diese Hoffnung ist frei von Furcht und Zweifel, eine allem überlegene Zuversicht; denn sie ist der Liebe Gottes in Christo gewiß. 8, 18-39.

Dieser erste Teil des Briefs ist ein großer Bau. Er beginnt mit dem unverhüllten Blick in die schlimmste menschliche Verderbnis, und endigt mit dem Jubel einer unbedingten Hoffnung, der die Liebe Gottes alles überstrahlt. Er läßt sich zuerst an wie der Weg zur Verzweiflung: auch Israel sinkt mit den Heiden in denselben Tod. Dann erscheint Jesu Kreuz, aus dem der Glaube entsteht; Abraham tritt dazu als auf demselben Wege wandelnd; der Blick zu Gott wird frei und der Gang der Weltgeschichte deckt sich auf. Doch die Aufgaben des Lebens stellen sich ein mit ihrem Kampf. Aber das leitende Zeichen ist auch hier Jesu Kreuz, das den Glaubenden der Sünde entzieht. Denn der Gekreuzigte gibt ihm Teil an seinem Tod und Leben. So sieht sich der Glaubende herausgehoben aus dem innern Streit, den das Gesetz erregt. Geist strömt ihm zu und die Hoffnung hebt ihr Loblied an.

Aber Israel? Schwer lastete diese Frage auf jedem jüdischen Herzen, ja auf der ganzen Christenheit. Es war ihr ein ungebrochener Glaube schwer, so lange die Verheißung Gottes an Israel gebrochen schien. Daher erläutert Paulus

die Verwerfung Israels nach ihrem Recht, Grund und Ziel. 9-11.

Das Leid, das die Christenheit um Israel trägt, teilt auch Paulus in vollem Maß im Blick auf die herrlichen Gaben, die Gott dem Volke verliehen hat. 9,1-5.

Aber darin, daß Israel Christo fern bleibt, liegt kein Bruch des göttlichen Worts. Denn Israels Stellung ruht in Gottes Wahl und diese ist und bleibt frei und war nie in die Bande der natürlichen Geburt eingeschlossen. 9,6-13.

Darum kann der Jude Gottes Gnade nicht fordern, vielmehr steht Gott auch ihm in seiner vollen Obmacht und Freiheit gegenüber als der, der nicht nur sich erbarmen, sondern auch verstocken kann. 9,14-23.

Und wenn nun der Heide Gottes Erbarmen, der Jude Gottes Zorn erfährt, so entspricht dies dem prophetischen Wort. 9,24-29.

Der Grund, weshalb sich Israel von Gott verworfen sieht, ist sein Unglaube, der bei allem Eifer für Gott nur die eigne Gerechtigkeit sucht und Gottes Gabe, so nahe sie ist und so laut sie verkündigt wird, verwirft. 9,30-10,21.

Und doch liegt in diesem Gericht über Israel keine Verstoßung desselben, sondern seine Folgen sind Leben für alle.

Denn schon jetzt hat ein Rest des Volkes Gottes Gabe erlangt. 11,1-10.

Und der Fall desselben öffnete den Heiden den Zugang zu Jesus, aber nicht so, daß der Heide darauf stolz sein dürfte. Denn er selbst hat dies alles nur durch die Gnade erlangt, und auch Israel ist das Reich jederzeit offen, sowie es seinen Unglauben läßt. 11,11-24.

Dazu wird die Zeit noch kommen, wo sich die Verheißung in neuer Weise am ganzen Israel erfüllen wird. Gott wird ihm auch noch eine Stelle geben in seinem Reich. 11,25-32.

Daher bildet auch das Geschick der Judenschaft, das scheinbar so dunkel war, für Paulus einen Grund zur tiefsten Anbetung der göttlichen Weisheit und Majestät. 11,33-36.

So hat der Apostel auch diesen Stein des Anstoßes für die Gemeinde weggeräumt, und dies so, daß er wie im ersten Teil des Briefs zuerst beugt, und dadurch erhebt. Er beginnt, als wollte er Israel alle Hoffnung zerstören. Alles Fordern, Klagen, Murren der Juden muß vor Gott verstummen und Gott auch im Recht seines Zorns und Gerichts geehrt werden als der, welcher mit Fug und Recht verwerfen und verstocken kann. In diesen schreckenden Blick tritt aber schon dadurch Licht, daß als der Grund, der Israel dem Zorne Gottes unterstellt, nur sein Unglaube erscheint, womit es Gottes Hilfe, so nah sie ist, von sich stößt. Und nun wird auch im Walten des Zorns Stufe um Stufe das Werk der göttlichen Güte und Liebe aufgedeckt. So kommt das, was 3,1-3 nur eilends ausgesprochen war, hier zu seiner vollen Darstellung.

Zum Schlusse sagt Paulus den Römern in der schönsten Einfachheit und Fülle,

was ein christlicher Wandel ist. 12,1-15,13.

Wer sich glaubend Christo verbunden hat, dessen Leben wird zu einem heiligen und vernünftigen Opferdienst, und die Seele desselben ist die bescheidene, unerschöpfliche Liebe mit ihren mancherlei Dienstleistungen. 12.

Den Verwaltern der Staatsgewalt gegenüber besteht die christliche Aufgabe in der willigen Unterordnung um Gottes willen. Diese Regel verstand sich für die junge Christenheit keineswegs von selbst. Es mochte manchem Mann eine schwere Gewissensfrage sein, wie sich die Kirche zu den Trägern der heidnischen Weltmacht zu stellen habe. Paulus heißt die Gemeinde nicht auf die Schlechtigkeit und Verderbnis der Menschen, sondern auf den ihnen gegebenen Auftrag Gottes achten. Ihnen ist übertragen, der Gerechtigkeit zu dienen, dadurch, daß sie das Böse unterdrücken und das Gute fördern. Hierin liegt die apostolische Weisung über das Verhältnis zwischen „Kirche und Staat.“ 13,1-8.

In der Liebe bringen sie das ganze Gesetz zur Erfüllung und der hoffende Blick auf Jesu nahende Offenbarung löst sie von allen finsteren, unreinen Dingen ab. 13,9-14.

Eine besondere Aufgabe kehrt stets im Gemeindeleben wieder, da sie Schwache in ihrer Mitte haben, z. B. Männer, die eine weltscheue Enthaltsamkeit üben. Auch der Schwache hat ein Recht in der Gemeinde. Jeder handle aus seiner Überzeugung, ohne Gericht über den andern. Dazu beruft sie das Beispiel Christi, der gerade an ihnen, den einstigen Heiden, sein Erbarmen in besonderem Maß verherrlicht hat. 14,1-15,13.

Darauf geht Paulus nochmals ausführlicher auf seine Missionspläne ein, wodurch ihnen der Beweggrund zu seinem Briefe vollends deutlich werden wird. 15,14-33.

Das 16. Kapitel ist eine Art Nachschrift mit manchen auffallenden Nachrichten, die zu der Frage Anlaß gaben, ob nicht die Verse 16,3-20 ursprünglich nach Ephesus gerichtet waren, und nur durch ein Versehen an den Römerbrief angefügt wurden. Aquila und seine Familie würden wir eher in Ephesus suchen, als in Rom, ebenso den „Erstling Asiens“. Allein diese Männer wurden nicht durch die Rücksicht auf ihren Vorteil bestimmt. Ihre Hingebung an die Sache ihres Herrn gab ihnen eine rüstige Beweglichkeit. Aquila kann leicht deshalb nach Rom gezogen sein, weil er hoffte, dort dem Apostel wieder dienen zu können. Auffällig ist auch dies, daß Paulus schon so viele Leute in Rom mit Namen kennt, ja mit ihnen verkehrt und gearbeitet hat. Und doch paßt diese Grußliste wiederum vortrefflich in den Römerbrief. Da wo Paulus die ganze Gemeinde kannte, hat er nirgends die einzelnen gegrüßt.

Die Warnung vor denen, welche Zwietracht stiften, 16,17-20, welche die Grüße eigentümlich unterbricht, bildet zur Haltung des übrigen Briefs einen gewissen Kontrast, da Paulus sonst die besondern Verhältnisse der Gemeinde nicht berührt, in sorgfältiger Zurückhaltung, wie sie einem ersten Schreiben ziemt. Die Warnung vor den Friedensstörern lag aber dem Apostel im Blick auf jede Gemeinde nah. Man war in Rom vor ihnen nicht sicherer als in Ephesus oder Korinth. Die Arglosigkeit und Unerfahrenheit, von der Paulus spricht, geht sicher nicht auf Ephesus; dort war man über diese Friedensstörer orientiert.

Es sind im Grunde doch sehr kleine Schwierigkeiten, um deren willen dieses und zum Teil auch das vorangehende Kapitel fraglich gemacht worden sind. Eher könnte die Lobpreisung Gottes, mit welcher der Brief jetzt schließt, 16,25-27, nachträglich beigefügt worden sein, da auch die alten Bibeln an dieser Stelle nicht einstimmig sind. Doch hat auch sie in manchem sehr die Paulinische Art.

Der Römerbrief kam nicht nur nach Rom, sondern zur ganzen Christenheit. Zwar erwies sie sich bald als zu schwach, um die Stärke und Vollkommenheit eines solchen Glaubens zu verstehen. Man wandte sich wieder der Satzung zu und errichtete ein neues Gesetz der Lehre und des Gottesdienstes. Und von der Christenheit Roms gilt dies noch in besonderem Maß. Aber eine Ahnung von der Kraft und Wahrheit dieses Briefes blieb der Kirche doch; drum hat sie denselben, als man hernach die Briefe des Paulus in ein Buch zusammenzuschreiben begann, an die Spitze aller Briefe gestellt.

1)
Röm. 16,5 geben gute Handschriften statt Achaja: Asien. Damit ist die Westküste Kleinasiens gemeint.
2)
Vgl. 3,1.31. 4,1. 6,15. 7,1-6. 7,7. 9,6. 11,1.
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