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18. Drei Himmel.

Wo wohnt der liebe Gott? Diese Frage hatte der Knabe oft gethan, und die Antwort, die der Vater ihm gegeben: „im Himmel“ hatte ihm immer genügt. „In welchem Himmel, in welchem Himmel?“ so fragte er eines Morgens dringender, als er vernommen, daß man den Palast des himmlischen Königs hoch über Wolken und Sternen suchen müsse. Da sagte der Vater: „Mein Kind, der Wolkenhimmel ist der erste Himmel, der Sternenhimmel ist der zweite Himmel, und darüber ist der dritte Himmel, und im dritten Himmel wohnt und thront der liebe Gott.“

Am Tage machten Vater und Mutter eine Besuchsreise zu Freunden in einer benachbarten Stadt, und der Knabe wurde mitgenommen. Das Wetter war rauh, Sturm und Regen wechselten mit einander ab. Man hatte sich in der Stadt ein wenig umsehen wollen, denn es war daselbst mancherlei zu sehen; allein Sturm und Regen nöthigten im Zimmer zu bleiben. Der Knabe eilte oft an’s Fenster und sah nach dem Himmel, ob derselbe sich nicht erheitern wolle, allein er blieb trübe. Vater und Mutter und die guten Freunde, in deren Hause sie waren, redeten mit einander von allerlei Erfahrungen, Aussichten, Wünschen und Meinungen; aber dies Geplauder ging an dem Ohr des Knaben vorüber wie eintöniges Wellenrauschen, nur einmal wandte er sich und merkte scharf auf, als er den Vater sagen hörte: „der Himmel hängt voll Wolken schwer, ich seh‘ das blaue Zelt nicht mehr“ und die Mutter mit sanfter Stimme fortfahren hörte: „doch über Wolken hell und klar nehm ich ein freundlich Auge wahr!“

Es war Abend geworden, und um den Abend war es licht. Sturm und Regen waren verschwunden, und die Eltern wanderten mit dem Knaben im wundervollen Sternenschein nach herzlichem Abschied von den guten Freunden zum Bahnhof. Sie gingen rasch und schweigend dahin. Der Himmel glitzerte über ihnen, und einmal war es, als ob ein’s der goldenen Sternlein vom Himmel fiele und in das Wasser rechts von der Straße sich versenkte. Der Knabe sah’s und sagte endlich, indem er des Vaters Hand drückte: „dies ist doch ein herrlicher Tag!“ „Warum denn, mein Kind?“ fragte der Vater – „Ei, ich habe heute zwei Himmel gesehn, am Tage den ersten Himmel und nun den zweiten Himmel, doch den dritten Himmel kann man hier nicht sehn.“ – Sie gingen, in Gedanken versunken, weiter. „Lieber Vater“, sagte der Knabe, als der Bahnhof beinahe erreicht war, „den dritten Himmel kann man doch auch schon auf Erden sehn!“ „Wie meinst Du das?“ forschte der Vater. „O ich meine nur“, sagte der Knabe, „man sieht den dritten Himmel, wenn man stirbt, wie Stephanus!“

Der Dampfwagen nahm die Familie auf, und sie fuhren heim durch die sternenhelle Nacht. Den Knaben aber übermannte der Schlaf, so fuhr er träumend heim. Wovon er wohl geträumt haben mag?

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