Römheld, Carl Julius - Predigt am zweiten heiligen Christtage.

Römheld, Carl Julius - Predigt am zweiten heiligen Christtage.

O Herr, siehe diese vielen unsterblichen Seelen, siehe diese Versammlung an, lege deine segnenden Jesushände auf diese Versammlung, lege deinen Geist auf diese Gemeinde, lege deinen Geist auf das Wort, das geredet wird, und hilf uns zum fröhlichen, seligen Glauben an den Namen des Sohnes Gottes! Amen.

Text: Ev. Luk. 2, 15-20.
Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten unter einander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kund getan hat. Und sie kamen eilend, und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte, und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, das sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Geliebte in dem Herrn! Die Menge der Himmelsbewohner haben die Erde besucht, sie haben ihrem Herrn gehuldigt, sie haben den Menschen gepredigt und bekannt gemacht das Heil. Wer hat sie gesehen? Herodes nicht, die Hohenpriester nicht, die Schriftgelehrten nicht, die hochangesehenen Pharisäer nicht. Nur arme Hirten, arme aber gottesfürchtige Menschen, Leute, welche dem Worte Gottes glaubten, welche den Verheißungen Gottes glaubten und darum auf den Trost Israels, auf die Ankunft des Sohnes Gottes warteten. Diese allein sahen die Engel des Herrn in ihrem himmlischen Lichtglanze, den das Licht der Welt um sie verbreitete. Aber diese Hirten sahen bald mehr, als den Lichtglanz der Engel, als die Heerscharen des Herrn. Sie erblickten bald den Herrn dieser Heerscharen selbst, sie sahen bald das Licht selbst, welches alle Engel und Menschen erleuchtet. Davon haben wir heute zu reden. Wir betrachten

Die ersten Äußerungen wahren Christentums nach der Geburt des Herrn.

I.

Da sind es vor allen die Hirten, die wir zu betrachten haben. diese Hirten haben wir schon oft betrachtet, aber es bleibt doch noch manches Neue an ihnen zu sehen und vieles von ihnen zu lernen. Die Engel hatten ihnen die Ankunft des Sohnes Gottes angezeigt, hatten ihnen auch als Kennzeichen des Herrn der Heerscharen seine beispiellose Niedrigkeit und Armut, die Windeln und die Krippe, bezeichnet. Was taten nun die Hirten? Da sagte einer zum andern: „Wer weiß, ob das auch wahr ist? Glaubst du das? Ich glaub's nicht.“ „Meinetwegen!“ sprachen sie, „was liegt mir dran! Da hätt' ich viel zu tun, wenn ich nach jedem armen Kinde gehen und sehen wollte. Die andern Leute gehen ja auch nicht hin, der nicht und der nicht. Wenn wir dahin gehen in den Stall, dann lachen uns die andern Leute aus!“ Sprachen so die Hirten? O nein, so sprachen sie nicht. Nein, sie glaubten der himmlischen Botschaft. Glaube dem wunderbaren und unbegreiflichen Worte Gottes gegenüber, das war die erste Äußerung lebendigen Christentums. Wären diese Hirten hochmütig und superklug gewesen, dann hätten sie gedacht und gesagt: Wie kann denn das sein, wie ist denn das möglich, dass Gott einen Sohn hat und dass der Sohn Gottes Mensch wird? Statt dessen waren sie demütig und himmlisch klug, und dachten: Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Der Allmacht Gottes ist alles möglich, und der Liebe Gottes ist auch die größte Herablassung nicht zu viel und nicht zu schwer. Also was taten sie?

Lasst uns nach Bethlehem gehen und die Geschichte sehen! Das ist ihr erstes Wort. Die Geschichte nennen sie's, eine wirklich geschehene Tatsache. Denn Geschichte kommt von geschehen. Und dabei ist noch etwas merkwürdig. Sie wollen die Geschichte sehen, die ihnen der Herr kund getan hatte. Wer hatte sie ihnen denn kund getan? Doch wohl die Engel! Von den Engeln aber sagen sie nichts. Der Herr hat sie uns kund getan, sagen sie. Und wer ist der Herr? „Welcher ist Christus, der Herr“, so hatten sie von den Engeln gehört. Also sagen sie: Der Herr, der Christus Jesus, hat uns die Engel gesandt, und er hat uns die Weihnachtsgeschichte kund tun lassen. Welch ein lichtvoller Christusglaube und Gottesglaube ist das. Welch eine Erkenntnis Christi haben sie von dem Kinde, noch ehe sie es gesehen!

Also Glaube dem Worte Gottes gegenüber, Glaube, dass der Engel Botschaft des Herrn Wort und Werk sei, Glaube, dass dies Kind Christus, der Herr, sei, das ist die erste Äußerung wahren Christentums in der ersten Christnacht.

II.

Gehen wir zum Zweiten. Die Hirten sind begierig, die verkündete Wundertat zu sehen. Lasst uns nach Bethlehem gehen und die Geschichte sehen, so sagen sie einer zum andern. Sie haben keine Ruhe zu Haus, es treibt sie fort, den Herrn der Herrlichkeit zu sehen und anzubeten. Und wie sie's im Herzen treibt, so tun sie. Die Füße eilen davon, sie kommen, getrieben von Begierde des Heils, getragen von Flügeln der Liebe und Sehnsucht. Sie kommen eilend und finden Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Gehorsam gegen des Herrn Wort ist das zweite Merkmal des wahren und lebendigen Christentums. Das ist aber nicht ein träger, schläfriger, unwilliger, erzwungener Gehorsam, sondern es ist ein eiliger, feuriger und freudiger Gehorsam, bei welchem das Herz in Flammen der Liebe und Sehnsucht nach dem Heilande steht, bei welchem das Herz dem erschienenen Lichte und Leben entgegenschlägt.

Was fanden sie denn nun, als sie endlich am Ziele ihrer Wanderung angekommen waren? Ein armes Kind, seine arme Mutter und einen armen Mann. Der Mann und die Frau saßen da stille und in heiliger Anbetung, sinnend über das große Geheimnis und Wunder, das in der Krippe lag. Ja, was gab's da zu sehen für irdische Augen und fleischlichen Sinn? Nichts, was man nicht in jedem armen Hause sehen konnte. Aber die Augen des Glaubens, die Augen, die vom Heiligen Geiste geöffnet waren, die sahen das große Wunder, sie sahen den Himmel offen über diesem Kinde, sie bewunderten, staunten und beteten in Ehrfurcht an. Inniger, freudiger, anbetender Gehorsam gegen Gottes Wort, das ist das zweite Merkmal lebendigen Christentums.

III.

Gehen wir zum Dritten. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Den Hirten war das Herz zum Überströmen voll. Sie gingen von dem Kinde, von Joseph und Maria, von der Stätte der Offenbarung Gottes wieder weg, und wurden nun die ersten menschlichen Prediger des Heils, die ersten menschlichen Zeugen Jesu Christi.

Engel waren die ersten Prediger und Herolde des Sohnes Gottes auf Erden, wie sich's auch geziemte. Denn der vom Himmel auf die Erde kam, den mussten die himmlischen Kreaturen, die seligen Engel, auf Erden anmelden. Aber nachdem dies geschehen war, waren nun die armen aber glaubensinnigen Hirten die ersten menschlichen Boten des angekommenen Weltheilandes. Und das waren sie wieder nicht träge und schläfrig, nicht gezwungen und widerstrebend, sondern wieder voll feuriger Liebe. Sie konnten nicht schweigen von dem Jesuskinde, sondern breiteten das, was sie gehört und gesehen hatten, aus. Und das ist das dritte Merkmal lebendigen Christentums, dass man von Jesu, von der Herrlichkeit des Herrn, nicht schweigen kann, dass man von ihm zu den verwandten Herzen und Seelen spricht, weil das eigne Herz von ihm voll ist. Wem nicht Jesus der liebste Gegenstand des Gespräches ist, der hat ihn auch nicht im Herzen, dem fehlt ein Merkmal des wahren Christentums.

IV.

Gehen wir zum Vierten. Alle, vor welche es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Es entstand eine heilige Verwunderung in den Kreisen, in welchen die Hirten die merkwürdige Botschaft, das selige Evangelium erzählten: „Er ist da, wir haben ihn gesehen! wir haben das kündlich große Geheimnis der Gottseligkeit zu Bethlehem im Stalle in tiefster Armut gesehen!“

Da entstand ein heiliges Staunen, eine heilige Verwunderung, ein Beben der Herzen über die Erzählung der lieben Hirten, dieser kindlich frommen, schlichten Leute. Und wisst ihr, was der Kern und das Wesen dieser Verwunderung ist? Der Glaube. Die, welchen die Hirten die Wundernachricht erzählten, glaubten dem Worte, sie glaubten das Geheimnis, sie glaubten die Offenbarung des Vaters im Sohne und die Erscheinung des Sohnes in dem Kinde. Und darum verwunderten sie sich.

O möchte doch einmal eine rechte Verwunderung bei uns über die Offenbarung Gottes im Fleische entstehen! Steht doch einmal still in eurem Lebenslaufe, in euren Berufsgeschäften, in allem eurem Wandel, steht einmal stille und sammelt euch. Hört aufs Neue die schon hundertmal gehörte Geschichte, aber versenket euch in sie, und glaubet an die größte Tat Gottes. Glaubet an den größten Beweis seiner Liebe, dass er selbst zu uns gekommen ist, dass er unser Fleisch und Blut angenommen hat, dass er unser Bruder geworden ist, und doch unser Gott ist. Dann wird eine heilige Verwunderung in euch entstehen. Und diese heilige Verwunderung ist das vierte Merkmal lebendigen Christentums.

Wen es beim Blick in die Krippe, beim Blick auf das heilige Bild: Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend, noch nicht geschüttelt, wen dabei noch nicht ein heiliges Beben ergriffen hat, wen es dabei noch nicht auf die Kniee niedergezogen hat, der hat die Größe der Tat und der Liebe Gottes noch nicht geahnt, dem fehlt ein Merkmal des wahren Christentums. Aber dem fehlt auch das tiefste, wahrste und seligste Glück des Herzens und Lebens.

V.

Gehen wir zum Fünften. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Maria war das purste, willenlose Werkzeug der Taten Gottes. Vieles hatte sie erlebt und erfahren, seit ihr Gott durch den Engel verkünden ließ, sie solle der Mensch sein, von welchem der Herr der Welt Fleisch und Blut annehme, das Werkzeug zu dem größten Wunder im Himmel und auf Erden. Es war für eine keusche, reine, sittsame und gottesfürchtige Jungfrau keine Kleinigkeit, diesem unerhörten Ratschlusse Gottes willenlos zu dienen, einem Ratschlusse, den fast die ganze Welt nicht glaubte. Wie vielem Gerede, welchem falschen Verdachte, welcher Schande bei der Welt musste sie sich aussetzen, wenn sie auf Gottes Rat einging! Meint ihr, das hätte sie nicht gewusst? Die höchste Ehre bei Gott war bei der fleischlich und irdisch gesinnten Welt, die auch Gottes Wunderwerke fleischlich beurteilt, die größte Schande.

Es war in der Tat ein großes Opfer, welches Gott von dieser Jungfrau verlangte. Und es kostete sie auch Kampf und Überwindung, darauf einzugehen. Aber in der Liebe zu Gott und im Glauben an sein Wort überwand sie. Sie überwand Verkennung und Schande bei der Welt, sie überwand den Kleinglauben und die natürliche Schüchternheit, und in willenlosem Gehorsam und völliger Hingebung sprach sie: „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Und so ging Gottes Geheimnis in Erfüllung, das Geheimnis, welches auch die Engel anbeten: sie ward die Mutter des Herrn der Welt, die Mutter unseres Erlösers.

Meint ihr aber, sie habe nun das große Wunder begriffen, durch und durch begriffen, zu welchem sie selbst das Werkzeug war? nein! Sie hatte an diesem Wunder der Liebe und Allmacht Gottes zu lernen und zu studieren ihr Leben lang, und wird es noch bewundern und studieren in Ewigkeit, eben das Wunder der Menschwerdung des Sohnes Gottes, welches durch sie selbst geschah. Und so lernte und studierte sie auch hier. Alle Begebenheiten, die sich bei und nach der Geburt des göttlichen Kindes zutrugen, das Kommen der Hirten, ihre Verehrung für das Kind, ihre Worte und Reden, alles schloss sie tief ins demütige Herz, und bewegte es da drinnen, und sann darüber nach, und verglich es mit den alten Verheißungen Gottes und mit den Worten des Engels.

Und dabei ging ihr ein Licht nach dem andern auf über das eigne Kind, und immer tiefer drang sie dabei in den Ratschluss Gottes zur Erlösung der Welt ein, und immer demütiger und seliger wurde sie dabei. Maria behielt alle diese Worte, und bewegte sie in ihrem Herzen. Das ist das fünfte Merkmal lebendigen Christentums. Gottes Worte von diesem Kinde behalten, also auswendig lernen, und sie im Herzen bewegen, darüber sinnen und nachdenken, das ist ein Hauptstück des lebendigen Christentums. O lasst uns die heiligen Worte von diesem Kinde tief ins Herz vergraben, und bei unserem Gehen und Stehen, Sitzen und Liegen, Arbeiten und Ruhen lasst uns darüber sinnen und sie im Herzen bewegen. Das ist der Weg zum Leben und zum Frieden und zum Wachsen in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi.

VI.

Hören wir noch das Sechste. Endlich kehrten die Hirten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten. Und wie es ihnen Gott durch den Engel hatte verkündigen lassen, grade so hatten sie es gefunden, grade so hatten sie es gehört und gesehen. Wer dieses Kind in seiner Herrlichkeit erkannt hat, der kann in dem Lobe Gottes nicht verstummen. Gottes Lob über die Sendung seines Sohnes ist das sechste Merkmal lebendigen Christentums. Und durch dieses Lob werden wir Brüder und Genossen der heiligen Engel, welche Gott ohne Unterlass loben über dem Wunder seiner Menschwerdung.

Und damit scheiden wir für diesmal von der Krippe unseres Herrn und Erlösers. Gelobt seist du, Herr, du Gott Israels, dass du besucht und erlöst hast dein Volk! Amen.

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autoren/r/roemheld/kirchenjahr/roemheld-kirchenjahr-2_christtag.txt · Zuletzt geändert: von aj
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