Quandt, Emil - Der Brief St. Pauli an die Philipper - XII. Der Tod Christi am Kreuz.

Am Karfreitag.

Kap. 2, 8.

Er niedrigte sich selbst, und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Amen.

Wir stehen am Karfreitag andächtig unter dem Kreuze Christi, wie wir zu Weihnachten andächtig an der Krippe Christi standen. Wir bewegen unter dem Kreuze des Erlösers in unserm Herzen ein kurzes, körniges Wort der Schrift aus derselben Epistel und aus demselben Kapitel, aus dem wir an der Krippe des heiligen Christ uns erbauten; ja unser Karfreitagtext ist die unmittelbare Fortsetzung unseres Weihnachtstextes.

„Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war, welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein, sondern äußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an und ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden.“ So vernahmen wir zu Weihnachten, und wir betrachteten damals den heiligen Christ in seiner göttlichen und menschlichen Gestalt und die Demut als das rechte Weihnachtskleid wie für den Erlöser, so auch für die Erlösten.

„Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ So schreibt der Apostel Paulus Phil. 2 unmittelbar weiter, und wir betrachten heute am Karfreitag auf Grund dieses kleinen Verses

Christi Tod am Kreuz

1. als Zeichen seiner tiefsten Erniedrigung,
2. als Zeichen seines höchsten Gehorsams.

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünde der Welt, erbarme dich unser. Amen.

1.

Jesus Christus erniedrigte sich selbst. Das ist die Überschrift, die der Apostel auf das Kreuz Christi setzt. An die Krippe hatte er geschrieben: Er hielt es nicht für einen Raub Gott gleich zu sein, sondern äußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an. An das Kreuz schreibt er: Er erniedrigte sich selbst.

Nicht als ob nach der Meinung St. Pauli die Selbsterniedrigung Christi erst am Kreuze ihren Anfang genommen hätte. Vielmehr hat sie am Kreuz ihr Ende genommen, ihren Höhepunkt erreicht. Der Sohn Gottes hatte auf Erden von der Krippe an in Selbsterniedrigung gelebt, aber sein Tod am Kreuz ist das Zeichen seiner tiefsten Erniedrigung.

Wir kennen ja alle den Stufengang der Selbsterniedrigung dessen, der aus der Klarheit, die er hatte, ehe denn die Welt war, sich in das Dunkel unserer Erde herniederließ. Ich zeige bekannte Bilder, wenn ich das Kind in Windeln zeige, das beschnitten ward am 8. Tage, oder den zwölfjährigen Knaben im Tempel, von der Mutter, die ihn nicht verstand, vorwurfsvoll gefragt: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Auch das sind bekannte Bilder: Der hungernde einsame Mann in der Wüste, vom bösen Feind versucht. Der müde Wanderer am Jakobsbrunnen, der schlafende Mann im schwanken Kahne auf dem See Genezareth, der weise Lehrer sich abmühend mit den törichten Jüngern. Der barmherzige Wundertäter, dem sie nachriefen: Er treibet die Teufel aus durch Beelzebub. Der König auf dem Eselsfüllen. Der Beter unter Blutschweiß in Gethsemane, der Verlassene, der Gefesselte, der Verleugnete, der von falschen Zeugen Verklagte, der Gegeißelte, der mit Dornen Gekrönte, der Lastträger auf der Schmerzensstraße. Es ist in Christi Leben immer eine Erniedrigung auf die andere gefolgt. Seine tiefste Erniedrigung aber ist sein Tod.

Der Tod ist schon für jeden gewöhnlichen Menschen etwas tief Erniedrigendes. Dass der nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene Mensch wieder zur Erde werden muss, von der er genommen ist; dass Leib und Seele, die Gott so eng zusammengefügt hat, durch den Tod geschieden und auseinander gerissen werden, das ist doch nicht nur schmerzlich, sondern auch sehr niederdrückend! Der Mensch mit seinen tausend Plänen, mit seinen kühnen Gedanken, mit seinen geflügelten Worten, mit seinen hochgerühmten Taten schließlich eine kalte, bleiche Leiche, die man aus dem Hause schaffen und in den Schoß der Erde verbergen muss, o meine Freunde, das ist doch ein Zeichen, dass alles menschliche Leben auf Erden mit einer tiefen Erniedrigung schließt. Ach, wäre das Sterben und Begrabenwerden der Menschen nicht eine alltägliche Erscheinung, an die wir uns alle von Kindesbeinen an gewöhnt haben, wir würden öfters davor schaudern, dass es so tief, so tief mit uns hinabgeht, dass immer ein Geschlecht das andere begräbt; wir würden die Sehnsucht Pauli lebhafter empfinden, lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet zu werden, auf dass das Sterbliche würde verschlungen von dem Leben.

Aber so erniedrigend auch schon für uns gewöhnliche, sündige Menschenkinder der Tod ist, er ist doch tausendmal erniedrigender für das Menschenkind, das Gotteskind, das von keiner Sünde wusste. Der Tod ist der Sünde Sold, und dieweil wir alle gesündigt haben, ist der Tod zu uns allen hindurchgedrungen; alle Menschen müssen sterben, weil alle Menschen Sünder sind. Aber der am Kreuz von Golgatha stirbt, musste nicht sterben um seinetwillen; denn er war kein Sünder; nie ist ein Betrug in seinem Munde erfunden; nie hat ein Hauch von Sünde seine Gedanken befleckt, und seine Hand war immer rein, wie sein reines Herz. Als strahlende Lichtgestalt in aller Niedrigkeit ist der Heiland über die Erde gegangen, ein Mensch wie wir, nur ohne unsere Fehler, fühlend, denkend, liebend wie wir, nur ohne unsere Leidenschaften, versucht und angefochten wie wir, nur ohne je zu fallen oder zu straucheln. du großer, wunderschöner, gleichnisloser Nazarener! du einzig sündenloser Mann in einer sündenvollen Welt! du Lamm Gottes unschuldig! Wenn dieser Held der Unschuld, wenn dieser makellose Mann, wenn dieses wunderbare heilige Wesen in menschlicher Gestalt, vor dessen Heiligkeit alle Seraphim des Himmels ihr Angesicht bedecken, wenn Jesus Christus in den Tod geht, den Sold der Sünde bezahlend, die er nie begangen hat, so ist das der Gipfelpunkt seiner Selbsterniedrigung, und dieser Gipfelpunkt steigt vor unseren Augen in schwindelnde Höhe, wenn wir bedenken, worauf uns der Apostel im Text noch besonders aufmerksam macht, dass der Herr sich nicht nur bis zum Tode erniedrigt hat, sondern bis zum Tode am Kreuz. O das Kreuz ist ja unter uns Christen etwas Herrliches und Hochgeschätztes, aber das ist es doch erst durch den Tod des Herrn Jesu am Kreuz geworden. In den Tagen des Menschensohnes war unter Juden und Heiden das Kreuz der Schandpfahl, an dem die Auswürflinge der Menschheit, die Einbrecher und Mörder, ihre Todesstrafe litten; das Kreuz war der Galgen des Altertums. Dass der sündlose Jesus Christus nicht nur den Tod erlitt, wie ihn jedes sündige Menschenkind erleiden muss, sondern den Tod in der Form erlitt, in der ihn sonst nur die Verbrecher leiden müssen, das ist die allertiefste Tiefe seiner Selbsterniedrigung.

Er erniedrigte sich selbst bis zum Tode am Kreuz. Zu welchem Zweck? Davon steht nichts in unserem kleinen Text, aber der Karfreitag selber sagt es uns. Warum feiern wir Karfreitag? Weil Christus sich für uns erniedrigt hat, für uns gestorben ist, für uns am Kreuz gestorben ist. Wir sündigen Menschen wollen immer so hoch hinaus, darum ist der unschuldige Sohn Gottes so tief hinabgestiegen. Adam wollte sein wie Gott, darum ist Christus geworden, wie unser einer; wir haben durch unsere Hoffart unser Leben verwirkt, darum hat der Heiland sein Leben in den Tod am Kreuz gegeben. Seine herablassende Selbsterniedrigung ist der erhabenste Gegensatz gegen unsere anmaßliche Selbsterhöhung und zugleich ihre Sühne. Wie durch den Hochmut Adams die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist durch die Demut Christi die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen, über alle Menschen, die ihren Hochmut bekennen und bereuen und die Vergebung der Sünden in Christi Blut gläubig annehmen. Und solche Menschen wollen wir doch sein, meine Lieben, und ganz besonders am Karfreitag sein! Angesichts der ergreifenden Selbsterniedrigung des gekreuzigten Erlösers bekennen wir: „Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben dir erreget das Elend, das dich schlägt, und das betrübte Marterheer.“ Zugleich aber rühmen wir uns dankbar des Kreuzes Christi und halten uns das alte tröstliche Verslein vor „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit kann ich vor Gott bestehen, wenn ich zum Himmel werd' eingehn.“

2.

Wir kehren zu unserem Textwort zurück. Es steht nicht bloß da: Er erniedrigte sich, sondern er erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Christi Tod am Kreuz ist nicht nur das Zeichen seiner tiefsten Erniedrigung, sondern auch das Zeichen seines höchsten Gehorsams.

Nicht als ob der Gehorsam selbst etwas Erniedrigendes wäre. Der Gehorsam gegen Gott und Gottes Befehle erniedrigt niemals, sondern adelt immer. Die Schrift sagt: „Gehorsam ist besser als Opfer und Gabe“, und unser deutscher Dichter singt: Gehorsam ist des Christen Schmuck. Christus erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tode am Kreuz, das will sagen: Nicht der Gehorsam erniedrigte ihn, sondern er erniedrigte sich selbst von der Krippe bis zum Kreuz in fortwährendem Gehorsam gegen seinen himmlischen Vater, immer als Gottes gehorsames Kind mit dem Wahlspruch: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen des, der mich gesandt hat.“

Der Sohn Gottes war ein Kind geworden, und der Gehorsam des Kindes gegen Gott beweist und bewährt sich im Gehorsam gegen die Eltern. Wir haben aus dem Leben des heranwachsenden Kindes von Bethlehem nur eine Geschichte und diese Geschichte sagt: Der zwölfjährige Knabe ging mit Maria und Joseph hinauf nach Jerusalem und wieder mit ihnen hinab gen Nazareth, und war ihnen untertan. Wir haben viele Geschichten aus den drei Lehr- und Wanderjahren des Herrn, und sie zeigen alle den freudigen und willigen Gehorsam des Sohnes gegen den Vater. Der Geist trieb ihn zu Johannes an den Jordan, dass er sich taufen ließe; und als Johannes wehren wollte und sprach: „Ich bedarf wohl, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“ antwortete Jesus: „Lass es also sein; also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Er ward getrieben vom Geist in die Wüste, und er ging in die Wüste zum großen Geisteskampf und Sieg. Der Vater hatte ihm befohlen, seinen Mund aufzutun in Gleichnissen und auszusprechen die Heimlichkeiten von Anfang der Welt, und er zog rastlos umher von Dan bis Bersaba und lehrte das Volk und die Jünger auf den Bergen und am Meer, in den Schulen und in den Häusern, und durch Gleichnis und Exempel machte er jeden Markt zum Tempel. Der Vater hatte ihm befohlen, zu heilen die zerstoßenen Herzen und den Blinden das Gesicht zu geben, und siehe, er tat den Armen, den Kranken, den Elenden, den Mühseligen und Beladenen wohl, so lange es Tag war und bis in die Nächte hinein; er speiste die Hungernden, er trocknete den Bekümmerten die Tränen, er weckte das Töchterlein Jairi, den Jüngling von Nain, den Mann von Betanien von den Toten auf. Das sind einige von den glänzenden Zeichen seines tätigen Gehorsams, da sich der Heiland dem befehlenden Willen Gottes in allen Stücken unterzog. Aber noch höher als sein tätiger Gehorsam steht sein leidender Gehorsam, die Unterwürfigkeit unter den beschließenden Willen Gottes, davon es im Hebräerbriefe heißt: „Wiewohl er Gottes Sohn war, hat er an dem, dass er litte, Gehorsam gelernt.“ Er hat den leidenden Gehorsam gelernt; wir würden dafür heutzutage sagen: Er hat die höchsten Proben seines Gehorsams in der Leidensschule abgelegt. Die Juden wünschten nicht einen leidenden, sondern einen politischen Messias; die Jünger wollten nur Wunder Christi sehen, nicht Christi Wunden; aber der Heiland verkündete es je und je und immer wieder als des Vaters Willen, dass er den Kelch des Leidens und Sterbens trinken müsse, dass er sich taufen lassen müsse mit einer Taufe, vor der ihm so bange war, bis dass sie vollendet würde. Es ist echt menschlich und unendlich rührend, dass ihm vor der Kreuzestaufe so bange war und dass er im Schatten der Ölbäume von Gethsemane auf seinen Knien betete: „Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.“ Diese Bangigkeit, dieses Angstgebet sind Beweise nicht irgendwelchen Ungehorsams, sondern der echten Menschlichkeit des Herrn, der kein Fanatiker war, dem Leben und Sterben gleichgültig sind, wenn er nur seine Idee durchsetzt, der kein stoischer Philosoph war, der sich selbst die Adern öffnet, wenn er sich im Leben nicht mehr helfen kann, sondern der der sündlose Mensch war, der vor dem Tode und noch dazu dem Verbrechertode doppelt und dreifach erschauderte. Aber er kämpft sich betend hindurch in der dunklen Nacht von Gethsemane. „Vater, nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe,“ das war sein Siegeswerk in Gethsemane. Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird und verstummt vor seinem Scherer, so unschuldig, so geduldig, so willig, so gehorsam ließ er sich fangen und fesseln, verhöhnen und mit Dornen krönen und starb am Kreuze, seinen Feinden vergebend und seinen Geist befehlend in des Vaters Hände. Seht da Christi Tod am Kreuz, das Zeichen seines höchsten Gehorsams.

Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war - so beginnt der epistolische Abschnitt, aus dem unser Karfreitagstext genommen ist. Ist Christi hochherzige Selbsterniedrigung bis zum Tode am Kreuz die Sühne für unsere frevelhafte Selbsterhöhung, so ist nicht minder sein Gehorsam bis zum Tode am Kreuz ein mahnendes Vorbild für uns und alle, die an ihn glauben, dass wir unsere Dankbarkeit für die Erlösung durch Christi Blut und Wunden bezeigen, bezeugen, betätigen, besiegeln durch treuen Gehorsam gegen Gottes Befehle und Beschlüsse. Was nützt eine Karfreitagsandacht, wenn sie nur die Gefühle flüchtig bewegt, aber ohne Frucht bleibt für das praktische Christenleben? Nein, Gott helfe uns, dass wir den erhabenen Dulder am Kreuz, durch den wir erlöst sind, nicht nur bewundernd anschauen, sondern auch nachfolgen seinen Fußstapfen. Unser Karfreitagsgelübde sei, zu wollen, was Gott will, und mit seiner Kraft zu vollbringen, trotz unserer Schwachheit, was Gott will. Gott zu gehorchen in der Freude und im Leide, in den kleinen Dingen des täglichen Lebens und in den großen Wendungen unserer Schicksale, Gott zu gehorchen und ihm stille zu halten, auch wenn er Schweres auferlegt und immer Schwereres, um Gottes Willen auch die Schmach zu tragen und den Schmerz des Sterbens und Scheidens, das seien die guten Vorsätze, mit denen wir vom Kreuz auf Golgatha zurückkehren zu unserm Herd und Haus.

Christi Tod am Kreuz, das Zeichen seiner tiefsten Erniedrigung, ist zugleich das Zeichen seines höchsten Gehorsams. In welche Tiefen des Leides uns Gott noch führen mag, wir wissen es nicht; aber wir wissen und beherzigen als Nachfolger dessen, der der Anfänger und Vollender unseres Glaubens ist: „Was Gott gebeut, das muss geschehn, das Andere wird Gott selbst versehn!“ Amen.

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