Quandt, Emil - Die biblische Lehre vom Heiligen Geist - IV. Die Frucht des Heiligen Geistes.
Wunder über Wunder gehen mit dem Menschen vor, an dem der Heilige Geist sein Werk hat. Welch' ein Wunder, dass der von Gott abgefallene und dem göttlichen Zorne anheimgefallene Sünder begnadigt wird durch den Ruf des Heiligen Geistes, der ihn ins Himmelreich und zur Seligkeit lockt! Welch' ein Wunder, dass der Mensch, wenn er dem Rufe des Heiligen Geistes gefolgt ist, sich plötzlich umleuchtet sieht von dem Lichte des Heiligen Geistes und in diesem Lichte zuerst mit Zittern sich am Abgrunde des Verderbens und dann mit Jauchzen sich durch Jesum Christ gerettet sieht! Und welch' ein Wunder, dass zu dem Lichte des Geistes noch die Frucht des Geistes kommt, dass der Mensch, wenn er dem Heiligen Geiste weiter stille hält und sich von ihm nicht nur berufen und erleuchten, sondern auch heiligen lässt, durch seine göttliche Kraft auch Alles erhält, was zum Wandel in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit dient! Wahrlich, nicht nur vom Vater und vom Sohne, sondern auch vom Heiligen Geiste gilt es: Du bist der Gott, der Wunder tut.
Wir haben dem Rufe und dem Lichte Gottes des Heiligen Geistes nachgedacht; wir ziehen nunmehr die Frucht des Heiligen Geistes in unsre andächtige Erwägung. Was wir unter der Frucht des Heiligen Geistes zu verstehen haben, sagt uns am klarsten St. Paulus, wenn er Galater 5, 22 schreibt: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit.“ St. Paulus redet in dieser Stelle zu solchen, die sich vom Heiligen Geiste regieren und heiligen Lassen und in ihm wandeln, und preist sie selig um neuer köstlicher Früchte willen, die durch den Saft und die Kraft des Heiligen Geistes in ihnen gewirkt werden. Die erste Frucht ist die Liebe, die Liebe zu Gott und dem Nächsten, die Liebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus ganzem Gemüt. Vergeblich wird diese Frucht bei solchen Menschen gesucht, die den Heiligen Geist und seine Gnadenmittel verachten. nicht die Liebe findet man im Lager der Welt, sondern höchstens den Schein der Liebe und unter diesem Scheine den Egoismus und die Selbstvergötterung. Gott hat Kinder auferzogen und erhöht, aber sie sind von ihm abgefallen; ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber der natürliche Mensch kennt es nicht, die Kinder dieser Welt vernehmen es nicht; sie suchen alle das Ihre, und ein jeglicher sieht auf seinen Weg, und ihr lästerliches Sprichwort heißt: Jeder für sich und Gott für uns Alle! Aber wo der Heilige Geist mit den Kräften seiner Heiligung ein Menschenherz durchzieht, da gießt er vor Allem die Liebe zu Gott und den Menschen in das Herz und das Leben, dass es zur Losung des Lebens wird: „Alles durch Ihn, Alles mit Ihm, Alles für Ihn; leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn“; dass es zur Lust des Lebens wird, Waisen und Witwen in ihrer Trübsal zu besuchen und Barmherzigkeit zu beweisen an Jedem, der unser Nächster ist. Schön und lieblich lacht uns ein Baum an, durch dessen grünes Laub die von der Sonne vergoldete Frucht schimmert; aber tausendmal schöner und Lieblicher ist ein geheiligtes Christenleben, das vom Heiligen Geiste durchsaftet und getrieben, die himmlische Frucht der Liebe bringt, der Liebe, von der es heißt: Liebe ist stark wie der Tod, ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, dass auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ersäufen. An demselben Zweige aber, an dem die Liebe wächst, wachsen auch die Freude und der Friede. Menschen, die die Weihe des Heiligen Geistes nicht haben, können wohl eine Zeit lang lustig, sogar über die Maßen lustig sein, aber zu einer fröhlichen Grundstimmung des Lebens bringen sie es nimmermehr. Aber wo der Heilige Geist Vergebung der Sünden im Blute Christi täglich dem Herzen gewiss macht, da geht das Herz in Sprüngen und kann nicht traurig sein, ist voller Freud' und Singen, sieht lauter Sonnenschein; die Sonne, die ihm lacht, ist sein Herr Jesus Christ; das, was es singend macht, ist, was im Himmel ist. Und diese innerliche geistliche Freude zeigt sich auch äußerlich an mit Wort und Gebärden; wie könnten doch die Hochzeitsleute in trauriger Gestalt einhergehen, da ihnen der Heilige Geist den Bräutigam ihrer Seelen täglich nahe rückt! Mit der Freude hängt der Friede aufs engste zusammen. Die Gottlosen haben keinen Frieden, denn sie haben keine Versöhnung mit Gott; aber geistlich gesinnt sein, das ist Leben und Friede. Nun wir denn gerecht worden sind durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum; haben wir aber den Frieden innerlich, so setzt er sich allezeit auch nach außen um und gibt sich kund durch eine friedliche Stimmung im Umgang; geheiligte Gottesmenschen sind Kinder des Friedens und halten, so viel an ihnen ist, Friede mit allen Menschen. Liebe, Freude, Friede, es sind drei strahlende Tugenden, und doch sie wären wie verwitwet, wenn sie nicht mit der Geduld bekränzt würden. Das Geschlecht dieser Welt ist ungeduldig, und nichts wird einem natürlichen Menschen schwerer, als das Warten. Aber die Menschen Gottes, an denen der Heilige Geist sein Werk treibt, können in gewisser Hoffnung einer großen seligen Ewigkeit, die alle Rätsel löst und alle Sehnsucht stillt, wohl diese kleine Zeit hindurch warten und ihres Herrn harren von einer Morgenwache zur` andern. Sie können in der seligen Erfahrung der Erbarmung Gottes mit ihnen selber auch Nachsicht üben gegenüber den Sünden und Gebrechen des Nächsten; wem der Heilige Geist die unendliche Geduld, die der Herr mit uns Sündern hat, klar gemacht hat, der wird auch nicht müde werden, der Brüder Schwachheit zu tragen. Mit der Geduld aber sind eng verschwistert Freundlichkeit und Gütigkeit; Freundlichkeit, da man dem Bruder ein holdseliges Angesicht, Gütigkeit, da man ihm eine helfende und freigebige Hand zeigt. Wenn nun St. Paulus zu diesen sechs Früchten des Geistes an siebenter Stelle den Glauben nennt, so meint er hier nicht den rechtfertigenden Glauben, der die Wurzel des Christentums überhaupt ist und in dessen selige Auen wir kraft der Erleuchtung des Heiligen Geistes durch' das enge Tal der Buße eingehen; sondern er meint die glaubende Liebe, die zutrauliche Herzensgesinnung, von der einmal Vater Luther sehr schön gesagt hat: „Der Christ glaubt Jedermann und setzt doch sein Vertrauen auf Niemand, denn allein auf Gott.“ Die Kinder der Welt sind misstrauisch und denken von ihren Nächsten eher Arges, als Gutes; aber die Menschen des Geistes sind zutrauliche Menschen. Mit solchem Glauben paart sich die Sanftmut, die Willigkeit zu leiden, zu vergeben und zurecht zu helfen, wo der Bruder von einem Fehler übereilt ist, der stille evangelische Geist, der trotz aller bitteren Erfahrungen und Enttäuschungen im Leben nicht den Mut verliert, sondern festhält an Gott und ihm das Richten und Schlichten anheimstellt. Ganz an den Schluss hat St. Paulus die Keuschheit gestellt, die Tugend des geheiligten Leibeslebens gegenüber den Tugenden des geheiligten Geisteslebens. Wie die Seele des Menschen, der dem Heiligen Geiste sich hingegeben hat, Gottes Wohnung geworden ist, so ist auch sein Leib ein Tempel des Heiligen Geistes geworden, und auch der mächtigste aller sinnlichen Triebe ist unter das Regiment des Geistes gestellt. Das sind die dreimal drei Früchte, die aus dem Christenleben hervorsprießen, wenn der Heilige Geist es durchglüht und durchgeistet. Es sind damit nicht alle, sondern nur die vorzüglichsten Früchte des Heiligen Geistes genannt; die Fülle der himmlischen Tugenden, die durch den Heiligen Geist erzeugt werden, ist unerschöpflich. Alles was lieblich und Gott und Menschen gefällig ist, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, der Heilige Geist lässt es wachsen und reifen an denen, die in Christo Jesu sind.
Worte lehren, Beispiele ziehen wo finden wir ein Beispiel für solches fruchtreiche Leben im Geist, wo finden wir ein Lebensbild, zu dem als Unterschrift dies paulinische Wort passt: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit?“ Ei, St. Pauli eigenes Leben ist der beste Beweis für die Wahrheit seines Wortes von der Frucht des Geistes. Was ist doch aus dem Saulus, der im Wahne des Unglaubens gegen Gott und Menschen schnaubte und drohte, für ein Mann geworden durch die Heiligung des Geistes! Welch' eine Liebe zieht sich durch sein apostolisches Leben! Ist er es doch, der das Hohelied der Liebe gesungen: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.“ Und wahrlich, er hatte die Liebe, von der er sang; die Liebe zu seinem Gott und Heiland ließ ihn nicht Ketten und Bande, nicht das Schwert des Tyrannen scheuen, er konnte nicht anders, er musste den Namen Jesu Christi tragen von Land zu Land, von Volk zu Volk; die Liebe zu den Brüdern aber ergießt sich wie ein rauschender Strom durch alle seine Episteln, diese unsterblichen Denkmale seines sterblichen Lebens. Und dieser Mann der Liebe, wie fröhlich ist er allezeit gewesen; seine Füße lagen im Stock des Kerkers zu Philippi, dennoch sang er seinem Gotte Psalmen und Lieder; er war mit Eisen gefesselt und hatte den Tod im Angesicht und dennoch schrieb er: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Und was soll ich sagen von seinem Frieden und seiner Geduld und seinen andern Tugenden? Die schönsten Bibelsprüche von allen diesen Tugenden, es sind ja, wenn es nicht Worte des Sohnes Gottes selber sind, meist Worte St. Pauli, geschöpft aus seiner eignen Lebenserfahrung; von ihm ist ja der Spruch, dass der Friede Gottes höher ist als alle Vernunft, von ihm das Wort, dass die Trübsal Geduld bringt, von ihm das Wort: Segnet, die euch verfolgen, segnet, und flucht nicht. Man lese, was St. Lukas in der Apostelgeschichte von St. Paulo berichtet, man lese, was St. Paulus in seinen Episteln von sich selber schreibt, und man wird den überwältigenden Eindruck gewinnen von einem geheiligten Menschenleben, das Früchte über Früchte des Geistes getragen hat. Und doch, ein so hervor ragendes und begnadigtes Rüstzeug St. Paulus war, er ist doch nicht ein einsam dastehender Gottesbaum voller Früchte des Geistes, vielmehr stehen ihm ebenbürtig zur Seite viele andere Menschen Gottes, die das Neue Testament uns nennt. Die ganze apostolische Kirche ist ein großer Garten Gottes mit allerlei herrlichen Fruchtbäumen, deren Anblick die Seele ergötzt und das Herz erquickt.
O ja, der Anblick der Früchte des Geistes an den Menschen der apostolischen Zeit erquickt das Herz. Aber er erfüllt es auch mit tiefer, tiefer Wehmut. Ach, wo ist denn heute das Bild, das Lebensbild, zu dem man auch als Unterschrift mit gutem Gewissen den Vers schreiben könnte: Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit? Der Gläubigen gibt's ja auch heutzutage hin und her in den Landen, und die reine Lehre. der apostolischen Kirche ist, Gott sei Dank, in unsrer evangelischen Kirche hoch auf den Leuchter gestellt; wo aber ist das reine Leben, wie es St. Paulus und die Säulen der ersten Kirche lebten? Statt der Liebe wie viel Zertrennung der Geister in unsern Tagen, statt der Freude wie viel Düstersehen und Traurigkeit, statt des Friedens wie viel Unruhe und Disharmonie! Wie wenig verstehen auch die Gläubigen dieser Zeit zu warten und geduldig zu sein! Wie mürrisch und ungütig, wie misstrauisch und zum Zorne geneigt, und wie unkeusch, ach wie unkeusch ist dies Geschlecht auch in vielen seiner sich gläubig nennenden Glieder! Dies Geschlecht ach, was sage ich? Ein Jeder sehe auf sich selbst! Was bringen wir eigentlich, Früchte oder Blätter?
Wir wissen wohl, mit welch' einem Troste sich viele Gläubige heutzutage über den Mangel an Früchten des Geistes in unsrer Zeit trösten. Man sagt: „Es kommt nicht sowohl auf das reine Leben an, als vielmehr auf die reine Lehre. Wenn nur das Sola fide, die Rechtfertigung des Sünders allein aus dem Glauben, in Ehren gehalten wird, so steht unserm Geschlecht die Himmelstür offen.“ Nun, das ist ja freilich wahr, der Mensch wird gerecht ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben; dieses Palladium der Reformation, dieses Kleinod der evangelischen Kirche soll uns Niemand nehmen. Aber dennoch, dennoch - es steht nicht nur Römer 3, 28 in der Bibel; es steht auch Hebr. 12, 14 in der Bibel, das Wort, das schwere Wort: „Ohne Heiligung wird Niemand Gott schauen!“ und dieses apostolische Wort ruht auf ähnlichen Worten aus des Herrn Jesu eignem Munde: „Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ Ev. Matth. 5, 48; „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen; ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen, darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ Matth. 7, 17. 19, 26. Es ist klar, der Herr, unser Gott, verlangt von seinen Gläubigen die Früchte des Geistes. Er hat nie und nirgends gesagt, dass das Bringen von Früchten des Heiligen Geistes der Weg zur Seligkeit sei; die ganze heilige Schrift kennt ein für allemal nur einen einzigen Weg zur Seligkeit, nämlich die Bekehrung zum Heilande und den Glauben an sein Blut und seine Wunden, und alle Lehre, die die Seligkeit auf den Glauben und auf gute Werke setzt, ist Irrlehre. Aber so fest nach der Bibel der Satz steht: „Glaube an den Herrn Jesum, so wirst du selig“, so felsenfest steht auch der andre Satz: dass ohne Heiligung Niemand Gott schaut. Ist das ein Widerspruch, so ist's ein biblischer, aber es ist kein Widerspruch. Die Heiligung ist das Kennzeichen der wahren Gläubigkeit; an den Früchten des Geistes wird erkannt, ob wir das Heil in Christo in rechtem Glauben ergriffen haben. Es ist also ein gar leidiger Trost, sich auf seinen Glauben zu steifen, wenn die Beweisung des Glaubens fehlt! Was hilft es, liebe Brüder, ruft St. Jacobus aus, so Jemand sagt, er habe den Glauben und hat doch die Werke nicht! Kann auch der Glaube (nämlich solcher bloß eingeredete, tote Glaube) selig machen? Wahrlich, ein stichhaltigerer Trost ist uns nötig, wenn uns dem offenbaren Mangel an Geistesfrüchten bei Andern und namentlich bei uns selbst gegenüber nicht angst und bange werden soll. Gott sei gepriesen, dass dieser bessere Trost vorhanden ist. Der Heilige Geist, dessen Früchte Gott von dem Leben seiner Gläubigen fordert, weht heute noch so mächtig und so lebendig, wie in den Tagen der Apostel und weht umso kräftiger, je lauterer und reiner das Wort Gottes gelehrt wird; gleichwie sein Ruf noch heute wirksam ist an Allen, die diesem Rufe nicht widerstreben; gleichwie sein Licht zur Buße und zum Glauben erleuchtet Alle, die sich erleuchten lassen; so teilt er noch heute auch seine köstlichen Früchte allen denen mit, die seiner heiligenden Einwirkung sich hingeben. Fühlen wir Alle den Mangel an Früchten des Geistes, wohlan öffnen wir unser Leben, so lange es heute heißt, den Heiligungskräften Gottes des Heiligen Geistes, so werden wir auch die Früchte des Himmelreichs bringen!
Wir haben aus der Schrift erkannt, dass der Heilige Geist den Menschen durch das Licht des Gesetzes zur Buße, durch das Licht des Evangeliums zum Glauben erleuchtet. An die Erleuchtung zum Glauben knüpft der Heilige Geist unmittelbar sein Werk der Heiligung an. „Der Heilige Geist hat mich im rechten Glauben geheiligt“, sagt Luther und erklärt es also: „Er macht neu Herz, Seel', Leib, Werk und Wesen und schreibt die Gebote Gottes nicht in steinerne Tafeln, sondern in fleischerne Herzen.“ Und das ist schriftgemäß geredet, dass der Heilige Geist nur diejenigen heiligt und heiligen kann, die bereits kraft der Erleuchtung im Glauben stehen und zwar „in dem rechten Glauben“, dem die Gerechtigkeit zugerechnet wird, wie geschrieben steht Apostelgesch. 15, 9: „Gott reinigte ihre Herzen durch den Glauben.“ An dem rechten Glauben hängt beides sowohl die Rechtfertigung, als auch die Heiligung: die Rechtfertigung, da Gott dem Sünder die Sünde um Jesu willen _vergibt und ihm alle Strafe um dessen willen erlässt, auf dem die Strafe gelegen; die Heiligung, da Gott dem gerechtfertigten Sünder Alles, was dient zum göttlichen Wandel und Leben, darreicht. Der geschickteste Gärtner kann keine Früchte hervorzaubern an Bäumen, die in einem Erdreich ohne Licht und Wärme stehen; so vermag auch der Heilige Geist nicht das Gewächs der Gottseligkeit an einem Menschenleben zu zeitigen, das noch mit allen seinen Fasern und Wurzeln im Unglauben und unter dem Zorn Gottes steht. Ist aber das Bäumlein verpflanzt in warmes sonniges Land, so regt und bewegt sich das
Leben, so grünt es und blüht es und bringt Früchte; gleicherweise wenn ein Mensch dem Rufe des Heiligen Geistes gefolgt ist und durch Gesetz und Evangelium erleuchtet in das Reich Christi eingegangen ist, so hat es in und mit seinem Glauben zugleich die Triebkraft zu allerlei Tugend und Gottseligkeit. Denn der Glaube, der rechte Glaube, ist kein müßiges, schläfriges, totes Ding; Luther hat's den Feinden des rechten Glaubens wer weiß wie oft gesagt, der Glaube sei lebendig und geschäftig, tätig und mächtig; der rechte Glaube frage nicht erst, ob er Gutes tun solle; er tue ungefragt Gutes ohne Unterlass; der Glaube sei der Anreger zu guten Werken, ja der Täter und Werkmeister der guten Werke selbst.
Es besteht also die Heiligung Seitens des Heiligen Geistes darin, dass er bei denen, die dank seiner gnadenreichen Erleuchtung den rechten Glauben haben, diesen Glauben vom Mittelpunkt des Herzens aus, wo er geboren ist, nach allen Seiten des Lebens sich entfalten, sich auswirken lässt. Das geschieht nun aber nicht auf magische Weise, als wenn der Mensch eine Maschine wäre, mit der der Heilige Geist machen könnte, was er wollte; sondern der erleuchtete Christ muss nun auch den Heiligen Geist fort und fort in sich wirken lassen und dem Strome, der aus der Quelle des Glaubens durch das Leben rinnt, keine Wälle und Dämme entgegensetzen. Es muss der Mensch, was er im Heiligen Geiste angefangen, auch im Heiligen Geiste fortsetzen und vollenden. Nachdem spricht St. Petrus 2, 1 allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, uns geschenkt ist durch die Erkenntnis des, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Tugend, so wendet allen euren Fleiß daran und reicht dar in eurem Glauben Tugend und in der Tugend Bescheidenheit und in der Bescheidenheit Mäßigkeit und in der Mäßigkeit Geduld und in der Geduld Gottseligkeit und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe. Es ist das ein Kranz von lauter Blumen des Heiligen Geistes, die da hervorwachsen aus demselben einigen Grunde des rechten Glaubens.
Fehlt es uns an Früchten des Heiligen Geistes, wohlan, das Erste, was wir zu tun haben, ist die ernstliche Selbstprüfung, ob wir denn im rechten Glauben stehen.
Kann der Heilige Geist seine goldenen Früchte nur da zeitigen, wo rechter Glaube ist, so liegt nichts näher bei dem Mangel an Geistesfrüchten, als sich des Unglaubens schuldig zu geben und den Heiligen Geist um den rechten Glauben zu bitten. Unsre Zeit ist voll von allerlei Abarten des Glaubens; mancher meint ein gläubiger Christ zu sein und hat nichts als eine konservative Weltanschauung oder einzelne fromme Gefühlserregungen. Ach es fehlt uns in unsern Tagen darum an der herzlichen Liebe, an der freude- und friedevollen Gesinnung und an so vielen andern Tugenden, weil's uns am rechten Glauben fehlt. Der Glaube, da der Mensch sich wirklich von Natur verloren und verdammt weiß und seine einzige und alleinige Rettung auf das nackte Erbarmen Gottes in Christo stellt, ist rarer, als man meint. Wollen wir wirklich Bäume werden, gepflanzt an den Wassern des Heils in Jesu Christo, die ihre Frucht bringen zu seiner Zeit und ihre Blätter verwelken nicht, dann müssen wir täglich von Neuem hinein in die Buße um unsrer Sünden willen und in den Glauben an das Sühnopfer von Golgatha. Tägliche, gründliche Bekehrung zu dem Herrn Jesu Christo ist das A und das O der rechten Heiligung.
Wir müssen freilich, auch wenn wir uns den rechten Glauben vom Heiligen Geist erbeten haben und ihn täglich neu erbitten, noch weiter dem Heiligen Geist entgegenkommen dadurch, dass wir die wirksame und tätige Kraft des uns geschenkten Glaubens benutzen, anwenden und üben. Nicht nur in irdischen Sachen, auch in geistlichen Dingen gilt die Regel: Bete und arbeite! Nicht nur das irdische Brot, auch das geistliche muss der Christ im Schweiße seines Angesichtes essen. Die Heiligung erfordert Müh, du wirkst sie nicht, Gott wirkt sie; du aber ringe stets nach ihr, als wäre sie ein Werk von dir! Wir sind frei von dem knechtischen Joche des Gesetzes, denn wir glauben an den, der des Gesetzes Ende ist; aber eben weil wir an Christum glauben, so muss es uns eine tägliche Lust und Freude sein, Gott und Menschen zu beweisen, dass was dem Gesetz unmöglich war, dem Glauben möglich ist, nämlich ein armes sündiges Menschenherz zu einem treuen und gehorsamen Werkzeuge Gottes zu machen. Jener römische Kaiser hielt jeden Tag für einen verlorenen, an dem er nicht wenigstens eine Linie geschrieben; der wahre Christ muss jeden Tag für verloren erachten, an dem er nicht wenigstens einem Menschen Liebe hat beweisen können, an dem er nicht wenigstens ein wenig fröhlich in seinem Gott gewesen ist, an dem er nicht wenigstens ein wenig Geduld und Sanftmut bewiesen hat. Wem ein schönes Schifflein geschenkt ist, der lässt es nicht am Ufer stehen; sondern so oft er kann, fährt er damit auf die See und nimmt auch gute Freunde mit, sie zu ergötzen; so, wer den rechten Glauben hat, darf ihn nicht vergraben im Schweißtuch, sondern muss damit unter die Leute gehen, dass sie ein wenig mit erbaut werden durch seinen Glauben. Wenn einem Vöglein die Flügel wachsen, so probiert es sie erst schüchtern und leise, bald aber immer dreister und kräftiger, bis es mit seinem Flügelschlag die Luft erfüllt und durch die Wolken schwebt; so, wo der rechte Glaube dem Menschen vom Heiligen Geist verliehen ist, da soll er ihn erproben in allerlei gutem Werk, erst leise, dann immer kühner und dreister, bis er auffährt mit Flügeln wie die Adler.
Freilich wenn das Vöglein sich über seine Kräfte anstrengt und zu hoch steigt, dann fällt es aus der höchsten Höhe jämmerlich zur Erde und fällt sich leicht zu Tode. So auch wenn der Mensch in törichtem Vertrauen auf eigne Kraft die Heiligung überspannt, fällt er in Missglauben und andre große Schande und Laster: die apostolische Zeit, so herrliche Exempel wahrer, schriftgemäßer Heiligung sie aufzuweisen hat, so traurige Beispiele überspannter Heiligung zeigt sie auch. St. Paulus warnt daher die Christen seiner Tage aufs Ernstlichste: „Lasst euch Niemand das Ziel verrücken, der nach eigner Wahl einhergeht, in Demut und Geistlichkeit der Engel, dass er nie keines gesehen hat, und ist ohne Sache aufgeblasen in seinem fleischlichen Sinn.“ Es ist eine Verrückung des Ziels und ein Irrwahn, wenn man durch selbsterwählte Gottesdienstlichkeit höhere Stufen der Heiligung, als andre Christen erreichen zu können glaubt; es ist die Spitze alles Wahns, wenn man vorgibt, in fortgesetzter Heiligung hier auf Erden noch so kristallrein werden zu können wie die seligen Geister des Himmels. Luther will vor solchem Überheiligen, der keine Sünde mehr fühlt und hat, auf allen Gassen vorher läuten lassen. Gott helfe uns, dass wir festhalten, auch für den gefördertsten Christen bleibt Christi Blut und Gerechtigkeit der einzige Schmuck, das einzige Ehrenkleid, darin er kann vor Gott bestehen, wenn er zum Himmel will eingehen. Auch die Kinder des Lichts sündigen noch; wohl leiden sie die Sünde mehr, als sie sie tun; ihr neuer Mensch hasst die Sünde, doch ihr alter Mensch ist oft mächtiger, als ihr neuer; so klebt ihnen die Sünde an, bis sie sterben, und sie bedürfen der täglichen Reinigung in herzlicher Buße und brünstigem Glauben an das Blut Jesu Christi. Gegen die Lehre, dass der Mensch schon auf Erden ganz und gar gesinnt werden könne, wie Jesus Christus war, ganz erneuert nach dem vollen Ebenbilde dessen, der ihn erschaffen, durch und durch geheiligt an Geist, Seele und Leib, zeugt sowohl die Erfahrung, als auch die Schrift. Es gibt keine lebenden Zeugen von der vollständigen Befreiung von Sünde, und die sich dafür ausgeben, sind falsche Zeugen, die ihre eigenen Seelen betrügen. Die Schrift sagt zwar durch den Mund St. Johannis: „Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde“ (1. Ep. 3, 9), sie sagt aber auch durch denselben Mund (1. Ep. 1, 8): „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“; die Schrift muss durch die Schrift ausgelegt werden, so ergibt sich die Lehre: Auch die Gläubigen sündigen noch, aber nicht mehr mutwillens und voll Lust, sondern aus Übereilung und Schwachheit. Stückwerk ist Alles hienieden, Stückwerk auch unsre Heiligung; wir bringen es auch bei der treuesten Hingabe an den Heiligen Geist unter dieser Sonne niemals dahin, dass wir Bäume würden, an denen allein Früchte des Geistes und nichts als Früchte des Geistes prangten. Es bleibt immer noch eine tiefe Kluft zwischen dem Erkennen und dem Tun, dem Wollen und dem Vollbringen. Der Heilige Geist selbst macht den Gläubigen dies täglich klar durch sein heiliges Strafamt, indem er ihnen fort und fort alle Überbleibsel der Sünde, immer neue Unlauterkeiten und Fehler zu Gemüte führt. Derjenige Mann, der das schöne, große Wort geredet hat von der neunfachen Frucht des Geistes und der in seinem eignen Leben diese neunfache Frucht in schönstem Prangen zeigt, schätzte doch sich selbst zu keiner Zeit seines Lebens, dass er es schon ergriffen habe. „Nicht dass ich es schon ergriffen habe, ruft er aus, oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin. Wie viele unser vollkommen sind, die lasst uns also gesinnt sein.“ Darin also besteht die wahre Vollkommenheit eines geheiligten Christenmenschen, dass er auch bei täglichem Fortschritt in der Heiligung durch die Gnade des Heiligen Geistes ein helles Auge behält, ja immer mehr gewinnt für die Schäden und Sünden, die uns immerdar ankleben, dass er aber fort und fort sich streckt, in der Kraft des Heiligen Geistes das Böse immer mehr zu bezwingen, was uns Schaden pflegt zu tun.
Es bleibe der nächsten Betrachtung über den Beistand des Heiligen Geistes vorbehalten, auf die drei mächtigen Feinde unseres Glaubens und unserer Heiligung, Satan, Welt und Fleisch, zu blicken, auf die drei Feinde, die uns auf Erden die vollendete Heiligung unmöglich machen.
Für diesmal genüge uns die Erkenntnis: Es ist ein köstliches Ding um die Heiligung, da ein erleuchteter Christenmensch vom Heiligen Geiste auf dem Grunde des rechten Glaubens an Jesum Christ gnadenvoll ausgestattet wird mit heilsamen Früchten mannigfacher Art. Die apostolische Zeit bietet uns viele und reiche Beispiele geheiligten Christenlebens, unsre Zeit wenige und arme. Man kann uns über den Mangel reinen Lebens nimmermehr trösten mit dem Vorhandensein der reinen Lehre. Gott will, wir sollen Früchte bringen zur Beweisung und Bewährung unsers Glaubens, so müssen wir mit allem Ernste der Heiligung nachjagen und dem Heiligen Geiste, der auch uns erneuern will, völliger uns hingeben. Aber ferne bleibe der Wahn, als ob die Heiligung auf Erden je in Heiligkeit ausmünden könnte; sündenlose Heilige wird erst die neue Erde sehen. Immer heiliger werden und doch ein armer Sünder bleiben, das ist auf dieser armen Erde das wahre Christentum. Amen.