Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der zweite Brief des Petrus und der Brief des Judas.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der zweite Brief des Petrus und der Brief des Judas.

Aus dem

zweiten Brief des Petrus

ergeben sich mancherlei Fragen, die nicht mit einer runden, sichern Antwort zu erledigen sind. Er beginnt mit

dem einen großen Hauptzweck der Gabe Gottes in Christo, 1,2-11,

der darin besteht, daß wir innerlich erneuert werden, los von der alten sündigen Begier, dagegen fruchtbar in der untrennbaren Kette aller Tugenden. Nur so wird unsere Berufung zu Christi Reich fest.

Darauf bekräftigt Petrus nochmals im Blick auf seinen raschen Tod

die Zuverlässigkeit des Evangeliums. 1,12-21.

Gottes Zeugnis über Jesus, wie es die Apostel selbst vernommen haben, und das prophetische Wort bestätigen es. Freilich darf letzteres nicht willkürlich und eigenmächtig gedeutet werden, sondern muß aus demselben Geist verstanden sein, der es gegeben hat.

Nun schützt er die Gemeinden

gegen die Verderbnis durch falsche Lehrer. 2.

Als Grundschaden derselben wird hervorgehoben, daß sie allen verdorbenen Begierden, der Fleischeslust, der Habsucht u. s. w. unterthänig bleiben und daneben in stolzer Überhebung ihrer Freiheit sich rühmen und lästern, was sie nicht verstehen. An Gottes Gericht über solche zerrüttete Geister sollen die Leser nicht zweifeln.

Ein anderer Punkt, der einen Anstoß auf dem Wege der Gemeinde bilden könnte, ist ihre

Hoffnung auf Christi baldiges Erscheinen. 3.

Die Erfüllung derselben dehnt sich weiter hinaus, als die erste Hoffnung der Christenheit in ihrer brennenden Sehnsucht sich dachte. Sie wird deshalb verspottet werden. Doch sollen wir in diesem Gang der Dinge Gottes Güte erkennen, die allen Raum zur Buße geben will. 3,1-9.

Wir werden an den Ernst gemahnt, der den prophetischen Ausblick auf die Welterneuerung begleiten muß. Der gegenwärtige Weltbestand geht im Feuer unter. Solche Erweisung der richterlichen Majestät Gottes muß uns zur Heiligung bewegen. Das Schlußwort verweist die Leser auf die Briefe des Paulus als auf die Quelle, aus der sie Lehre und Befestigung zu schöpfen haben, und warnt vor deren Mißverstand. 3, 10-18.

Der Inhalt des Briefes entspricht recht gut dem, was wir von einem apostolischen Mahn- und Abschiedswort erwarten werden. Die Erinnerung an die rechtschaffene Buße und Heiligung als an den Kern und Stern des Evangeliums, das Zeugnis für die Zuverlässigkeit des apostolischen Wortes, der Schutz vor Verführung der Gemeinde, die Beruhigung und Sicherung ihrer Hoffnung auf Christi baldige Erscheinung, das sind sicherlich Gegenstände, von denen ein Abschiedswort des Petrus sprechen wird. Als Leser denkt man sich gewöhnlich die kleinasiatischen Gemeinden, da der Brief als der zweite bezeichnet ist, den die Leser von Petrus empfangen, 3,1.

Daneben enthält der Brief einiges Schwierige. Einmal ist auffallend, daß er im zweiten Jahrhundert in der Kirche sehr spärlich gebraucht worden ist. Er tritt zum erstenmal gegen Ende des zweiten Jahrhunderts in Antiochien und Alexandrien hervor, wo man den Kreis der christlichen Schriften, welche man öffentlich in der Kirche als Regel der Lehre und des Lebens las, sehr weit gezogen hat. Erst später wurde er nach und nach in allen Kirchen zum neuen Testament gezählt. Sodann ist auffallend, daß die Schilderung der falschen Lehrer im zweiten Kapitel des Briefes wörtlich mit dem

Brief des Judas

zusammenstimmt.

Judas nennt sich in der Überschrift Jesu Knecht und Bruder des Jakobus. Auch in den Evangelien finden wir neben Jakobus einen Judas unter den Brüdern Jesu, Mt. 13,55, und Paulus sagt uns, daß nicht bloß Jakobus, sondern auch die anderen Brüder Jesu eine wichtige Stelle in der ersten Christenheit eins genommen haben, 1 Kor. 9,5 vgl. Ap. 1,14. Wir werden demnach in Judas einen Bruder desjenigen Jakobus sehen dürfen, der die jüdische Kirche geleitet und den Jakobusbrief geschrieben hat. Somit wäre er auch ein Bruder Jesu gewesen. An was für Christen Judas schrieb, gibt sein Brief nicht an.

Zum Schreiben bewegt ihn die Gefahr der Verführung, die seinen Lesern durch ein in Worten hochfahrendes, in den Begierden ungeheiligtes, unsauberes Christentum droht. Die Verführer werden in derselben Weise beschrieben und Gottes Gericht wird ihnen mit denselben Worten angedroht, wie im zweiten Petrusbrief. Nur sind die Worte des Judas etwas gedrängter und mit einigen Citaten aus späteren jüdischen Weissagungsbüchern versehen1). Bei Petrus ist zwar auch auf das dort Erzählte hingedeutet, aber die wörtliche Benützung jener Bücher fehlt. Auch dies macht einen bemerkenswerten Unterschied, daß Petrus vor solchen Leuten als vor einer künftigen Gefahr der Kirche warnt, während Judas solche bereits unter seinen Lesern gegenwärtig weiß.

Es läßt sich nicht das Bild einer bestimmten Lehre oder Sekte aus diesen Worten entnehmen. Sie legen den Nachdruck nicht auf die einzelnen Lehren der Verführer, sondern auf ihre Grundrichtung, die alles Heilige mit Sündendienst befleckt. Diese mag sich in mancherlei Formen geäußert haben, bald mehr philosophisch spekulierend, bald mehr praktisch freigeistig. Vielleicht sind diese Erscheinungen mit der gnostischen Bewegung zusammenzustellen, von der uns die Briefe an Timotheus Nachricht geben.

Die ursprüngliche Fassung der gemeinsamen Stelle wird bei Judas zu finden sein. Ihre Aufnahme in den zweiten Petrusbrief ergab jedenfalls keine unnütze Wiederholung. Solche Briefe waren ja zunächst an bestimmte Kreise in der Kirche gerichtet, die das noch nicht gehört hatten, was der andere Brief enthielt. Immerhin wird es für wenig wahrscheinlich gelten müssen, daß Petrus den Brief eines anderen Lehrers mit seinem eigenen Schreiben vereinigt habe. Vielleicht ist das zweite Kapitel eine spätere Einschiebung in seinen Brief. Das dritte Kapitel würde sich ohne Schwierigkeit und Lücke an das erste anschließen. Dieses schließt mit der Erinnerung an das prophetische Wort und mit der Warnung vor dessen Mißdeutung. Das dritte Kapitel spricht nun vom Inhalt der Weissagung und von der Weise, wie es verspottet wird, dagegen von der Gemeinde bewahrt und verstanden werden soll. Undenkbar ist es nicht, daß man in der Kirche einen kleinen Brief des Petrus und den kleinen Brief des Judas mit einander verschmolzen hätte. Oder es ist der ganze zweite Petrusbrief einem späteren Lehrer zuzuschreiben, dessen Absicht dahin ging, die Kirche gegen alle Verderbnis und Verführung auf die nüchterne, reine Art der apostolischen Predigt und Hoffnung hinzuweisen, ähnlich wie vielleicht auch die Pastoralbriefe nach dem Tode des Paulus sich bemühen, eine Mauer aufzurichten zwischen dem, was apostolische Vorschrift und unapostolische Verderbnis der Kirche war.

1)
Die Worte über den Streit Michaels mit dem Satan der Leiche Mose's wegen, V. 9, stammen aus dem Buche, das überschrieben war: „die Aufnahme Mose in den Himmel“, und die Weissagung Henochs, V. 14.15. aus den mit Henochs Namen überschriebenen Gesichten, ebenso die Anspielung auf den Fall der Engel, V. 6. Vgl. 2 Ptr. 2,4.11.
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