Rieger, Carl Heinrich - Über die zwölf kleinen Propheten - Joel - Das erste Kapitel
besteht aus einer Ansprache zuerst an die Alten und alle Inwohner des Landes, und dann insonderheit an des HErrn Priester, und wird mit einem kurzen Gebet des Propheten selber beschlossen; Alles aus Veranlassung eines wirklich einbrechenden schweren Gerichts und schrecklicher Verwüstung des Landes durch Ungeziefer und Dürre. Der Prophet spricht also im Namen des HErrn
I. die ältesten und erwachsenen Einwohner des Landes an, dass sie nicht nur selber GOttes Gericht über sie erkennen, sondern auch Andere aufmerksam und verständig machen sollten.
1. Dies ist das Wort des HErrn, das geschehen ist zu Joel, dem Sohne Petuels: 2. Hört dies, ihr Ältesten, und merkt auf, alle Einwohner im Lande, ob ein solches geschehen sei bei euern Zeiten, oder bei eurer Väter Zeiten? 3. Sagt euern Kindern davon, und lasst es eure Kinder ihren Kindern sagen, und dieselbigen Kinder ihren andern Nachkommen. 4. Nämlich, was die Raupen lassen, das fressen die Heuschrecken; und was die Heuschrecken lassen, das fressen die Käfer; und was die Käfer lassen, das frisst das Geschmeiß. 5. Wacht auf, ihr Trunkenen, und weint und heult, alle Weinsäufer, um den Most, denn er ist euch vor eurem Maul weggenommen. 6. Denn es zieht herauf in mein Land ein mächtiges Volk, und des ohne Zahl; das hat Zähne wie Löwen, und Backenzähne wie Löwinnen. 7. Das selbige verwüstet meinen Weinberg, und streift meinen Feigenbaum, schält ihn und verwirft ihn, dass seine Zweige weiß da stehen. 8. Heule, wie eine Jungfrau, die einen Sack anlegt um ihren Bräutigam. 9. Denn das Speisopfer und Trankopfer ist vom Hause des HErrn weg; und die Priester, des HErrn Diener, trauern. 10. Das Feld ist verwüstet, und der Acker steht jämmerlich, das Getreide ist verdorben, der Wein steht jämmerlich, und das Öl kläglich. 11. Die Ackerleute sehen jämmerlich, und die Weingärtner heulen um den Weizen und um die Gerste, dass aus der Ernte auf dem Felde nichts werden kann. 12. So steht der Weinstock auch jämmerlich, und der Feigenbaum kläglich, dazu die Granatbäume, Palmbäume, Apfelbäume, und alle Bäume auf dem Felde sind verdorrt; denn die Freude der Menschen ist zum Jammer worden.
Wer vermutete ein so genaues Aufsehen GOttes über ein unter Sein Gericht gefallenes Land, als uns in diesen Worten zu erkennen gegeben wird. GOttes jetzige Gerichte sind freilich noch nicht so offenbar, wie es sein wird, wenn man einmal aus Offenb. 15, 4. wird sagen können: deine Urteile sind offenbar worden; sondern bei den jetzigen Strafen GOttes ist allemal noch etwas, um deswillen man daran zweifeln kann, ob es gerade von GOttes Hand, und zu Offenbarung Seines gerechten Zorns komme, ob es nicht sonst seine Ursachen, und andre Absichten habe. Aber eben deswegen sollen Ältere, Verständigere, den Andern zu statten kommen, und sie die Furcht des HErrn lehren, und zu den Werken GOttes allemal auch Seine Worte nehmen, und sodann aus Beidem den rechten Sinn fassen, der sich auf der einen Seite von der Unempfindlichkeit und auf der andern Seite von dem zaghaften Unmut entfernt, und mit Beugung in der Mitte einhergeht. Sonderlich soll man dabei zu Herzen nehmen, was der Zerfall in der Haushaltung und Nahrung der Menschen für einen leidigen Einfluss zum Nachlass im Gottesdienst hat. Bei dem jüdischen Gottesdienst war es freilich offenbarer, dass man mit Opfern, Zehnten und Geheiligtem nicht so aufkommen konnte; aber auch bei der jetzigen Pflanzung des Christentums bleibt man in: Erkenntnis der Wahrheit, in rechtschaffener Auferziehung der Kinder, in Übung der gemeinschaftlichen Liebe untereinander sehr zurück, wenn man mit der Nahrung gar zu schwer zu kämpfen hat.
II. Nun wendet sich der Prophet mit seiner erwecklichen Ansprache an die Priester, und zeigt ihnen, wie sie durch ihr Bezeugen den HErrn ihren GOtt vor dem Volk; heiligen, und also Seine Gerichte zum Teil noch abwenden, zum Teil doch die gute Absicht derselben befördern sollen.
13. Begürtet euch und klagt, ihr Priester, heult, ihr Diener des Altars, geht hinein und liegt in Säcken, ihr Diener meines GOttes; denn es ist beides Speisopfer und Trankopfer vom Hause eures GOttes weg. 14. Heiligt ein Fasten, ruft die Gemeine zusammen, versammelt die Ältesten und alle Einwohner des Landes zum Hause des HErrn, euers GOttes, und schreit zum HErrn. 15. O wehe des Tages! Denn der Tag des HErrn ist nahe, und kommt wie ein Verderben vom Allmächtigen. 16. Da wird die Speise von unseren Augen weggenommen werden, und vom Hause unsers GOttes Freude und Wonne. 17. Der Same ist unter der Erde verfault, die Kornhäuser stehen wüste, die Scheuern zerfallen; denn das Getreide ist verdorben. 18. O wie seufzt das Vieh! Die Rinder sehen kläglich, denn sie haben keine Weide, und die Schafe verschmachten.
Bei großer Bestürzung ist es oft nötig, dass man einen nicht nur überhaupt zu GOtt weist, sondern dass man ihm auch die Übungen der Buße näher anweist, womit er GOtt suchen soll. Die Legitimation der allgemeinen Buß-, Bet- und Fast-Tage sollte man heutigen Tages nicht so aus den Augen setzen. Manchmal ist ein Gericht erst der Notanfang, und könnte also durch rechtschaffene Begegnung noch Manches gemäßigt werden. Wer priesterlich vor seinem Volk aus und eingehen will, soll sich ja auch unter die sie betreffenden Demütigungen redlich hinunterstellen, und nicht nur da erst zu schreien anfangen, wenn ihm was abgeht, sondern sich auch seines Volkes, ja auch des geplagten Viehs erbarmen.
III. Endlich stellt sich der Prophet selber vor den Riss, und hält die Plage mit einem demütigen Gebet auf.
19. HErr dich rufe ich an; denn das Feuer hat die Auen in der Wüste verbrannt, und die Flamme hat alle Bäume auf dem Acker angezündet. 20. Es schreien auch die wilden Tiere zu dir; denn die Wasserbäche sind ausgetrocknet, und das Feuer hat die Auen in der Wüste verbrannt.
Der Prophet schämt sich nicht, in seinem Gebet auch auf die Gemeinschaft der wilden Tiere im Schreien sich zu berufen, wie der Geist GOttes uns auch im Psalm anweist, unseren Glauben zu erwecken, dass GOtt auch die jungen Raben speise, dem Vieh sein Futter gebe; und GOtt selber auch beim Verschonen über Ninive sich auf das dortige Vieh beruft, und überhaupt Seinen Bund nach der Sintflut auch mit allem lebendigen Tier aufgerichtet haben will. Unser lieber Heiland weist uns auch auf die Vögel des Himmels, und wie Sein himmlischer Vater diese ernähre, gibt uns aber zugleich auch Macht zu glauben, dass wir mehr denn diese seien.