Quandt, Emil - Die Ruhestätten des Menschensohnes - 7. Das Freundeshaus in Bethanien

Quandt, Emil - Die Ruhestätten des Menschensohnes - 7. Das Freundeshaus in Bethanien

Ev. Luk. 10,38.
Es begab sich aber, da sie wandelten, ging er in einen Markt. Da war ein Weib mit Namen Martha, die nahm ihn auf in ihr Haus.

Bethanien heißt der siebente und letzte Ort, den wir unter den Ruhestätten des Menschensohnes auf Erden betreten. Es ist diejenige Stätte, da der wandernde Heiland am liebsten eingekehrt ist und am öftesten und noch am allerletzten, ehe er in den Garten Gethsemane ging und dort an unserer Statt und zu unserer Erlösung den Kelch des Vaters trank. Gleichwie der Heiland Alle liebte und doch einen Lieblingsjünger hatte, Johannes, den Sohn der Salome; so ist er zwar umhergezogen von Dan bis Bersaba und hat das ganze heilige Land, ja die ganze Welt als sein Kirchspiel betrachtet und ist an allen Orten freundlich eingekehrt, wo man ihn einlud, aber von allen war sein wertester Aufenthaltsort Bethanien und in Bethanien das Freundeshaus, in welchem die drei Geschwister Lazarus, Martha und Maria wohnten. Was Wunder also, wenn Bethanien einen gefeierten, vielbesungenen Namen in der Christenheit hat!

Bethania, du Friedenshütte;
du vom Herrn geliebtes Haus;
liebend sahst du ihn in deiner Mitte,
liebend ging Er ein und aus!

Was Wunder auch, wenn von allen Ruhestätten des Menschensohnes uns selbst Bethanien am freundlichsten anlächelt und wir selber daselbst am liebsten mit des Menschen Sohn ausruhen?

Es gibt drei Hauptstellen in der Heiligen Schrift, die uns Bethanien zeigen und die Herrlichkeit des göttlichen Gasts in Bethanien. Ev. Johannes 11 zeigt uns das liebe bethanische Haus, wie es aus einem Trauerhause in ein Haus jauchzender Anbetung verwandelt wird, da der Herr seinen Freund Lazarus, den er lieb hatte, nachdem er ihm an seinem Grabe Tränen des Leides geweint, wie weiland David seinem Freund Jonathan, von den Toten auferweckt durch das Wort seiner göttlichen Macht: Lazare, komm heraus! Evangelium Johannis 12 erzählt uns, wie des Menschen Sohn dicht vor seinem Leiden und Sterben in Bethanien von Maria mit einem Pfund Salben von ungefälschter köstlicher Narde gesalbt wird, und wie der Herr voll wehmütiger Freude über diese Vorfeier seines Begräbnisses jenes Wort über Maria spricht, das wohl das Schönste ist und das größte von allen, die je zum Lob eines Menschen gesagt sind: Sie hat getan, was sie konnte. Die Erzählung Luk. 10,38 ff. gibt uns allerdings das schlichteste Bild von Bethanien, ein Bild ohne Trauerflor und ohne Wunderglanz und ohne Nardenduft, und doch das schönste Bild, nämlich das Bild eines gläubigen Hauses als ein wohltuendes, tröstendes, mahnendes, beschämendes, ermutigendes Vorbild für unsere eigenen Häuser. Wohl uns, wenn er seine Lieblingsstätte auch bei uns in Haus und Herzen hätte! Freund, so gern den Deinen nah, hier sei dein Bethania!

Weniger für Christen, die noch im Umkreis des Christentums stehen, als vielmehr für solche, die schon den Mittelpunkt, wenn auch mit noch so zitternder Glaubenshand erfasst haben, gewährt das Schwesternhaus in Bethanien reiche Belehrung und Erbauung als ein Bild gläubiger Christenhäuser in ihrer Seligkeit, in ihren Anfechtungen, in ihren Aufgaben.

Es begab sich aber, da sie wandelten, ging er in einen Markt. Es begab sich - was uns von des Menschen Sohn in der Schrift erzählt wird, das sind immer große und wichtige Begebenheiten. Wie wenn in einem abgeschiedenen Tal stiller Hirten einmal ein edler Königssohn sich niederließ, den Hirten ein Hirte werdend und doch durch jede Tat, durch jedes Wort, durch jeden Blick das königliche Blut verratend, das in seinen Adern rollt; so kurz sein Wandeln in dem Hirtental auch wäre, die Hirten würden sich doch noch nach vielen Jahren davon erzählen als von der allerschönsten Zeit in ihrem armen Leben: so ist der Sohn des allerhöchsten Gottes vor Jahrhunderten einmal in das Tränental dieser Erde herniedergestiegen, geboren von einem Weib und unter das Gesetz getan und doch im Leben und Lieben, im Tun und Lassen, im Leiden und Scheiden allerwege die Herrlichkeit einer anderen Welt ausstrahlend; Erhabeneres, Heiligeres, Gewaltigeres hat es auf Erden nie gegeben, als seinen Wandel, sein Leben und sein Sterben, das Menschengeschlecht hat keine Erinnerung, welche dieser nur von ferne zu vergleichen wäre. Wieder und immer wieder erzählt man sich von dem wunderbaren Menschensohn, der zur Zeit des Kaisers Augustus in Bethlehem Ephrata geboren, im Land und Volk Israel umhergezogen ist, „wie Er ist so fromm gewesen, ohne List und ohne Trug; wie Er hieß die Kindlein kommen, wie Er hold sie angeblickt und sie auf den Arm genommen und sie an sein Herz gedrückt; wie er Hilfe und Erbarmen allen Kranken gern erwies und die Blöden und die Armen seine lieben Brüder hieß.“ Tausend Dank dem werten Heiligen Geist, dass er die Menschen Gottes erfüllt und getrieben hat, zu ewigem Gedächtnis aufzuschreiben, was jener wunderbarste Gast der Erde getan und geredet und gelitten und vollbracht hat in Tagen der Fülle der Zeiten. Tausend Dank dem Heiligen Geist, dass es ihm gefallen hat, in das Buch der Bücher eintragen zu lassen auch diese wundervolle Begebenheit, dass des Menschen Sohn einkehrte in Bethanien.

Da war ein Weib mit Namen Martha, die nahm ihn auf in ihr Haus. Was macht uns eine Stadt, was macht uns eine Stätte lieb und wert? Wenn uns an einem Ort, in einem Haus wohler ist als an und in dem andern, wahrhaftig nicht an dem Ort liegt es und nicht am Haus, sondern an den Menschen des Ortes und des Hauses. Wo das Menschenherz, das auf Liebe angelegt ist, Liebe findet und Liebe erfährt, da ist ihm wohl und wonnig, der Ort mag eine stolze Residenz sein oder ein armer Marktflecken. Und des Menschen Sohn trug auch ein klopfendes Menschenherz in der Brust, ein Herz, dem wehe ward, wo man ihm mit Gleichgültigkeit oder gar mit Undank begegnete - denken wir nur an jene schmerzliche Frage: Sind ihrer nicht Zehn rein geworden, wo sind aber die Neune? oder an die andere: Juda, verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuss? ein Herz, das sich freute in herzlichem Wohlsein, wo man es mit warmer Liebe aufnahm. In Bethanien war ihm wohl. Hier, das wusste er, war er immer ein willkommener Gast; Martha nahm ihn auf mit Freuden. O die liebe Martha, wie oft haben ihr die Prediger Unrecht getan in ihren Predigten über das berühmte Wort: Eines ist not! Wie viele Schreckbilder und Zerrbilder der lieben Martha werden auf dem Markt der gläubigen Welt noch heute wohlfeil verkauft und gerne eingekauft, in welchen diese teure, treue, glaubensvolle Jüngerin des Menschensohnes karikaturartig dargestellt wird als der Typus einer in die Welt verlorenen, irdisch gesinnten Frau, die die Sorge für das Ewige gänzlich vernachlässigt hätte!

O nein und dreimal nein! Wollte Gott, unsere Frauen und Jungfrauen, die den Anspruch auf Gläubigkeit machen, hätten solchen Glauben, wie Martha ihn hatte! Ihr strengen Kritiker der Martha, was wollt ihr denn mehr? Jesus klopft an die Tür des Hauses in Bethanien; in dem Haus sind Zweie, Martha und Maria, aber Martha tut ihm auf. Es steht ausdrücklich geschrieben: Sie, die Martha, nahm ihn auf in ihr Haus.

Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria, die setzte sich zu Jesu Füßen und hörte seiner Rede zu. Martha aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Allerdings also wohl eine Verschiedenheit zwischen den beiden Schwestern: die eine setzt sich still zu des Meisters Füßen, in Andacht hingesunken; die andere sorgt und müht sich, um ihm zu dienen. Aber, wahrlich das ist nur eine Verschiedenheit der Form, nicht des Wesens. Man merkt den beiden Schwestern die gleiche große Freude über die Einkehr ihres heiligen Freundes an, den gleichen festgewurzelten Glauben, die gleiche brennende Liebe; aber die eine Schwester äußert ihre Freude, ihren Glauben, ihre Liebe anders als die andere. Das aber ist wahrhaftig an und für sich nichts Böses. In dem Reich der Natur herrscht bei der größten Einheit im Wesentlichen doch die ungeheuerste Mannigfaltigkeit im Einzelnen; kein Blättlein ist dem andern gleich, wenn man es genau betrachtet; und die Lerche lobt ihren Schöpfer in andern Weisen als die Nachtigall. In dem Reich der Gnade ist das nicht anders, kann es nicht anders sein; denn der Gott der Natur ist auch der Gott der Gnade; und dieser Gott will durch das Christentum nicht die Persönlichkeiten zertreten und vernichten, sondern er will sie durch dasselbe vielmehr reinigen, verklären und heiligen. Maria und Martha äußern sich verschieden, aber trotz dieser Verschiedenheit sind sie darin vollständig eins, dass sie nur Eine Passion hatten, und die war Jesus, dass Jesus ihnen über Alles ging, dass sie glaubten an den eingeborenen Sohn Gottes und dass sie in diesem Glauben selig waren. Und diese Seligkeit des Glaubens an Jesum Christum bildet noch heute und zu allen Zeiten das Gemeinsame in allen gläubigen Häusern. Zerstreut über die weite Erde sind die Kinder Gottes, die an Jesum Christum glauben und die Gerechtigkeit haben, die aus dem Glauben kommt; und wenn es im Himmel eine Erdkarte gibt, auf der der Unglaube schwarz, der Glaube weiß bezeichnet ist, so gehen die weißen Pünktlein auf dem schwarzen Grund von einem Ende zum andern. Da sind denn nun wohl der Verschiedenheiten zwischen all diesen Stätten des Glaubens auf Erden sehr viele: hier betet man Jesum an unter einem Strohdach, und dort in prächtiger Halle; hier liest man die Bibel in den Grundsprachen, dort mühsam in der Landessprache, der einzigen, die man kennt; hier singt man ihm biblische Psalmen, dort allerlei neuere geistliche, liebliche Lieder; hier beugt man die Knie vor ihm, hier betet man stehend; hier wagt und wandert man für ihn, dort sitzt man still zu seinen Füßen. Wie die Armee eines großen Königs mancherlei Truppengattungen und mancherlei Uniformen hat, so dass sie äußerlich einen bunten Anblick gewährt, und doch alle Glieder der Armee, so verschieden auch ihre Uniformen sind, eins sind in Liebe und Treue gegen ihren Kriegsherrn: so tragen auch die über den Erdboden zerstreuten gläubigen Christen sehr verschiedene Uniform, aber sie sind alle eins in Liebe und Treue gegen den Herzog ihrer Seligkeit, welcher ist Jesus Christus, und darin, dass sie nichts Lieberes, nichts Süßeres, nichts Seligeres haben und wissen und fühlen und kennen, als die Gemeinschaft mit dem versöhnten Gott in Jesu Christo.

Immanuel ist meines Herzogs Name,
Dem Herz und Lippe Huld und Treue schwört;
Der Sohn des Hochgelobten, Davids Same,
Das ist der Mann, dem Herz und Hand gehört.
Er hat sich Sünderherzen
Erkauft durch Todesschmerzen;
Er hat mit seinem Blut auch mich erkauft,
Und ich bin auch in seinen Tod getauft.

Immanuel! In diesem heil'gen Namen
Bin ich mit frommen Freunden eng vereint;
Und wenn wir flehen, sagt Er Ja und Amen
Und stillt die Tränen, die wir ihm geweint;
Und wenn in Lobeliedern
Wir seinen Gruß erwidern,
Dann macht sein gnadenvolles Nahesein
Zugleich unendlich groß, unendlich klein.

Immanuel! Es folgt auf Deinen Bahnen
Dir unverwandt die kleine, stille Schar.
Das Kreuzesbanner weht statt aller Fahnen
Voran zum Sieg, das ist gewisslich wahr.
Dein Banner kann nicht sinken,
Wir folgen seinem Winken,
Und wenn die Welt am jüngsten Tag zerfällt,
Behalten wir mit Dir, o Held, das Feld.

Dass unser Jesus die Freuden des Himmels drangab und das Kreuz erduldete zu unserer Erlösung, das ists, was alle Gläubigen rühmen und preisen als den Erbarmungsgrund, auf dem ihr Leben ruht. Dass Jesus in der Wüste der Welt sie aufsuchte und sie auf seinen Armen in seine Hürde trug und dort alle ihre Wunden verband mit seiner durchgrabenen Hand, das ist es, was sie alle mit Jauchzen bezeugen. Wahrlich die Gemeinschaft der Heiligen ist kein leerer Wahn; es gibt noch auf Erden eine Gemeinde von Kindern Gottes, die arme Sünder sind, aber rein gewaschen durch das Blut Jesu Christi, die alle erfüllt sind mit dem Frieden Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, die alle mit St. Paulo sprechen: Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn; leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn; darum wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn. Er ist uns gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, auf dass er kundtäte den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit. Nun sind wir gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn. Das ist die Seligkeit der Gläubigen, die Seligkeit aller gläubigen Häuser; sie haben Christum und in Christo Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. O seliges Haus, wo man ihn aufgenommen, den großen Heiland Jesum Christ!

Und Martha trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie es auch angreife. Das sind nun die oft genannten Worte der Martha, um derentwillen man sich berechtigt gehalten hat, sie des Unglaubens und des irdischen Sinnes zu zeihen. Und doch sind diese Worte zunächst ein Zeugnis gerade für ihre Gläubigkeit. Sie trat hinzu, zu Jesu, und zwar mit großer Ehrfurcht. „Herr“, so beginnt sie ihre Anrede; zu Jesu treten ehrfürchtigen Sinnes, wahrlich das ist nicht ein Zeichen der Versunkenheit in die Welt, sondern vielmehr ein Zeichen des Glaubens. Sie hat Bekümmernis in ihrem Herzen um ihre Schwester, sie schüttet ihr Herz vor ihrem Heiland aus; so tut der Unglaube nimmermehr, sondern nur der Glaube. Sie hält das Benehmen der Schwester für etwas, was dem Herrn selbst missfallen müsste; sie bittet den Herrn, der die Herzen lenkt, wie Wasserbäche, dass er das Herz der Schwester nach ihrem Willen, den sie für den Willen des Heilandes hält, lenken möchte; ein Weltmensch macht das ganz anders, das ist nur bei Gläubigen Sitte. Martha ist eine gläubige Jüngerin des Herrn; aber sie befand sich in einer schweren Anfechtung durch das Auftauchen des alten Adams in ihr. Sie sorgte und quälte sich für ihren Heiland, und Maria saß still und feierte, da raunte ihr ihr alter Adam zu: Sollte das des Herrn Wille sein, dass ein gläubiger Mensch auf Erden es besser hat, als der andere, dass der eine sich behaglicher Ruhe hingeben darf, während der andere sich für seinen Heiland aufreibt? Sie hielt bei der Einkehr Christi seine Bewirtung und leibliche Erquickung für das Erste und Nötigste, Maria aber dachte nicht daran, Hand oder Fuß für den Heiland zu rühren, sie lauschte vielmehr still auf seine Worte und hörte seiner Rede zu; da flüsterte der sorgsamen Freundin des Menschensohnes ihr alter Adam zu: Gibt es denn zwei Weisen, dem Heiland zu dienen? es kann nur eine Weise geben, die die rechte ist, und du hast die rechte Weise und Maria die falsche. O die alte Schlange, sie hat sich ins Paradies eingeschlichen, sie schleicht sich auch in ein Bethanien ein! Weltleute wissen von diesen Anfechtungen nichts; wen der Teufel einmal hat, den lässt er wohl zufrieden; aber gläubige Gemüter kennen das wohl; ach, es ist Satans List über viele Frommen zur Versuchung kommen. Alles kommt in solchen dunklen Stunden darauf an, dass man zu den rechten Waffen des Widerstandes greift. Wahrlich Martha hat die rechten Waffen ergriffen. Sie geht den Herrn mit ihren Bitten an und bittet um ein entscheidendes Wort seines Mundes. Der Herr hat ihre Bitte erhört, aber anders, als ihre Gedanken waren; er hat das entscheidende Wort gesprochen, aber nicht gegen die Schwester, sondern für die Schwester. Gewiss, sich das sagen lassen: „Martha, du hast Unrecht, Maria hat das gute Teil erwählt!“ das war nicht leicht. Aber wer wollte im Ernst daran zweifeln, dass Martha sich hat sagen lassen, dass sie sich demütig unter des Heilandes Wort und Entscheidung gebeugt hat und dass sie in dieser Beugung unter Jesu Wort die schwere Anfechtung ihres Glaubens siegreich überwunden hat? Gebet und Wort Gottes helfen den Gläubigen durch alle Verdunklungen und Anfechtungen. Wir finden später Ev. Joh. 12 des Menschen Sohn wieder in Bethanien, und Martha dient wieder dem Herrn, aber ohne einen einzigen Seitenblick auf Maria; doch auch Maria dient dort dem Herrn, wenn auch in ihrer Weise, sie salbt die Füße des Heilandes mit ungefälschter, köstlicher Narde. - Gläubige Leute, das mögen wir uns merken, sind keine Engel, sondern Menschen mit Fleisch und Blut. Sie sind Menschen mit vergebenen Sünden, aber sie sind nicht Menschen ohne Sünde; der alte Adam geht mit ihnen, bis sie sterben. Sie sind selig im Glauben an den Heiland, aber sie sind nicht frei von mancherlei Schwachheit und Sündhaftigkeit. Paulus im Römerbrief Kap. 7 spricht aus der Erfahrung der Wiedergeborenen heraus schmerzliche Klage aus über die knechtende Macht der Sünde in Momenten der Verdüsterung. Johannes lehrt, indem er. von denen spricht, die im Lichte wandeln, dass, so wir sagen, wir haben keine Sünde, wir uns selbst verführen, und die Wahrheit ist nicht in uns. Die uns anklebende Sünde aber ist die furchtbare und fruchtbare Quelle von mancherlei Anfechtungen und Trübungen des Glaubensstandes. Da ist ein gläubiger Handwerksmann; wahrhaftig, er hat seinen Heiland aufrichtig lieb und möchte so gerne durch das Blut Jesu Christi selig werden; aber er gelangt so selten zu einer Marienfeier vor dem Herrn, er muss in Martha-Arbeit schaffen und sich sorgen und sich mühen Tag aus, Tag ein, dass sich seine Hände härten und von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß. Da naht ihm denn wohl ein gläubiger Bruder aus höheren Ständen und mahnt ihn: „Freund, du machst dir zu viel Sorge und Mühe, du musst mehr feiern vor dem Herrn“, und beweist ihm das mit vielen Sprüchen aus der Heiligen Schrift und treffenden Verslein aus dem Gesangbuch. Wie leicht schleicht sich da in so ein armes Herz die Bitterkeit ein und Gedanken wie die: Der hat gut reden, der Mann, denn er hat Zeit die Fülle; ach freilich ja, das Feiern vor dem Herrn ist sehr süß, wenn mans nur haben könnte; aber unser Einer, der von der Hand in den Mund lebt, muss wohl sich sorgen, muss wohl die Hände rühren von Morgen bis Abend, denn Hunger tut weh! Da sind gläubige Jungfrauen, von dem Herrn mit Geld und Zeit begabt; es ist ihnen eine Lust, Witwen und Waisen in ihrer Trübsal zu besuchen. und sie zu speisen mit irdischem und himmlischem Manna. O das ist ja schön und gut und herrlich, aber wie oft hat sich bei solcher Arbeit der Liebe im Glauben der bitterböse Gedanke eingeschlichen, das sei nun die wahre, die einzige Weise, in welcher alle Jungfrauen und Frauen dem Heiland dienen müssten, und man splitterrichtet über fromme Mütter, denen das eigene Haus ihre Welt ist, und die vor Kinderpflege nicht zur Armenpflege kommen; man macht allerlei Anmerkungen über Andere, die vor dem Herrn feiern mit Singen und Spielen. Ja dies Methoden-Christentum, wie oft setzt es sich an den ernsten Glauben an, dass man seine Einzelart, vor dem Heiland zu leben, zu einem zwingenden Gesetz für Alle ohne Unterschied erheben will! Wenn nun aber eben solche und ähnliche Anfechtungen ein gläubiges Haus umziehen, dann ists wie dort in Bethanien, als Martha mit ihren Klagen vor den Herrn trat. Mögen in solchen Zeiten der Anfechtungen unsere Häuser nur auch darin jenem bethanischen Haus gleichen, dass wir mit unseren Klagen bittend und betend vor den Herrn treten und durch sein Wort, als die Leuchte unserer Füße, uns weisen lassen. Das Gebet zum Herrn, das Wort vom Herrn sind die Waffen, die auch durch die schwersten Umdüsterungen des Glaubens uns immer siegreichen Durchgang schaffen werden. Die Dissonanzen in einem gläubigen Haus und unter gläubigen Häusern können oft herbe genug sein, aber wenn Einer nur immer noch für sich und den Andern betet, wenn nur Beide sich noch unter das Wort Gottes beugen, dann müssen die Dissonanzen sich lösen. Martha und Maria können sich wohl missverstehen, doch können sie sich niemals scheiden, denn sie sind eins im Herrn.

Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Martha, Martha, du hast viele Sorge und Mühe; Eins aber ist not; Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden. Das sind nun die vielberühmten Schlussworte unserer evangelischen Erzählung. Sie klingen sehr einfach, doch schwimmt der Sinn gar nicht auf der Oberfläche. Wohl ist es eine erlaubte Anwendung zu sagen: Eins ist not, du Menschenkind, nämlich dass du dich bekehrst von dieser eitlen Welt zu Jesu Christo, dem Bischof und Hirten deiner Seelen. Gewiss, das ist das Eine, was not ist für jeden Menschen, der noch der Welt angehört und ohne Glauben, ohne Heil, ohne Frieden das Leben verträumt. Denn nicht Essen und Trinken, nicht Kaufen und Verkaufen, nicht Freien und Sichfreienlassen, nicht die Dinge dieser Welt geben der Seele die Ruhe: Eins ist not, sich bekehren, Buße tun und glauben an Jesum Christ; und wer's noch nicht getan, der tue es bald, denn nichts hat so große Eile, als die Sache der Seligkeit der Seelen. Aber so verstattet diese Anwendung ist denen gegenüber, die noch nicht glauben, so dürfen wir uns doch der Erkenntnis um keinen Preis verschließen, dass das nicht der nächste Sinn der Worte ist, wie sie der Herr der Martha gegenüber meinte. Nicht eine Lektion für die Ungläubigen, sondern eine Lektion für die Gläubigen gibt der Herr in diesen Worten. Das berühmte Sätzlein: Eins ist not! ist für gläubige Häuser gesagt und nennt ihnen ihre tägliche Aufgabe. Was aber ist diese Aufgabe, und was meint der Satz: Eins ist not!? Ist das das gute Teil, das Maria erwählt hat, dass sie vor dem Herrn feiert? Ist das das schlechte Teil der Martha, dass sie dem Herrn dient? O wer auch nur das Abece der Schriftlehre kennt, kann das im Ernst nicht meinen. Hat doch der Herr in Simons Haus den Pharisäer streng getadelt, dass er ihm die kleinen Dienste der Gastfreundschaft nicht erwiesen hatte, zum Zeichen und Zeugnis, dass Marthadienst an und für sich nichts Schlechtes ist, sondern im Gegenteil vom Herrn geradezu gefordert wird. Hat doch der Herr nach seiner Auferstehung eine andere Maria, Maria Magdalena, als sie sich zu seinen Füßen voller Andacht niederlassen wollte, geradezu fortgeschickt, ja fortgeschickt, dass sie für ihn wirkte, zum Zeichen und Zeugnis, dass das Feiern vor ihm seine Zeit hat und das Wirken desgleichen. Also nicht das Feiern vor dem Herrn kann das Eine sein, was not tut, ebenso wenig wie es das Wirken ist; für das Feiern und für das Wirken gilt: Beides ist not! Nein, nicht das Wirken Marthas war tadelnswert, sondern die Gesinnung, in der sie wirkte; nicht das Feiern Marias war das Eine, Notwendige, sondern die Gesinnung, in der sie feierte. Martha war zwar gläubig, aber ihr Glaube hatte noch ungeübte Sinne; sie sah dem Herrn noch nicht an den Augen ab, was er wünschte und wollte. Maria aber hatte nicht bloß Glauben, sondern auch den feinen Takt des Glaubens, dass sie es dem Herrn an seinen Augen absah, was er bei diesem Eintritt in das bethanische Haus wollte, nämlich nicht sich bewirten lassen, sondern selbst bewirten, nicht sich leiblich erquicken lassen, sondern selbst geistlich erquicken. In Martha hatte der Herr eine Jüngerin, von der er geliebt wurde, wie von irgendeiner; in Maria hatte er eine Jüngerin, von der er nicht nur geliebt, sondern auch verstanden wurde. Maria setzte sich zu des Menschensohnes Füßen und hörte seiner Rede zu, weil ihr der Wink seiner Augen sagte, dass das in diesem Moment der Wille des Meisters war. Und diese tiefinnerliche Hingabe an den Herrn und seinen Willen, dieses Sichhineingelebt und Hineingeliebthaben in das, was wohlgefällig angenehm ist vor dem Heiland, das war das gute Teil, das sie erwählt hatte, und das nicht von ihr genommen werden sollte, weil es nicht von ihr genommen werden konnte; denn man kann das Leben nicht vom Leben trennen, und das Leben Marias hatte sich in das Leben Jesu Christi hineingelebt. Das also ist das Eine, Notwendige für alle gläubigen Christen, ob sie den Marthanamen oder den Mariennamen tragen, ob sie praktisch oder beschaulich gerichtet sind, dies Hineinleben in Jesu Sinn, dies feine Aufmerken auf Jesu Wunsch und Willen, dies immer Ärmerwerden an Eigenheit, dies immer Reicherwerden an stiller Hingabe, mit Einem Wort die Heiligung in ihrer innerlichsten und tiefsten Fassung. Ach, es quälen sich so manche Gläubige in dem Vielen ab, zweifeln und fragen immerfort, ob sie dies tun und jenes lassen müssen; Eins ist uns not, gläubige Freunde, dass wir uns so in den Sinn Jesu Christi hineinleben, dass wir ohne gesetzliche Regeln doch in jedem Augenblick vergessen, was dahinten ist, und uns strecken nach dem, was vorne ist, gleichwie die Blumen in unseren Gärten ohne Vorschrift allein ihrem Schöpfer blühen und duften. Luther schreibt am Schlusse seiner Haustafel für gläubige Häuser vor: Ein Jeder lern sein' Lektion, so wird es gut im Haus stehen. Die Regel ist wohl gut, aber im tiefsten Kern ist die Lektion für alle gläubigen Glieder aller gläubigen Häuser eine und dieselbe. Eins ist not für die gläubigen Männer und Hausväter, immer schärfer und feiner zu erfassen und zu durchleben, was Jesus von ihnen und mit ihnen und durch sie will, so werden sie je länger desto mehr in ihrem Amt, in ihrem Haus, in ihrer Gemeinde den Segen des Himmelreichs ausströmen. Eins ist not für die gläubigen Frauen und Jungfrauen, immer inniger und enger mit dem Bräutigam ihrer Seelen zu verwachsen, so wird der Geist sie selber lehren, wo in jedem Moment ihr angewiesener Platz ist, ob in der Kinderstube, ob im Witwenhäuschen, ob in der Küche, ob in der Kirche. Eins ist not für gläubige Kinder, nämlich der ehrfürchtige Sinn, da sie bei Allem, was sie tun und treiben, sich immer innerlich fragen: „Meint es auch so mein Jesus? Will das auch so der liebe Heiland?“ dann werden sie zunehmen an Gnade bei Gott und den Menschen. In Summa Eins ist not für Alle, die den Herrn Jesum lieben, dass sie Ihn immer besser verstehen, seinen Winken immer folgsamer gehorchen lernen. Je mehr in einem gläubigen Haus jedes einzelne Glied dieser seiner Aufgabe nachdenkt und nachlebt, desto weniger Zeit behält es, über Andere ein unfruchtbares Splittergericht zu üben. Der Herr erfülle alle Häuser des Glaubens mit seinem Heiligen Geist und heilige sie durch und durch, dass unser Geist ganz samt Seele und Leib behalten werde unsträflich auf die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi. Getreu ist der, der uns ruft, welcher wird es auch tun.

Wir sind am Ende mit unserer Betrachtung über Bethanien, mit unseren sieben Betrachtungen über die Ruhestätten des Menschensohnes auf Erden. Wir werfen noch einmal einen Blick, einen Scheideblick auf das Vaterhaus des Menschensohnes in Nazareth, auf sein Vaterhaus in Jerusalem, auf das Fischerhaus in Kapernaum, auf das Pharisäerhaus zu Nain, auf das Zöllnerhaus in Jericho, auf das Freundeshaus in Bethanien und falten unsere Hände vor dem Herrn, unserm Heiland, und bitten Ihn Angesichts unseres eigenen Hauses: Schreib, Herr, auch an unsere Tür: Meine Freunde wohnen hier! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/q/quandt/ruhestaetten/quandt-drdm-7.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain