Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der erste Brief des Apostel Petrus.
Ein Brief des Apostels Petrus an die kleinasiatische Christenheit hat im Verlauf der apostolischen Geschichte sehr wohl Raum. Denn zwischen den kleinasiatischen Gemeinden und den Aposteln in Jerusalem haben sich von Anfang an mancherlei Beziehungen gebildet. Mehrere unter den Männern, die vereint mit Paulus an der Gründung und Leitung der kleinasiatischen Gemeinden arbeiteten, Barnabas, Silas, Markus, kamen von Jerusalem her und standen deshalb mit Petrus in enger Verbindung. In diesen persönlichen Berührungen lag die einfache ungesuchte Veranlassung zu unserm Brief, vgl. 5,12. Silas, der hier wie bei Paulus mit der längern Namensform Silvanus genannt wird, welcher der Gefährte des Paulus auf seiner zweiten Missionsreise gewesen war und mit diesem Kleinasien durchwandert hatte, später aber nicht mehr unter den Begleitern des Paulus erscheint, war bei Petrus gewesen und reiste von dort wieder nach Kleinasien. Er brachte den dortigen Gemeinden einen Brief des Apostels mit.
Der Brief ist freundliches treues Mahnwort zur Stärkung der Gemeinden. Der Christenstand war für sie schwer, teils aus dem überall geltenden Grund, weil die sündlichen Reizungen niedergerungen werden müssen, teils darum, weil sie verfolgt und bedrückt wurden. Auf das letztere geht der Brief mit besonderer Sorgfalt ein. Er hat den tief schmerzlichen Kontrast vor Augen zwischen den inwendigen und auswendigen Folgen ihrer Bekehrung zu Christo. Inwendig bringt sie ihnen den Anteil am ewigen Erbe, die lebendige Hoffnung in unaussprechlicher Freude; auswendig beginnen damit allerlei Bitterkeiten, Opfer, Störungen und Zerrüttungen ihres Lebensglücks. Führt das auf offizielle, staatliche Verfolgung der kleinasiatischen Kirche, so daß wir an die verfolgenden Kaiser Nero, Domitian, oder gar Trajan rc. denken müßten? Der Brief spricht vom Leiden als von einer Notwendigkeit, die ihnen wegen ihres Bekenntnisses zu Christo sicher widerfahren wird und schon jetzt in mancherlei Maß eingetreten ist. Nicht von staatlicher Unterdrückung der Kirche als Ganzem ist die Rede, sondern von Schmähung, Schädigung, Verfolgung der einzelnen Christen zunächst in ihren persönlichen Verhältnissen, der Sklaven durch ihre Herrn, der einzelnen Männer und Frauen in ihren Familien und durch ihre Umgebung, die sich an ihrem Glauben und Wandel ärgerte. Solche Verfolgungen steigerten sich freilich bis zur Anklage und Verurteilung vor den Gerichten. Daß aber solche Prozesse möglich wurden, dazu bedurfte es nicht erst eines kaiserlichen Edikts, nicht einmal des Neronischen Bluturteils gegen die Gemeinde in Rom.
Der Brief hält ihnen zuerst
die Herrlichkeit der christlichen Hoffnung, 1,3-12,
vor. Mit der Erkenntnis Christi ist ihnen eine lebendige Hoffnung gegeben worden durch Christi Auferstehung, deren Erfüllung mit seiner Erscheinung eintreten wird. Sie ist des ausharrenden duldenden Glaubens wohl wert. Propheten und Engel bezeugen die Größe des ihnen verheißenen Guts. Daran schließt sich
die große fundamentale Mahnung. 1,13-2,10.
Es gilt eine rechtschaffene Bekehrung, zu der sie der Blick auf Gott führen muß, da sie ihn, den Richter, als Vater anrufen, sowie die Erinnerung an den Preis ihrer Erlösung, an Christi Blut. 1,13-21.
Der Grundzug des neuen christlichen Lebens ist die brüderliche Liebeskraft der im Worte Gottes empfangenen neuen Geburt. 1,22-25.
So erbaut sich die Gemeinde auf Christus als der wahrhaftige Tempel und das rechte Gottesvolk. 2,1-10.
Nun folgt
die Aufgabe, die sie der Welt gegenüber haben. 2,11-4,6.
Im reinen löblichen Wandel liegt ihre Waffe, und das Mittel ihrer Verteidigung. 2,11.12.
Derselbe besteht in der Unterthänigkeit unter die Obrigkeiten, 2,13-17, für die Sklaven im Gehorsam und in der Geduld nach dem Vorbild Christi, der für sie gestorben ist, 2,18-25, für die Frauen im stillen reinen Wandel in ihrem Haus, wie er auch die Pflicht der Männer in ihrem Verkehr mit ihren Frauen ist, 3,1-7, für alle im Wohlwollen und Wohlthun gegen jedermann, das sich durch keine Mißhandlung irre machen läßt, 3,8-17.
Dazu hat ihnen Christus nicht bloß das Beispiel der Geduld gegeben, sondern sie sehen an ihm auch die heilsame Kraft des Leidens, da er durch seinen Tod sogar für die abgeschiedenen Geister zum Boten der Gnade ward. 3,18-22.
Auch an sich selbst erfahren sie den Segen des Leidens, da es sie vom fleischlichen Begehren und von ihren frühern sündlichen Verbindungen trennt. 4,1-6. Die Schlußmahnung faßt
das innere Reden der Gemeinde, 4,7-5,9,
ins Auge. Sie haben einander mit ihren geistlichen Gaben zu dienen, 4,7-11, und das Leiden um Christi willen freudig zu tragen, 4,12-19.
Die Alten sollen die Gemeinde pflegen, die Jungen sich ihnen willig untergeben, alle demütig sich Gott unterwerfen und dem Satan, der die Verfolgung wider sie erregt, widerstehen, 5,1-9, worauf die Fürbitten und Grüße dem Briefe einen ähnlichen Abschluß geben, wie ihn Paulus seinen Briefen gibt.
Auch dieser Brief hat eine große innere Majestät. Es ist ein jauchzender Vorblick auf die himmlische Herrlichkeit und ein triumphierender Heldenmut darin, und dies so nüchtern, so ernst, frei von aller trüben Aufregung, in männlicher Ruhe, die auf die tägliche Pflicht und die tüchtige Arbeit bedacht ist. Kommt man vom Gedankenreichtum der großen Paulinischen Briefe mit der Fülle persönlicher Aufschlüsse, die sie gewähren, oder auch von den gedrängten, wuchtigen Sprüchen des Jakobus her, so macht der Brief des Petrus allerdings einen schlichten Eindruck. Er gibt die Elemente des Christenstands, aber in einer Reinheit und Kraft, die eines Petrus wohl würdig ist. Mit Jakobus hat er die Lebendigkeit der Hoffnung gemein, die von der Gegenwart wegsieht zur Erscheinung Christi hin, und den Ernst, der das Kennzeichen und Merkmal des Christentums allein in's Gutesthun setzt. Kein Wunder, daß die beiden Männer manches Jahr einträchtig neben einander dieselbe Gemeinde leiteten. Mit Paulus verbindet ihn, daß alle seine Gedanken mit Jesu Kreuz und Auferstehung verflochten sind, doch in etwas andrer Weise als bei Paulus. Aus Jesu Kreuz schöpft er zunächst die Mahnung, die uns von der Sünde scheidet und zum Leiden willig macht; aus Jesu Auferstehung bricht ihm die Hoffnung hervor.
Der Brief trifft in manchen Ausdrücken mit den paulinischen Briefen zusammen, namentlich mit dem Römerbrief, in einigen Wendungen auch mit dem Jakobusbrief1). Es wäre voreilig, daraus zu schließen, daß der Verfasser des einen Briefs sich an den andern anlehne. Die ununterbrochene, zum Teil gemeinsame Lehrthätigkeit, die sich auf dieselben christlichen Wahrheiten und Thatsachen bezog, hat zweifellos gleichartigen Gedanken und Worten in der Kirche eine weite Verbreitung gegeben.
Auf der Zeit und dem Ort, wann und wo Petrus seinen Brief geschrieben hat, liegt eine nicht zu beseitigende Unsicherheit. Am Schluß grüßt Petrus im Namen der in Babylon miterwählten Gemeinde, 5,13. Nun kann man hiebei an die berühmte, allerdings herabgekommene Stadt am Euphrat denken. In Babylonien wohnte eine zahlreiche, hochangesehene Judenschaft, unter der sich schon früh christliche Gemeinden gebildet haben können, und ein Besuch des Petrus bei ihnen ist so wenig unmöglich als sein Besuch in Antiochien, Gal. 2,11. Oder der Namen „Babylon“ hat figürliche Bedeutung. Dann zielt er auf Rom. Die römischen und griechischen Lehrer erzählen, daß Petrus in Rom gekreuzigt worden sei. Der Märtyrertod dess selben hat in Joh. 21,19 ein biblisches Zeugnis, und der Bericht der Alten, daß derselbe in Rom stattgefunden habe, wird nur dadurch in seiner Glaubwürdigkeit geschwächt, daß schon früh hierarchische Absichten mit hineinspielten. Die in der Bibel gegebenen Figuren und Typen hat man in der jüdischen und christlichen Gemeinde gerne gebraucht, um gegenwärtige Dinge nach ihrem innern Wesen zu bezeichnen, und da ja die ersten Empfänger des Briefs wußten, wo sich Petrus damals befand, wäre eine solche Bezeichnung Roms für sie nicht unverständlich gewesen. Ihnen war sofort deutlich, was der Apostel meinte, wenn er von einem Babylon sprach. Immerhin mag es als wahrscheinlicher gelten, daß der Brief aus dem Osten, aus dem alten Babylonien zu den kleinasiatischen Gemeinden kam. Auch darin liegt kein sicheres Anzeichen über die Zeit und den Ort des Briefs, daß er von den Lesern als von neubekehrten Christen spricht, welche die ersten Schritte auf dem Christenwege thun, vgl. z. B. 2,2. Die Gemeinden der apostolischen Zeit waren ja alle Missionsgemeinden mit einer großen Zahl von Neubekehrten auch da, wo bereits seit längerer Zeit eine Schar älterer, erprobter Christen vorhanden war. Übrigens kann der Brief, wenn er aus dem Osten kam, der dritten Missionsreise des Paulus sehr nahe stehen. Als Paulus am Schluß derselben nach Jerusalem kam, war Petrus schwerlich noch daselbst, vergl. Ap. 21,18.
Die große Frage der Zeit, die Bildung der Kirche sowohl aus den Heiden, als aus den Juden, wird gar nicht berührt. Nirgends wird auf die beiden verschiedenen Bestandteile der Kirche hingewiesen. Und doch schaut der Brief wiederholt auf das frühere Leben der Leser zurück, weil er sie an die gründliche und gänzliche Umkehr erinnert, welche die Christenstellung mit sich bringt. Doch thut er dies so, daß es für alle, Juden und Heiden, paßt. Er faßt die Gemeinde Christi in ihrer Einheit: dieselbe Sünde, dieselbe Umkehr, dieselbe Hoffnung macht sie in Christo eins.