Quandt, Emil - Der Brief St. Pauli an die Philipper - VIII. Das rechte evangelische Gemeindeleben.
Kap. 1, 27-30.
Wandelt nur würdig dem Evangelio Christi, auf dass, ob ich komme, und sehe euch, oder abwesend von euch höre, dass ihr steht in einem Geist und einer Seele, und samt uns kämpft für den Glauben des Evangelii: Und euch in keinem Wege erschrecken lasst von den Widersachern, welches ist eine Anzeige, ihnen der Verdammnis, euch aber der Seligkeit, und dasselbige von Gott. Denn euch ist gegeben um Christi willen zu tun, dass ihr nicht allein an ihn glaubt, sondern auch um seinetwillen leidet. Und habt denselbigen Kampf, welchen ihr an mir gesehen habt, und nun von mir hört. Amen.
Paulus, der Bote Christi in der Kette, war ebenso gefasst auf einen ungünstigen Ausgang seiner römischen Gefangenschaft, als voll Hoffnung auf einen günstigen Ausgang. Ja, zu Zeiten war er in seinem Gott gewiss, dass er wie den andern Gemeinden, so besonders seiner geliebten Philippergemeinde noch einmal geschenkt werden würde und er dieselbe wiedersehen werde. Aber ob er nun seine liebe Gemeinde zu Philippi noch einmal von Angesicht zu Angesicht sehen oder ob er nur noch einmal von ihr hören werde, was er sehen möchte, was er hören möchte, ist das Eine, dass die Gemeinde würdig dem Evangelium Christi wandle. Wandelt nur würdig dem Evangelium Christi, so schreibt er in dem Briefe, den er den Philippern durch Epaphroditus sendet; das ist das innige, persönliche Anliegen, dem er in dem verlesenen Abschnitt Ausdruck gibt. Was aber meint der Apostel an unserer Stelle mit der Mahnung zum würdigen evangelischen Gemeindeleben? Er mahnt die philippische Gemeinde zur Glaubenseinigkeit: „Steht in Einem Geist und in Einer Seele“; er mahnt sie zur Glaubensfreudigkeit: „Lasst euch in keinem Weg erschrecken von den Widersachern, welches ist ein Anzeichen ihnen der Verdammnis, euch aber der Seligkeit und dasselbige von Gott“; er mahnt sie zur Glaubenstapferkeit: „Kämpft für den Glauben des Evangeliums“ und wie es in den andern Versen weiter heißt.
Wittenberg ist nicht Philippi, und ein Prediger unserer Zeit ist nichts weniger, als ein Paulus. Aber auch die Wittenberger Gemeinde ist eine evangelische Gemeinde; und auch ein Prediger der Neuzeit hat die Pflicht, seine Gemeinde aufzufordern zu einem Wandel würdig dem Evangelium. Und überdem ist es in unserer verworrenen Zeit an und für sich ein heilsames Ding, in der Kirche einmal mit gesammelten Sinnen nachzudenken über das evangelische Gemeindeleben, wie es nach apostolischer Weisung würdig ist.
Das rechte evangelische Gemeindeleben
ist nach unserm Text
1. ein Leben in Glaubenseinigkeit,
2. ein Leben in Glaubensfreudigkeit,
3. ein Leben in Glaubenstapferkeit.
Herr, ich nehme von dir das Wort; nimm du die Seelen, die es hören, denn sie wollen dein sein. Amen.
1.
Wandelt würdig dem Evangelium Christi, ruft Paulus den Philippern zu. Im griechischen Urtext redet er mit dieser Mahnung die Philipper zugleich als Bürger des Reiches Gottes auf Erden an, des Reiches, in welchem Jesus Christus der Herr ist und alle, die an ihn glauben, seine Untertanen sind. In dieses Reich waren die Philipper eingebürgert, als ihnen, wie Paulus zwei Verse weiter sagt, gegeben wurde, an Jesum Christum zu glauben, gegeben, nämlich durch den Heiligen Geist, wie wir evangelischen Christen mit Dr. Luther bekennen: Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen und mit seinen Gaben erleuchtet. Es ist eine große Gnade und eine hohe Ehre, im Glauben an Jesum Christum das Bürgerrecht im Reiche Gottes zu haben und zu dem göttlichen Volke zu gehören, das aus dem Geist des Herrn gezeugt und von seiner Flammenpracht angefacht ist. Aber je größer die Gnade ist und je höher die Ehre, desto heiliger ist auch die Verpflichtung wie für den einzelnen Christen, so für eine ganze evangelische Gemeinde, dem Heiland und dem Evangelium keine Schande zu machen, sondern standesgemäß zu leben, so zu wandeln, wie der Heiland im Evangelium uns vorschreibt und seine Apostel in ihren Episteln es weiter ausführen.
Als erstes Hauptstück eines würdigen, evangelischen Gemeindelebens nennt Paulus das Stehen in Einem Geist und Einer Seele; er will, dass seine Philipper im Glauben und auf dem Grunde des Glaubens an das Evangelium Ein Herz und Eine Seele seien; er fordert Einigkeit im Glauben und auf Grund des Glaubens. Im Glauben an Jesum Christum den Gekreuzigten und Auferstandenen, waren die Philipper ja, soweit wir erkennen, treu und einig; aber in der Einigkeit der Gläubigen unter einander fehlte es hier und da, wie wir das daraus schließen müssen, dass der Apostel nicht nur an unserer Stelle, sondern wiederholt die Philipper zur Einhelligkeit und Einmütigkeit ermahnt.
Einigkeit des Glaubens, Einigkeit der Gläubigen wie steht es damit bei uns Wittenbergern?
O, die Wittenberger Gemeinde hat ja den großen weltgeschichtlichen Vorzug, dass in den Tagen der Reformation bei ihr zuerst der erneuerte alte Glaube an das Evangelium auf den Leuchter gestellt ist. Und was die drei evangelischen Erzväter von Wittenberg, Luther, Melanchthon und Bugenhagen hier vor Jahrhunderten predigten, das wird noch heute von alten und jungen Dienern am Worte in dieser Pfarrkirche, in der Schlosskirche, im Lutherhause gepredigt, nämlich dass, was zuvor geschrieben ist in der Bibel, geschrieben ist aus Eingebung des Heiligen Geistes, der in alle Wahrheit leitet, und dass der Mensch gerecht wird vor Gott ohne des Gesekes Werke, allein durch den Glauben. Ja, wenn die Menschen schwiegen, die Steine würden reden in Wittenberg von dem allein seligmachenden Glauben an den Christus der Schrift, die Steine und die Denkmäler auf dem Markt und in den Kirchen und in der Reformationshalle. Aber stehen nun alle Glieder der heutigen Wittenberger Gemeinde als ein Herz und eine Seele in diesem Glauben, der uns als ein Erbteil der Väter in den Schoß gefallen ist? Ach nein, sonst würden die Kirchen voller sein. Ach nein, sonst würden die Zeitungen nicht Festartikel bringen mit Verdächtigung der biblischen Berichte über die Festtatsachen. Ach nein, sonst würden nicht so viel Häuser in Wittenberg ohne Tischgebet sein. Ach nein, denn es gibt viel Unglauben, Halbglauben, Missglauben in Wittenberg. Aber, Gott sei Dank, eine kleine Herde, die treu zum Glauben der Väter hält und einig ist in diesem Glauben, ist in der Lutherstadt immer noch vorhanden; Gott erhalte sie, Gott mehre sie, Gott gebe, dass es auch in Wittenberg sich täglich mehr erfülle: Ist eine Seele gottgemein, zieht sie auch andere hinterdrein.
Wenn wir aber weiter die Glaubenseinigkeit als Einigkeit der Gläubigen untereinander im Leben und Lieben auffassen, so werden wir ja alle an unsere Brust schlagen und bekennen müssen, dass davon in dem modernen Wittenberg herzlich wenig zu sehen ist. Ja, wo es gilt, den Stab zu brechen über einen tief gefallenen schuldigen Mann, da offenbart sich eine erschreckende Einigkeit eisigen Hasses, dämonischer Schadenfreude, kindischen Hochmuts, der die Arme über die Brust gekreuzt, spricht: Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin, wie dieser Mann. Aber sonst pflegen die Geister weit aus einander zu gehen nicht nur in der Welt, sondern auch in der christlichen Welt. Es würden schöne, vielmehr hässliche Gedanken zutage kommen, wenn alle, die zusammen Sonntags in die Kirche gehen, durch ein Wunder Gottes plötzlich einander in die Herzen sehen könnten! Und das gegenseitige Vertrauen der Christen auf Christen, das gegenseitige Helfen und Zurechthelfen mit sanftmütigem Geiste, das liebevolle Sichmitfreuen mit den Fröhlichen, das liebevolle Mittrauern mit den Traurigen - o gebt mir die Laterne, die am hellen lichten Tage solche Einigkeit auf Grund des gemeinsamen Glaubens zeigt! Was sollen wir sagen? Was wollen wir tun? Wir wollen beten: „Ach, du holder Freund, vereine deine dir geweihte Schar, dass sie dich so herzlich meine, wie's dein letzter Wille war; ja, verbinde in der Wahrheit, die du selbst im Wesen bist, alles, was von deiner Klarheit in der Tat erleuchtet ist!“
2.
Zum würdigen Wandel der philippischen Gemeinde gemäß dem Evangelium rechnet der Apostel zum andern, dass sie sich in keinem Weg erschrecken lassen von den Widersachern, dass sie wie in Glaubenseinigkeit, so auch in Glaubensfreudigkeit stehe. Glaubensfreudigkeit, das soll ein Schmuck der Gläubigen sein auch in unseren Tagen.
Die Widersacher der Christen in Philippi waren die Nichtchristen, die jüdischen und heidnischen Feinde des Evangeliums. Ihre Macht und ihre Tücke hatte Paulus bei der Gründung der Gemeinde in Philippi an seiner eignen Person erfahren; die Widersacher hatten damals das Volk gegen ihn erregt und ihn vor die Hauptleute gezerrt und es dahin gebracht, dass ihm die Kleider vom Leibe gerissen und er gestäupt und in den Kerker geworfen und seine Füße in den Stock gelegt wurden. Kein Wunder, dass sich die Wut der Widersacher wie einst auf den Hirten, so später auf die Herde stürzte. Paulus mahnt, sich durch die Macht und Wut der Widersacher nicht einschüchtern, sich nicht bange machen zu lassen. Wer den Glauben hat, der nach der Schrift der Sieg ist, der die Welt überwindet, soll und darf nicht die Welt fürchten, als ob sie jemals das Christentum endgültig besiegen könnte. Und je glaubensfreudiger eine christliche Gemeinde inmitten einer feindlichen Welt ist und bleibt, desto lebhafter wird sie die Voranzeige Gottes empfinden, dass der Glaube zur Seligkeit und der Unglaube zur Verdammnis gereicht.
Vor jüdischen und heidnischen Widersachern des Evangeliums brauchen wir uns heutzutage und hier zu Lande nicht zu fürchten; zum mindesten die Heiden haben keine Macht hier im Lande. Aber mitten in der Christenheit selbst hat der Unglaube sich zu einer ganz gewaltigen Macht erhoben, die mit jedem Jahre mächtiger anschwillt; der Gegensatz gegen die Religion des Kreuzes und der Demut breitet sich immer weiter aus in der modernen Philosophie, in der modernen Presse, in der modernen Gesellschaft, in den modernen Arbeiterkreisen, in der modernen dienenden Jugend. Tausende sprechen es vor in unserer Zeit und Zehntausende sprechen es nach: Es ist aus mit dem Christentum, es hat sich überlebt, und die Zukunft gehört einem Geschlechte, das auf den Himmel verzichtet, um auf Erden herrlich und in Freuden zu leben. O meine lieben mitgläubigen Brüder und Schwestern, lassen wir uns nicht bange machen durch solches Gerede, lassen wir uns nicht einschüchtern durch die Träumereien und die Drohungen der feindseligen Welt. Der, an den wir Gläubigen glauben, ist Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene und zur Rechten Gottes Erhöhte, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden: Der muss allewege, wie Luther sagt, das Feld behalten, und wir mit ihm, das Reich Gottes muss uns bleiben. Gott schenke, Gott mehre uns die Glaubensfreudigkeit, dass wir uns innerlich immer gewisser werden: „Für alle Rätsel der Zeit und der Ewigkeit gibt es nur eine einzige Lösung, und die ist Jesus Christus, für alles Elend des Lebens und des Sterbens gibt es nur einen einzigen Trost und der ist Jesus Christus“; dass wir immer fröhlicher bekennen, immer dankbarer singen: Jesus, Jesus, nichts als Jesus soll mein Wunsch sein und mein Ziel; jetzo mach' ich ein Verbündnis, dass ich will, was Jesus will. Brüder, Schwestern, evangelische Gemeinde von Wittenberg, dringe ein, dringe ein wie in die Glaubenseinigkeit, so in die Glaubensfreudigkeit.
3.
Und in die Glaubenstapferkeit! Kämpft samt uns für den Glauben des Evangeliums, so bittet Paulus die Philipper; es ist euch gegeben, so erinnert er sie, auch um Christi willen zu leiden und habt denselbigen Kampf, den ich selber kämpfe.
Die paulinische Aufforderung zum Kampfe ist natürlich geistlich zu verstehen; an all den unzähligen Stellen des Neuen Testaments, an denen die Christen zum Kämpfen aufgefordert werden, sind fleischliche Waffen von vornherein ausgeschlossen. Glaubenstapferkeit ist geistliche Tapferkeit, die den Herrn Jesum ritterlich gegen seine Feinde durch Wort und Wandel verteidigt und standhaft und geduldig um des Herrn Jesu willen leidet.
Die ritterliche Verteidigung des Herrn Jesu ist in unserer Tagen eine besonders dringliche Aufgabe des Christen. Wo von dem Herrn Jesus und seinem Evangelium mit Achselzucken oder gar mit offenem Spott und Hohn gesprochen wird, da muss jeder christliche Ehrenmann seinen Mund öffnen und Protest einlegen, geradeso wie er es tun würde, wenn man von seinem Weibe, von seinen Eltern, von seinem Kaiser übel reden würde. Es ist nicht zu leugnen, die gläubigen Christen unserer Tage müssten ihre Religion, ihr Evangelium viel tapferer verteidigen, als sie es tun. So viele Vereine in unseren Tagen wie die Pilze aus der Erde aufschießen, einen Verein gegen den feindlichen Unglauben hat noch niemand gegründet. Viele, die wer weiß wie viel männlichen Mut aufwenden gegen die katholische Kirche, sind stumm wie die Fische gegenüber dem Antichristentum in unserer eigenen Mitte. Gott schenke doch uns allen einen heiligen Zorn nicht gegen die Menschen des Unglaubens, wohl aber gegen den Unglauben der Menschen, nicht gegen den sehnsüchtigen Zweifel ringender Seelen, desto mehr aber gegen die frivole Zweifelei der flotten Lebemenschen; Gott gebe jedem einzelnen von uns in jedem einzelnen Falle das rechte ritterliche Wort, um Torheit Torheit und Lüge Lüge zu nennen, die Perlen vor den Säuen zu hüten und das Heiligtum vor den Hunden und die Kirche vor den Kirchenräubern.
Leidenskämpfe um unseres teuren evangelischen Glaubens willen, wie sie die Philipper weiland zu kämpfen hatten, sind im Ganzen und großen uns Heutigen unbekannt. Kein Mensch tut uns heutzutage um unseres Glaubensbekenntnisses willen an Leib und Leben etwas zu Leide; und auch der Hohn und Spott ist doch wirklich nicht der Rede wert. Desto mehr sollen wir in unserer Zeit danach streben, in den gewöhnlichen Leiden, die das Menschenleben auf einer Erde voll Dornen mit sich bringt, uns als mutige und geduldige Christen zu beweisen. Untertanen eines Königs im vollen Dornenkranz dürfen nicht so viel Wesens davon machen, wenn sie von einem oder auch von mehreren vereinzelten Dornen gestochen werden. Wir kennen ja alle den alten schönen Vers von der Glaubenstapferkeit im Leiden, es kommt nur eben darauf an, dass wir ihn auch immer recht beherzigen: „Unverzagt und ohne Grauen soll der Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen, wollt' ihn auch der Tod aufreiben, soll der Mut dennoch gut und fein stille bleiben.“
Das rechte evangelische Gemeindeleben haben wir betrachtet und Gott schenke es uns, das Leben in Glaubenseinigkeit, in Glaubensfreudigkeit, in Glaubenstapferkeit. Amen.