Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Das Buch der Richter.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Das Buch der Richter.

Das Richterbuch hat die Absicht zu zeigen, daß der Fortgang der Ereignisse dem Grunde nicht entsprochen hat, auf den Israel durch Mose gestellt worden ist. Es bezeichnet die Jahrhunderte nach Josua's Tode als eine Zeit der Verwirrung und des Unglücks, und hebt die Ursachen hervor, die Israel solchen Verfall gebracht haben. Aber auch so bleibt das Volk Gottes Eigentum und erfährt dies dadurch, daß Gott ihm „Richter“ gibt. Im Auftreten dieser Männer lehrt uns das Buch die fortgehende göttliche Bezeugung erkennen. Durch sie handelt Gott an Israel als sein König, der sein Volk errettet und regiert. Darum besteht das Werk dieser Männer immer wieder darin, daß sie Israel aus seiner tiefen, selbstverschuldeten Not herausreißen.

Dieses Urteil über das Verhalten des Volks wird nicht nur in einzelnen Bemerkungen ausgesprochen, welche die verschiedenen Erzählungen als Bindeglieder aneinanderfügen, und die erst der abschließenden Anordnung des Buchs angehören mögen, z. B. in jener gleichartig wiederkehrenden Formel, mit welcher der Anfang einer neuen Notzeit eingeleitet wird: „und die Kinder Israels fuhren fort zu thun, was in den Augen des Herrn böse ist“. Vielmehr ist das der Grundgedanke, der den ganzen Aufbau des Buchs gestaltet und schon die Mehrzahl der einzelnen Erzählungen durchdringt.

Die Einleitung gibt den Grund an, warum Israel so zerrüttet worden ist.

Die Ursache des Verfalls: Israel war mit den Kanaanitern vermischt. 1,1-3,6.

An einzelnen Nachrichten aus den Kämpfen der Stämme um ihr Erbe wird gezeigt, wie unvollständig die Eroberung war. 1.

Der Engel Gottes hält Israel das strafwürdige dieser Duldung der Kanaaniter vor und verkündigt deren bittre Folgen. 2,1-5.

Nun wird der Grundgedanke des Buchs in einer längern Betrachtung ausgeführt. Weil Israel unter den Kanaanitern wohnen bleibt, nimmt es deren Gottesdienste an. So wird es vom Herrn in die Hand seiner Feinde hingegeben. Gott schickt ihm zwar wieder Männer, die ihm Hilfe bringen. Aber das Übel hört nicht auf und die Not kehrt darum wieder. 2, 6-23.

Nun ist der Fortbestand der Kanaaniter doch auch von Gott zugelassen und hat darum auch eine heilsame Seite. Das gab für Israel die Schule der Kriegstüchtigkeit. Doch wird auch hier sofort wieder die innerliche Gefahr hervorgehoben, die im Beisammenwohnen mit den Kanaanitern liegt. 3,1-6.

Jeder dieser Abschnitte hat seine besondre Art. Die Angaben des ersten Kapitels sind Bruchstücke von dem, was sich die Stämme von ihren Kriegsthaten erzählt haben. Die allgemeine Betrachtung dagegen wächst aus dem fünften Buch Mose hervor. Sie dienen aber alle demselben Zweck: sie weisen alle auf den Stein des Anstoßes hin, an dem Israel gefallen ist.

Die von Gott gesandten Retter. 3,7-16,31.

Gegen die Syrer ist Othniel Israels Schutz. Von Moab errettet sie Ehud mit verwegener List und Todesverachtung. Gegen die Philister war Samgar ein großer Kämpfer. 3,7-31.

Gegen Sisera, den Heerführer der Kanaaniter, ersteht die Hilfe durch die Prophetin Debora. Sie ruft Barak zum Kampf. Aber nicht Barak vollbringt den Hauptschlag, die Erlegung Sisera's, sondern er fällt durch ein Weib, die Keniterin Jael. Dem Bericht über den Kampf wird das gewaltige Danklied der Debora nach dem Siege beigefügt. 4 u. 5.

Nun bringen die schweifenden Horden der Midianiter aus der Wüste Israel in große Not. 6,1-6.

Ein prophetischer Spruch erinnert an die Schwere des Ungehorsams nach all den Wohlthaten Gottes in Ägypten. 6,7-10.

Nun erscheint der Retter, Gideon, vom Engel berufen, auf Gottes Geheiß ein Feind Baals („Jerubbaal“), weil er den Altar Baals im Dorfe seines Vaters zerstören muß. Er wird gestärkt durch ein doppeltes Zeichen; sein Volk wird gesichtet bis auf dreihundert Mann, dafür aber seine Zuversicht durch den Traum eines Midianiters erweckt, und nun treibt er sie durch Schrecken in die Flucht, auf der sie umkommen. Die Eifersucht Ephraims erwacht, aber Gideon gibt ihm bescheiden den Vorrang. 6,11-8,3.

Jenseits des Jordans ist ein zweites Lager Midians. Auf dem Marsche dorthin wird er von den Leuten von Suchoth und Pniel verachtet. Der Sieg fällt ihm zu, und seine Rache an denen, die ihn verachteten, ist blutig. Die gefangenen Könige sticht er nieder, weil sie ihm seine Brüder ermordet haben. 8,4-21.

Den Königsnamen schlägt er aus um Gottes willen; aber das Gold der Beute begehrt er zur Errichtung eines Heiligtums und Priestertums vor einem goldnen Bild des Herrn.1) Das war seines Hauses Fall. Es erblüht bis auf siebenzig Söhne; aber einer derselben, Abimelech, stammt von einem kanaanitischen Weibe aus Sichem, und bringt nach dem Tode des Vaters über sein Haus das Verderben. 8, 22-35.

Es scheinen hier zwei Erzählungsreihen mit einander verbunden zu sein. Gideon bringt zwei Opfer, ehe er in den Kampf zieht, das eine unter der Eiche, wo ihm der Engel erscheint, das andre auf der Höhe seiner Stadt auf den Trümmern der heidnischen Heiligtümer. Er schlägt auch zwei Schlachten, beidemal mit kleiner Schar, beidemal so, daß er das Lager plötzlich überfällt, und beidemal gilt es, zwei midianitische Könige zu fangen. Die eine Erzählungsreihe wird die Erscheinung des Engels, das Zeichen mit der Schafswolle, den Kampf jenseits des Jordans mit der Rache an den spottenden Städten und dem Bluturteil über die Könige umfaßt haben, die andre die Zerstörung des heidnischen Altars, die Sichtung des Volks, der Überfall des Lagers durch die dreihundert, die Tötung der beiden Könige durch Ephraim und dessen Streit mit Gideon, die Ablehnung der Krone und die Errichtung des Heiligtums mit dem Untergang seines Hauses durch Abimelech.

Abimelech errichtet mit Hilfe der Leute von Sichem ein Königtum, nachdem er alle seine Brüder ermordet hat. Der allein übrig gebliebene Jotham kann sich nicht rächen; aber er ruft sowohl über Sichem als über Abimelech den Fluch. Und derselbe erfüllt sich. Zuerst wird Sichem von Abimelech zerstört; dann fällt Abimelech durch den Stein, den ein Weib auf ihn warf, als er den Turm von Thebez verbrennen wollte. 9.

Es werden noch zwei andre hervorragende Männer aus alter Zeit genannt, Tola und Jair, und darauf zur Vorbereitung auf die Geschichte Jephtas und Simsons wieder auf den Zusammenhang des Elends mit der Sünde und der göttlichen Hilfe mit der Umkehr zu Gott hingewiesen. 10,1-6.

Gegen die Ammoniter rufen die Gileaditer Jephtha herbei. Er gewinnt den Sieg und damit die fürstliche Stellung in seinem Stamm, aber um teuren Preis. Sein Gelübde kostet ihm das einzige Kind. 10, 17-11, 40.

Sein Sieg entzündet wieder den Bruderkrieg. Ephraim eifert gegen ihn und wird niedergemacht. 12, 1-7.

Ibzan, Elon und Abdon werden erwähnt. 12, 8-15.

Hilfe gegen die Philister bringt Simson. Er wird seinen Eltern durch eine zweimalige Erscheinung des Engels verheißen, und von Geburt an zum Geweihten Gottes gemacht. 13.

Zum Kämpfer gegen die Philister wird er seiner Heirat mit einer Philisterin wegen. Weil sie ihm sein Hochzeitsrätsel ablockt, erschlägt er dreißig derselben; weil ihr Vater sie ihm nimmt, jagt er die Füchse mit brennenden Fackeln in ihre Felder, und weil sie zur Rache sein Weib mit ihrem Vater verbrennen, richtet er auf's neue eine große Schlacht an. 14,1-15,8.

Aus seiner Höhle läßt er sich durch seine Stammesgenossen gebunden zu den Philistern führen, zerreißt aber die Bande und erschlägt tausend mit dem Eselskinnbacken. Dem Verdurstenden öffnet Gott die Quelle. 15, 9-20.

Er bleibt der Dirne wegen die Nacht in Gaza, und trägt die Thore der Stadt mit sich fort. Aber als er einer Philisterin das Geheimnis seiner Weihe schließlich verrät und dasselbe gebrochen wird, ist er geschwächt und wird gefangen und geblendet. 16, 1-21.

Aber er rächt sich sterbend, da er die Philister mit sich unter dem Tempel Dagons begräbt. 16, 22-31.

Diese Geschichten zeigen, daß auch in Israel starke Leidenschaften glühten. Auch Israel kennt den Stolz auf die natürliche Kraft des Arms und den zornigen Mut der Rache. Der ist ein glücklicher Mann, der wie Abdon, Gideon oder Jair auf eine ganze Schaar von Söhnen hinzeigen kann. Man freut sich an Simsons überströmender Manneskraft. Gideon wirft sich in den Kampf nicht nur Gottes wegen, sondern die Könige haben ihm seine Brüder erschlagen, und er ist im Stande, den, der nicht mit ihm zieht, mit dem Dreschschlitten zu zerschneiden.

Allein diesen natürlichen Empfindungen sind zwei Dinge mit großer Kraft zur Seite gesetzt: einmal der Aufblick zu Gott. Das Buch leitet Israel an, in der Kraft und dem Siege dieser Männer die göttliche Güte und Hilfe zu erkennen. Ihr Mut, in dem sie's wagen, der Not ein Ende zu machen, ist Gottes Hauch und Geist in ihnen. Darum wird auf die kleinen Mittel hingewiesen, durch welche die Hilfe zu Stande kommt. Daß Ehuds Wagnis gelingen und er ungefährdet den Moabiter in seinem eignen Hause mitten unter seinen Knechten niederstechen werde, wer konnte das erwarten? Sisera's Macht scheitert an den Frauen, Debora und Jael; Barak steht erst in zweiter Linie. Gideon gewinnt den Mut nur durch göttliche Berufung und mehrfache Zeichen, und den Sieg nur mit einem kleinen Heer, damit sich Israel nicht rühme gegen Gott. Simson ist schon durch seine Geburt als Gabe Gottes gekennzeichnet und hat seine Kraft nur darin, daß er seine Weihe unverletzt bewahrt.

Und daneben steht als zweites der erdrückende Ernst der Schuld. Es geht ein tragischer Ernst durch diese Geschichten. Gideons Haus endet in furchtbarem Fall. Jephtha wird Fürst, aber unter bittrer Klage, und an seinen Sieg knüpft sich der Bruderkrieg. Simson bewahrt seine Weihe nicht und sein größter Erfolg ist, daß er sich selbst mit den Philistern begräbt. Und dieser Ernst ist um so größer, weil hier nicht wie bei den andern Völkern ein Teil des Jammers auf das Schicksal und die Gottheit hinübergewälzt wird. Nein! all dieses Elend ist des Menschen Werk und Schuld.

In der Reihe dieser Männer erscheint kein Priester und neben Debora auch kein Prophet, obwohl natürlich die Verrichtungen der Priester und Propheten auch in dieser Zeit beständig gebraucht und hoch geehrt wurden. Aber die Hilfe kam nicht von diesen Ämtern her, sondern durch Männer der That, die Gott frei beruft und ausrüstet. Es ist bedeutsam, daß ihr Amt als „Richteramt“ beschrieben wird. Nicht in den Kampf und Krieg für sich allein, sondern in die Erhaltung und Beschirmung des Rechts wird ihr Beruf und ihre Größe gesetzt. Sie waren Gottes Diener, weil sie Israels recht gegen seine Feinde verteidigten und schirmten, und hernach auch den Unterdrückten im Volk zu ihrem Rechte halfen.

K. 17-21.

Als eine Art Anhang sind zum Hauptteil des Buchs noch zwei Geschichten aus der früheren Richterzeit gefügt.

Die erste erzählt, woher das heilige Bild und Priestergeschlecht von Dan stammt. Ein Ephraimite, Micha, hat seine Mutter bestohlen und diese den Dieb verflucht. Geschreckt vom Fluch gibt er das Geld zurück, und nun ist auch die Mutter erschrocken, und um allen Schaden abzuwenden, macht sie aus einem Teil des Gelds ein Bild des Herrn. Micha freut sich, einen verarmten Leviten als Priester anzustellen. Aber als die Daniten auszogen, raubten sie ihm Bild und Priester und nahmen sie in ihre neue Heimat mit. 17 u. 18.

Die zweite Erzählung berichtet, wie Benjamin nahezu ausgerottet wird. Ein Levite kehrt mit seinem Weibe in Gibea ein und nun geht's in der Stadt zu wie in Sodom. Er findet am Morgen das Weib tot. Doch Israel verbindet sich mit schwerem Eide, den Frevel zu rächen. Aber Benjamin gibt die Leute Gibeas nicht preis. Darob wird nach schweren Niederlagen Israels Benjamin nahezu ausgerottet, aber doch für die Erhaltung des Stammes gesorgt, dadurch daß den übriggebliebenen gestattet wird, sich gewaltsam Frauen zu verschaffen. 19-21.

Beide Erzählungen stimmen mit dem übrigen Buch in ihrer anklagenden Haltung gegen Israel zusammen. Um den Ursprung des Heiligtums in Dan wird keine glänzende Legende gewoben; vielmehr soll unvergessen bleiben, von welch niedriger Herkunft es ist. Und die letzte Geschichte ist vollends ein tief dunkles Bild. Allerdings richtet das gesamte Israel die Unthat; aber darob geht einer der Stämme beinahe zu Grunde.

Diese Geschichten sehen nicht nur zurück auf Moses Zeit und auf die Weise, wie er Israel geordnet und geleitet hat, sondern auch hinaus auf die spätere Umgestaltung des Volks durch die Errichtung des Königtums. Das Urteil über dasselbe ist zweiseitig. Einerseits bildet es Gideons Ehre, daß er die Königskrone ausgeschlagen hat; andererseits wird die Zerrüttung im Lande damit begründet, daß es keinen König gab, 17, 6. 18, 1. 19, 1. 21, 25. Das Königtum erscheint somit als eine Wohlthat und Notwendigkeit, doch nur um der Verwirrung in Israel willen.

So werden wir für die Zusammenstellung der einzelnen Geschichten in die Königszeit und damit in die Nähe des Gesetzbuchs geführt. Die letzte Geschichte, das Gericht über Gibea, erinnert in manchem an das priesterliche Gesetz, während die erläuternden Zwischenbemerkungen, 2, 6-22, 6, 7-10, 8, 33-35, 10, 14-17, mit dem fünften Buch in Verwandtschaft stehen. Das Gesetz bildet die Quelle, aus der das Urteil über die Ereignisse der alten Zeit entnommen ist.

1)
Er machte es, heißt es, zu einem „Ephod“. So heißt zunächst der priesterliche Rock. aber dazu brauchte er nicht so viel Gold. Die Errichtung eines besonderen Priestertums war verbunden mit der Weihung eine goldenen Bilds.
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