Modersohn, Ernst - Jesus, der gute Hirte

Modersohn, Ernst - Jesus, der gute Hirte

Biblische Betrachtungen über Johannes 10

Einleitung

Mit einem doppelten „Wahrlich„ beginnt das zehnte Kapitel des Johannesevangeliums, das in unseren Bibeln die Überschrift trägt: „Vom guten Hirten und seinen Schafen.“

Alle Worte unseres Herrn sind bedeutsam und verdienen unsere Beachtung. Aber wenn der Herr Jesus sein „Wahrlich„ hinzufügt, dann will er damit sagen, daß das, was er mit diesem Worte einführt, in ganz besonderer Weise höchste Beachtung verdient. Und in der Tat ist das, was Jesus uns in diesem Kapitel von dem guten Hirten und seinen Schafen zu sagen hat, im höchsten Maße beachtenswert. Hängt doch davon unser Leben und unsere Seligkeit ab, daß wir Schafe seiner Herde werden, daß Jesus unser persönlicher guter Hirte wird.

Ein Schaf ist heute mehr denn je ein verachtetes Tier, das man in keiner Weise dressieren oder erziehen kann. Keiner von uns Menschen möchte als Schaf bezeichnet werden. Wir leben in einem Zeitalter, in dem große Fortschritte auf allen Gebieten gemacht werden. Wenn Menschen heute wiederkämen, die vor 100 oder 200 Jahren gelebt haben, sie könnten sich nicht bei uns zurechtfinden, weil alles so ganz anders geworden ist. Die Technik hat große Fortschritte erzielt. Auf den Feldern arbeiten die Mähdrescher und anschließend wird Tag und Nacht das Feld durch Trecker umgepflügt. Auf den Straßen sausen die Autos dahin, in den Lüften schlagen die Düsenflugzeuge die Brücke von einem Kontinent zum anderen. Entfernungen sind zusammengerückt. In den Wohnungen drückt man auf einen Knopf, und das Zimmer ist hell, man drückt auf einen Hebel und kann hören, was in weiter Ferne gesagt wird; man drückt auf einen anderen Hebel und kann miterleben, was im anderen Erdteil geschieht. Vieles ist anders geworden. Doch das Bild eines Hirten mit seiner Herde ist geblieben. Unverändert zieht der Hirte mit seiner Herde in all den Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag seinen Weg und führt seine Schafe zur grünen Weide. Es gibt wohl kaum ein Wort in der Bibel, das so bekannt wäre, wie der Anfang des 23. Psalms: „Der Herr ist mein Hirte.“ Würde man in irgendeiner Versammlung von Christen fordern, jeder solle alsbald einen Bibelspruch sagen oder aufschreiben — ich bin gewiß, daß neunzig von hundert sagen oder schreiben würden: „Der Herr ist mein Hirte.„ Den Spruch kennen sie alle auswendig. Aber ob sie ihn auch alle inwendig kennen, d. h. ob sie wirklich verstehen, was er bedeutet? Du musst ein Schaf seiner Herde werden! Er will dein guter Hirte werden.

Jesus, der gute Hirte

Job. 10, l—6: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder. Der aber zur Tür hineingeht, der ist ein Hirte der Schafe. Dem tut der Türhüter auf und die Schafe hören seine Stimme; und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie aus. Und wenn er seine Schafe hat ausgelassen, geht er vor ihnen hin und, die Schafe folgen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen von ihm, denn sie kennen der Fremden Stimme nicht. — Diesen Spruch sagte Jesus zu ihnen; sie verstanden aber nicht, was es war, das er zu ihnen sagte.

1. Er kommt auf dem rechten Wege

In den ersten fünf Versen des Kapitels, die einen Abschnitt für sich bilden, sagt der Herr Jesus ein Dreifaches von dem guten Hirten aus: Er kommt auf dem rechten Wege. Sodann: Ihm tut der Türhüter auf. Endlich: Ihm folgen die Schafe nach.

Zunächst wenden wir uns dem ersten Gedanken zu. Er kommt auf dem rechten Wege zu den Schafen. „Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, der ist ein Dieb und ein Mörder. Der aber zur Tür hineingeht, der ist ein Hirte der Schafe.“ Was meint der Herr damit? Im Kapitel vorher wird erzählt, wie der Herr einen Blindgeborenen heilt. Aber das geschieht am Sabbat und das erregt die Pharisäer, die das für eine Sabbatschändung halten. Sie beschließen, daß jeder, der ihn als Messias anerkennen würde, in den Bann getan, d. h. aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen würde. Und als der Geheilte ihnen auf ihre Frage antwortet: „Wäre dieser nicht von Gott, er könnte nichts tun„, — da stießen sie ihn hinaus. Das heißt nicht nur: Sie jagten ihn fort, sondern das heißt: Sie sprachen den Bann über ihn aus. Sie stießen ihn aus der Volksgemeinschaft aus.

Jesus ist nicht wie ein Dieb über die Mauer gestiegen, er kam nicht, um die Seelen der Menschen umzubringen, er kam, um zu retten. In ergreifender Weise schildert Martin Luther es in seinem Liede: „Nun freut euch, lieben Christen gmein“, was es den Vater gekostet hat, seinen Sohn für uns dahinzugehen. Er sagt:

Da jammert Gott in Ewigkeit
mein Elend Übermaßen;
er dacht' an sein' Barmherzigkeit,
er wollt' mir helfen lassen;
er wandt' zu mir sein Vaterherz,
es war bei ihm fürwahr kein Scherz,
er ließ sein Bestes kosten.

Und nun folgt das wunderbare Wort, das der Vater im Himmel an seinen Sohn richtete:

Er sprach zu seinem lieben Sohn:
„Die Zeit ist hie, zu erbarmen,
fahr hin, mein's Herzens werte Kron,
und sei das Heil dem Armen
und hilf ihm aus der Sünden Not.
Erwürg für ihn den bittern Tod
und laß ihn mit dir leben.„

Wohl wusste der Vater, was die Menschen mit seinem Sohne machen würden, daß sie ihn umbringen und ans Kreuz schlagen würden. Wohl wusste er, daß sich die ganze Geschichte Jesu zusammenfassen lassen werde in dem einzigen Satz: „Er kam in sein Eigentum — und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Aber obwohl er das voraus wusste, brachte er das Opfer doch. „Er hat seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben„ ans Kreuz von Golgatha. Und Jesus ließ sich senden. Denn ihn jammerte der Menschen, waren sie doch wie Schafe, die keinen Hirten haben. Er konnte es nicht mit ansehen, wie die Menschen dahinlebten und dahinstarben in ihrer Sünde. Er verließ seine Herrlichkeit, er hielt es nicht wie einen Raub fest, Gott gleich zu sein, sondern „er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, er ward gleich wie ein andrer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“. Er kam nicht, weil er etwas für sich haben wollte, Ehre und Anerkennung, Vorteil und Gewinn wie die Pharisäer. Er kam, um zu geben. Er gab sein Leben, er gab sein Blut, um die Menschen zu erlösen. Nie hat er etwas für sich haben wollen. Nie hat er seine Wunderkraft für sich selbst gebraucht. Mochte ihn der Teufel auffordern: Bist du Christus, so sprich, daß diese Steine Brot werden! — Er lehnte es ab: „Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.„ Mochten ihn die Massen, die er mit Brot gespeist hatte in der Wüste, zum König machen wollen, — er hatte kein Auge für den Glanz dieser Krone und er entzog sich ihnen. Niemals hat er etwas für sich gewollt. Alles gab er hin zur Errettung der Welt. „Ob er wohl reich ist, ward er doch arm um unsertwillen, auf daß wir durch seine Armut reich würden.“ Wie arm war sein Kommen auf unsere Erde: als ein kleines, hilfloses Kind armer Leute lag er auf Heu und auf Stroh in einer Futterkrippe für das Vieh. Wie arm ging er über unsere Erde! Er hatte nicht, da er sein Haupt hinlegen konnte. Er hatte kein Heim, von dem er sagen konnte: Das ist mein! Wenn man ihn aufnahm in Jericho und in Bethanien und in Kapernaum, dann hatte er ein Dach über dem Haupt. Aber wie manchmal waren die Füchse in ihren Gruben und die Vögel in ihren Nestern reicher als er! — Und wie arm war sein Sterben! Sein Sterbebett — das blutige Kreuz, an das man ihn mit langen Nägeln angenagelt hatte. Und was hinterließ er? Nichts, als die Kleider, die er am Leibe getragen, die die Soldaten unter sich teilten. Aber durch das alles hat er es bewiesen, unwiderleglich bewiesen, daß ihn nichts anderes trieb, als die Liebe zu einer verlorenen Welt. Er kam auf dem Wege göttlicher Sendung. Er kam, von seiner Liebe getrieben. Er kam, weil er sterben wollte für das Volk. Er kam, weil er der Welt das Leben geben und bringen wollte. Darum ist er der gute Hirte. Darum haben wir solches Vertrauen zu ihm, weil wir wissen, er wollte und er will nichts für sich. Darum lieben wir ihn, weil er uns erst geliebt hat bis zum Tode am Kreuz. Obwohl wir ihn nicht gesehen haben, lieben wir ihn doch und glauben an ihn, wiewohl wir ihn nicht sehen (1. Petri 1, 8). Darum geben wir ihm unser Herz und unser Leben, um ihm als unserem guten Hirten nachzufolgen, wohin er uns führt, — wohin er uns vorangeht. Er hat es bewährt und bewiesen, daß er unser Vertrauen verdient. Und wir sprechen vertrauend, gläubig getrost: „Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.„ Hast du ihm auch schon dein Leben übergeben, mein Freund? Wie arm bist* du, wenn du das noch nicht getan hast! Wie reich wird es dich machen, wenn du deine Seele in seine durchgrabenen Hände legst! „Er ist es wert, daß man ihn ehrt und sich in seinem Dienst verzehrt!“

II. Ihm tut der Türhüter auf

Wenn wir das Wort vom Türhüter verstehen wollen, müssen wir uns erzählen lassen, wie es im Morgenland zugeht. Dort hat man keine Schafställe wie bei uns, sondern die Schafe werden am Abend in einen ummauerten, aber nicht überdachten Raum getrieben, dessen Tür dann verschlossen wird. Der Türhüter öffnet am Abend die Tür für die heimkehrende Herde und übernimmt für die Nacht die Verantwortung für die Schafe. Der Hirte geht nach Hause, um zu ruhen. Am anderen Morgen kommt der Hirte, um die Schafe wieder auszuführen. Dann öffnet ihm der Türhüter, und der Hirte ruft seine Schafe heraus. So schließt der Türhüter die Türe auf, daß der Hirte seine Schafe ausführen kann, und am Abend schließt er sie zu, daß der Hirte der Ruhe pflegen kann.

Wenn Jesus das Bild vom Hirten auf sich selbst bezieht und sagt: Der gute Hirte bin ich, wer mag dann mit dem Türhüter gemeint sein? Niemand anders als der Heilige Geist. Er wirkt mit dem guten Hirten Jesus zusammen. Er öffnet ihm die Tür, daß Jesus zu seinen Schafen gelangen kann. Er nimmt die Schafe des guten Hirten in seine Obhut und Verwahrung. Wie wunderbar hat der himmlische Türhüter, der Heilige Geist, zu Pfingsten die Tür geöffnet! Es war ein schlichtes Zeugnis, das Petrus ablegte. Er erinnerte seine Zuhörer daran, daß Jesus von Nazareth Wunder und Zeichen unter ihnen getan und dadurch von Gott beglaubigt worden sei, daß er dann verhaftet, verurteilt und ans Kreuz geschlagen sei. Den habe Gott auferweckt, das könne er und die anderen Jünger mit ihm bezeugen. Der von ihnen Gekreuzigte sei der Herr, der Messias. Ganz schlicht und einfach hat er sie an Tatsachen erinnert, die ihnen allen bekannt waren. Er würde damit keine großen Wirkungen erzielt haben, wenn nicht der himmlische Türhüter auf den Plan getreten wäre und dreitausend Seelen das Herz aufgeschlossen hätte, so daß es ihnen durchs Herz ging, was Petrus redete. Nicht anders ging es im Hause des Hauptmanns Kornelius. Eine auserlesene Gesellschaft war dort versammelt, römische Offiziere mit ihren Damen. Auch hier wieder berichtete Petrus schlicht und einfach, wie Jesus umhergezogen sei und den Menschen wohlgetan habe und viele vom Teufel überwältigte geheilt und gesund gemacht habe. Aber die Juden hätten ihn zum Tode verurteilt und an ein Holz gehängt. Aber den habe Gott auferweckt, wie er mit seinen Freunden bezeugen könne. Er habe ihn selbst gesehen, ja, er habe sogar mit ihm gegessen und getrunken. Und siehe, während er ihnen so von Jesu Leben, Leiden und Sterben und Auferstehen sprach, da schloss der himmlische Türhüter die Herzen der vornehmen Gesellschaft römischer Adliger auf, daß sie zum Glauben kamen, daß der gute Hirte auch diese Schafe seiner Herde hinzufügen konnte.

Was geht aus diesen beiden Geschichten hervor? Wann wirkt der Heilige Geist? Wenn Christus verkündigt wird. Ob der himmlische Türhüter auch so gewirkt hätte, wenn Petrus eine Moralpredigt gehalten hätte? Gewiss nicht. Wenn er seinen Zuhörern allerlei gesetzliche Forderungen ausgesprochen hätte, was sie tun und was sie lassen sollten, da wäre der Heilige Geist nicht in Tätigkeit getreten. Ist es doch des Heiligen Geistes Werk, Christus zu verklären. Wo nicht von Christus geredet wird, da kann er nichts tun, aber wo von Christus die Rede ist, wo Christus groß gemacht wird, da waltet der himmlische Türhüter seines Amts.

So verstehen wir es, warum bei zahllosen Predigten, die gehalten werden, nichts herauskommt, über was wird alles gepredigt! Ich habe Predigten gehört über den griechischen Philosophen Heraklit und über den deutschen Philosophen Kant; ich habe Predigten gehört über das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen soll, und was weiß ich noch. Kein Wunder, daß unser Volk kirchenscheu wird! Was es braucht, was einzig und allein etwas ausrichtet, das sind Christuszeugnisse. Ich sage: Christus-Zeugnisse. Denn in den Reden des Petrus, die der Heilige Geist so wunderbar beglaubigte, hat er ein persönliches Zeugnis abgelegt. So müssen die Predigten auch heute persönliche Zeugnisse von Christus sein, wenn etwas gewirkt werden soll durch die Beglaubigung des Heiligen Geistes. Kürzlich sagte ein Evangelist: Es wird nirgendwo so vollmachtlos gepredigt als in Deutschland. Und noch eins geht aus den beiden Reden des Petrus in Jerusalem und in Cäsarea hervor, daß es nicht der Redner ist, der den Erfolg verbürgt, sondern allein der Heilige Geist. Die wundervollste Beredsamkeit ist es nicht, die Frucht schafft, nicht die gute Textauslegung, nicht die praktische Verwendung von Gleichnissen und Geschichten, gar nichts, was der Mensch tut und leistet, wirkt Frucht, das kann allein der Heilige Geist. Der Mensch kann nur insofern mithelfen, als er Christus predigt, als er ein Zeugnis von Christus ablegt. So kann er dem Heiligen Geist die Gelegenheit geben zu wirken — oder ihm die Gelegenheit rauben.

Einen Schlüssel kann man daran als den richtigen erkennen, daß er das Schloss aufschließt. Wenn wirklich Christuszeugnisse vom Heiligen Geist beglaubigt werden, dann muß das sich in jedem Falle zeigen, wo Christuszeugnisse abgelegt werden.

Da sitzt Paulus in einer kleinen Frauenversammlung an einem Wasser vor der Stadt Philippi. Er redet von Christus, dem Gekreuzigten. Er weiß ja gar nichts anderes als das. Und: „Da tat der Herr der Lydia das Herz auf.„ Da wirkte der himmlische Türhüter.

Da liegt der Kerkermeister zitternd zu den Füßen der Apostel Paulus und Silas. Paulus verkündigt ihm Christus und sagt: Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig. Und — der Mann kommt zum Glauben und sein Haus mit ihm.

Da verkündigt Philippus das Evangelium in Samaria. Ein Jude — den Samaritern! Da war auf Widerstand zu rechnen. Aber er predigte ihnen von Christus, und das Volk hört einmütig und fleißig zu und es gibt eine große Erweckung.

Da legt Philippus dem Kämmerer aus dem Mohrenlande das Kapitel Jes. 53 aus, er „predigt ihm das Evangelium von Jesus“ — und der Kämmerer glaubt. Wo in aller Welt Christuszeugnisse laut werden, da wirkt der Heilige Geist, da tut der himmlische Türhüter Türen auf, daß Jesus zu seinen Schafen gelangen kann. Wir .gedenken jetzt an den großen englischen Prediger Spurgeon, über den ein Buch erschienen ist, welches den Titel hat: „Charles Haddon Spurgeon, ein Pförtner Gottes.„ Damit will der Verfasser bekunden, daß Spurgeon vielen Seelen die Tür aufgetan hat. Eigentlich war nicht Spurgeon „der Pförtner Gottes“ das ist der Heilige Geist. Aber die Predigten Spurgeons waren Christuszeugnisse, und darum wirkte der Heilige Geist als der Pförtner Gottes und viele kamen zum Glauben.

Aber wir brauchen nicht nur an den Engländer Spurgeon oder an die Amerikaner Finney und Moody zu denken, wir dürfen uns ebenso an Deutsche erinnern, die solchen gesegneten Dienst taten. Ich nenne Namen wie Elias Schrenk, Jakob Vetter, Fritz Binde, Otto Stockmayer, Theophil Krawielitzki — und wie viele andre könnte ich nennen!

Es ist immer dasselbe Bild: Wo Christuszeugnisse laut werden, da tritt der himmlische Türhüter auf den Plan. Da wird die Tür des Wortes aufgetan. Da werden Herzenstüren erschlossen. Da wird der Himmel geöffnet. O, daß alle Prediger in Kirchen und Kapellen Christus verkündigen würden, den Gekreuzigten und Auferstandenen, Christus als Retter und als Richter!

Du Pfarrer auf der Kanzel, predige Christus! Du Gemeinschaftspfleger, du Stundenhalter, predige Christus! Du Hausvater, du Hausmutter inmitten deiner Kinder, predige Christus! Und — der Heilige Geist kommt und schließt auf, daß Christus Beute bekommt, daß seine Herde wächst und zunimmt. Denn wenn Christus bezeugt wird, dann „tut der Türhüter auf und die Schafe hören seine Stimme; und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie aus“.

III. Ihm folgen die Schafe nach

Wenn der Türhüter aufgeschlossen hat, dann ruft der Hirte seine Schafe mit Namen. Er kennt sie alle. Ein Fremder mag denken, ein Schaf sehe aus wie das andere. Aber der Hirte weiß sie zu unterscheiden. Er kennt sie und nennt sie alle. — So ruft der gute Hirte Jesus auch seine Schafe mit Namen.

Da sitzt ein Mann auf einem Maulbeerbaum, während sich unten auf der Straße die Leute drängen, um den Wundertäter zu sehen. Da bleibt Jesus stehen und schaut den Mann an und ruft: „Zachäus, steig eilend hernieder! Ich muß heute zu deinem Hause einkehren!„ Wer hat ihm den Namen des Mannes mitgeteilt? Niemand braucht ihm den Namen zu sagen. Er kennt ihn.

Er kennt auch uns. Hast du es nicht auch schon gemerkt, daß er dich kennt? Hundertmal hast du unter dem Schall des Wortes Gottes gesessen und es hat keinen Eindruck auf dich gemacht. Da, mit einem Male, als du wieder dem Worte zuhörtest, hattest du den Eindruck: „Der Mann meint mich! Er erzählt meine Geschichte!“ Du wusstest: der Mann auf der Kanzel kann unmöglich wissen, wie es in mir aussieht. Und wenn er doch meine Geschichte erzählt, dann — ist es der Herr, der mit mir redet. Wohl dem, der dann gehorcht, wenn der Herr ihn mit Namen gerufen hat! Wohl dem, der sich dann entschließt, dem Herrn zu folgen! Wie wird dann unser Leben so lichtvoll, wenn es Nachfolge Jesu wird!

Wir haben es im Leben mit tausend verschiedenen Fragen und Problemen zu tun. Die verschiedensten Menschen kreuzen unseren Lebensweg. Wie sollen wir uns da immer verhalten? Wie sollen wir uns in jedem Fall entscheiden? Wie gut, wenn man sich dann an den Herrn wenden kann mit der Frage: Herr, was willst du, daß ich tun soll? Wir brauchen uns nicht selbst den Kopf zu zerbrechen, wir brauchen uns nicht an Menschen um Rat zu wenden, wir fragen einfach den Herrn. Und er führt uns auf rechter Straße um seines Namens willen. Wie gut haben es doch die Schafe einer Herde! Schafe sind Tiere, denen keine besondere Intelligenz nachgesagt wird. Wären sie auf sich selbst angewiesen, dann wären sie übel dran. Was sollte dann aus ihnen werden? Aber nun übernimmt der Hirte die ganze Fürsorge und Verantwortung für sie. Er führt sie zu grünen Auen und zum frischen Wasser, er bringt sie zur rechten Zeit in den Stall oder in die Hürde — die Schafe brauchen sich um gar nichts zu sorgen, sie brauchen nur dem Hirten zu folgen, wohin er sie führt. Der Hirte sorgt für alle ihre Bedürfnisse. Wenn wir das doch von den Schafen lernen möchten, unserm guten Hirten so willig nachzufolgen! Wie glücklich würde dann unser Leben sein! Und noch etwas anderes können wir von den Schafen lernen. Die Schafe sind ganz törichte Geschöpfe. Man kann sie zu nichts abrichten und dressieren. Aber auf eins verstehen sie sich: auf die Stimme des Hirten. Sie können die Stimme des Hirten von jeder anderen Stimme unterscheiden.

Ich las von einem Mann, der beschuldigt wurde, ein Schaf gestohlen zu haben. Er bestritt durchaus den Diebstahl. Wie sollte das nun festgestellt werden? Der Richter befahl, das Schaf zu holen. Dann gebot er dem Mann, der des Diebstahls angeklagt war, das Schaf zu rufen. Das tat er — aber das Schaf kümmerte sich nicht im geringsten darum. Da fing der Eigentümer, den der Richter in ein Nebenzimmer hatte gehen lassen, durch die geschlossene Tür das Schaf zu rufen an. Und sofort setzte sich das Schaf in Bewegung und lief auf die Tür zu: es hatte die Stimme seines Herrn erkannt. Da war es erwiesen, daß der Mann das Schaf gestohlen hatte.

Und ich las von einem Reisenden in Griechenland, der eines Tages drei Hirten traf, die zusammen ihre Herden weideten. Wohl sechshundert bis siebenhundert Schafe mochten zu jeder Herde gehören, und doch fand jeder Hirte seine Schafe mit Leichtigkeit heraus. Er brauchte sie nur anzurufen. Das verwunderte den Reisenden und er machte den Versuch, ob sie nicht auch seiner Stimme folgen würden. Er rief genau so wie ein Hirte, aber — die Schafe schenkten seinem Rufe keine Beachtung. Wenn aber der Hirte rief, kamen sie sogleich angesprungen. Da dachte der Reisende, es würde ihm eher gelingen, wenn er Hut und Mantel des Hirten anlegen würde. Der Hirte gab ihm schmunzelnd seinen Mantel und setzte ihm seinen Wetterhut auf. Aber auch jetzt kümmerten sich die Schafe nicht um ihn. Da sagte der Hirte: „Wir wollen es einmal anders machen!“ Er zog den Überzieher des Reisenden an und setzte dessen Hut auf. Und — sofort folgten ihm die Schafe, als er sie anrief. Sie kannten seine Stimme. Das weiß auch der Herr Jesus, daß die Schafe so genau die Stimme des Hirten erkennen. Darum sagt er: „Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen von ihm, denn sie kennen der Fremden Stimme nicht.„ Ach, wie beschämend ist das für uns! Wie oft haben wir uns von Stimmen locken und verleiten lassen, die uns nicht recht leiteten! Waren es Menschen, die mit ihrem Schmeichelwort oder mit ihrer Drohrede uns bestimmten? Oder war es gar der alt böse Feind, dessen Stimme wir hörten — und befolgten? Müssen wir nicht alle eingestehen, daß wir oft der Stimme des „Fremden“, gefolgt sind? Da lockte und rief der gute Hirte — oder er mahnte und warnte; aber wir achteten nicht darauf. Wir ließen uns verführen — und bereuten es hinterher bitter, was wir getan. Ach, daß wir doch durch Schaden klug werden möchten! Dass wir doch durch die Gewöhnung geübte Sinne bekämen, zu unterscheiden, was gut und böse ist! Je mehr wir es uns angewöhnen, auf die Stimme des Herrn zu hören, um so feiner wird unser Gemerk; aber wenn wir seine Stimme überhören und nicht beachten, dann werden wir immer schwerhöriger, bis wir schließlich gar kein Organ mehr für Gott haben.

Von unserem Heiland steht ein wunderbares Wort in Jes. 42, 19. Dort heißt es: „Wer ist so blind wie mein Knecht, und wer ist so taub wie mein Bote, den ich sende? Wer ist so blind wie der Vollkommene und so blind wie der Knecht des Herrn?„ Wie kann man das von dem Knecht des Herrn sagen, daß er so blind und taub gewesen sei wie sonst niemand? Darum, weil Jesus blind und taub war für alles, was von unten kam. Er hatte kein Ohr für die versucherische Stimme des Teufels. Er hatte kein Auge für alle Herrlichkeit der Welt, die der Teufel ihm zeigte. Er hatte nur Ohr und Auge für seinen Vater. Auf den blickte er. Auf den hörte er. Und das bewahrte ihn vor jedem falschen Weg.

Gott schenke uns, daß wir rechte Schafe des guten Hirten werden, die keine eigenen Wege gehen und keine Seitensprünge machen, sondern die ihm unentwegt nachfolgen, wohin immer er uns führt! Und er gebe uns ein feines Gehör, daß wir nicht auf die Stimme des Fremden lauschen, sondern einzig und allein auf die Stimme des guten Hirten! Dann wird unser Leben schön, wenn es Nachfolge Jesu wird. Dann werden wir vor viel schmerzlichen Erfahrungen und Enttäuschungen bewahrt, wenn wir auf seine Stimme hören und ihr allein folgen. — Von den Juden, die Jesu zuhörten, heißt es hier: „Sie verstanden aber nicht, was es war, das er zu ihnen sagte.“ Sie hatten kein Organ für die Stimme Gottes. Verstehst du es, was er dir zu sagen hat. Er möchte dein Hirte werden, dem du folgst, dem du gehörst und gehorchst. Denn er will dein Glück und Heil in Zeit und Ewigkeit.

Jesus, die Tür

Job. 10, 7—9: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder; aber die Schafe haben nicht gehorcht. Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.

I. Die Bedeutung des Wortes

In mancherlei Bildern und Gleichnissen sucht der Herr sein Wesen und seine Art den Menschen seiner Zeit wie auch der unsrigen klarzumachen. Er sagt z. B.: „Ich bin der rechte Weinstock„, um uns zu zeigen, daß nur die innige und stete Verbindung mit ihm uns dahin bringen kann, Frucht für Gott zu bringen. Er sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“, um uns klarzumachen, daß es nur einen Weg gibt, nur eine Wahrheit, nur ein Leben. Wiederum spricht er: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.„ Oder im Verhör bei dem Landpfleger: „Ich bin ein König.“ In diesem Kapitel Johannes 10 sagt er im weiteren Verlauf der Rede: „Ich bin der gute Hirte.„ Dann wieder: „Ich bin das Licht der Welt, das Brot des Lebens.“ Das alles sind Bilder, die uns klarmachen wollen, wer Jesus ist und was er will. Nun gebraucht er hier wieder ein anderes Bild, ein sehr einfaches Bild, wenn er sagt: Ich bin die Tür. Damit spricht er aus, daß er die einzige Tür ist, die es gibt, und daß er allein die Tür zu den Schafen ist. Wir überschreiben darum die Betrachtung über den Abschnitt von Vers 7 bis 9 mit den Worten: Jesus, die Tür. Wir betrachten unter dieser Überschrift ein Dreifaches: die Bedeutung — die Bedingung — und die Verheißung dieses Wortes. Wir fragen heute: Was ist die Bedeutung dieses Wortes? Die Tür ermöglicht den Eingang in einen Raum. Eine Haustür ermöglicht uns den Eintritt ins Haus, eine Zimmertür erlaubt uns den Eintritt in ein Zimmer, die Küchentür gestattet den Eingang in die Küche, die Kellertür läßt uns in den Keller eintreten. So gibt's auch eine Hoftür, eine Gartentür usw.

Eine Tür ist eine Verbindung. Sie verbindet ein Draußen mit einem Drinnen. Da kommt einer im kalten Winter nach Hause. Draußen wirbelt der Schnee — schnell den Schlüssel heraus und die Tür aufgeschlossen — und er ist drinnen, vor den Unbilden der Witterung geborgen! Aber o weh, wenn er keinen Schlüssel hat und wenn niemand im Haus ist, der ihm auf tun könnte! Dann muß er draußen bleiben, er findet keinen Weg nach drinnen, wenn die Tür nicht aufgeht.

Oder da geht jemand hungrig in die Küche. Er weiß, daß sich im Küchenschrank Vorräte befinden. Aber — die Hausfrau hat den Schlüssel zum Schrank abgezogen und mitgenommen. Was helfen ihm die schönsten Vorräte? Sie sind drinnen und er steht draußen. Wenn sich die Tür nicht öffnet, kann er nicht zu den Vorräten gelangen. So ist Jesus die Tür, die Verbindung zweier Welten, der Welt Gottes und der Welt der Menschen. Will Gott zu den Menschen kommen, dann tut er das durch Jesus. Es gibt gar keine andere Verbindung zwischen Gott und den Menschen. Darum heißt Jesus auch der Mittler, weil er die Vermittlung zwischen Gott und den Menschen darstellt. Nur durch Jesus kann der Mensch zu Gott kommen. Es gibt keinen anderen Weg; Darum sagt Jesus: Ich bin die Tür. Das heißt: Er ist die einzige Tür, die es gibt. Es gibt keine andere. Und doch meinen die Menschen immer wieder, es gäbe auch andere Türen. Zum Beispiel die Tür der eigenen Frömmigkeit, der eigenen guten Werke … Nicht unsere Frömmigkeit und Gerechtigkeit ist die Tür — Jesus ist die Tür!

Auch die Kirche ist nicht die Tür. Wenn jemand meint, darum in den Himmel zu kommen, weil er zur Kirche gehört, weil er regelmäßig in die Kirche und zum Heiligen Abendmahl gehe, ohne sein Leben nach der Botschaft zu richten, dann irrt er sich.

Warum haben die Kirchen so einen hohen Turm, der wie ein aufgehobener Zeigefinger himmelan weist? Weil sie sagen wollen: Kommt her zu ihm alle, die ihr mühselig und beladen seid, er will euch erquicken. Die Kirche ruft nicht zu sich, sie ruft zu Jesus. Nicht die Kirche ist die Tür. Die Tür heißt Jesus.

Auch die Gemeinschaft ist nicht die Tür. Das muß ich mit derselben Klarheit aussprechen, wie ich es ausgesprochen habe, daß die Tür nicht Kirche heißt. Wer wird denn in eine Gemeinschaft aufgenommen? Wer ein Zeugnis davon ablegen kann, daß in seinem Leben einmal eine Gnadenstunde war, da er dem Herrn sein Jawort gab. Aber — was ist später daraus geworden? Wie es im Jüngerkreise einen Judas gab, wie in der Urgemeinde ein Ananias und eine Saphira waren, so kann es auch heute in den Gemeinschaften solche geben, die innerlich zurückgegangen sind, deren Leben längst erstorben ist. Törichte Jungfrauen nennt sie der Herr und er sagt, von zehn Jungfrauen seien fünf töricht! Nein, auch die Gemeinschaft ist nicht die Tür. Die Tür ist einzig und allein Jesus. In seinen Abschiedsreden sagt er: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben — niemand kommt zum Vater denn durch mich.„ Ist das intolerant geredet? Wenn du so willst, ja. Aber: Die Tür ist ja für jeden da! Wer da will, kann durch diese Tür eingehen. Es braucht ja niemand draußen zu bleiben. Für das Eingehen durch die Tür, die Jesus heißt, sind gar keine Bedingungen vorgeschrieben. Ob man studiert hat oder nicht, das ist dabei ganz einerlei. Ob einer zur „Intelligenz“ gehört oder nicht, das spielt dabei gar keine Rolle. Ja, es kommt nicht einmal darauf an, ob jemand ein moralisches Leben geführt hat oder nicht. Man kann der verkommenste Säufer sein und der tiefstgesunkene Mensch in sittlicher Beziehung — er kann durch die Jesustür eingehen.

Alle Bemühungen der Menschen, eine andere Tür für das Reich Gottes, für die Gemeinschaft mit Gott herzustellen oder aufzubrechen, sind wertlos und umsonst. Was lassen es sich die Heiden kosten, um einen versöhnten Gott zu bekommen! Was für unerhörte Opfer bringen sie dar! Was für Kasteiungen nehmen sie vor! Und — es ist doch alles umsonst! Und die Christen machen es nicht anders. Mit guten Werken, mit christlichen Übungen und Bestrebungen wollen sie Verbindung mit Gott herstellen — umsonst. Es ist nur eine Tür. Aber die Tür steht offen. Und durch diese Tür kann jeder eingehen, der da will. Willst du keinen Gebrauch von dieser Tür machen? Ich sage dir, nur durch diese Tür gehst du ein in die Gemeinschaft und Verbindung mit Gott. Nur durch Jesus kommst du zum Vater. Und benützest du diese Tür nicht, dann trägst du die Schuld selber, wenn du verloren gehst. Nicht Jesus trägt die Schuld, du trägst sie. Du ganz allein. Warum hast du die Tür nicht benutzt? Warum hast du Jesus abgelehnt? Wie lange stand einst die Arche offen und Noah lud ein, in die Arche zu kommen! Und die Leute lachten und spotteten. Und dann kam die Flut. Da wollten sie und da konnten sie nicht. Und das Verderben ereilte sie. — — Jesus spricht: „Wahrlich, wahrlich, ich bin die Tür …„ Höre und gehorche!

II. Die Bedingung des Wortes

„So jemand durch mich eingeht“, sagt Jesus. Das ist die Bedingung, die wir zu erfüllen haben, wenn wir in das Reich Gottes eintreten wollen.

Eine Tür ist nicht dazu da, daß man sie bewundert. Gewiss, es gibt Türen, vor denen man bewundernd stehen bleibt. Vor manchem Kirchenportal habe ich schon bewundernd gestanden und das Schnitzwerk betrachtet oder die wundervollen Beschläge. Wie manche alte Rathaustür ist bewundernswert, wie manche Tür an alten Patrizierhäusern, wie etwa in Nürnberg. Aber das ist doch nicht der eigentliche Zweck einer Tür, daß man dieselbe bewundert und darum ganz vergisst, durch die Tür einzugehen. — Aber so machen es manche mit dem Herrn Jesus. Sie bewundern ihn. Sie entdecken immer neue Züge und Eigenschaften an ihm. Was war er doch für ein Held, als er die Geißel nahm und den Tempel reinigte! Wie hat er doch in wunderbarer Weise seinen Zeitgenossen, die mit ihren Doktorfragen zu ihm kamen, „das Maul gestopft“, wie Luther derb und wahr sagt! Was für ein Wohltäter des Volkes ist er gewesen, das ihm seine Liebe und Hingabe so schlecht belohnte! Was hat er doch für wundervolle Worte gesprochen! Die Bergpredigt — wie herrlich ist sie doch!

So kann man die Leute reden hören, die vor der Jesustür stehen und dieselbe bewundern. Aber sie gehen nicht durch dieselbe hinein ins Reich Gottes. Würden sie das tun, dann hätte ihre Bewunderung bald ein Ende. Dann würde sie dasselbe Entsetzen ankommen, das die Zuhörer befiel, als der Herr die Bergpredigt hielt. Dann würden sie erkennen, daß der Herr ihnen damit die ganze eigene Gerechtigkeit und Frömmigkeit in Fetzen vor die Füße wirft. Und es würde sie ein Schrecken ankommen, wenn er die Geißel nähme, um den Tempel ihres eigenen Herzens einmal gründlich zu reinigen.

Bewundern kann man den Herrn Jesus und seine Worte und Taten nur, solange man vor der Jesus-Tür steht. Geht man durch dieselbe ein, dann hört das Bewundern auf, dann liegt man in tiefer Buße vor ihm, wie Petrus einst: „Herr, gehe von mir hinaus! Ich bin ein sündiger Mensch!„ Und hat er dann seine Hand über uns erhoben, wie dort über dem Gichtbrüchigen: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“, dann zieht eine tiefe Dankbarkeit ein, eine Herzensliebe zu ihm, der uns alle unsere Sünden vergibt und alle unsere Gebrechen heilt, der unser Leben vom Verderben erlöst und uns krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Hast du bisher auch nur verwundernd vor der Tür gestanden? Das reicht nicht. Du musst hindurch! „So jemand durch mich eingeht.„ Aber — da ist freilich eine Schwierigkeit: die Tür ist niedrig und so schmal. „Ich bin die Tür zu den Schafen.“ Es ist kein Scheunentor, durch das man mit einem beladenen Heuwagen hineinfahren könnte. Es ist eine Tür am Schafstall. Wer da hindurch will, der muß sich bücken können. Ach, und das wird manchem so sauer. Man kann sich nicht beugen. Man will sich auch nicht beugen. Aber das ist doch ewigkeitsgemäß: „Dem Hoffärtigen widersteht Gott, aber dem Demütigen gibt Gott Gnade.„ Es ist nun einmal so: „Die Pforte ist enge“, wie Jesus in der Bergpredigt gesagt hat. Wir können sie nicht breiter machen. Und niedrig ist sie auch. Sie ist nicht für stolze Rosse eingerichtet, sondern für Schafe. Da muß allerlei dahintenbleiben, wenn wir durch diese Schafstalltür eingehen wollen. Da muß dahintenbleiben unser hochmütiger Kopf, der sich nicht beugen kann. Dahintenbleiben muß auch unser Sündenpacken, den wir von unserer Vergangenheit her mitschleppen. Dahintenbleiben müssen unsere Gebundenheiten an dies und das. Und — das Opfer wollen viele nicht bringen.

Und — da ist noch etwas, was sie zurückhält. Jesus sagt: „Ich bin die Tür zu den Schafen.„ Wer durch diese Tür eingeht, der kommt nicht in einen leeren Raum, sondern er kommt zu den Schafen, die schon vor ihm eingegangen sind. Und das mögen manche nicht. „In der Gemeinschaft riecht es so nach armen Leuten!“ sagte einmal verächtlich jemand. Ja, gewiß, „nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Edle, nicht viel Gewaltige sind berufen, sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er zuschanden mache, was stark ist,- und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt und das da nichts ist, daß er zunichte mache, was etwas ist, auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme„ (1.Kor. 1,26—29). Es sind wohl auch vornehme und reiche und hochstehende Leute in der Herde Christi, aber die Regel ist das freilich nicht. Die meisten „Schafe des guten Hirten“ sind schlichte und kleine Leute. Das ist wahr. Und da mag mancher zurückschrecken und denken, er vergäbe sich etwas, wenn er durch diese Tür gehen würde.

Und doch, wer durch diese Tür eingeht, der kommt zu den Schafen Jesu, der wird ein Glied der Herde des guten Hirten, der ist nach Leib und Seele, für Zeit und Ewigkeit geborgen und versorgt. Wer durch diese Tür eingeht, der tritt zuerst in Beziehungen zu Jesus selber. Der lernt ihn als seinen persönlichen Heiland kennen. Der kann nicht anders, als zu rühmen und zu preisen:

Wo gibt es einen bessern Meister,
als der, in dessen Dienst wir sind?
Nicht Herr allein, auch Vater heißt er,
und wer ihm dient, der wird sein Kind.

Wer durch diese Tür eingeht, der empfängt und erfährt Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott. Wie herrlich, wenn die Last und Not unserer Vergangenheit versinkt und ertrinkt im Meer der Gnade und der Barmherzigkeit! Der Dichter hat recht, wenn er sagt:

O, das ist ein andres Leben,
wenn man weiß: Ich bin befreit,
meine Sünden sind vergeben,
meinem Herrn bin ich geweiht.

Aber wer durch diese Tür eingeht, der tritt nicht nur in Beziehung zu Jesus als dem guten Hirten, der tritt auch in Beziehung zu seinen Schafen. Und der erfährt, daß es Glück und Seligkeit ist, zu den Schafen Jesu gehören zu dürfen.

Mir ist das große Glück zuteil geworden, daß ich schon früh durch diese Tür eingehen durfte. Was waren das für Prachtmenschen, die ich da kennenlernte. Gewiss, es waren schlichte Leute. Die meisten waren Fabrikarbeiter, Bergleute, Hüttenleute, kleine Handwerker. Wenn es hoch kam, dann war es ein Postmeister, ein Gemeindevorsteher. Aber — was für Menschen waren sie alle! Männer, die kindlich und einfältig alles aus Gottes Hand hinnahmen, Liebes und Leides.

Wie danke ich Gott, daß er mich in diesen „Schafstall„ geführt hat. Bis dahin war mein Glaube mehr Theorie, hier sah ich, daß er eine Sache des täglichen Lebens ist, daß er Kraft gibt und Trost und Freude und Friede. Und darum habe ich gelernt, mit Tersteegen zu sprechen:

O wie lieb ich, Herr, die Deinen,
die dich suchen, die dich meinen,
o wie köstlich sind sie mir!
Du weißt, wie mich's oft erquicket,
wenn ich Seelen hatt' erblicket,
die sich ganz ergeben dir.

Und das ist nicht nur meine Erfahrung gewesen — das erfuhren schon die ersten Christen in Jerusalem. Und darum steht neben den drei Gnadenmitteln des Wortes, des Gebetes und des Herrenmahles als viertes Gnadenmittel die Gemeinschaft der Kinder Gottes. Wahrlich, die Gemeinschaft ist ein Gnadenmittel. Das erfährt und erlebt jeder, der sie kennenlernt. Die Gemeinde Jesu, die Herde Jesu, das ist „sein Leib“, wie Paulus an die Korinther geschrieben hat. „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen„ bekenne ich dankbar mit dem dritten Artikel. Ich weiß, was ich derselben zu verdanken habe an innerer Förderung. Und darum möchte ich all denen, die noch nicht durch die Jesus-Tür gegangen sind, Mut machen, hindurchzugehen. Du lernst Jesus als deinen persönlichen guten Hirten kennen, von dem du mit den Kindern um die Wette singst:

Weil ich Jesu Schäflein bin,
freu ich mich nur immerhin
über meinen guten Hirten,
der mich wohl weiß zu bewirten,
der mich liebet, der mich kennt
und bei meinem Namen nennt.

Und du lernst Menschen kennen als deine Brüder und Schwestern im Herrn, die dir inneren Gewinn und Förderung bringen, durch deren Umgang du reich gesegnet wirst für Zeit und Ewigkeit. O laß es dir gesagt sein, was Jesus spricht: „Ich bin die Tür zu den Schafen.“

III. Die Verheißung des Wortes

Noch einmal müssen wir uns diesem wunderbaren und tiefsinnigem Worte Jesu zuwenden, um noch die Verheißung zu betrachten, die er darin ausgesprochen hat. Wenn wir die Bedingung des Wortes erfüllen und durch die Tür eingehen, dann erfüllt der Herr seine Verheißung. Wie lautet sie? „Der wird selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.„ Selig werden — das heißt soviel wie: der wird errettet werden. Errettet? Das sieht aus, als ob wir vorher in einer Gefahr wären? Ja, das sind wir auch. Wer nicht durch die Jesus-Tür eingeht, wer nicht durch ihn in Verbindung mit Gott kommt, der ist in der Gefahr, verlorenzugehen. Weißt du das? Das hat niemand anders als Jesus selber gesagt. „Wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“, hat er gesagt. Es handelt sich also um ein scharfes Entweder-Oder. Entweder wir gehen durch die Tür ein und werden errettet, oder wir tun es nicht und werden verdammt. Damit stellt der Herr einen jeden vor die Entscheidung. Wir haben die Freiheit, gerettet zu werden. Wir haben auch die Freiheit, verlorenzugehen. Die Entscheidung darüber fällt nicht der Herr, sondern die Entscheidung liegt in unserer eigenen Hand. Der Herr Jesus macht am Tage des Gerichts nur den Schlussstrich unter unser Verhalten bei Lebzeiten. Sind wir zu ihm gekommen in der Zeit, dann sagt er uns in der Ewigkeit: Kommt her zu mir, ihr Gesegneten meines Vaters! Sind wir aber von ihm weggegangen in der Zeit, dann gilt uns in der Ewigkeit und für die Ewigkeit das furchtbare Wort: Geht hin von mir, ihr Verfluchten! Es hängt also von unserer Entscheidung ab, was aus uns in der Ewigkeit wird. „So jemand durch mich eingeht, der wird selig werden.„

Und diese Seligkeit ist sowohl eine diesseitige wie auch eine jenseitige. Wir sind hier schon selig. Diese Seligkeit auf Erden beschreibt der Herr mit den Worten: „Der wird selig werden und wird ein- und ausgehen und. Weide finden.“

„Der wird eingehen.„ Nämlich in die Gemeinschaft des Hirten und seiner Schafe. Wie kostbar ist beides! Das haben wir oben schon gesehen. Wir müssen aber noch einmal dabei verweilen.

Wir werden eingehen zu Jesus, in seine Liebe und Gnade, in seine Gemeinschaft hinein. Wie wird das Leben dadurch verändert. Das kann ein Mensch, der das nicht kennt, nicht verstehen. Es wundert mich gar nicht, daß so viele Menschen die Kinder Gottes für Schwärmer und Phantasten halten, die sich etwas einbilden. Es ist auch so wunderbar, so ganz und gar anders, daß man sich vorher keine Vorstellung davon machen kann. Mit dem Herrn Jesus Gemeinschaft haben — und durch ihn mit dem Vater! Was für eine Veränderung gegen das vorige Leben! Gemeinschaft mit Gott! Man braucht nicht mehr mit der eigenen Kraft zu rechnen, die doch eigentlich nur Ohnmacht ist, sondern man nimmt aus der Gemeinschaft mit Gott, was man braucht für alle Bedürfnisse des Lebens. In allen Lagen und Fragen des Lebens darf man in den Himmel greifen und sagen: Herr, du hast! Gib mir! Und seine Gnade reicht aus für uns! Und wie weiß man sich getragen und umgeben von seiner Liebe! Wie wacht und waltet über uns seine Gnade! Zinzendorf hat diese selige Erfahrung in der Gemeinschaft mit dem Herrn in dem Vers ausgesprochen:

Vor Jesu Augen .schweben ist wahre Seligkeit, ein unverrücktes Leben mit ihm schon in der Zeit. Nichts können und nichts wissen, nichts wollen und nichts tun, als Jesu folgen müssen, das heißt im Frieden ruhen

Wir gehen aber nicht nur ein in die Gemeinschaft des Hirten; wir gehen auch ein in die Gemeinschaft seiner Schafe.

Wie köstlich und erquickend ist auch diese Gemeinschaft! Eines jeden Menschen Leben geht durch Prüfungen und durch Schwierigkeiten hindurch. Wie sollen wir mit diesen Nöten fertig werden? Nur durch die Gemeinschaft mit dem Herrn und durch die Gemeinschaft mit seinen Kindern. Wenn man mit Kindern Gottes zusammenkommt, mit ihnen das Wort Gottes betrachtet, mit ihnen betet, so erfährt man dadurch eine wunderbare Stärkung und Kräftigung. Das gibt Kraft und Frieden, Freude und Trost ins Herz hinein, so daß man den Schwierigkeiten ganz anders wieder begegnen kann.

O dieses kostbare „Eingehen“ in den Schafstall Jesu! Und dann das „Ausgehen„. Haben wir bei dem Herrn und seinen Kindern eine Erquickung und Stärkung erfahren, dann bleiben wir nicht im Schafstall, dann ruhen wir nicht auf unseren „Lorbeeren“, dann schwelgen wir nicht in seligen Gefühlen, o nein, dann gehen wir aus, um das auch andern zu bezeugen, was wir mit unserm Herrn erlebt haben. Wie viele friedelose Menschen gehen durch die Welt! Warum friedelos? Weil sie keinen Heiland haben. Denn er ist unser Friede. Haben wir aber erfahren, was für ein Heiland er ist, wie er die Seelen zu erquicken vermag, dann können wir das nicht für uns selbst behalten. Wir müssen ausgehen, um das auch andern zu sagen. Es geht uns wie den Aposteln in Jerusalem, denen die Hohenpriester es verbieten wollten, von Jesus zu reden. Da antworteten sie: „Wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten von dem, was wir gesehen und gehört haben.„ Wir müssen ausgehen. Die große Not unserer heilandslosen Umgebung, die große Liebe des Herrn, die ausgegossen ist in unsere Herzen, dringt und treibt uns dazu. Und wenn wir es nicht täten? Dann würden wir schwere Schuld auf uns laden. Seit vielen Jahren ist es mir so überaus ernst gewesen, was Gott durch den Propheten Hesekiel gesagt hat: „Du Menschenkind, ich habe dich zu einem Wächter gesetzt über das Haus Israel, wenn du etwas aus meinem Munde hörst, daß du sie von meinetwegen warnen sollst. Wenn ich nun zu dem Gottlosen sage: Du Gottloser musst des Todes sterben, und du sagst ihm solches nicht, daß sich der Gottlose warnen lasse von seinem Wesen, so wird wohl der Gottlose um seines gottlosen Wesens willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Warnest du aber den Gottlosen von seinem Wesen, daß er sich davon bekehre, und er will sich nicht von seinem Wesen bekehren, so wird er um seiner Sünde willen sterben und du hast deine Seele gerettet“ (Hes. 33, 7.9).

Darum können wir nicht anders: Wir dürfen ausgehen und wir müssen ausgehen, um einer in Sünden verlorenen Welt das Heil in Christus zu bezeugen. „Und Weide finden„, sagt der Herr. Was meint er damit? Die Kraft, die wir brauchen für alle Aufträge und Aufgaben. Er versorgt uns. Er läßt uns keinen Mangel leiden. Wie der Hirte seine Herde auf grüne Weide führt, so führt uns der Herr auf die Weide seines Wortes, um uns dadurch die Kraft mitzuteilen, die wir benötigen. Ja, es ist wahr:

Volles G'nügen, Fried' und Freude
jetzo meine See!' ergötzt,
weil auf eine frische Weide
mein Hirte Jesus mich gesetzt

Aber so herrlich die diesseitige Seligkeit schon ist, sie ist doch nur ein geringer Vorgeschmack gegen die Seligkeit, die wir dann erfahren werden, wenn wir aus dem Glauben ins Schauen gelangt Sind, wenn wir ihn sehen, wie er ist. Wie wird das sein! Hier hatten wir nur eine Gemeinschaft mit ihm im Glauben, ohne ihn zu sehen. Dann werden wir ihn sehen dürfen von Angesicht zu Angesicht. Wie wird das sein: Die Augen sehen, die von Tränen flössen um Menschennot und Herzenshärtigkeit, die Wunden, die das teure Blut vergossen, das uns vom ew'gen Tode hat befreit!

Ihn sehen, wie er ist! „Das wird allein Herrlichkeit sein, wenn frei von Weh ich sein Angesicht seh.“ Und nicht nur ihn sehen werden wir. Wir werden auch ihm gleich sein. Wenn das nicht geschrieben stände, ich würde es nicht glauben. Es wäre mir zu herrlich, zu gewaltig. Aber es steht geschrieben und darum bin ich davon überzeugt, daß er zum Ziele mit uns kommen wird. Das wird die Gemeinschaft mit ihm zustande bringen, das wird die Weide zuwege bringen, auf die er uns führt. Und darum lasst uns die Bedingung erfüllen, daß er uns seine Verheißung erfüllen kann in Zeit und Ewigkeit: „Ich bin die Tür, so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.„

Jesus, der große Geber

Joh. 10,10.11: Ein Dieb kommt nur, daß er stehle, würge und umbringe. Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.

I. Er gibt das Leben

Gott will geben, immer wieder geben. Wenn sich die Menschen von ihm nur geben ließen! Dazu ist er gekommen, sagt Jesus, daß er den Menschen Leben und volle Genüge gebe. In vielen Worten hat er gesagt, warum er gekommen ist.

Er sagt: „Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten (Matth.9,13). „Des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist (Luk. 19,10). „Ich bin vom Himmel gekommen, nicht daß ich meinen Willen tue, sondern den Willen des, der mich gesandt hat“ (Joh. 6,38). „Ich bin gekommen in die Welt ein Licht, auf daß, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe„ (Joh. 12,46). Ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern daß ich die Welt selig mache“ (Joh. 12,47). „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll (Joh. 18,37). In diesem Worte gibt er einen besonders kostbaren Grund seines Kommens an: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.„ Da tritt er vor uns hin als der große Geber. Und was bietet er uns als Geschenk und als Gabe an? Das Beste, was er geben kann: Das Leben und volle Genüge. Wir wollen zuerst miteinander betrachten: Er gibt das Leben. Wenn er das Leben erst geben muß, so liegt darin ausgesprochen, daß wir es noch nicht haben. Denn wenn wir es schon hätten, brauchte er es uns nicht zu geben. Das, was wir gewöhnlich „Leben“ nennen, bezeichnet die Bibel gar nicht so. Paulus schreibt Eph. 2, 1: „Und auch euch, da ihr tot wäret durch Übertretungen und Sünden.„ Und Johannes schreibt l.Joh. 3,14: „Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder.“

Zwischen Paulus und Johannes bestand ein großer Unterschied. Paulus hat die Gemeinde Gottes blutig verfolgt. Und die Epheser, an die er schreibt, waren Heiden gewesen, die in allerlei Sünden lebten. Dass er da das Wort „tot„ braucht, das wundert uns nicht. Aber Johannes braucht das Wort von sich und seiner Vergangenheit — und er war doch von jungen Jahren an ein suchender Mensch. Darum schloss er sich Johannes dem Täufer an, darum folgte er sofort dem Herrn Jesus nach. Er hat keine so gewaltsame Bekehrung durchgemacht wie Paulus. Aber auch seine Vergangenheit nennt er „Tod“. Was heißt denn „tot„? Wann sagen wir denn von einem Menschen, daß er tot ist? Wenn alle Beziehungen aufgehört haben, die ihn mit seiner Umwelt verbinden. Es sind gewissermaßen lauter Fäden, die uns mit unserer Umgebung verbinden: Wir können sehen, hören, fühlen, sprechen, riechen. Der Tod schneidet nun alle diese Fäden durch: die Augen brechen, die Zunge versagt den Dienst, das Gehör vernimmt nichts mehr. Der Mensch wird gefühllos. Sind alle diese Fäden durchgeschnitten, so daß der Mensch ganz isoliert daliegt., ohne Verbindung mit der Umwelt, dann sagen wir: er ist tot. Das gilt nun auch Gott gegenüber. Geistlich tot sein, das heißt: keine Beziehung zu Gott haben, kein Ohr für Gott, keinen Mund für Gott, kein Herz für Gott. Und — das ist unser natürlicher Zustand. Wir haben von Natur keine Beziehung zu Gott, keine Verbindung mit ihm. Aber — die will der Herr uns geben. Diese Gemeinschaft mit Gott, die unser wahres Leben ausmacht, die will er uns geben. Wie macht er das? Einst haben die Menschen das Leben gehabt. Einst lebten sie in Gemeinschaft mit Gott. Aber Gott hatte gesagt, wenn sie von dem Baume essen würden, dann würden sie des Todes sterben. Und sie haben von dem Baum gegessen und sind dadurch dem Tode verfallen. So war der ursprüngliche Liebesplan Gottes mit den Menschen durchkreuzt und vereitelt. Aber Gott gab seinen Plan nicht auf. Als die Zeit erfüllet war, sandte er seinen Sohn in die Welt, um der Welt Anschauungsunterricht zu geben, was Gemeinschaft mit Gott ist, was wahres Leben ist. Kein Wort sprach der Herr Jesus, ohne daß der Vater es ihm gegeben hätte. Kein Werk tat er ohne Weisung vom Vater. Aber darum lebte er auch im Vollsinne des Wortes in der Kraft Gottes. Und dieses Leben uns mitzuteilen, nahm er uns das ab, was uns von Gott trennte, die Sünde, und trug dieselbe auf das Kreuz von Golgatha hinauf. Nun kann er als der Auferstandene und Lebendige uns sein Leben mitteilen. „Wer an ihn glaubt, der hat das Leben.“ „Wer den Sohn hat, der hat das Leben.„ Darum läßt er uns sein Wort predigen, durch das uns die frohe Botschaft mitgeteilt wird, daß in ihm Leben und Seligkeit ist. Und diese frohe Botschaft beglaubigt und bestätigt er durch seinen Heiligen Geist. Das sind die beiden großen göttlichen Machtmittel, die er anwendet, um Menschen zum Leben zu verhelfen: Sein Wort und sein Geist. Man kann sich diesen göttlichen Machtmitteln entziehen. Man kann das Hören und Lesen des Wortes Gottes ablehnen. Dann bleibt man im Tode, dann empfängt man kein Leben. In dieser Stellung den göttlichen Machtmitteln gegenüber sind viele, viele Menschen. Sie haben sich längst entwöhnt, das Wort Gottes zu hören oder zu lesen. Es ist eine erschütternde Tatsache, daß in unserm Volk, aufs Ganze gesehen, nur fünf vom Hundert in die Kirche gehen und Gottes Wort hören. Und wieviel weniger mag es daheim gelesen werden! Wer aber das Wort Gottes hört öder liest mit dem Verlangen, durch den Heiligen Geist erleuchtet zu werden, der erkennt, daß er ein Sünder ist, der Gnade bedarf, daß er im Tode liegt und Leben nötig hat. Wer in Buße und Glauben zu Jesus kommt, wer den Herrn in sein Herz aufnimmt, der empfängt das Leben. Das ist wirkliches Leben, Leben aus der Fülle Gottes. Da sind wir nicht mehr angewiesen auf die eigene Kraft und auf unsere guten Vorsätze. Sondern der lebendige Herr läßt uns teilhaben an seinem Leben. Er durchströmt uns mit seinem Auferstehungsleben. Jetzt bewahrheitet es sich: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ Göttliches, ewiges Leben hier schon, das ist unser seliges Teil.

Wie unerschrocken sind einst die Märtyrer in den Tod gegangen, Lieder und Gebete auf den Lippen. Sie wussten:

Kann uns doch kein Tod nicht töten,
sondern reißt
unsern Geist
aus viel tausend Nöten.

O, es ist etwas um dieses Leben, das aus verborgenen göttlichen Quellen gespeist und genährt wird! Das allein verdient den Namen „Leben„. Man schöpft aus der Fülle Gottes Gnade um Gnade. Man nährt dies Leben immer wieder mit dem Brote des Lebens im Worte Gottes. Man greift in allen Lagen und Fragen in den Himmel hinein und holt betend die Kraft, die man braucht, den Trost, den man benötigt.

Leben aus Gott, ewiges Leben bietet der Herr uns an. Er will es geben. Das setzt aber voraus, daß wir es haben wollen und daß wir es nehmen.

Hat er dir schon das Leben geben können, lieber Leser? Hast du es schon haben wollen? Vielleicht hast du bisher nicht darauf geachtet, was Jesus will. Dann hör heute, was er sagt: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“

Willst du dieser Gabe nicht deine Hand und dein Herz auf tun? Du brauchst sie! Wenn du sie nicht bekommst, dann bist du und bleibst du im Tode. Und dann folgt auf den geistlichen Tod einmal der ewige Tod. Aber der Herr will nicht des Sünders Tod, sondern daß er sich bekehre und lebe. Du auch! Darum höre mit dem Ohr und mit dem Herzen: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.„

II. Er gibt volle Genüge

Volle Genüge? Heißt das wirklich, daß der Herr all unserm Mangel ein Ende macht, daß er uns alles gibt, was wir brauchen? Manche denken ohne weiteres: „Das gibt es nicht. Volle Genüge? Ausgeschlossen! Wir wollen froh sein, wenn wir mit Ach und Krach durchkommen, wenn wir nach dem Fall wieder aufstehen dürfen.“ Aber der Herr Jesus hat es doch gesagt, daß er Leben und volle Genüge geben wolle. Ja, er hat es geradezu als den Grund seines Kommens bezeichnet. Da kann man doch nicht ohne weiteres sagen: Das gibt es nicht! „Aber ich habe noch niemals volle Genüge gehabt! Ich habe immer wieder über Niederlagen im inneren Leben zu klagen!„ Das mag wohl sein. Aber dadurch wird das Wort Jesu nicht aufgehoben. Wir dürfen doch ein Wort des Herrn nicht aus der Bibel ausstreichen, weil unsere Erfahrung nicht — oder noch nicht — damit übereinstimmt! „Ja, hat es denn jemals Menschen gegeben, die volle Genüge hatten?“ Das wollen wir zuerst untersuchen. Der Apostel Johannes schreibt im ersten Kapitel seines Evangeliums: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“ Was will er damit sagen? Zuerst, daß in Christus eine Fülle von Gnade ist. Sodann, daß man aus dieser Fülle nehmen darf. Und endlich, daß diese Gnade für alle Bedürfnisse ausreicht. Denn „Gnade um Gnade„ heißt eigentlich: „Gnade anstatt Gnade.“ Haben wir die eine Gnade genommen und gebraucht, dann dürfen wir um eine andere bitten. Man darf immer wieder kommen, und die Fülle des Herrn ist unerschöpflich. Und das bezeugt Johannes nicht nur von sich, das bezeugt er auch von den andern Jüngern,„darum sagt er: „Wir alle.“ Dass diese Fülle wirklich ausreicht, das sagt Johannes auch in dem Worte in seinem ersten Briefe: „Wir halten seine Gebote und tun, was vor ihm gefällig ist.„ Mit ruhiger Selbstverständlichkeit sagt er: Wir führen ein Leben des Gehorsams. Wir leben ihm zu Gefallen.

Heute ist der Ungehorsam so verbreitet, daß man meint, wer da sagt: Ich bin Gott gehorsam, der ist ein hochmütiger Mensch, ein eingebildeter Schwärmer. Wie konnte Johannes so sprechen? Weil er von der Fülle Gebrauch machte, die in Christus ist.

Was sagt Paulus zu der „vollen Genüge“? Er braucht dasselbe Wort, wenn er an die Korinther schreibt: „Gott aber kann machen, daß allerlei Gnade unter euch reichlich sei, daß ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken„ (2. Kor. 9, 8). In allen Dingen volle Genüge, ruft er den Korinthern zu. Und er sagt: Das kann Gott machen. Wenn er das nicht erlebt hätte, dann könnte er das nicht sagen. Dasselbe bezeugt er den Römern im achten Kapitel des Römerbriefes. Da spricht er von großen Nöten und Trübsalen, die es durchzumachen gibt um Jesu willen. Er sagt: Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert?“ Es waren nicht bloße Worte, die er hier machte, sondern hinter all diesen Worten standen Erlebnisse, sehr schwere und schmerzliche Erlebnisse. Aber im Blick auf alles, was er durchgemacht hatte, kann er sagen: „In dem allen überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat.„ „Wir überwinden weit“ — das kann man auch so übersetzen: „Wir sind mehr als Überwinder.„ Das heißt: Der Gedanke an ein Verleugnen, an ein Untreuwerden ist mir gar nicht gekommen; ich hatte eine überströmende Gnade. So daß ich sagen konnte: „Ich habe Wohlgefallen an Schwachheiten, an Misshandlungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten um Christi willen, denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark“ (2. Kor. 12, 10).

Und wiederum schreibt er: „Welcher seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?„ (Rom. 8, 32.) Stimmt der Apostel Petrus dem auch zu? Ja, das tut er. Denn er sagt: „Nachdem allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, uns geschenkt ist durch die Erkenntnis des, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Tugend …“ (2. Petri l, 3). Also da sagt er: Was zu einem göttlichen Leben und Wandel dient, ist uns in Christus geschenkt. Ein göttlicher Wandel! Ist das nicht „volle Genüge„? Aber wie wird sich der nüchterne, praktische Jakobus dazu stellen? Der fängt seinen Brief gleich damit an, daß er sagt: „Meine lieben Brüder, achtet es für eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet.“ Damit will er sagen: Wenn es so recht bunt hergeht — denn „mancherlei„ heißt eigentlich „bunt“ —, dann freut euch, denn dann habt ihr eine wundervolle Gelegenheit, den Menschen zu zeigen, was die Gnade vermag! Der kleine Judas-Brief sagt: „Dem aber, der euch kann behüten ohne Fehl und stellen vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden, sei Ehre und Majestät und Gewalt und Macht nun und zu aller Ewigkeit!„ „Er kann behüten ohne Fehl.“ „Er kann uns unsträflich und mit Freuden vor das Angesicht seiner Herrlichkeit stellen.„ Ist das nicht „volle Genüge“? Der Verfasser des Hebräerbriefes schließt sich diesen Zeugnissen an mit dem Worte: „Daher er auch erretten kann aufs völligste„ (7,25).

Wenn wir uns also in den Briefen der Apostel umsehen, dann finden wir, daß sie darin alle übereinstimmen, daß in Christus volle Genüge ist. Wenn es aber heute Kinder Gottes gibt, die der Meinung sind, daß es das nicht gebe, woher kommt es? Einmal wohl daher, daß sie nicht mit der Fülle Christi rechnen, sondern mit der eigenen Kraft. Sie wollen es mit ihren Vorsätzen fertigbringen. Sie wollen sich selber heiligen. Das ist freilich ein Ding der Unmöglichkeit.

Und der andere Fehler, der sich aus dem ersten ergibt, ist der, man nimmt nicht, eben weil man glaubt, selber zu haben und selber zu können. Wer in allen Lagen zu Jesus kommt und zu seiner Gnadenfülle, der erfährt es auch: Die Gnade reicht aus. Es gibt volle Genüge! O, lasst uns doch nicht mehr im Unglauben und im Zweifel draußen stehen vor der Gnadentür, sondern lasst uns kommen und nehmen Gnade um Gnade. Und sicherlich, wir dürfen es heute ebenso erfahren, wie es die Apostel erfuhren, wie es die Männer Gottes aller Zeiten erfuhren: Leben und volle Genüge. Volle Genüge im äußeren, leiblichen Leben, volle Genüge auch im inneren Leben, im Leben der Seele. Es gibt keine Notlage unseres äußeren Lebens, in der wir uns nicht an ihn wenden dürften und in der wir nicht erfahren könnten: Er hat, was wir brauchen. Der die Tausende in der Wüste gespeist hat mit den wenigen Broten, so daß noch Körbe voll Brocken übrigblieben, der ist auch unser Heiland.

Der Dichter Woltersdorf hat das wundervoll in einem Liede ausgesprochen:

Der die Haare zählet,
dem kein Sperling fehlet,
der die Raben speist,
der hat mich geschaffen,
der bedarf kein Schlafen,
der ist nicht verreist;
der den Sohn so lange schon
für mein Heil dahingegeben,
der ist noch am Leben.

Mir den Erben schenken
und sich noch bedenken,
wenn's am Brote fehlt,
das ist ohne Zweifel
ein Gedicht vom Teufel,
der die Herzen quält.
Bösewicht, begreifst du's nicht?
der sein Kind nicht abgeschlagen,
was wird der versagen?

Der die Seele speiset
und ihr mehr erweiset
als den Wert der Welt,
Der mir Leib und Leben
wunderbar gegeben,
wunderbar erhält,
der es kann und der's getan:
diesen traget erst zu Grabe,
eh' ich Mangel habe!

Was aber vom leiblichen Leben gilt, das gilt nicht minder vom inneren Leben. Wie groß sind unsere Bedürfnisse im Eheleben? Ist es möglich, daß zwei Menschen miteinander auskommen, ohne sich zu zanken? Ja, denn der Herr hat volle Genüge. Man muß nur nichts von sich selber und von seiner „großen Liebe“ erwarten. Man muß nur, anstatt an sich zu denken, ins Meer der Liebe sich versenken.

Es gilt auch vom Berufsleben. Im Verkehr mit Vorgesetzten brauchen wir eine andere Gnade, als zum Verkehr mit Gleichstehenden und wieder eine andere zum Verkehr mit Untergebenen. Aber „allerlei Gnade„ ist da, wenn wir nur kommen und nehmen.

Gnade zum Leiden. Gnade zum Bekennen. Gnade immer und überall, Gnade zum Sterben. Volle Genüge bietet Jesus an. Wollen wir nicht zugreifen und nehmen? Wollen wir immer arm bleiben, wo seine Fülle da ist für uns? Wollen wir von Niederlage zu Niederlage gehen, wo er Kraft und Sieg hat? Wollen wir ihn verunehren durch Zweifel und Unglauben oder wollen wir ihn ehren durch Vertrauen? Jesus hat gesagt: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“

Jesus - der Verheißene

Joh. 10,12-14: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht, denn er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht. Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen.

I. Das Alte Testament hat ihn verkündet

Zweimal in diesen wenigen Versen sagt der Herr: Ich bin der gute Hirte. Wenn er im Gegensatz von ungetreuen Hirten, von Mietlingen spricht, so könnte man erwarten, daß er sagen würde: „Ich bin ein guter Hirte.„ Aber so sagt er nicht. Er sagt: Ich bin der gute Hirte. Was will er damit sagen? Offenbar dies: Ich bin der gute Hirte, von dem geweissagt ist — in manchem Wort des Alten Bundes und auch in mancher alttestamentlichen Geschichte. Immer wieder ist im Alten Testament die Rede von dem göttlichen Hirten. So spricht Jesaja (Kapitel 40, 10. 11): „Siehe, der Herr Herr kommt gewaltig und sein Arm wird herrschen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm und seine Vergeltung ist vor ihm. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte; er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen und die Schafmütter führen.“ Da wird also geweissagt, daß der kommende Herr sich wie ein Hirte in großer Freundlichkeit der Menschenkinder annimmt. Noch viel eingehender schildert der Prophet Hesekiel das Wesen des Herrn als eines treu besorgten Hirten. Es heißt Hesekiel 34, 11—16: „So spricht der Herr Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, also will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Örtern, dahin sie zerstreut waren zur Zeit, da es trüb und finster war. Ich will sie von allen Völkern ausführen und aus allen Ländern versammeln und will sie in ihr Land führen und will sie weiden auf den Bergen Israels und in allen Auen und auf allen Angern des Landes. Ich will sie auf die beste Weide führen, und ihre Hürden werden auf den hohen Bergen in Israel stehen; daselbst werden sie in sanften Hürden liegen und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich will selbst meine Schafe weiden, und ich will sie lagern, spricht der Herr Herr. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte wiederbringen und das Verwundete verbinden und des Schwachen warten; aber was fett und stark ist, will ich vertilgen und will es weiden mit Gericht.„ Und in demselben Kapitel heißt es: „Ich will ihnen einen einigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein.“ David selber war lange tot, als dies Wort geredet und geschrieben wurde; gemeint ist der große Davidsohn, der das Volk weiden soll wie ein Hirte.

Dasselbe sagt Hesekiel im 37. Kapitel (V. 24): „Mein Knecht David soll ihr König sein und aller einiger Hirte. Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und darnach tun.„

Und wer kennte nicht das Wort des 100. Psalms, wo auch von dem göttlichen Hirten und seinen Schafen die Rede ist? „Erkennet, daß der Herr Gott ist! Er hat uns gemacht — und nicht wir selbst — zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.“

Ganz ähnlich heißt es im 95. Psalm: „Er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand.„ Und endlich erinnere ich an den Hirtenpsalm Davids, der eins der bekanntesten Worte der ganzen Heiligen Schrift ist: „Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele; er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen …“

So ist an verschiedenen Stellen davon die Rede, daß der Herr sich der Menschen annehmen wird wie ein guter Hirte. Dass er in großer Treue sie leiten und weiden wird. Im Blick auf alle diese prophetischen Stellen des Alten Bundes sagt nun der Herr Jesus hier: Der gute Hirte, von dem die Propheten geweissagt haben, von dem die Psalmisten gesungen haben, der bin ich. Diese Verheißungen finden in mir ihre Erfüllung. Was da geweissagt steht, das mache ich wahr: Ich bin der gute Hirte! Aber nicht nur in prophetischen Worten war von Jesus als dem guten Hirten die Rede — die Bibel ist auch voll von Geschichten, die wir als Hinweise auf den verheißenen guten Hirten bezeichnen können. Was für ein Sinnbild des guten Hirten Jesus ist gleich der erste Hirt, von dem wir in der Bibel lesen: Abel! „Abel ward ein Schäfer, Kain aber ward ein Ackermann.„ So brachte Abel ein Opfer dar von den Erstlingen seiner Herde; er opferte ein Lamm. Aber das Zeugnis der Gerechtigkeit, das er von Gott infolge seines Opfers erhielt (Hebr. 11,4), das erregte seinen Bruder Kain so, daß er ihn totschlug. So wurde Abel selber zum Opfer, dessen Blut auf die Erde floss und hinaufschrie zu Gott. Ist das nicht ein wunderbares Vorbild auf Jesus, der als der große Hohepriester das Sühnopfer darbrachte für eine verlorene Welt und der selbst das Opferlamm wurde, das sein Blut vergoss, das da besser redet denn das Blut Abels?

Auch Jakob war ein Hirte. Er verließ sein Vaterhaus und zog in die Fremde, um dort große Herden zu gewinnen.

So hat auch Jesus sein Vaterhaus verlassen, um die Menschen, die wie Schafe ohne Hirten waren, zu sammeln. Und er hat Herden erworben — aus Juden und Heiden. Wie treu ist Jakob um seine Schafe besorgt! Das sehen wir, als er aus Mesopotamien heimkehrt und ihm Esau entgegenkommt mit seinen Reitern. Esau bietet ihm an, mit ihm zu ziehen und so Schutz und Geleit des riesigen Zuges zu übernehmen. Jakob aber antwortete: „Du erkennest, daß ich zarte Kinder bei mir habe, dazu säugende Schafe und Kühe; wenn sie einen Tag übertrieben würden, würde mir die ganze Herde sterben.“ Wenn ein Jakob als ein guter Hirte seiner Schafe sich beweist, meinst du, Jesus ließe sich von ihm beschämen? Nimmermehr. Er ist der gute Hirte, von dem Jakob nur ein Vorbild ist. Er kümmert sich um jedes seiner Schafe. Er sorgt dafür, daß nicht eines übertrieben wird. Joseph, der Sohn Jakobs, war auch ein Hirte, wie seine Brüder. Auch er wieder ist mit seiner ganzen Geschichte ein Hinweis auf Jesus, den guten Hirten. So wie der Vater ihn sandte, um seine Brüder zu besuchen, so hat der Vater im Himmel seinen Sohn gesandt. Aber ach, wie die Brüder Josephs ihn verkauften um schnöden Lohn, so wurde auch Jesus von seinen Menschenbrüdern verkauft. Erniedrigung und Erhöhung, das ist die Überschrift über die Geschichte Josephs. Er wurde erniedrigt bis zum Sklavendienst in Ägypten, erniedrigt bis ins Gefängnis; aber dann holte ihn der König hervor und machte ihn zum ersten Mann im Lande, zum „andern„ nach dem König. Und alles Volk warf sich vor Joseph nieder und huldigte ihm als „des Landes Vater“.

Ist das nicht auch Jesu Geschichte? So hat er sich erniedrigt und seine Herrlichkeit verlassen, nicht gezwungen wie Joseph, sondern freiwillig und gern. Er hat sich seiner Göttlichkeit entäußert und Knechtsgestalt angenommen. Er hat sich entäußert und erniedrigt bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters. Mose war ein Hirte, der in Midian die Schafe seines Schwiegervaters hütete durch vierzig lange Jahre. Was für merkwürdige Ähnlichkeiten hat auch die Geschichte Moses mit der Geschichte Jesu! Als Kind wurde er verfolgt durch das Gebot des Königs, daß alle kleinen Knaben ins Wasser geworfen werden sollten — ebenso wie auch der Jesusknabe durch den König Herodes mit dem Tode bedroht wurde. Mose verzichtet auf eine glänzende Laufbahn, um seinem Volke zu helfen. Auch Jesus gab den Platz auf dem Throne Gottes auf, um Helfer und Retter der Menschen zu werden. „Er duldete das Kreuz und achtete der Schande nicht!„ Aber dann berief Gott Mose von den Schafen weg zum Führer seines Volkes. Und so ging Jesus vom Kreuz zur Krone und zum Throne. Endlich war David ein Hirte, der die Schafe seines Vaters Isai weidete auf den Fluren von Bethlehem. Er war ein tapferer und treuer Hirte, kein Mietling, der davonläuft, wenn der Wolf kommt. Das bewies er, als ein Raubtier einen räuberischen Einbruch in seine Herde versuchte. Im Vertrauen auf den Herrn ging er ohne Waffen auf das Untier los und erwürgte es mit seinen Armen, denen Gott wunderbare Kraft verliehen hatte. So nahm auch der große Davidsohn den Kampf auf mit dem brüllenden Löwen, dem Teufel, und überwand ihn und rettete seine Schafe aus seiner Gewalt. Im Blick auf all diese Hirten der Vergangenheit sagt nun der Herr Jesus: Der Hirte, den der Alte Bund geweissagt hat, den diese vielen Hirtengestalten des Alten Bundes abgeschattet und vorgebildet haben, der bin ich. In mir ist das alles zur Erfüllung gelangt und Wirklichkeit geworden. Ich bin kein Hirte wie die, von denen in Hesekiel 34 die Rede ist, denen Gott zuruft: „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen nicht die Hirten die Herde weiden? Aber ihr fresset das Fette und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete; aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. Der Schwachen wartet ihr nicht und die Kranken heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht und das Verlorene sucht ihr nicht, sondern streng und hart herrscht ihr über sie … Darum spricht der Herr: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern und will mit ihnen ein Ende machen, daß sie nicht mehr sollen Hirten sein und sollen sie nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Maul, daß sie sie forthin nicht mehr fressen sollen.“ Nein, so hat's Jesus nicht gemacht. Das Zeugnis müssen wir ihm ausstellen. Er hat sich uns als der verheißene gute Hirte bewiesen. Das wollen wir noch genauer betrachten, um sein Wort zu bestätigen: Ich bin der gute Hirte.

II. Er hat alles erfüllt

Was das Alte Testament in Worten und Geschichten von dem göttlichen Hirten sagt, das ist in Jesu wunderbare Erfüllung geworden. Das beweisen seine Hirtenliebe, seine Hirtensorge und seine Hirtentreue. Seine Hirtenliebe bewies der Herr Jesus dadurch, daß er sein Leben ließ für die Schafe. Das ist doch der größte Liebesbeweis, der erbracht werden kann, wie es Joh. 15,13 heißt: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde.„ Die Krippe von Bethlehem wie das Kreuz von Golgatha reden gleicherweise von der wunderbaren Hirtenliebe unseres Herrn. Es litt ihn nicht in der Herrlichkeit, die er beim Vater innehatte, als er die Menschen dahingehen sah wie Schafe, die keinen Hirten haben. Darum kam er auf unsere arme Erde, von seiner Liebe getrieben. Darum zog er durchs Land, um überall zu heilen und zu helfen, wo Menschen sich für Leib oder Seele nach seiner Hilfe sehnten. Es jammerte ihn, wenn er Menschen sah von Krankheiten befallen oder von der Macht des Bösen besessen. Wenn er Menschen sah, die unter der Not und Last ihrer Sünde seufzten, er konnte sie nicht so gehen lassen. Er rief alle Mühseligen und Beladenen zu sich, um sie zu erquicken. Aber das ließ der alte böse Feind sich nicht gutwillig gefallen. Er trat ihm entgegen in der Wüste, um ihn zu Falle zu bringen. Er trat ihm entgegen in Gethsemane, um seinen Gehorsam zu versuchen. Was war das für ein Ringen in der Nacht, als Jesus immer wieder unter Tränen zum Himmel aufschrie: „Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ In blutigen Tropfen floss sein Schweiß auf den Boden, so hart war das Ringen. Es war geradezu ein Ringen mit dem Tode. Es gibt eine Deutung dieses Todesringens, die sagt: Der Tod habe hier in Gethsemane den Heiland umbringen wollen; aber Jesus habe sich dagegen gewehrt, weil ja dann sein Tod keine Erlösungskraft gehabt hätte. Der Vater schickte ihm einen Engel, der ihn stärkte, daß er durchhalte bis zum Siege. Und er hat siegreich gekämpft. Er hat sich durchgerungen bis zur vollen Freiwilligkeit: Ich trinke den Kelch und es geschehe dein Wille!

Als nun die Häscher kamen, um ihn gefangen zu nehmen, konnte er ihnen in königlicher Ruhe entgegentreten: „Wen suchet ihr?“ Als sie geantwortet: „Jesus von Nazareth„, sagte er: „Ich bin's.“ In diesen Worten lag eine solche Hoheit und Macht, daß die Häscher zu Boden stürzten. Wenn Jesus gewollt hätte, hätte er zwischen ihnen hindurchgehen und sich in Sicherheit bringen können. Warum tat er das nicht? Weil er ans Kreuz wollte, weil er die Menschen erlösen wollte — in seiner wunderbaren Hirtenliebe.

Und als seine Jünger das Schwert zogen, gebot er ihnen, es wieder einzustecken. „Meint ihr nicht, daß ich den Vater bitten könnte, daß er mir zusendete mehr denn zwölf Legionen Engel?„ Warum bat er denn nicht darum? Weil seine Liebe ihn ans Kreuz trieb zur Erlösung der Menschen.

So geht er ans Kreuz, nicht gebunden von rohen Soldaten, sondern gebunden von seiner Liebe. „Niemand nimmt mein Leben von mir, ich lasse es von mir selber“, so kann er sprechen. Er nimmt auch den letzten Kampf auf mit dem Fürsten der Finsternis. Er gibt sein Leben und sein Blut zur Erlösung der Welt.

Gott sei gepriesen für diese Hirtenliebe Jesu, die ihn dazu trieb, Blut und Leben für uns zu geben. Darum hallt der Himmel wider von dem Lobpreis des erwürgten Lammes Gottes. Darum soll auch unser Herz anbetend mit einstimmen:

Liebe, die für mich gelitten
und gestorben in der Zeit,
Liebe, die mir hat erstritten
ew'ge Lust und Seligkeit:
Liebe, dir ergeb ich mich,
dein zu bleiben ewiglich.

Nicht minder groß als seine Hirtenliebe ist seine Hirtensorge. Er führt seine Herde auf eine grüne Aue und zum frischen Wasser. Und wenn der Wolf kommt, dann flieht er nicht wie ein Mietling, der sich der Gefahr entzieht. Nein, er tritt unerschrocken dem Wolf entgegen, um seine Herde zu schützen. Wie haben wir's gut unter einem solchen Hirten. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Dafür sorgt der gute Hirte. Wir dürfen alle unsere Sorgen auf ihn werfen, und wir haben die Verheißung, daß er dann für uns sorgen wird. Und das tut er wirklich. Das müssen wir bezeugen. Wir müssen nur die eine Bedingung erfüllen, nicht selber zu sorgen. Wenn wir sorgen, dann sorgt er nicht. Aber wenn wir nicht selber sorgen, sondern unsere Sorgen auf ihn werfen, dann übernimmt er die ganze Fürsorge für uns.

Und nicht nur für uns. Für unsere Kinder auch. Heißt es doch in den Sprüchen (14, 26): „Wer den Herrn fürchtet, der hat eine sichere Festung, und seine Kinder werden auch beschirmt.„

Wir dürfen ihm alle Bedürfnisse sagen und klagen, auch die kleinsten und geringsten. Und es ist ihm gar nichts nebensächlich, was uns angeht. Sind doch unsere Haare auf dem Haupte alle gezählt, fällt doch kein Haar von unserem Haupte ohne den Willen Gottes. Wahrlich, wir dürfen wie die Kinder uns freuen und fröhlich sein: Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich liebet, der mich kennt und bei meinem Namen nennt.

Und nun noch seine Hirtentreue. Er geht jedem nach, das sich von seiner Herde verirrt. Er kann nicht eins entbehren. In einem Liede heißt es:

Neunundneunzig der Schafe hast ja du!
sind sie nicht genug für dich?

Und der Hirte antwortet:

Ich habe keine Ruh,
ich sehn nach dem einen mich.

Was wäre aus uns geworden ohne die Hirtentreue unseres Herrn! Wie lange sind wir den Irrweg gegangen! Und immer ging er uns nach: Hast du mich noch nicht nötig? Kannst du mich noch nicht gebrauchen? Ob wir unsere eigenen Wege gingen, er blieb treu. Und als wir endlich nicht mehr anders konnten, als wir ihm unsere Sünden bekannten, da war er treu und gerecht, daß er uns unsere Sünden vergab und reinigte uns von aller Untugend.

Und haben wir ihn seither nicht auch treu erprobt? Ach, sind wir nicht auch als Kinder Gottes oft Irrwege gegangen? Haben wir uns nicht manchmal von unserem eigenen Willen leiten und bestimmen lassen? Und da war er so treu, daß er uns die eigenen Wege mit Dornen vermachte, daß er uns herumholte und zurechtbrachte. O ein treuer Hirt. Er kennt die Seinen, so wie ihn der Vater kennt und er den Vater. Er kennt uns. Was für ein kostbarer und tröstlicher Gedanke. Er kennt uns besser, als wir uns selber kennen. Als Petrus seinen Herrn und Meister verleugnet hatte, da dachte er: Jetzt ist es aus mit mir! Jetzt kann mich der Herr nicht mehr gebrauchen. Die andern mögen sich freuen über seine Auferstehung, ich nicht. Aber Jesus weiß, wer Petrus ist. Er weiß: im Grunde seines Herzens hat er mich doch lieb. Er hat sich überrumpeln lassen, weil er nicht gewacht und gebetet hat. Aber lieb hat er mich doch! Darum schickt er ihm eine besondere Osterbotschaft: „Saget's meinen Brüdern — und Petrus!“ Darum sagt er bei dem Examen am See, das er ihm nicht ersparen kann: „Hast du mich lieb?„ „Ja, Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich liebhabe!“ „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!„ Und er setzt ihn voll und ganz wieder in sein Apostelamt ein. Denn — er kennt ihn.

So kennt er uns auch. So schaut er uns ins innerste Herz. Und — so kennen wir ihn als den Treuen. Immer besser haben wir ihn kennengelernt. Von Jahr zu Jahr haben wir ihn immer neu erproben, immer mehr erfahren können, wie treu er ist. Darum müssen wir es bezeugen mit Lob und Dank, was unser guter Hirte für eine Hirtenliebe, für eine Hirtensorge und für eine Hirtentreue hat für seine Herde.

Ja, aber so herrlich das ist, es gibt viele, die ihn nicht als ihren Hirten annehmen und anerkennen. Warum nicht? Ach, er ist ein Hirte von Schafen. Und ein Schaf will man nicht sein. Lieber will man sich selber helfen, lieber seine eigene Kraft erproben.

Ach, das haben wir auch einst versucht. Wir wollten auch keine „Schafe“ werden. Aber es blieb uns endlich nichts anderes übrig als zu kapitulieren. Und — das war der Weg zum Glück. Das war der Weg zum Leben und zur Seligkeit. Und darum rühmen und preisen wir unseren guten Hirten, von dem Gedanken beseelt:

Wüßten's nur die Leute, wie's beim Heiland ist,
sicher würde heute mancher noch ein Christ.

O komm, lerne ihn kennen, und auch du stimmst mit ein in den Lobpreis: „Der Herr ist mein Hirte — mir mangelt nichts!„

Jesus, der Hirte aller Herden

Joh. 10,16: Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle; und dieselben muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören und wird eine Herde und ein Hirte werden.

Seine siegesgewisse Hoffnung

Aus dem Worte „Ich habe“ spricht der weltweite Blick Jesu und aus dem Wort „Ich muß„ sein heiliger Eifer, aus dem Worte „Sie werden“ seine siegesgewisse Hoffnung. Es ist ihm keinen Augenblick fraglich. Es ist ihm ganz gewiß: „Sie werden meine Stimme hören und wird eine Herde und ein Hirte werden.„

„Sie werden meine Stimme hören.“ Was heißt das? Heißt das, daß er vom Himmel her zu ihnen reden wird? Nein, er redet zu ihnen durch sein Wort. Wo sein Wort verkündigt wird in Beweisung des Geistes und der Kraft, da hört man seine Stimme.

Als der Herr von seinen Jüngern Abschied nahm, da gab er ihnen nur eine Waffe, mit der sie die Welt für ihn erobern sollten. Sein Wort: Gehet hin und prediget das Evangelium aller Kreatur.„

Weiter nichts? Nur das Wort? Werden sie damit etwas ausrichten bei den fanatischen Juden, bei den bildungsstolzen Griechen, bei den auf ihre Weltmacht pochenden Römern? Was ist denn ein Wort? Ein Schall, ein Hauch! Das ist doch keine Waffe, mit der die Welt sich erobern läßt! Wenn es ein Menschenwort wäre, dann wäre das richtig. Aber es ist Gottes Wort. Es ist das Evangelium, das heißt: die frohe Botschaft von dem Heil in Christo. Es ist das Wort vom Kreuz, das sich immer wieder erweist als eine Kraft Gottes. Zu dem Wort, das er seinen Jüngern auftrug, gab er ihnen noch etwas anderes mit auf den Weg: Seinen Heiligen Geist. Ohne den Geist Gottes, ohne die Kraft aus der Höhe würde der Jünger Wort nichts ausgerichtet haben. Aber Wort und Geist zusammen haben Wunder gewirkt. Das zeigte sich gleich am Pfingstfest zu Jerusalem. Da hielt Petrus eine Predigt, in der er von dem Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu sprach. Und dieses Zeugnis beglaubigte der Heilige Geist so, daß ihnen das Wort des Petrus durchs Herz drang, daß sie über dem Worte des Petrus des Herrn Stimme hörten. Gott redete mit ihnen, als Petrus sprach. Und dreitausend bekehrten sich bei diesem Hören seiner Stimme. Nicht anders wars im Hause des Kornelius oder bei dem Dienst des Evangelisten Philippus in Samaria oder bei dem Apostel Paulus. — So ist es fort und fort in der Welt. Wo das Wort Gottes gepredigt wird in der Kraft des Heiligen Geistes, da hören Menschen Gottes Stimme. Da spüren sie: Es ist nicht der Mensch, der da redet, sondern es ist der Herr, der vom Himmel her zu mir spricht. Hast du das noch nicht empfunden? Hundertmal hattest du in der Kirche gesessen und nur einen Menschen gehört. Da mit einem Male kam eine Stunde, da du merktest: Es ist der Herr, der mit mir redet! Du empfandest ganz deutlich, daß Gott etwas von dir wollte. Du hörtest seine Stimme.

Das sieht Jesus voraus. Das ist ihm ganz gewiß. Er weiß, was für eine Macht das Wort hat, das der Heilige Geist beglaubigt. Es ist eine Kraft Gottes. Das griechische Wort, das mit Kraft übersetzt wird, heißt dynamis. Das ist das Wort, das dem bekannten Sprengstoff den Namen gegeben hat. Ich übersetze mir gern die Stelle „Das Wort ist eine Kraft Gottes“ so: „Das Wort ist ein Dynamit Gottes.“ Ja, es vermag wunderbare Sprengwirkungen zu erzielen. Es zersprengt und zerreißt • satanische Bindungen, etwa die von Trunksucht und Unzucht, womit Menschen gebunden sind.

Nur — es muß nicht eigene Weisheit sein, die gepredigt wird, sondern Gottes Wort. Und es muß nicht in der Kraft eigener Beredsamkeit verkündigt werden, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes. Niemals kann die glänzendste Beredsamkeit den Mangel an Heiligem Geist ersetzen. Wo aber Wort und Geist Gottes beisammen sind, da hören die Menschen seine Stimme, da wachen sie auf für Gott. Und so hat sich die Vorhersage Jesu erfüllt in aller Welt. Sie haben seine Stimme gehört, die Eskimo in Grönland und die Herero in Afrika und die Papua auf Neuguinea. Ja, es hat sich erfüllt und es erfüllt sich fort und fort in der Gegenwart, und es wird sich erfüllen in der Zukunft: „Sie werden meine Stimme hören!“

Der Seher Johannes läßt uns einen Blick in die Herrlichkeit tun. Da steht vor dem Thron des Lammes eine Schar, die niemand zählen kann, unübersehbar. Sie sind gekommen aus allen Völkern und Sprachen und Zungen. Sie alle haben ihre Kleider gewaschen und helle gemacht im Blute des Lammes. Darum sind sie vor dem Stuhl Gottes und dienen ihm Tag und Nacht.

Es mag eine schwere Sache sein, den Menschen in aller Welt das Evangelium zu verkündigen. Wie mancher Bote ist ins Grab gesunken und hat keine Frucht gesehen. Aber aussichtslos ist die Sache Jesu darum doch nicht. O nein, denn es ist seine Sache. Und wo ein Bote steht, den der Herr gesandt hat, der das Wort vom Kreuz predigt in der Vollmacht des Heiligen Geistes, da wird sich auch Jesu Wort früher oder später erfüllen: „Und sie werden meine Stimme hören.„

„Und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“ Noch sieht es nicht danach aus. Noch ist so viel Streit der Meinungen um dies und das. Noch ist so viel Uneinigkeit unter den Kindern Gottes. Noch gibt es so viele Parteien und Benennungen unter ihnen. Das wird einmal nicht mehr sein. Jesus hat's gesagt.

Wo man wirklich in inniger Liebe zum Herrn steht, da liebt man auch die Brüder, auch die aus einem andern Lager. Das heißt nicht, daß man seine eigene Überzeugung aufgibt, o nein. Aber es heißt, daß diese Überzeugung nicht mehr wie ein Zaun, wie eine Scheidewand zwischen den Brüdern steht. Wir brauchen nicht dieselben Ansichten zu haben, aber wir sollen alle denselben Sinn haben. „Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesu Christus auch war.„ Das ist der Sinn sich selbst verleugnender, sich selbst aufopfernder Liebe. Darin wollen wir miteinander wetteifern.

Ein lieber Christ schrieb einst in ein Album, in welches Angehörige der verschiedensten Kirchen ihre Namen eingetragen hatten, folgende Verse:

Wie wunderbar ist dieses Buch!
Es bringt in engem Rahmen
so manchen Vers, so manchen Spruch
und weltberühmte Namen.
So muß es einst im Himmel sein:
Ein heiliges Durcheinander.
Die Kinder Gottes groß und klein,
sie freuen sich selbander.
Die Bruderhand der Pfarrer gibt
dem schlichten Methodisten,
der strenge Lutheraner liebt
sogar die Salutisten.
Da werden wir uns länger nicht
um Differenzen grämen.
wir werden uns im ew'gen Licht
erkennen und — uns schämen.
Auf goldnen Harfen spielt ein Chor
der Seligen und Engel.
und keiner hält dem andern vor
die Sünden und die Mängel.
Wie werden wir vor Gottes Thron
in heil'ger Liebe brennen!
und hätten doch hienieden schon
uns also lieben können!

Ja, wollen wir nicht an unserm Teile mit dazu beitragen, daß dieses Heilandswort von der einen Herde Wahrheit und Wirklichkeit werde? Wollen wir nicht alles Zanken und Streiten mit Brüdern über Ansichten und Meinungen zurückstellen und uns darauf besinnen, daß wir zusammengehören, durch ein Blut erkauft, durch einen Geist getauft? Ich liebe so sehr die einundzwanzigste Frage im Heidelberger Katechismus. Da wird gefragt: „Was glaubst du von der einen, heiligen, allgemeinen christlichen Kirche?“ Und die Antwort lautet: „Dass der Sohn Gottes aus dem ganzen menschlichen Geschlechte sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben durch seinen Geist und Wort, in Einigkeit des wahren Glaubens, von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammle, schütze und erhalte — und daß ich derselben ein lebendiges Glied bin und ewig bleiben werde.„ Nun, wenn es eine auserwählte Gemeinde gibt, und wir gehören dazu, dann gehören auch wir zusammen mit den andern Gliedern dieser Gemeinde. Dann wollen wir doch in herzlicher Bruderliebe mit daran arbeiten, daß „eine Herde und ein Hirte“ werde!

Jesu Gehorsam

Joh. 10,17—21: Darum liebt mich mein Vater, daß ich mein Leben lasse, auf daß ich's wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen, und ich habe Macht, es wiederzunehmen. Solch Gebot habe ich empfangen von meinem Vater. Da ward abermals eine Zwietracht unter den Juden über diese Worte. Viele unter ihnen sprachen: Er hat den Teufel und ist unsinnig; was höret ihr ihm zu? Die andern sprachen: Das sind nicht Worte eines Besessenen; kann der Teufel auch der blinden Augen auftun?

I. Des Gehorsams Tat

Freiwillig gab Jesus sein Leben, getreu dem Gebot, das er empfangen hatte von seinem Vater. Er tat es im willigen und völligen Gehorsam gegen den Vater. Das Wort, das uns aus der Kindheitsgeschichte Jesu berichtet wird, kann wohl als Überschrift über sein Leben bezeichnet werden. Er war ihnen Untertan. Sein Leben hindurch war er seinem Vater Untertan, in allem ihm gehorsam. Das gilt im allgemeinen von seiner Abhängigkeit vom Vater. Das gilt im besonderen von dem Gebot, das er vom Vater bekommen hatte, sein Leben dahinzugehen. Es gilt im allgemeinen. Und zwar von seinen Worten wie von seinen Werken. Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, daß Jesus kein Wort sprach, ohne daß es ihm vom Vater gegeben worden? Im hohenpriesterlichen Gebet sagt Jesus: „Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben.„ Und in Joh. 14,10 sagt er: „Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst.“ Darum hatten sie auch diese wunderbare Durchschlagskraft. Es waren Worte aus der Ewigkeit, Worte, die Gott ihm gegeben hatte.

Dasselbe gilt von seinen Werken. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selber tun, sondern was er sieht den Vater tun. Denn was dieser tut, das tut gleich auch der Sohn„ (Joh. 5,19). Man versteht manche Geschichte im Leben Jesu einfach nicht, wenn man nicht bedenkt, daß Jesus nichts tat ohne Wink und Weisung vom Vater. Die Geschichte vom kanaanäischen Weibe ist für viele ein „Kreuz der Ausleger“, weil sie es nicht verstehen können, daß Jesus zuerst zwei-, dreimal dem Weibe eine Absage erteilt — und dann doch mit einem Male ihren Wunsch erfüllt. Die Schwierigkeit löst sich sofort, wenn man bedenkt, daß er die Bitte zuerst ablehnte, weil sie eine Heidin war und er sich nur gesandt wusste zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel„. Und wenn er dann doch die Bitte des Weibes erfüllte, so geschah das, weil der Vater ihm den Auftrag gegeben hatte, hier eine Ausnahme zu machen. Ebenso war es, als seine Brüder ihn aufforderten, mit ihnen hinaufzugehen auf das Fest (Joh. 7, 3 ff.) Er lehnt ab. Aber als sie dann abgezogen sind, da — geht er doch hin. Wie ist das zu verstehen? Sehr einfach: Der Auftrag vom Vater war gekommen.

Dasselbe ist der Fall, als die Schwestern Maria und Martha ihm die Botschaft schicken: „Siehe, Herr, den du liebhast, der liegt krank.“ Sie fügen gar keine Bitte hinzu, daß er doch kommen möge. Das halten sie für selbstverständlich. Aber er kommt nicht, um Lazarus zu helfen. Warum nicht? Er hat keinen Auftrag dazu. Als dann der Auftrag des Vaters kommt, da macht er sich auf — und findet Lazarus tot und begraben.

Wir müssen ganzen und vollen Ernst damit machen, daß Jesus kein Wort sprach und kein Werk tat, ohne Auftrag vom Vater dazu empfangen zu haben. Das gilt nun aber von dem besonderen „Gebot„, das er vom Vater empfangen hatte, in besonderer Weise.

Das zeigt sich zuerst bei der Taufe im Jordan. Johannes weigert sich zuerst, die Taufe an ihm zu vollziehen, denn er tauft zur Vergebung der Sünden. Aber Jesus erklärt: „Lass es jetzt also sein.“ Seine Taufe ist seine Todesweihe, seine Erklärung der Bereitwilligkeit, an die Stelle der Sünder zu treten und für sie zu sterben. Hat Jesus diese Bereitwilligkeit bei der Taufe vor Gott erklärt, so erklärt er sie bei der Versuchung in der Wüste vor dem Teufel. Was will der Teufel mit der Versuchung Jesu erreichen? Er will ihn von dem Wege des Gehorsams gegen Gott abbringen, um ihn einen leichteren Weg zu führen. Aber Jesus will keinen leichteren Weg, er will ans Kreuz. Darum schlägt er den Angriff des Feindes mit dem Schwert des Geistes ab: Es steht geschrieben. Er wusste von Anfang an, was seiner warte. Zuerst sprach er in Gleichnisrede davon, daß die Hochzeitleute nicht fasteten, solange der Bräutigam bei ihnen sei; wenn er aber von ihnen genommen sei, dann würden sie fasten. Dann sagte er es seinen Jüngern ganz deutlich, daß der Menschensohn in der Sünder Hände überantwortet und gekreuzigt werden müsse. Aber dem widerspricht Petrus: „Herr, schone dein selbst! Das widerfahre dir nur nicht!„ Das ist für den Herrn wieder die Versuchung, einen leichteren Weg zu wählen. Darum sagt er ihm: „Hebe dich weg von mir, Satan, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist!“

Auf dem Berge der Verklärung, bei dem Zusammensein mit Mose und Elia — wovon reden die drei miteinander? „Von dem Ausgang, den es mit ihm nehmen sollte zu Jerusalem.„ Das Kreuz ist das große Thema der Weltgeschichte.

Je näher er dem Kreuze kommt, um so mehr legt sich eine Last auf seine Seele. „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, was wollte ich lieber, denn es brennete schon! Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde.“ Und als er nach Gethsemane geht, sagt er: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.„ Dann kommt der Seelenkampf in Gethsemane. Wenn sein ganzes Leben bisher ein Gehorsam war, so kann der Hebräerbrief doch schreiben: „Er hat an dem, das er litt, Gehorsam gelernt.“ Ja, hier galt es die Probe des Gehorsams zu bestehen, bis er sich dazu durchgerungen hatte: „Ich trinke den Kelch und es geschehe dein Wille.„

In den Verhören bei den Hohenpriestern, bei Pontius Pilatus, bei Herodes antwortete er nicht. Warum nicht? Hätte er nichts zu sagen gewusst? O doch. Aber er wusste, daß sein Weg ans Kreuz ging, daß der Wille des Vaters erfüllt werden müsse. Und so gab er denn am Kreuz sein Leben hin, und zwar freiwillig. Er starb nicht an dem Blutverlust und an den Herzbeklemmungen, die die unnatürliche Haltung seines Leibes verursachte, er starb, weil er sein Leben dahingab. „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ „Niemand nimmt mein Leben von mir, sondern ich lasse es von mir selber.„

„Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz.“

So zieht sich durch das ganze Leben Jesu bis in sein Sterben hinein eine große Linie: Sein Gehorsam. Johannes schreibt einmal: Gleichwie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Wirklich? Sind auch wir so gehorsam, wie er war?

Jesus hat kein Wort geredet, das ihm der Vater nicht gegeben hatte. Und wir? Ach, wie oft haben wir unüberlegt und vorschnell gesprochen! Haben Urteile gefällt über andere, die aus dem Eigenen kamen, aus der Zuneigung oder Abneigung!

Jesus hat kein Werk getan ohne Weisung vom Vater. Und wir? Ach, was haben wir alles schon getan! Wie oft hat uns nicht Gott den Auftrag gegeben, sondern der Teufel! War es nicht so? Soll unser Leben ein Leben des Segens werden, dann muß es ein Leben des Gehorsams sein. Bist du unter allen Umständen entschlossen, Gott gehorsam zu sein? Gehorsam, wenn er dir etwas gebietet und aufträgt, gehorsam, wenn er dir etwas verbietet? Wenn Gottes Wort sagt: „Wandelt, wie sich's gebührt„ — „Vertraget einer den andern“ — „Seid fleißig, zu halten die Einigkeit im Geist„ — „So legt nun von euch ab den alten Menschen“ — „Leget die Lüge ab„ — „Gebt auch nicht Raum dem Lästerer“ — dann haben wir zu gehorchen. So aber macht man Fortschritte im inneren Leben, wenn man sich gewöhnt, sich von Gott nie etwas zweimal sagen zu lassen, und wenn das Leben ein Leben des Gehorsams wird.

War dein Leben bisher ein Leben des Gehorsams, mein Bruder, meine Schwester? Oder bist du noch eigene Wege gegangen? Dann lerne heute von Jesus, willig und völlig zu gehorchen. Und auch dein Leben wird gesegnet werden. Es wird auf dir die Liebe des Vaters ruhen und du wirst Macht bekommen, wie Jesus vom Vater geliebt wurde und Macht bekam, wie der Herr hier sagt.

II. Des Gehorsams Lohn

„Darum liebt mich mein Vater„, sagt der Herr Jesus. Warum? Weil sein Leben ein Leben des Gehorsams war. Also sehen wir: auf dem Gehorsam ruht des Vaters Liebe. Und zum andern sagt der Herr: „Ich habe Macht, mein Leben zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen.“ Also ist die andere Folge: wer ein Leben des Gehorsams lebt, der bekommt Macht, königlich drüberzustehen. Das wollen wir uns heute vom Herrn sagen lassen: Wer gehorsam ist, der wird vom Vater geliebt und der empfängt von ihm Macht.

„Darum liebt mich mein Vater„, spricht der Herr. Das wurde offenbar bei der Taufe Jesu. Da tat sich der Himmel über ihm auf und eine Stimme vom Himmel sprach: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Dasselbe Zeugnis vom Himmel wiederholte sich auf dem Berge der Verklärung.

Ist das nicht auch bei uns Menschen so, daß Eltern ein Kind lieben, das gehorsam ist, während ein ungehorsames Kind sich Strafe und Zorn zuzieht?

So wie sich der Vater im Himmel über den Gehorsam seines Sohnes freute und ihn liebte, so ist es mit uns auch. Des Vaters Liebe erwerben wir, wenn wir ihm gehorsam sind. Dann offenbart sich Gott uns als unser Vater. Was für eine wunderbare Sache: Gott unser Vater! Das hat nie ein Heide gewagt, Gott als Vater anzureden. Man hat den Göttern Opfer dargebracht, um ihren Zorn zu versöhnen, um sie günstig und freundlich zu stimmen, aber „Vater„ hat man sie nicht anzureden gewagt. Es ist ein ganz unvorstellbarer Gedanke, daß die Griechen zu ihrem Zeus oder die Römer zu ihrem Jupiter oder die Germanen zu ihrem Wodan „Vater“ gesagt hätten. Von der Liebe der Götter war keine Rede im Heidentum. Im Gegenteil, die Götter waren neidisch, wenn es den Menschen gut ging. „Mir grauet vor der Götter Neide„, so konnte man von ihnen mit Recht sagen. Aber an eine väterliche Liebe kein Gedanke!

Und bei den Juden? Da findet sich ein paarmal das Wort „Vater“, aber doch nur in poetischen und prophetischen Stücken, niemals sonst. Man nannte Gott den Gerechten, den Heiligen, den Allmächtigen — aber Vater nannte man ihn nicht.

Das war erst Jesu Werk, den Vaternamen Gottes zu offenbaren, der Welt die Liebe Gottes kundzutun. Wir haben uns jetzt so daran gewöhnt, von einem „lieben himmlischen Vater„ zu reden, wir singen von Kindheit an das Lied: „Gott hat uns lieb“, daß wir es gar nicht mehr für seltsam halten, daß Gott uns liebhat. Aber wir wollen es doch nie vergessen, daß Jesus uns erst die Vaterliebe kundgemacht hat, und daß er uns sagt, daß die Vaterliebe Gottes auf dem Gehorsam gegen den Vater ruht. Wohl uns, wenn wir das auch sagen dürfen wie Jesus: „Darum liebt mich mein Vater.„ Wann liebt uns denn der Vater? Wenn wir im Gehorsam gegen sein Wort dem Herrn Jesus unser Herz und unsere Liebe schenken, wenn wir uns gehorsam von ihm leiten und führen lassen. O was ist das dann für eine Herrlichkeit und Seligkeit, wenn wir zu dem großen Gott „Abba, Vater“ sagen dürfen. Wie macht uns das getrost, wenn wir wissen:

Der Wolken, Luft und Winden
gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden,
da mein Fuß gehen kann. 61 Und wenn wir nicht gehorsam sind? Dann verwirft Gott uns nicht; aber — er züchtigt uns. „So ihr die Züchtigung erduldet, so erbietet sich euch Gott als Kindern; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?“ (Hebr. 12, 7.) Auch die Züchtigung, die er uns zuteil werden läßt, ist ein Beweis seiner Liebe. Es ist ihm etwas an uns gelegen, nein, es ist ihm viel an uns gelegen. Darum nimmt er uns auch in seine väterliche Zucht, „daß wir seine Heiligung erlangen„ (Hebr. 12,10) und endlich „das Ende unseres Glaubens davonbringen, nämlich der Seelen Seligkeit“ (1. Petr. 1,9).

Aber wenn der Vater uns liebhat um Jesu willen, wollen wir uns dann nicht entschließen, ihm Freude zu machen durch ein Leben des Gehorsams? Das ist das eine, was uns Jesus hier wichtig macht: Auf dem Gehorsam ruht des Vaters Liebe.

Und das andere ist: Wer gehorsam ist, der bekommt von Gott Macht. Mit welch königlicher Ruhe und Sicherheit spricht der Herr: „Ich habe Macht, mein Leben zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen.„ Wir können hin und her in der Bibel blättern oder in der Kirchengeschichte lesen — und wir finden immer wieder Menschen, die Vollmacht hatten. So ein Mann, der Vollmacht hatte, war der Prophet Elia. Es war kein leichter Auftrag, den Gott ihm gab, an den Hof Ahabs zu gehen und ihm die Dürre anzusagen. Aber Elia war gehorsam und sein Gehorsam gab ihm solche Vollmacht, daß der König von seinen Worten so angedonnert wurde, daß er ganz vergaß, nach seinen Trabanten zu rufen und den kühnen Mann verhaften zu lassen. So ein Mann der Vollmacht war der Täufer Johannes, der zu seinem Landesfürsten ging und ihm sagte: „Es ist nicht recht, daß du deines Bruders Weib hast.“ So ein Mann der Macht war der Apostel Paulus, der im Gefängnis in Philipp! nicht an seinen vielleicht nahen Tod dachte, sondern mit Silas zusammen Loblieder sang, die durch das ganze Gefängnis tönten. So ein Mann der Vollmacht war Petrus, der in der Nacht vor seiner geplanten Hinrichtung so fest und ruhig schlief, daß der Engel, der ihn wecken sollte, Mühe hatte, ihn zu wecken.

So ein Mann der Vollmacht war Luther, als er in Worms vor Kaiser und Reich stand und, die Faust auf die Bibel gelegt, die Worte sprach: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.„

Sieh, die alle standen königlich drüber, als ihr leibliches Leben in Gefahr kam. Wer sich versöhnt weiß mit Gott, wer Gott als seinen Vater kennt, um Christi willen, der kann singen und sagen:

Hab ich das Haupt zum Freunde
und bin geliebt von Gott,
was kann mir tun der Feinde
und Widersacher Rott?

Mit was für einer königlichen Vollmacht tritt Jesus in Gethsemane den Häschern entgegen: „Wen suchet ihr?“ „Jesus von Nazareth!„ „Ich bin's.“ Mit was für einer wunderbaren Ruhe gibt er sich den Häschern preis, läßt sich binden und abführen, ohne den Vater zu bitten, ihm mehr denn zwölf Legionen Engel zu schicken! Er hatte Macht, sein Leben zu lassen und es in seiner wunderbaren Auferstehung siegreich wiederzunehmen. Wissen wir etwas von solcher Vollmacht, die der Glaube verleiht, die das Bewusstsein mitteilt, mit dem Vater eins zu sein? Wenn wir etwas brauchen in der gegenwärtigen Zeit, dann sind es Männer und Frauen, die Vollmacht haben. Gott kann uns solche Vollmacht schenken! Kein Wunder, daß über diese Worte Jesu eine Zwietracht entstand. Macht, das Leben zu lassen? Was für ein unerhörter Ausdruck! Und noch mehr: Macht, es wiederzunehmen! Da sagten etliche: „Er hat den Teufel und ist unsinnig.„ Andere aber sagten im Blick auf die vorher erfolgte Heilung des Blindgeborenen: „Kann der Teufel auch der Blinden Augen auftun? Das sind nicht Worte eines Besessenen!“ Nein, das sind nicht Worte eines Besessenen! Das sind Worte des Sohnes Gottes, das sind wichtige und köstliche Wahrheiten. Wir wollen sie uns einprägen: Auf dem Gehorsam ruht die Liebe des Vaters. Und: Wer gehorsam ist, der empfängt Macht, siegreich und königlich drüber-zustehen, auch über den schwierigsten Verhältnissen, ja sogar über der Gefahr und Not des Todes.

Jesu Schafe

Joh. 10, 22—30: Es war aber Kirchweihe zu Jerusalem und war Winter. Und Jesus wandelte im Tempel und in der Halle Salomos. Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Wie lange hältst du unsere Seele auf? Bist du Christus, so sage es uns frei heraus. Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubet nicht. Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir. Aber ihr glaubet nicht; denn ihr seid von meinen Schafen nicht, wie ich euch gesagt habe. Denn meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir. Und ich gebe ihnen das ewige Leben und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.

I. Beim Tempelfest zu Jerusalem

Wenn hier Luther von „Kirchweihe„ redet, so übersetzt er mit diesem Worte das „Tempelfest“ ins Deutsche und Christliche, das alljährlich im Monat Kislev, in unserm Dezember, gefeiert wurde. Man feierte dieses Tempelfest zur Erinnerung an die Wiederherstellung und Reinigung des Tempels durch Judas Makkabäus im Jahre 165 vor Christus. Judas Makkabäus hatte den Syrerkönig Antiochus Epiphanes besiegt und damit die Macht Syriens gebrochen. Zur Erinnerung daran wurde alljährlich im Winter acht Tage lang das Tempelfest gefeiert als ein Freudenfest. Darum musste alles, was zur Trauer stimmte, aus den Häusern entfernt werden.

Das Tempelfest war das Siegesfest des Judentums über das Heidentum. Zugleich war es ein Hoffnungsfest, denn man hoffte darauf, daß es einmal einen ebensolchen Sieg über die Römer geben werde, wie es damals über die Syrer gegeben hatte. Darum stand am Tempelfest der Messiasgedanke im Vordergrunde. Man redete vom Messias, man hoffte auf den Messias.

Als nun die Juden am Tempelfest Jesus in der Halle Salomos, die als Rest des salomonischen Tempels von Serubabel in den Tempel eingebaut war, wandeln sahen, da sprachen sie ihn an: „Wie lange hältst du unsre Seelen auf? Bist du Christus, so sage es uns frei heraus!„ Damit wollten sie sagen: Du läßt dir den Titel des Messias gefallen, du läßt dich „Sohn Davids“ nennen, ja, du weisest nicht einmal zurück, wenn man dich den Christus nennt, den Sohn des Hochgelobten. Das sind Bezeichnungen, die aber nur dem Messias zustehen! Wenn du der Messias bist, so tritt endlich als solcher hervor. Dann halte unsre Seelen nicht länger auf! Jesus antwortete ihnen: „Ich habe es euch gesagt und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir.„

Wohl hatten sie seine Werke gesehen. Aber sie entsprachen ihren Erwartungen nicht. Die Werke, auf die sie warteten, waren die, daß er die Herodianer und die Römer aus dem Lande jagen sollte. Und diese Werke, die ihn nach ihrer Meinung als den Messias ausgewiesen hätten, die tat er nicht. Und für die Werke, die er tat, hatten sie kein Verständnis. Dass er Kranke heilte und sich mit Zöllnern und Sündern an den Tisch setzte, dafür hatten sie kein Verständnis.

Und doch waren die Werke, die er tat in seines Vaters Namen, das Zeugnis seiner Messianität. Darum weist Jesus mit ruhiger Bestimmtheit darauf hin, daß die Werke, die er im Namen seines Vaters getan habe, von ihm zeugen, daß er der Messias sei.

Um das zu verstehen, müssen wir ein wenig bei den Werken Jesu verweilen. Wohl hat es auch in den Tagen des alten Bundes Wunder gegeben, von den Propheten getan, aber wenn wir näher zusehen, müssen wir doch einen großen Unterschied feststellen.

Das zweite Buch der Könige berichtet uns, wie der Feldhauptmann Naeman von Syrien vom Aussatz geheilt wurde. Elisa schickte ihn an den Jordan mit dem Auftrag: Gehe hin und wasche dich im Jordan siebenmal, so wird dir dein Fleisch wieder erstattet und rein werden.“ Die Botschaft gefällt Naeman nicht und er zieht unmutig ab. Aber auf die Bitte seiner Knechte entschließt er sich doch, abzusteigen und im Jordan unterzutauchen. Und siehe da, nach dem siebten Mal ist der Aussatz verschwunden. Vergleichen wir damit die Heilungen, die Jesus an Aussätzigen vollbrachte, so sehen wir, daß er keinerlei Mittel anwendete. Er legte die Hand auf die Aussätzigen, ohne sich vor Ansteckung zu fürchten. Und dann sprach er: „Ich will's tun, sei gereinigt.„ Und im selben Augenblick war der Aussatz verschwunden.

Ähnlich ging es bei Dämonen-Austreibungen zu. Die geschehen sonst unter Anrufung des göttlichen Namens. Die sieben Söhne des Skevas, von denen uns Apostelgeschichte 19 berichtet wird, wandten auch einen Namen an, und zwar den Namen, den sie für den wirkungsvollsten hielten. Sie sagten: „Wir beschwören euch bei dem Jesus, den Paulus predigt.“ Jesus aber gebrauchte keinen Namen und keine Formel. Er sagte einfach: „Fahre aus von dem Menschen!„ Und der Teufel musste seine Beute fahren lassen. Da sehen wir, was für eine wunderbare Macht Jesus hatte. Am auffälligsten aber wird der Unterschied, wenn wir die Totenerweckungen der alten Zeit mit denen vergleichen, die Jesus vollzog. Der Sohn der Frau von Sunem, bei welcher der Prophet Elisa öfter einzukehren pflegte, war gestorben. Nun rief die Mutter den Propheten und verlangte von ihm, daß er ihren Knaben wieder auferwecke. Da stieg Elisa in seine Kammer hinauf, wo die Leiche des Knaben lag, schloss die Tür zu und betete zu dem Herrn. Dann stieg er auf das Bett und legte sich auf die Leiche des Kindes. Er legte seinen Mund auf des Kindes Mund und seine Augen auf des Kindes Augen und seine Hände auf des Kindes Hände. Das tat er so lange, bis von seiner Körperwärme etwas auf die Leiche des Kindes überging — aber bis auch von der Leiche des Kindes Eiseskälte und Todesstarre auf ihn überging. Er spürte, wie der Tod ihn selber angriff. Darum stand er auf und ging im Hause hin und her, bis er wieder warm wurde, bis die Erstarrung aus seinen Gliedern wich. Dann legte er sich wieder über die Leiche, wie vorhin, um dem toten Kinde etwas von seiner Körperwärme mitzuteilen. Da fing der Knabe an, tief Atem zu holen. Siebenmal tat er tiefe Atemzüge. Dann tat er seine Augen auf. Das Leben war zurückgekehrt.

Dann ließ er die Mutter rufen durch seinen Diener — er selbst war zu angegriffen dazu — und dann sagte er zur Mutter, offenbar völlig erschöpft: „Da, nimm hin deinen Sohn!“ Diese Auferweckung des toten Knaben hätte dem Propheten beinah das Leben gekostet. Er hat schier sein Leben für das des Kindes gegeben. Und nun vergleichen wir damit die Auferweckung der Tochter des Jairus. Jesus tritt in das Trauerhaus und spricht zu den Weinenden und Klagenden: „Weinet nicht, sie ist nicht gestorben, sondern sie schläft.„ Dann trieb er alle Klageweiber hinaus, ging an das Totenbett heran, ergriff das Mädchen bei der Hand und sagte so, wie die Mutter am Morgen zu sagen pflegte, wenn sie die Tochter weckte: „Kind, steh auf!“

Und „ihr Geist kam wieder und sie stand alsobald auf„. Da ist nichts von diesem Ringen mit dem Tode, das wir bei Elisa finden. Er spricht nur ein Wort — und das Leben kehrt in den Leichnam zurück.

Ging es anders zu bei dem Jüngling von Nain? Auch da sprach er nur ein Wort: „Jüngling, ich sage dir, stehe auf!“ Und — der Tote richtete sich auf. Nicht anders war es am Grabe des Lazarus. Es ging schon Verwesungsgeruch von dem Verstorbenen aus. Aber Jesus tritt an das Grab und läßt den Stein abheben, der dasselbe bedeckt. Dann ruft er in das Grab hinein: „Lazarus, komm heraus!„ Und der Tote kam heraus, mit Grabtüchern gebunden an Händen und Füßen, daß er sich kaum bewegen konnte. Darum gebot Jesus: „Löset ihn auf und lasset ihn gehen!“ In jedem Falle sprach Jesus nur ein Wort. Aber von diesem Worte ging eine solche Macht aus, daß der Tod seine Beute zurückgeben musste

So sind die Werke, die Jesus im Namen seines Vaters tat, ganz wesentlich von denen verschieden, welche die Propheten getan haben. Sie haben auch Wunder getan, aber nur nach langem Gebetsringen, das ihnen schier ans Leben ging. Jesus dagegen spricht ein Wort — und das Wunder ist geschehen.

Darum sagt er zu den Juden: „Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir.„ Die beweisen es, daß ich der Messias bin. „Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid von meinen Schafen nicht, wie ich euch gesagt habe.“ Ihr habt Wunder über Wunder gesehen in großer Zahl und Fülle. Wenn ihr gewollt hättet, dann hättet ihr längst geglaubt, daß ich es bin. Aber ihr wollt nicht. Ihr gehört nicht zu meinen Schafen. Ihr wollt euch mir nicht anvertrauen und ergeben.

Ja, darauf kommt's an. Wer das tut, dem offenbart sich Jesus als der wunderbare und herrliche Heiland, voll Gnade und Wahrheit, voll Kraft und Herrlichkeit. Wie viele Wunder tut er auch heute! An wie manchem Krankenbette hat man es erfahren: Er kann helfen! Aber das kann man sehen und erleben — und glaubt doch nicht. Glaubst du, lieber Leser? Ach, daß es von keinem, der diese Zeilen liest, gelten würde: „Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid von meinen Schafen nicht!„ Ach, daß alle sagen könnten: Gott sei Dank! Ich gehöre zu seinen Schafen. Und ich stehe im Glauben an ihn!

II. Vier Kennzeichen der Schafe Jesu

Im Gegensatz zu den Juden, die seine Werke gesehen haben und doch nicht an ihn glauben, nennt Jesus die Jünger seine Schafe. Er hat sie mit den verschiedensten Namen benannt. Er hat ihnen gesagt: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid meine Freunde. Ihr seid die Reben. Hier nennt er sie mit einem Bilde, das sich schon im Alten Testament findet. So im 100. Psalm, wo es heißt: „Er hat uns gemacht — und nicht wir selbst — zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.“ Oder im 95. Psalm: „Er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand.„

Es ist ein besonders bezeichnendes Bild. Redet es doch von der völligen Ohnmacht und Hilflosigkeit der Jünger in sich selbst — und von ihrem völligen Geborgensein in ihrem Herrn und Meister. Es kommt alles darauf an, daß wir zu den Schafen Jesu gehören. Darum wollen wir ja darauf achten, was Jesus hier von seinen Schafen sagt. Er gibt nämlich vier Kennzeichen der Schafe Jesu an. Er sagt zu den Juden: „Ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen … Denn meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir.“ Das erste Kennzeichen ist danach: Jesu Schafe glauben ihm. Was heißt das aber: glauben? „Wahrer Glaube ist nicht ein bloßes Fürwahrhalten dessen, was uns Gott in seinem Wort geoffenbart hat, sondern ein herzliches Vertrauen, welches der Heilige Geist durchs Evangelium in mir wirket, daß nicht allein anderen, sondern auch mir Vergebung der Sünden geschenkt sei, aus lauter Gnaden, allein um des Verdienstes Christi willen.„ So antwortet der Heidelberger Katechismus auf die Frage: „Was ist wahrer Glaube?“

Wenn aber der wahre Glaube ein herzliches Vertrauen ist, so liegt darin, daß es zu diesem herzlichen Vertrauen einmal kommen müsse, daß wir uns zu irgendeiner Zeit unseres Lebens dem Herrn anvertrauen müssen. Es gibt wohl eine Erbsünde, aber es„ gibt keinen Erbglauben. Darum muß jeder persönlich für sich zum Glauben kommen.

Wenn jemand gläubige Eltern gehabt hat und in einem gläubigen Hause aufgewachsen ist, muß er ebenso zum Glauben kommen wie jemand, der aus einem ganz ungläubigen Hause stammt. Denn was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch. Und „es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“

Die Wege, wie man zum Glauben kommt, sind sehr verschieden. Und doch sind sie darin gleich: Etwas Verlorenes wird gefunden.

Haben wir schon mal darüber nachgedacht, warum der Herr in Lukas 15 drei Gleichnisse nacheinander erzählt, die so ähnlich sind, das Gleichnis vom verlorenen Groschen, vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Sohn. Jedesmal wird etwas Verlorenes gefunden. Aber bei dem Finden geht es verschieden zu.

Der verlorene Groschen kann gar nichts tun, um gefunden zu werden. Die Frau muß alles tun. Das verlorene Schaf kann durch sein klägliches Blöken dem Hirten den Weg zeigen, daß er es findet. So tut das Schaf das Seine und der Hirte tut auch das Seine. Und der verlorene Sohn? Der tut alles allein. Der Vater weiß ja gar nicht, wo er ist. Er kann ihm nicht nachgehen. Also — abgesehen davon, daß er für den Sohn gebetet hat — tut der Vater nichts und der Sohn tut alles. Nun gehts, wenn ein Mensch zum Glauben kommt; bald zu wie beim verlorenen Groschen, bald wie beim verlorenen Schaf, bald wie beim verlorenen Sohn. Wie ein Mensch gefunden wird, darauf kommt es nicht an, sondern daß er gefunden wird, und daß er erzählen kann: Ich war verloren und bin gefunden. Aber — wenn man auch einmal zum Glauben gekommen ist, so ist doch nicht gesagt, daß man nun auch wirklich immer glaubt. Glauben heißt: mit Gott rechnen. Wie viele Gläubige aber gibt es, die in allerlei Proben und Anfechtungen nicht mit Gott rechnen, die sich Sorgen machen, die sich an Menschen um Hilfe wenden und dergleichen. Viele Gläubige sind in der Praxis oft Atheisten, Menschen, die nicht an Gott glauben.

Trifft dich das Wort? Hat es dir etwas zu sagen? Dann laß dir sagen: Jesu Schafe werden daran erkannt, daß sie glauben, daß sie in allen Lagen mit Gott rechnen, daß in den Proben ihr Glaube sich bewährt wie das Gold, das im Feuer bewährt wird.

Bist du ein Schaf Jesu? Das heißt: bist du schon zum lebendigen und persönlichen Glauben gekommen? Und stehst du in diesem lebendigen Glauben — heute und allezeit?

Das zweite Kennzeichen der Schafe Jesu ist: „sie hören meine Stimme.„

Die Stimme des Herrn hören wir im Wort und durch seinen Heiligen Geist. Auch das ist nicht von Natur und Geburt an der Fall. Sondern mit dem Gläubigwerden ist auch das verbunden, daß wir Verständnis bekommen für das Wort Gottes.

Wir denken gewiß alle an Gottesdienste unserer jungen Jahre zurück, wo wir in der Predigt — um einmal ganz ehrlich zu sein — lediglich auf das Amen warteten. Dass wir des Herrn Stimme gehört hätten, daran war kein Gedanke.

Wie viele Menschen hören nicht die Stimme des Herrn, sondern die Stimme eines Menschen! Und beim Heimgehen sprechen sie nur darüber, wie der Pfarrer gepredigt hat, ob gut und schön oder nicht. Die Stimme des Herrn haben sie nicht gehört.

Das kommt erst dann, wenn man zum Glauben kommt, wenn das neue Leben beginnt. Dann wird einem das Ohr und Herz geöffnet, dann hört man des Herrn Stimme. Ob man das Wort hört — in der Kirche oder in der Bibelstunde — oder ob man es liest in seiner Bibel daheim im Kämmerlein, man hört seine Stimme. Man vernimmt Aufträge, die er uns persönlich gibt. Man vernimmt Verbote, die an unsere Adresse gerichtet sind. Wir sollen etwas tun oder wir sollen etwas lassen. Wie steht's mit dir, mein Freund? Hörst du Jesu Stimme aus seinem Wort heraus? überhören wir sie, dann stumpft unser Ohr ab, sind wir dieser Stimme gehorsam, dann bekommen wir ein immer feineres Gehör. Wie wichtig ist es, daß wir auf seine Stimme hören, damit Gott nicht einmal aufhören muß, mit uns zu reden!

Die Bibel erzählt uns aus dem Leben Abrahams eine sehr ernste Geschichte, wenn auch mehr ohne Worte und zwischen den Zeilen oder zwischen den Kapiteln. Das sechzehnte Kapitel im ersten Buch Mose schließt: „Und Abraham war sechsundachtzig Jahre alt, da ihm Hagar den Ismael gebar.“ Und das siebzehnte Kapitel beginnt mit den Worten: „Als nun Abraham neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der Herr und sprach zu ihm: Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm.„

Was haben uns die beiden Zahlen zu sagen? Zwischen den beiden Kapiteln Hegt eine Zeit von dreizehn Jahren, in denen Abraham keine Offenbarung Gottes hatte. Gott schwieg. Und zwar schwieg er um des traurigen Handels mit der Hagar willen. Da hatte sich Abraham nicht vom Geiste leiten lassen, sondern vom Fleisch. Das hatte Gott missfallen Darum schwieg Gott. Abraham wurde dieses Schweigen Gottes immer peinlicher; bis er es einfach nicht mehr ertragen konnte.

Endlich redete Gott wieder mit ihm. „Ich bin der allmächtige Gott“, ist sein erstes Wort. Du hast gemeint, mir helfen zu müssen? Meinst du, ich könnte meine Verheißungen nicht ausführen? Und da willst du mir helfen — auf dem Wege der Sünde? Was ich verheißen, mache ich auch wahr: Ich bin der allmächtige Gott! Wandle vor mir und sei fromm! Das war kein Wandel vor mir, was du da getan hast. Das war nicht fromm, wie du gehandelt hast! O dieses Schweigen Gottes! Weißt du etwas davon, wie es auf der Seele lasten kann? Hörst du seine Stimme? Jetzt? In der Gegenwart? Oder ist die Gemeinschaft mit Gott unterbrochen? Schweigt Gott?

Das ist ein Kennzeichen der Schafe Jesu: sie hören seine Stimme. Sie haben ein Ohr für ihren Herrn und König. Und sie hören nicht nur, sie gehorchen ihm auch. Tust du das auch? O, ich wünschte, es könnte von allen, die diese Zeilen lesen — heute wie von alters her - heißen: „sie hören meine Stimme.„ Denn das ist ein wichtiges Kennzeichen der Schafe Jesu.

Das dritte Kennzeichen ist: ich kenne sie. Und das wissen sie, daß er sie kennt, und das ist ihre Freude und ihr Trost. Er kennt seine Schafe. Wie oft hat der Herr die Menschen dadurch verblüfft, daß er ihnen zeigte, daß er sie kenne! Da bringt Philippus seinen Freund Nathanael zu Jesus. Als der ihn kommen sieht, sagt er: „Siehe, ein rechter Israeliter, in dem kein Falsch ist.“ Verwundert fragt Nathanael: „Woher kennst du mich?„ Jesus antwortete: „Ehe dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.“ Da sinkt Nathanael, überwältigt von dieser Erkenntnis Jesu, zu seinen Füßen und spricht: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!„ Ähnlich erfuhr es Petrus, als er seinem Bruder Andreas folgte, der ihn zu Jesu führte. Der Herr empfing ihn mit den Worten: „Du bist Simon, Jonas Sohn, du sollst Kephas heißen“ (das ist verdolmetscht: ein Fels). Ebenso kannte er den Mann mit Namen, der vor den Toren von Jericho auf dem Maulbeerbaum saß. „Zachäus, steig eilend hernieder, denn ich muß heute zu deinem Hause einkehren.„

Als die Schriftgelehrten, die dabei waren, als Jesus den Gichtbrüchigen heilte, den man durchs Dach ihm zu den Füßen niedergelassen hatte, darüber innerlich sich empörten, daß er zu dem Manne sagte: „Sei getrost, mein Sohn, dir sind deine Sünden vergeben“, da sah Jesus ihre Gedanken, obwohl sie dieselben gar nicht ausgesprochen hatten. So kannte Jesus die Menschen. So wusste er, was im Menschen ist. So war er der Herzenskündiger. Ja, er kannte die Menschen besser, als sie sich selber kennen. Wie verzweifelt war Petrus, als es ihm zum Bewusstsein kam, daß er seinen doch so geliebten Meister so schnöde verleugnet hatte! Er dachte, nun sei alles für ihn aus, nun könne er nie wieder froh werden. Dieser kummervolle Blick des Herrn in der Nacht der Verleugnung hatte ihn bis ins Herz hinein getroffen. Als die andern sich über die Osterbotschaft freuten, da konnte er sich nicht mit ihnen freuen. Er hatte ja den Herrn verleugnet! Aber horch, da wird ihm gemeldet: „Der Herr hat uns gesagt: Saget's meinen Brüdern und Petrus! Petrus, dir sollen wir eine besondere Botschaft bringen!„ Wenn vorher noch keine Tränen geflossen waren, dann flössen sie jetzt. „Der Herr hat an mich gedacht, an mich, den Unwürdigen, der ich nicht mehr wert bin, sein Jünger zu heißen!“

Und dann kommt die Stunde am See, wo der Herr ihn fragt: „Simon, hast du mich lieber, denn mich diese haben? Hast du mich lieb?„ Und aus traurigem Herzen heraus sagt Petrus: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt auch, daß ich dich liebhabe!“ Und Jesus setzt ihn wieder in das verwirkte Apostelamt ein: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!„ Petrus dachte, nun könne ihn der Herr nicht mehr gebrauchen, nun werde er ausgeschlossen aus dem Jüngerkreise, aber Jesus wusste: Im Grunde seines Herzens hat er mich doch lieb! Er hat sich hinreißen lassen, weil er nicht gewacht und gebetet hat; er hat mich verleugnet, weil er seine eigene Kraft überschätzte; aber lieb hat er mich doch! Und darum vergibt er ihm die ganze Schuld und setzt ihn voll und ganz in sein Amt wieder ein. „Wenn uns unser Herz verdammt, so ist Gott größer als unser Herz und kennt alle Dinge.“

Wie kostbar ist es, das zu wissen: Der Herr kennt mich! Er kennt nicht nur meine Verfehlungen und Versündigungen, er kennt auch meinen innersten Herzensgrund, er kennt auch meines Herzens Liebe zu ihm — trotz allem! Der Hebräerbrief sagt: daß wir einen Hohepriester haben, der Mitleiden haben kann mit unsern Schwachheiten. Was heißt das? Das heißt nicht: Er nennt Sünde nicht Sünde, o nein! Sünde ist Sünde und bleibt Sünde. Aber er weiß die mildernden Umstände ins Licht zu stellen. Gewiss, die Mutter hat sich dadurch versündigt, daß sie ohne genaue Untersuchung strafte und einem Kinde eine Ohrfeige gab, das dieselbe gar nicht verdient hatte — aber was haben die Kinder auch für einen Lärm gemacht! Und was hat sie auch in der letzten Zeit für schlechte Nächte gehabt, weil das Kleinste so viel schrie beim Zahnen!

So ist Jesus ein Hoherpriester, der uns und unsere Verhältnisse kennt und der darum Mitleiden mit uns haben kann. Ist das nicht tröstlich und köstlich, zu wissen: Er kennt mich?

Er weiß auch, wo wir wohnen. So läßt er dem Vorsteher der Gemeinde zu Sardes sagen: „Ich weiß, wo du wohnst, da des Satans Stuhl ist.„ Er kennt die schwierigen Verhältnisse unserer Umgebung, unseres Ortes oder unserer Familie und daß es nicht leicht ist, da seinen Namen zu bekennen.

Und darum dürfen wir ihm in allen Nöten und Schwierigkeiten sagen: „Herr, du weißt es.“ Wenn es schon Erleichterung schafft, wenn man einem Menschen seine Not klagt und sein Herz ausschüttet, wieviel mehr ist das dann der Fall, wenn wir dem Herrn unsere Nöte klagen und unsere Schwierigkeiten vor ihm ausbreiten! Die Kinder Gottes freuen sich und getrösten sich dessen, daß sie wissen: Der Herr Jesus kennt als der gute Hirte all seine Schafe.

„Und sie folgen mir.“ Das ist das letzte Kennzeichen der Schafe Jesu, das der Herr hier angibt. Das Leben der wahren Jünger und Jünger innen Jesu ist: Nachfolge Jesu. Wie wird dadurch unser Leben so einfach und lichtvoll! Wir haben es gar nicht mehr mit den tausend Fragen und Problemen zu tun, nicht mehr mit all den Menschen, die unsern Lebensweg kreuzen, wir haben es immer nur und einzig und allein mit Jesus zu tun. Wir fragen ihn in allen Lagen: „Herr, was willst du, daß ich tun soll?„ Wir wählen und bestimmen unsern Weg nicht selber, wir treten in seine Fußstapfen, wir folgen ihm nach. Das heißt: wir laufen ihm nicht mehr voraus. Das haben wir früher getan. Da glaubten wir, Gottes Uhr gehe nach. Wir kämen zu spät, wenn wir uns nicht beeilten. Wir warteten nicht auf seine Führung und Weisung, weil wir so ungeduldig waren — und dann erkannten wir, wie töricht wir gehandelt hatten.

Wir bleiben auch nicht mehr zurück. Es schien uns manchmal, als ob der Hirte zu große Schritte mache, so daß wir nicht folgen könnten. Wir wollten uns erst mal etwas ausruhen und erholen, wir wollten doch auch ein wenig Bequemlichkeit und Behaglichkeit haben — und so blieben wir zurück. Jesus ging weiter und wir folgten ihm nicht. Gewiss hast du es auch schon so gemacht, daß du entweder vorgelaufen oder zurückgeblieben bist. Dann hast du es gewiß auch eingesehen, daß die eigenen Wege immer im Unglück und Herzeleid enden. Bist du nun durch Schaden klug geworden? Ist dein Leben nun Nachfolge Jesu? Dann führt er dich auch auf rechter Straße um seines Namens willen. Dann kannst du auch sichere und gewisse Schritte tun in seiner Nachfolge.

Ich habe vor Jahren viel gelernt von dem Rat, den der Prophet Elisa dem Feldhauptmann Naeman gab. ,Naeman hatte im Jordan nicht nur die Heilung vom Aussatz erfahren, er hatte da auch den Gott Israels als den lebendigen Gott kennengelernt. Darum bekannte er: „Siehe, ich weiß, daß kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel.“ Da fällt ihm aber ein, daß er ja die Verpflichtung hat, dem König Handreichung zu tun bei dem feierlichen Staatsopfer im Tempel des Gottes Rimmon. Und das sagt er dem Propheten. Was antwortet Elisa: „Gehe hin mit Frieden!“ Er sagt nicht: „Gewiss, Naeman, du kannst ruhig in den Rimmontempel gehen.„ Er sagt auch nicht: „Aber unter keinen Umständen darfst du das tun!“ Er sagt: „Gehe hin mit Frieden!„ War denn das eine Antwort? Gewiss, und zwar eine sehr weise. Er wollte damit sagen: wenn du jetzt Gott als den lebendigen Gott erkannt hast, wenn du jetzt mit dem Glauben an ihn heimkehrst, dann wird er dir sagen, was du zu tun und zu lassen hast. Geh einfach mit Gott — und alles wird recht! Ist dein Leben „Nachfolge“? Zeigt dein Leben diese vier Kennzeichen der Schafe Jesu? Sie lauten: Die Schafe Jesu glauben — sie hören seine Stimme — sie sind ihm bekannt — sie folgen ihm nach. Wo diese vier Kennzeichen vorhanden sind, da gibt es ein seliges Leben. Da kann man mit den Kindern singen:

Weil ich Jesu Schäflein bin,
freu ich mich nur immerhin
über meinen guten Hirten,
der mich wohl weiß zu bewirten,
der mich liebet, der mich kennt
und bei meinem Namen nennt.

III. Drei Trostworte

Hat der Herr in den Versen vorher vier Kennzeichen der Schafe Jesu angegeben, so läßt er nun drei Trostworte folgen. Dieselben lauten:

Ich gebe ihnen das ewige Leben. Niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen.

Das erste Trostwort ist: „Ich gebe ihnen das ewige Leben.„

Wenn vom ewigen Leben die Rede ist, dann denken die meisten Menschen an das Leben nach dem Tode, wo sie dann selig zu sein hoffen. Aber wenn der Herr Jesus vom ewigen Leben spricht, dann denkt er nicht an eine Seligkeit im Jenseits, sondern an eine Seligkeit im Diesseits. Denn er sagt im hohepriesterlichen Gebet (Joh. 17, 3): „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den „du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ Ewiges Leben besteht also in der Erkenntnis Gottes und Jesu Christi. Die „Erkenntnis“ ist aber in der Schrift nicht eine Sache des Kopfes, sondern eine Sache des Herzens. Erkenntnis bedeutet soviel wie Lebens- und Liebesgemeinschaft. Darum wird das Wort auch von der innigsten Gemeinschaft in der Ehe gebraucht. Das Wesen des ewigen Lebens besteht also nach den Worten Jesu in der Lebensgemeinschaft mit Gott. Diese Lebensgemeinschaft mit Gott muß Jesus den Seinen geben. Darin liegt ausgesprochen, daß sie dieselbe von Natur nicht haben. Kein Mensch hat von Natur Gemeinschaft mit Gott. Denn wie eine Scheidewand steht trennend und hindernd die Sünde zwischen den Menschen und Gott. Diese Scheidewand muß erst beseitigt werden, ehe die Menschen Gemeinschaft mit Gott haben können.

Dazu sandte Gott seinen Sohn in die Welt, daß er als das Lamm Gottes die Sünde der Menschen auf sich nähme und an seinem Leibe hinauftrüge auf das Kreuz von Golgatha. Als Jesus am Kreuz rief: Es ist vollbracht, da war die Scheidewand zwischen Gott und den Menschen beseitigt. Da war wieder Gemeinschaft mit Gott möglich. Das wurde auch in sinnbildlicher Weise dadurch ausgedrückt, daß der Vorhang im Tempel zerriss, der vor dem Allerheiligsten gehangen hatte. Das Allerheiligste aber bezeichnete die Gegenwart Gottes. In diese Gegenwart Gottes durfte kein Mensch hinein; nur einmal im Jahr durfte der Hohepriester mit dem Blute der Versöhnung in das Allerheiligste gehen. Sonst lag es das ganze Jahr im Dunkeln. — Nun aber war der Vorhang zerrissen, und zwar, wie man sehen konnte, von oben an bis unten aus, nun war der Weg ins Allerheiligste der Gemeinschaft Gottes frei. „Wer Jesum am Kreuze im Glauben erblickt“, der darf eingehen in die Gemeinschaft mit Gott. Wie wird dadurch unser Leben inhaltreich und wertvoll, wenn wir Gemeinschaft mit Gott bekommen! Dann leben wir nicht mehr aus unserem Eigenen heraus, sondern aus der Gemeinschaft mit Gott. Dann greifen wir in den Himmel hinein und nehmen aus der Fülle des Herrn Gnade um Gnade. Was auch im täglichen Leben an uns herankommen mag — in der Familie oder im Beruf, wir dürfen uns immer wieder der Gemeinschaft mit Gott erinnern und aus seiner Fülle schöpfen und leben. Vielleicht gibt es Schwierigkeiten im Hause, es ist keine rechte Harmonie zwischen Mann und Frau, weil beide verschiedene Naturen sind. Es braucht deswegen gar nicht zu Zusammenstößen zu kommen, wenn beide sich nur der Gemeinschaft mit Gott bewusst sind und aus der Fülle Gottes nehmen, was sie brauchen, um in Frieden und Liebe miteinander auszukommen.

Oder die Not liegt auf dem Gebiet der Kindererziehung. Ein Kind macht mehr Schwierigkeiten in der Erziehung als das andere. Wie soll man sich da verhalten? Wohl der Mutter, die Gemeinschaft mit Gott hat! Sie denkt an den Rat des Jakobus: Wem Weisheit mangelt, der bitte von Gott. Und Gott gibt ihr, was sie braucht. Oder es handelt sich um schwere Aufgaben im Beruf, die zu erfüllen sind, um den Verkehr mit Vorgesetzten, Kollegen oder Untergebenen, wodurch Reibungen und Spannungen entstehen. „Mit unsrer Macht ist nichts getan„, das gilt auch hier. Mit Vorsätzen und Zusammennehmen kommen wir nicht durch. Aber die Gemeinschaft mit Gott hilft uns zum Siege in all den Proben und Anfechtungen, die uns begegnen.

Merkst du, wie das Leben dadurch verändert wird, wenn es Gemeinschaft mit Gott hat? In allen Verhältnissen des Lebens ist es von der allergrößten Bedeutung, Gemeinschaft mit Gott zu haben. Das zeigt sich besonders auch in Krankheitsnöten und wenn's zum Sterben geht. Wie können Kranke unausstehlich sein, die keine Gemeinschaft mit Gott haben! Nichts ist ihnen recht, über alles haben sie zu schelten. Wie anders aber, wenn ein Mensch auf dem Krankenbette liegt, der die Gemeinschaft mit Gott kennt! Wie dankbar nimmt der jeden Dienst entgegen, wie zufrieden und geduldig ist der in allen Schmerzen und Beschwerden!

Und vollends macht es einen großen Unterschied, ob man Gemeinschaft mit Gott hat oder nicht, wenn es zum Sterben geht. Da klammert sich der eine an den Arzt oder an den Pfarrer, daß sie mit ärztlicher Kunst oder mit Gebet das Leben verlängern sollen, während der andere getrost und fröhlich spricht: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt' Gott, ich war in dir!“

Was die Zukunft bringen mag, wir sind geborgen und versorgt, wenn wir uns des ewigen Lebens erfreuen dürfen, wenn wir Gemeinschaft mit Gott haben. „Ich gebe ihnen das ewige Leben„, so hat der Herr gesprochen. Nun fährt er fort: „Niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ Wenn er das ausspricht, so liegt darin, daß es an Versuchen nicht fehlen wird, sie seiner Hand zu entreißen. Und gewiß gibt sich der Feind große Mühe, uns auf allerlei Weise aus der Hand des Herrn zu entreißen. Aber „Jesus hält, was er verspricht, das ist meine Zuversicht.„ Wenn wir dies Wort hören, daß niemand uns aus seiner Hand reißen wird, dann erinnern wir uns an Erlebnisse aus unserer Schulzeit. Da hatte irgendeiner einen Gegenstand gefunden oder auch weggenommen, einen Radiergummi oder eine ausländische Freimarke oder was es sonst war. Nun verteidigte er seine Beute, indem er die Hand zur Faust ballte, so sehr er nur konnte. Der andere aber suchte ihm die Beute zu entreißen, indem er seine Finger wie Brechstangen gebrauchte, um die Faust aufzubrechen. Nun handelte es sich darum, wer der Stärkere war.

So hat uns Jesus in seine Hand genommen. In der Freistatt seiner Wundmale sind wir geborgen. Da kann uns keine Macht und List des Feindes etwas anhaben. Versuchen wird er es freilich.

Wie hat er es beim Apostel Paulus versucht! Allerlei Nöte hat er auf ihn losgelassen: Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr und Schwert. Jede einzelne dieser Nöte ist wohl imstande, einen Menschen aus der Gemeinschaft und Nachfolge Christi herauszubringen. Bei vielen, vielen ist es dem Teufel gelungen, sie durch Trübsale und Verfolgungen so müde und mürbe zu machen, daß sie endlich die Nachfolge Jesu aufgaben. Aber bei Paulus gelang es ihm nicht. Der Apostel merkte wohl ganz deutlich, worauf der Feind es abgesehen hatte. Darum fragt er: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes?“

Es gelang dem Feinde nicht. Im Gegenteil, Paulus klammerte sich nur um so mehr an den Herrn. So erfuhr er es: „In dem allen überwinden wir weit — um deswillen (oder: durch den), der uns geliebet hat.“ Er blieb in der Hand des Herrn.

Bei Petrus war es dem Teufel einmal gelungen, ihn zu Falle zu bringen, in der Nacht der Verleugnung. Aber Jesus hatte für ihn gebetet, daß sein Glaube nicht aufhöre. Jesus hielt ihn fest in seiner Hand. Durch Schaden klug geworden, schrieb Petrus dann in seinem ersten Briefe: „Setzet aber eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird.„ Das heißt: Macht es nicht so wie ich. Ich habe mein Vertrauen auf mich selber gesetzt und auf meine eigene Kraft gepocht. Damit bin ich jämmerlich zuschanden geworden. Wenn der Herr mich nicht gehalten hätte — was wäre dann aus mir geworden? So hat auch Petrus es erfahren, daß der Herr sein Wort wahrmacht: „Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.“ Und das darf ein jeder erfahren, der sich der Hand des Herrn übergibt und überlässt

Wenn du dir einen Gegenstand kaufst, der wertvoll ist, der dich vielleicht zu allerlei Sparmaßnahmen nötigte, um ihn endlich erwerben zu können, nicht wahr, dann gibst du auch darauf acht, daß er dir nicht abhanden kommt? Ist es ein Gegenstand, der nur etliche Pfennige gekostet hat, dann wacht man nicht so sorgsam darüber. Den kann man ja leicht ersetzen. Aber auf ein wertvolles Stück gibt man sorglich acht.

Das ist auch der Grund, weshalb Jesus so sorglich auf uns achtgibt, daß niemand uns ihm entreißt: Er hat einen hohen Preis für uns bezahlt. Petrus schreibt davon: „Wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöset seid von eurem eiteln Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blute Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.„ Das war ein Preis, wie er nie vorher und nachher bezahlt ist in der Welt: das Blut des Sohnes Gottes. Darum gibt er so treulich auf uns acht, weil er uns so teuer erkauft hat, weil er für uns in Gethsemane und auf Golgatha gelitten und gerungen hat. Nun sagt der Dichter mit Recht:

Seiner Hand entreißt mich nichts — wer will diesen Trost mir rauben? Mein Erbarmer selbst verspricht's — sollt ich seinem Wort nicht glauben? Jesus läßt mich ewig nicht, das ist meine Zuversicht.

Ja, mit großer Gewissheit dürfen wir mit ihm sprechen:

Stark ist meines Jesu Hand
und er wird mich ewig fassen,
hat zuviel an mich gewandt,
um mich wieder loszulassen.
Mein Erbarmer läßt mich nicht,
das ist meine Zuversicht.

Und — der Herr begnügt sich nicht damit, uns zu versprechen, daß niemand uns aus seiner Hand reißen werde, — er fügt noch einen weiteren und noch stärkeren Trost hinzu, indem er sagt: „Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.“ Was bedeutet das? Etwas ganz Wunderbares. Etwas unfassbar Großes. Er sagt: Der Vater hat ihm die Seinen gegeben. Der Vater hat die Jünger durch den Heiligen Geist zu seinem Sohne gezogen. Und der Sohn hat sie dann dem Vater dargestellt: Es sind die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein (Joh. 17, 9). So bemüht sich der heilige dreieinige Gott um die Rettung eines Menschen. Der Vater zieht ihn durch den Heiligen Geist zum Sohne und der Sohn gibt ihn dem Vater zurück, wie der Dichter singt:

Zeuch mich, o Vater, zu dem Sohne,
damit dein Sohn mich wieder zieh zu dir!
Dein Geist in meinem Herzen wohne
und meine Sinne und Verstand regier!

So wertvoll ist eine Menschenseele in den Augen Gottes, daß die heilige Dreieinigkeit in Tätigkeit tritt, um eine Seele dem Verderben zu entreißen und sie für Gott zurückzugewinnen. Sie ist von Gott geschaffen, sie ist für den Himmel bestimmt, sie ist durch das Blut Jesu erkauft, mit dem Geist Gottes getauft — das gibt ihr solche Bedeutung, daß nicht nur der Sohn Gottes sich für ihre Bewahrung einsetzt, sondern Gott selber. „Und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.„ Das heißt wohl nicht nur: Wir sind eines Wesens, sondern in diesem Zusammenhang: Wir sind eins, die Jünger zu bewahren. Ihre Bewahrung und endliche Errettung und Vollendung liegt uns gleicherweise am Herzen.

Aber nun kommt eine ernste Frage: Wenn unsere Bewahrung dem heiligen Gott so am Herzen liegt — liegt sie auch dir am Herzen?

Ich habe es früher nicht verstehen können, wie es möglich war, daß alte gereifte Christen, auch gesegnete Knechte Gottes, traurig zu Fall kamen. Ich habe zuerst gemeint: dann waren sie auch gar nicht bekehrt. Aber das konnte man im Blick auf ihr früheres Leben doch nicht bezweifeln. Endlich habe ich es verstanden. Sie waren zu der Meinung gekommen: „Ich bin nun schon so lange bekehrt, da bin ich über diese Gefahr hinaus. Das kann mir nun nicht mehr passieren.“ Und ach, weil sie sicher wurden, und die bewahrende Gnade nicht nötig zu haben glaubten, darum kamen sie zu Fall. So habe ich es aus vielen schmerzlichen Vorkommnissen unter Kindern und Knechten Gottes erkannt, wie nötig wir die bewahrende Gnade brauchen. Darum ist es seit vielen Jahren mein Wahlspruch geworden:

Auf dem so schmalen Pfade
gelingt uns ja kein Tritt,
es geh' denn seine Gnade
bis an das Ende mit.

Es bleibt dabei, was Paulus in Römer 7 geschrieben hat: „Ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes.„ Es ist wohl eine schmerzliche Lektion, wenn Gott sie uns zu lernen aufgibt, aber es ist eine gesegnete Lektion. Denn erst, wenn wir das herzlich und schmerzlich erkannt haben, daß nichts Gutes in uns wohnt, daß wir zu allem fähig sind, fangen wir an, um bewahrende Gnade zu beten. Und dem Herrn sei Dank, dieser Gnade dürfen wir vertrauen.

Auf Gnade darf man trauen,
man traut ihr ohne Reu,
und wenn uns je will grauen,
so bleibt's: Der Herr ist treu.

Wir haben Bewahrung nötig, denn der altböse Feind versucht, uns zu Fall zu bringen, und wir haben nichts Gutes in uns, wir sind zu allem fähig, wenn er uns nicht hält. Aber diese Bewahrung ist möglich, denn der ewige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, setzen sich für unsere Bewahrung ein, weil eine Menschenseele einen so unermesslichen Wert hat in Gottes Augen. Und alle Bewahrung ist beglückend. Im Judasbrief heißt es: Er kann uns behüten ohne Fehl und uns unsträflich stellen vor das Angesicht seiner Herrlichkeit mit Freuden.“

Gott sei Dank für seine bewahrende Gnade! Gott will uns bewahren und er wird uns bewahren, wenn wir uns nur bewahren lassen. Willst du das? Mit allem Ernst? Dann ruft Jesus auch dir zu, wie allen seinen Schafen: „Ich gebe ihnen das ewige Leben — und sie werden nimmermehr umkommen — und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.„

Jesu Seelenruhe

Joh. 10,31-42: Da hoben die Juden abermals Steine auf, daß sie ihn steinigten. Jesus antwortete ihnen: Viel gute Werke habe ich euch erzeigt von meinem Vater; um welches Werk unter ihnen steinigt ihr mich? Die Juden antworteten ihm und sprachen: Um des guten Werkes willen steinigen wir dich nicht, sondern um der Gotteslästerung willen, und daß du ein Mensch bist und machst dich selbst zu Gott. Jesus antwortete ihnen: Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter? So er die Götter nennet, zu welchen das Wort Gottes geschah, und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden, sprecht ihr denn zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: „Du lästerst Gott, darum daß ich sage: Ich bin Gottes Sohn?“ Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubet mir nicht; tue ich sie aber, glaubet doch den Werken, wollt ihr m i r nicht glauben, auf daß ihr erkennet und glaubet, daß der Vater in mir ist und ich in ihm.„ Sie suchten abermals ihn zu greifen, aber er entging ihnen aus ihren Händen und zog hin wieder jenseits des Jordans an den Ort, da Johannes zuvor getauft hatte, und blieb allda. Und viele kamen zu ihm und sprachen: Johannes tat kein Zeichen; aber alles, was Johannes von diesem gesagt hat, das ist wahr. Und glaubten allda viele an ihn.

Kaum hat der Herr Jesus die Worte gesprochen: „Ich und der Vater sind eins“, da wird er durch drohende Gebärden und Bewegungen seiner Zuhörer unterbrochen. Er sieht, wie sie Steine aufheben, um ihn zu steinigen. Das war nicht eine leere Drohung, sondern er sah an ihren erregten Mienen, an ihren verzerrten Gesichtern, daß es ihnen ganz furchtbarer Ernst war mit ihrem Vorhaben. Aber in unerschütterlicher Seelenruhe bleibt er ihnen gegenüber stehen und antwortet ihnen nicht auf Worte, die sie gesprochen hatten, sondern auf ihre drohenden Bewegungen, auf ihre von der Wut entstellten Gesichter: „Viel gute Werke habe ich euch erzeigt von meinem Vater; um welches Werk unter ihnen steinigt ihr mich?„ Vorher hat er gesagt: „Niemand nimmt mein Leben von mir. Ich habe Macht, es zu lassen und habe Macht, es wiederzunehmen.“

Was gab ihm diese wunderbare „Macht„, diese einzigartige Seelenruhe? Das Bewusstsein, daß er einen Auftrag seines Vaters auszuführen hatte, und daß dieser Auftrag ihn ans Kreuz führen würde. Darum wusste er, daß seine Stunde jetzt noch nicht gekommen war. Darum trat er ihnen mit solcher Seelenruhe entgegen, daß sie die Steine wieder fallen ließen und ihm Rede und Antwort standen. Ist solche Seelenruhe auch für uns zu erreichen? Gott sei Dank, ja! Auch wir dürfen wissen, daß wir einen Auftrag auszuführen haben, und daß wir keine Stunde eher sterben, als bis der Vater uns ruft. Wenn kein Haar von unserm Haupte fällt und kein Sperling vom Dach ohne den Willen unsers Vaters, dann stirbt auch kein Mensch ohne des Vaters Willen. Das ist ganz gewiß. Kein Zufall waltet über uns und unserm Leben, kein blindes Ungefähr, kein „Schicksal“, sondern die Vaterliebe unseres Gottes. Von einem alten und gesegneten Knechte Gottes, dem heimgegangenen Rektor Dietrich in Stuttgart, hörte ich einmal den Ausspruch: „Kein Mensch stirbt an einer Krankheit, sondern am Willen Gottes.„ Sicherlich liegt eine tiefe Wahrheit in diesem Wort. Wer sie begreift, der wird so froh und so frei. Der kommt los von Todesfurcht und aller Sorge um die Zukunft, der vertraut kindlich und fröhlich seinem Vater im Himmel in dem Bewusstsein: Es kann mir nichts geschehen,
als was er hat ersehen
und was mir selig ist

Wenn wir in diesem Vertrauen zu Gott stehen, dann hört zweierlei bei uns auf: das leidenschaftliche Wünschen und das leidenschaftliche Fürchten. Das leidenschaftliche Wünschen spricht: Ach, wenn ich nur diesen Wunsch erfüllt bekomme! Und wenn der Wunsch sich nicht erfüllt, dann liegt man verzweifelt am Boden: Was soll mir nun das Leben? Es hat seinen Zweck und Wert verloren! — Das leidenschaftliche Fürchten spricht: „Ach, wenn nur das nicht geschieht! Und — es geschieht doch! Was nun? Dieselbe Verzweiflung! Ach, wie mancher ist durch dieses leidenschaftliche Wünschen und Fürchten schon unglücklich geworden!

Wie ganz anders ist es, wenn man es gelernt hat: Ich bin in Gottes Hand! Und ich weiß und vertraue, daß er keine Fehler macht. „Wie er es macht, ist's herrlich, wird's heilsam mir sein!“

Was gibt uns dieses Bewusstsein, für Leben und Sterben in Gottes Hand zu sein, für eine Seelenruhe. Wenn andere außer sich geraten vor banger Furcht und Sorge, bleibt ein Kind Gottes ruhig und getrost und spricht: „Ich vertraue dir, Herr Jesu, ich vertraue dir allein!„ Die Juden waren durch Jesu Seelenruhe entwaffnet. Sie antworteten ihm: „Um des guten Werkes willen steinigen wir dich nicht, sondern um der Gotteslästerung willen und daß du ein Mensch bist und machst dich selbst zu Gott.“ Wenn es wahr gewesen wäre, was sie da sagten, das wäre allerdings eine Gotteslästerung gewesen. Aber es war ja gar nicht wahr. Er hat sich gar nicht selbst zu Gott gemacht! Er war ja der Eingeborene vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Er war ja der Gesandte des Vaters, um die Erlösung der Welt zu vollbringen. Gewiss, wenn ein Mensch sich göttliche Ehren anmaßt, das ist Frevel und Lästerung. Dass die römischen Kaiser sich als Götter verehren und Weihrauch sich opfern ließen, das war lästerlich. Und es war recht, daß die Christen dieses Opfer verweigerten.

Aber wenn Jesus von sich sagt, er sei Gottes Sohn, so ist das keine Lästerung, sondern die Feststellung einer Tatsache.

Darum bringt auch diese Anschuldigung Jesus nicht im geringsten aus der Fassung. Er bewahrt vollkommen seine Seelenruhe. Wenn wir angeschuldigt werden, und wir können mit gutem Gewissen sagen: Es ist nicht wahr, was da behauptet wird, dann können auch wir ganz getrost sein und es dem anheimstellen, der da recht richtet. So antwortet Jesus denn mit unveränderter Ruhe: „Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz: ,Ich habe gesagt: Ihr seid Götter'?„

Was meint er damit? Dabei denkt er an das Wort des 82. Psalms, in dem es heißt: „Gott steht in der Gemeinde Gottes und ist Richter unter den Göttern“ und wiederum: „Ich habe wohl gesagt: „Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten.„ Aber was ist unter diesen „Göttern“ zu verstehen? Im zweiten Buch Mose lesen wir im 2I.Kapitel: Wenn ein Knecht, ein Sklave im siebenten Jahre nicht frei werden, sondern weiter bei seinem Herrn bleiben will, den bringe man vor die „Götter„. Das heißt: vor die Richter des Volkes, vor die obersten Führer. Wie können sie aber „Götter“ genannt werden? Weil sie im Namen Gottes Recht sprechen, weil sie als Stellvertreter Gottes vor den Menschen standen. Darum fährt Jesus auch fort: „So er die Götter nennt, zu welchen das Wort Gottes geschah — und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden —, sprecht ihr denn zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: „Du lästerst Gott„, darum daß ich sage: Ich bin Gottes Sohn?“

Wenn Gottes Wort schon den Ausdruck „Götter„ auf Menschen anwendet, die einen göttlichen Auftrag bekommen, die als Gottes Stellvertreter ihr Amt ausführen, wievielmehr hat dann der ein Recht, sich Gottes Sohn zu nennen, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat!

Geheiligt hat Gott seinen Sohn. Er hat ihn für diesen schweren Dienst bestimmt, die Erlösung zu vollbringen. Er hat ihn dem Tode geweiht. Das wusste der Vater, daß er seinen Sohn in die Welt sandte, um zu sterben. Und das wusste auch der Sohn. Und doch hat der Herr ihn geheiligt und der Sohn hat sich dazu heiligen lassen. „Ich komme, zu tun deinen Willen.“ „Das ist meine Speise, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk„ (Joh. 4, 34).

Geheiligt und in die Welt gesandt, um als das Lamm Gottes die Sünde der Welt auf sich zu nehmen und auf das Kreuz zu tragen. Wohl kam er als ein kleines Kind armer Leute auf unsere Erde, von der Jungfrau Maria geboren. Aber er kam auch als der wahrhaftige Sohn Gottes, vom Vater in Ewigkeit geboren.

Was den Juden als Gotteslästerung erschien, das ist unsere größte Freude. Dass wir einen Heiland haben, der beides ist: Gottes- und Menschensohn. Wäre er nur als der Gottessohn gekommen, wir könnten uns wohl in scheuer Ehrfurcht vor ihm beugen; aber das Zutrauen könnten wir nicht gewinnen, das wir nun haben, wo der Gottessohn Menschensohn geworden ist, in allem uns gleich geworden — mit Ausnahme der Sünde. Nichts Menschliches ist ihm fremd. Er kennt uns und unsere Nöte, hat er doch alles selber durchgemacht, was wir zu leiden haben. Und dabei ist er der Gottessohn, dem gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, der Macht hat, zu heilen und zu helfen in jedem Fall. Nein, eine Gotteslästerung ist es nicht, wenn er sagt, er sei Gottes Sohn. Sondern mit tiefem Dank und in Anbetung beugen wir uns vor dem Gottessohn, der uns so nahe gekommen und Menschensohn geworden ist, daß wir herzliches Vertrauen zu ihm gewinnen möchten. Und lobend und preisend stimmen wir mit dem Dichter ein:

O Jesu, Jesu, Gottes Sohn,
mein Bruder und mein Gnadenthron,
mein Schatz, mein Freund und Wonne,
du weißt es, daß ich rede wahr,
vor dir ist alles sonnenklar
und klarer als.die Sonne;
herzlich lieb ich
mit Gefallen dich vor allen;
nichts auf Erden
kann und mag mir lieber werden.

In unerschütterlicher Seelenruhe ist Jesus seinen Gegnern entgegengetreten, die ihn steinigen wollen. Er hat sie gefragt, wegen welches Werkes willen sie ihn steinigen wollen. Sie haben geantwortet: Nicht um eines Werkes willen, sondern weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht habe. Mit großer Ruhe weist er sie darauf hin, daß die Schrift Alten Testaments auch die Richter des Volkes als „Götter“ bezeichnet habe, dann könne man ihn doch nicht der Gotteslästerung beschuldigen, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt habe. Seine Ruhe macht einen solchen Eindruck auf sie, daß sie ganz vergessen, daß sie ihn haben steinigen wollen. So kann er dann seine Rede in Ruhe beenden. Und da tut er nun einen Rückblick auf seine ganze Lebensarbeit in Wort und Werk. In unverminderter Ruhe spricht er: „Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubet mir nicht; tue ich sie aber, glaubet doch den Werken, wollt ihr mir nicht glauben, auf daß ihr erkennet, daß der Vater in mir ist und ich in ihm.„

Auf zweierlei weist er sie hin: Auf seine Worte und auf seine Werke.

Was für wunderbare Worte hat er gesprochen. Die Knechte, welche einst von den Hohenpriestern und Pharisäern zu ihm gesandt wurden, kamen mit der Botschaft zurück: „Es hat nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch.“ Wenn er sprach, dann hatten seine Zuhörer den Eindruck: „Er lehrt gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten.„ Es war so, wie er selber einmal sagte: „Die Worte, die ich rede, die sind Geist und Leben.“

Wer die Worte Jesu unbefangen auf sich wirken läßt, der hat noch heute den Eindruck, obwohl das gesprochene Wort einen ganz anderen Eindruck macht als das geschriebene und gelesene Wort, daß doch noch heute von den Worten Jesu eine wunderbare Kraft ausgeht. Man braucht nur die Bergpredigt zu lesen, in der er der landläufigen Frömmigkeit den Krieg erklärt, in der er den frommen Leuten ihre vermeintliche Gerechtigkeit in Fetzen vor die Füße wirft, dann muß man staunen über die wunderbare Kraft seiner Worte. Oder man lese die Gleichnisse, die er geprägt hat! Die Gleichnisse vom verlorenen Groschen, vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Sohn. Woher kam diese einzigartige Kraft seiner Worte? Er sagt uns selber das Geheimnis: Die Worte, die er weitergab, die hatte ihm der Vater gegeben. Es waren unmittelbare Worte Gottes. Es waren Worte, die aus der Ewigkeit hereinklangen in diese Zeit. Gott sprach, wenn Jesus redete. Darum wurden so manche von seinen Worten bewegt und ergriffen. Aber — die Juden, mit denen er es hier zu tun hatte, wie die Pharisäer und Schriftgelehrten überhaupt, hatten es verstanden, sich dem Eindruck seiner Worte zu entziehen.

Das kann man. Ja, das kann man, heute wie damals. Ich habe einmal irgendwo eine Evangelisation gehalten. Eine Frau lud ihren Bruder dazu ein, der auch ein-, zweimal kam. Dann sagte er ihr: „Wenn ich noch weiter käme, so würde der Mann mich auch bekehren.„ Ganz glücklich erzählte sie mir das. „So tiefen Eindruck hat das Wort auf ihn gemacht!“ Ich sagte: „Und Sie freuen sich über sein Wort? Merken Sie denn nicht, daß er sich dem Eindruck des Wortes entzieht und verschließt?„ Und — er kam nie wieder. Er wollte sich nicht unterwerfen. Was für eine gefährliche Sache: Das Wort haben und hören und sich dem Einfluss desselben entziehen! Aber „wollt ihr mir nicht glauben, das heißt: „wollt ihr meinen Worten nicht glauben, so glaubet doch meinen Werken.“ Wenn es wunderbare Worte waren, die er sprach, die Werke, die er tat, waren noch viel wunderbarer. Wie staunten seine Jünger, als er im schwankenden Schiff aufstand und dem Sturm zurief: „Schweig und verstumme!„ — worauf das Meer sofort stille wurde. „Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ so fragten sie in höchster Verwunderung. Mit wenigen Broten speiste er Tausende von Menschen — und Körbe voll Brocken blieben übrig! Aussätzige wurden rein. Blinde wurden sehend. Lahme wurden gesund. Besessene wurden frei. Tote standen wieder auf vom Totenbett oder aus dem Grabe.

Wie ein Lauffeuer ging es durchs Land, was er da und dort getan hatte. Denn es geschah vor aller Augen in breitester Öffentlichkeit, nicht im Winkel und in der Verborgenheit. Was gab seinen Werken diese wunderbare Durchschlagskraft? Es waren Werke des Vaters, wie er hier sagte. Er war nur die ausführende Hand. Er lieh Gott nur seinen Arm. Aber der eigentlich Wirkende war Gott. „Gott war in Christo.„ Gott griff vom Himmel her in die Menschenwelt ein.

Aber die Prophetenklage bleibt in Kraft: „Wem wird der Arm des Herrn geoffenbart!?“ Auch den wunderbarsten Taten gegenüber bleiben Menschen hart und kalt und unempfindlich. Damals wie heute.

„Glaubet ihr mir nicht, so glaubet doch den Werken„, sagt der Herr. Aber nein, sie glaubten seinen Werken ebensowenig, wie sie seinen Worten geglaubt hatten. Sie wollten nicht glauben. Das war's. Sie wehrten und weigerten sich. Sie wollten nicht.

Ganz deutlich trat es bei den Worten und den Werken Jesu in die Erscheinung: der Vater ist in ihm. Er spricht aus ihm. Er wirkt durch ihn. Aber — dann hätte man ja Jesu huldigen müssen als dem Eingeborenen vom Vater! Dann hätte man ihn ja anerkennen müssen als den Messias und Retter! Nie und nimmer!

Sie wollten nicht glauben. Sie wollten sich nicht unterwerfen.

O, die furchtbare Freiheit, die Gott den Menschen gegeben hat! Sie haben die Freiheit, zu glauben und gerettet zu werden. Sie haben auch die Freiheit, sich dem Wirken des Herrn zu verschließen und verlorenzugehen. Gott hat getan, was er konnte. Er hat also die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, in die Krippe von Bethlehem und ans Kreuz von Golgatha — er hat die Erlösung vollbracht für eine ganze, verlorene Welt — und es gibt Menschen, die gehen verloren trotz Weihnachten und Karfreitag, trotz Gethsemane und Golgatha! Du gehörst doch nicht zu ihnen, mein Freund?

Jene streckten die Hände aus und wollten ihn greifen, wollten ihn festnehmen. Aber seine Stunde war noch nicht gekommen. „Er entging ihnen aus ihren Händen.“ Der Vater entzog ihn ihren Händen. Nicht hier sollte er sterben, nicht unter ihren Steinwürfen sein Leben lassen. Das Kreuz wartete. „Gleichwie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muß auch des Menschen Sohn erhöhet werden.„

Er ging an den Jordan zurück, wo Johannes der Täufer gewirkt hatte. Dort blieb er, bis die Botschaft aus Bethanien ihn wieder auf den Schauplatz der Öffentlichkeit rief. Aber wenn auch die Schriftgelehrten und Pharisäer sich von ihm abwandten im Unglauben, wenn sie ihm den Tod drohten in ihrer Feindschaft — es waren doch auch andere, es waren viele, die zu ihm kamen. Sie waren durch die Erweckungsbewegung, die von Johannes dem Täufer ausging, angeregt und angefasst worden. Nun verglichen sie die Wirksamkeit Jesu mit der des Täufers. Sie sprechen: „Johannes tat kein Zeichen; aber alles, was Johannes von diesem gesagt hat, das ist wahr.“

Johannes war kein Wundertäter. Seine Aufgabe war eine andere. Mit erschütterndem Wort sollte er Buße wirken im Volke, die Herzen aufschließen, damit Jesus Einzug halten konnte. Darum gipfelte seine Predigt in dem Wort: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.„ „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ „Ja, das ist er! So haben wir ihn kennengelernt.„ „Und glaubten allda viele an ihn.“

Doch noch Frucht! Wie wird das den Herrn erquickt und erfreut haben, als diese vielen gläubig wurden! Wenn schon eine einzige Seele Freude auslöst bei den Engeln im Himmel, die Buße tut und zum Glauben kommt, wieviel mehr ist es dann der Fall, wenn es viele sind, die zum Glauben kommen! Wie wird sich der gute Hirte gefreut haben., als diese Menschen sich hinzufügen ließen zu seiner Herde, als Schafe seiner Hand!

Das ist doch die größte Freude für den guten Hirten, wenn er ein verlorenes Schaf findet und auf seine Achsel nimmt, um es heimzutragen mit Freuden! Hast du auch schon dem guten Hirten diese Freude gemacht? Noch nicht? Dann laß dir sagen, „daß er längst nach seinem Schaf getrachtet, eh' es auf des Hirten Ruf geachtet und mit teurem Lösegeld dich erkauft von dieser Welt!„

O, daß alle, die diese Betrachtungen über das Kapitel vom guten Hirten lasen, aus eigenem seligen Erleben heraus sprechen könnten: Der Herr ist mein Hirte und ich vertraue ihm: Mir wird nichts mangeln!

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