Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der Philipperbrief.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der Philipperbrief.

Der Kreis der Briefe, der bisher vor uns lag, ist schon überaus mannigfach. Dennoch zeigt uns der Philipperbrief den Apostel nochmals von einer neuen Seite. Wir finden auch hier den Lehrer, dessen Wort auf Erweckung von Erkenntnis zielt, den Seelsorger, der die Gemeinden in Gottes gerade Bahn zu leiten sich bemüht, den Polemiker, der die Scheidelinie zwischen dem, was christlich und nicht christlich ist, auf's schärfste zieht, den Theologen, der die Wahrheit Gottes nach ihrer ganzen Fülle zu entfalten weiß, den Apostel, der mit der höchsten Autorität im Namen Gottes Weisung gibt. Alle diese Töne klingen auch hier an; aber die erste Stelle hat hier Paulus dem Freunde eingeräumt, der sich vertraulich und herzlich Freunden öffnet, weil er an ihrem Wohl den lebendigsten Anteil nimmt und gewiß ist, daß sie es auch seinem Geschick gegenüber thun. Schon der Anlaß zu dem Briefe gab demselben diese Haltung. Paulus hatte der Gemeinde zu danken, da sie ihm durch ihren Boten Epaphroditus eine Geldsumme zu seinem Unterhalt gesandt hatte. Bei der Rückkehr desselben nach Philippi gab ihm Paulus dieses Schreiben mit. Wir wissen aus den Korintherbriefen, wie sorgsam Paulus in der Geldsache verfuhr, und wie eifrig er in dieser Hinsicht auf seine Selbständigkeit bedacht war. Es war darum eine besondere Auszeichnung für die Gemeinde in Philippi, wie dies Paulus auch hervorhebt, 4,15, wenn er von ihr Geschenke entgegennahm. Es zeigt dies, daß er mit vollem Vertrauen auf sie blickte. Zwischen sie und ihn war keine Störung und Trübung ihres Verhältnisses getreten. Hier fürchtete er keine Mißdeutungen; dieser Gemeinde war er gewiß.

Der Brief enthält einige Angaben, die deutlich nach Rom zeigen. Obwohl Paulus gefangen ist, steht er doch mit einer größeren Gemeinde in Verbindung, in der sich mancherlei Strömungen kreuzten. Sie enthielt auch Männer, die sich an Paulus heftig ärgerten und sich bemühten, ihn und seine Predigt zu verdrängen, 1,14-17. Unter den Christen, mit denen er verbunden ist, nennt er „die aus des Kaisers Haus“, 4,22. Sein Gefängnis heißt er das „Prätorium“, 1,13. So hieß freilich auch die Residenz des Statthalters draußen in den Provinzen, aber auch die großen Kasernen für die kaiserliche Leibgarde in Rom, die zugleich die Untersuchungsgefängnisse enthielten. Der Brief fällt somit hinter die Zeit, von der uns die Apostelgeschichte berichtet. Jene zwei Jahre, da Paulus in seiner eigenen Wohnung in Rom thätig war, sind vorbei. Er ist in's Gefängnis übergeführt; aber noch ist der Ausgang seines Prozesses gänzlich ungewiß. Er erwartete, bald überblicken zu können, welche Wendung sein Geschick nehmen werde, und er hoffte auf Freisprechung, 2,19.23.24. 1,25.26.

Der Brief beginnt mit dem freudigen Dank für ihre Teilnahme am Evangelium, mit dem warmen Ausdruck seiner Liebe und der Fürbitte um das Wachstum ihrer Liebe und Erkenntnis zur Unsträflichkeit an Christi Tag, 1,3-11. Dann gibt er ihnen Nachricht,

wie es mit ihm selber steht, 1,12-26.

Vor allem liegt ihm der Eindruck am Herzen, den seine Gefangenschaft auf die römische Gemeinde macht. In ihrer Mehrzahl sind sie durch dieselbe nicht eingeschüchtert, vielmehr zu neuem Eifer angespornt. Dieser Eifer ist freilich in einigen Männern gegen ihn gerichtet. Sie rühren sich deshalb, weil sie ihm und seinen Freunden das Wort nicht allein lassen wollen. Paulus empfindet das Schmerzliche an diesen Vorgängen recht gut; aber er erhebt sich darüber, weil auch so Christus verkündigt wird. Für seine Person ist er gewiß, daß sein Geschick, wie immer es ausfallen mag, Christum verherrlichen wird. Leben und Sterben sind ihm beide ein Glück und eine Gabe; er weiß nicht, welches von beiden er sich wünschen soll. Doch im Blick auf die Gemeinden ist er gewiß, daß ihn Gott am Leben erhalten wird. Daran schließt sich,

was er von der Gemeinde erwartet. 1,27-2,18.

Er hofft von ihr Einigkeit, Mut im Bekenntnis zu Christo und insbesondere die Vermeidung aller Verlegungen und Störungen der Liebe. Er zeigt ihnen die Regel der dienenden, selbstverleugnenden Liebe an Christum, und zwar nicht nur an einer einzelnen That Jesu, sondern am großen Verlauf seines ganzen Ganges, wie er aus der Gestalt Gottes heraustritt in die Knechtsgestalt und in den Gehorsam des Kreuzes hinab, und darauf empor über alle Namen zu der Höhe, da er von allen angebetet wird. Das gibt die große Regel für alles christliche Handeln jeden Tag. 1,17-2,11.

Im Blick auf Gottes Werk gilt es Furcht und Zittern, Entfernung jedes Zweifelns und Murrens, fleckenlose Lauterkeit. Dann bleibt seine und ihre Freude ungetrübt, auch wenn er für sie sterben muß. 2,12-18. Für die nächste Zukunft hofft er, ihnen Freude und Förderung bereiten zu können durch

die Sendung des Timotheus und Epaphroditus. 2,19-30.

Er erläutert ihnen, warum er ihnen Timotheus schickt. Er hat sonst niemand, den er ihn gleichstellen könnte. Er erklärt auch, warum er Epaphroditus nicht länger bei sich behalten hat. Er will ihnen damit eine Freude machen, weil sie seiner Erkrankung wegen in Sorgen sind. Sie sollen wissen, daß er nach des Apostels eigenem Wunsch von Rom weggeht, und er ermahnt sie, ihn in Ehren zu halten. Er schützt sie noch einmal

gegen die Verwirrung durch das Gesetz. 3,1-21.

Sein eigener Lebenslauf bezeichnet ihnen ihre Bahn hell und klar. Er hat alle Vorzüge, die das Gesetz gewährt, besessen und - weggeworfen, weil er in Christus ein unvergleichlich höheres Gut gefunden hat. Ihn zu erkennen, das ist sein Verlangen und deßhalb sucht er allein im Glauben an Jesus seine Gerechtigkeit. Er will erleben, was seine Auferstehung bedeutet, und will darum auch erleben, was sein Sterben in sich schließt. 3,1-11.

Er steht noch nicht am Ziel, aber erstreckt sich mit ungeteilter Kraft nach demselben. Da liegt der Unterschied zwischen ihm und den Männern, die ihm entgegenarbeiten. Ihnen ist's zuwider, daß Christus der Sünde wegen gestorben ist, und das Himmlische ist ihnen nicht lieb. Dem Apostel liegt dagegen in der himmlischen Erscheinung Christi, die auch seinem natürlichen Wesen die Verklärung bringen wird, das Gut, nach dem er strebt. 3,12-21.

Darauf folgen noch

einige letzte Mahnungen und der Dank für ihr Geschenk. 4,1-22.

Zwei Frauen, die wahrscheinlich ein Gemeindeamt übernommen haben, mahnt er zur Einigkeit, und die Männer, welche der Gemeinde vorstehen, zu ihrer Unterstützung. Er erinnert an die Freude in Christo, an die Freundlichkeit gegen alle, an die Sorglosigkeit und das Gebet, an den Frieden Gottes, an die Offenheit für alles Wahre und Reine, an die Bewahrung seines Beispiels. 4,1-9.

Darauf dankt er für das Geld, mit dem sie ihn beschenkt haben, indem er beides ausspricht, wie gern er dasselbe angenommen hat, und wie unabhängig er von demselben ist, da er in der Kraft Christi in jede Lebenslage sich fügen kann. 4,10-22.

Dieser Brief ersetzt es uns reichlich, daß wir keinen Bericht über den Ausgang seines Lebens aus dritter Hand haben. Er ist das große Zeugnis der Frische und Freudigkeit, mit der Paulus das Gefängnis getragen hat und dem Tode entgegen gegangen ist.

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