Melanchthon, Philipp - Von Sünden der Auserwählten, contra Naogorgium Pastorem Calensem, vom 25. Jan. 1544.
Wenn man vom Unterschiede der Sünden redet, welche in Heiligen in diesem Leben bleiben, soll man die Augen nicht auf die verborgene Auserwählung, oder Vorsehung, oder Praedestinatio, wie man sie nennt, weisen; denn diese Reden machen Zweifel, Sicherheit oder Verzagung. „Bist du erwählt, so kann dir kein Fall schaden, und bleibst alle Zeit in Gnaden und kannst nicht verderben. Bist du nicht erwählt, so hilft Alles Nichts!“ Dieses sind schreckliche Reden und ist Unrecht, das Herz auf diese Gedanken zu leiten, sondern das Evangelium weist uns zum ausgedrückten Gottes Wort, darinnen Gott seinen Willen offenbart hat, und danach Er will erkannt werden und wirken rc.
Nun ist öffentlich, dass Gottes Wort die Sünden straft, und gibt Unterschied der Sünden, und weist uns zu dem Heiland Christo. Dieses ausgedrückte Wort sollen wir ansehen und danach richten, ob wir in Gnaden sind; denn so ein Mensch in Sünden ist wider sein Gewissen, d. i., so er wissentlich und willig tut wider Gott, als ein Ehebrecher oder Frevler, der Jemandem wissentlich Unrecht tut, sein Gut entzieht rc., derselbige, so lange er solchen Willen wissentlich und willig behält, ist er ohne Reu' und ohne Glauben, und ist Gott nicht gefällig. Als so lange er eines andern Eheweib bei sich hat, ist keine Reue, kein Glaube, keine Heiligkeit da. Das ist ja öffentlich; denn wo Glaube ist, dadurch wir gerecht werden, da muss auch gut Gewissen sein, und ist ganz unmöglich, dass diese zwei Dinge beisammenstehen sollten: Glaube, der auf Gott vertraut, und böser Vorsatz, oder wie man es nennt, böses Gewissen. Glaube und Anrufung Gottes sind zarte Dinge, und mag leichtlich eine sehr kleine Wunde im Gewissen sein, die stößt Glauben und Anrufung weg, wie ein jeder geübter Christ sehr oft erfahren muss.
Darum setzt Paulus diese Stücke zusammen, 1. Tim. 1: „Dieses ist die Summa der Lehre: Liebe von reinem Herzen und gutem Gewissen und ungefärbtem Glauben.“ Item, 1. Tim. 1: „Behalte den Glauben und gut Gewissen.“ Item, 1. Tim. 3: „Die des Glaubens Geheimnis behalten mit reinem Gewissen.“ Diese und dergleichen mehr Sprüche, die hernach sollen angezogen werden, zeigen an, dass, wo nicht gut Gewissen ist, da ist kein Glaube und keine Heiligkeit.
Darum so Einer gerecht wird, obgleich der Glaube an den Heiland Christus Gnade erlangt, dass die Sünden vergeben werden, und diese Person wird angenommen, so muss dennoch böser Vorsatz weg sein, dass also ein gut Gewissen anfange.
Wo nun Glaube und gut Gewissen ist, da ist gewisslich der Heilige Geist, und steht demnach das Vertrauen nicht auf eigner Würdigkeit oder gutem Gewissen, sondern auf Christo; und schließen wir, dass wir in Gnaden seien um Christi willen, aus seiner Verheißung, und also kann rechte Anrufung geschehen, wie Johannes spricht, 1. Joh. 3: „So uns unser Herz nicht verdammt, so können wir Gott getrost ansprechen, und was wir bitten, das empfangen wir von Ihm.“ Und obgleich Sünden in den Heiligen bleiben, angeboren Elend und böse Neigung, und dass das Herz nicht also ernstlich Gott fürchtet, vertraut rc., welches Alles nicht für geringen Schaden zu achten, sondern sind große Sünden; gleichwohl ist diese Schwachheit weit zu unterscheiden von wissentlicher Bewilligung und bösem Vorsatz, der das Gewissen unrein macht. Solche Sünde und Heiligkeit stehen nicht beisammen, und sollen wir nicht disputieren von der Vorsehung, sondern von Gottes Zorn, in seinem Wort offenbart, und danach wiederum Gnade suchen.
Und dass solcher Fall in den Auserwählten die Heiligkeit wegnehme, und den heiligen Geist wegtreibe, das ist erstlich ganz offenbar an Adam und Eva, welche auserwählt gewesen, haben aber gleichwohl ihre Heiligkeit und heiligen Geist verloren, dass durch diese Verwundung der ersten Menschen hernach alle Menschennatur schwach und sündig ist, und so sie nicht wiederum aufgerichtet waren, wären sie in ewiger Verdammnis blieben; denn so viel diese Mittelzeit belangt, sind sie in Gottes Zorn wahrhaftig gewesen, denn diese Sachen sind nicht Spiegelfechten. Paulus spricht mit klaren Worten: durch Einen Menschen ist die Sünde eingetreten in alle Menschen zur Verdammnis; und was Verdammnis heißt, ist offenbar.
Item, da David des Uria Eheweib beschlafen hatte, und hatte den frommen Mann ermorden lassen rc., ist David unter dem Zorn Gottes, und hat seine Heiligkeit und heiligen Geist verloren, so lange, bis er wiederum bekehrt wird. Dergleichen ist von Andern in solchen Fällen zu reden, und dass dieses Alles, wie gesagt ist, wahr sei, wird klar bewiesen aus folgender Sprüchen:
Joh. 3: „Lasst euch nicht verführen; wer Gerechtigkeit tut, der ist gerecht; wer Sünde tut, der ist aus dem Teufel.“ Als da David die unordentlichen Flammen hat lassen anbrennen und das Herz gewankt hat, da hat der Teufel ihn getrieben, und hernach den überwundenen David zu größeren Sünden, zu Mord rc. getrieben.
Und dass der Heilige Geist da weg gewesen, das beweisen weiter die Worte Pauli, Eph. 5: „Kein Ehebrecher ist ein Miterbe im Reiche Christi.“ Das ist klar geredet von gegenwärtigem Ehebruch; so lange der Ehebrecher in diesem Vorsatz ist, ist er kein Erbe im Reiche Christi; daraus folgt, dass er nicht gerecht und heilig ist, auch den heiligen Geist nicht hat.
Item, also bald folgt, von wegen diesem Werk komme der Zorn Gottes über die Ungehorsamen. Item, Röm. 8 macht Paulus diesen nötigen Unterschied der Sünden, und spricht: „So ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben; so ihr aber mit dem Geiste des Leibes Anreizung töten werdet, werdet ihr leben!“
Nun ist öffentlich, dass Paulus den Heiligen an diesem Ort predigt, und lehrt sie, wie sie heilig bleiben sollen, nämlich also: so sie den bösen Neigungen widerstreben; dagegen aber spricht: „So ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben,“ d. i.: so ihr den bösen Neigungen folgt, seid ihr wieder im Zorn Gottes, denn dieses nennt er sterben. Ezech. 33: „Welchen Tag der Gerechte Böses tut, will ich aller seiner Gerechtigkeit vergessen rc.; und welchen Tag der Gottlose sich bekehrt, und tut Gutes, will ich seiner Sünde vergessen.“ Dieses ist ja ein klarer Text, dass der Gerechte, so er wissentlich und williglich in Sünde fällt, nicht mehr gerecht ist.
Apocalypsis 3 straft der Heilige Geist die Kirche zu Pergamus, sie habe bei sich unrechte Lehrer und Unzucht, und sagt mit klaren Worten da: „welches ich hasse.“ Wo nun Gott über Jemanden zürnt, der ist nicht heilig, angenehm rc., und sind ohne Zweifel Auserwählte und Nichtauserwählte unter diesen gewesen.
Aus diesen und viel mehr Zeugnissen haben wir alle Zeit einhellig in allen Kirchen also gelehrt, dass, so ein Heiliger wissentlich und williglich wider Gottes Gebot tut, dass er nicht mehr heilig sei, sondern habe rechten Glauben und heiligen Geist ausgeschüttet. So er sich aber wiederum bekehrt, so hält Gott seinen gnädigen Eid, darinnen er spricht: „So wahr ich lebe, ich will nicht, dass der Sünder sterbe, sondern dass er bekehrt werde und lebendig bleibe.“ Darum nimmt Gott um Christi willen den Bekehrten wiederum an, zündet an in seinem Herzen Glauben durch das Evangelium und heiligen Geist, und ist uns nicht befohlen, vorhin zu fragen, ob wir auserwählt seien, sondern es ist genug, dass wir wissen: wer endlich verharrt in rechter Buße und Glauben, der ist gewisslich auserwählt und selig, wie Christus spricht: „Selig sind, die beharren bis ans Ende.“
Dieser Unterricht ist klar, und macht nicht ein furchtlos Wesen in denen, so gefallen sind, sondern lehrt sie, Gottes Zorn groß zu achten und zu fürchten, wie auch gewisslich wahr ist, dass Gott wahrhaftig zürnt über alle Sünde, es fallen Auserwählte oder Nichtauserwählte. Menschliche Vernunft dichtet einen ungleichen Willen Gottes, als wäre Gott wie ein Tyrann, der etliche Gesellen hatte, deren Wesen er sich gefallen lasse, es sei gut oder nicht gut, und dagegen hasse er die Andern, sie tun was sie wollen. Also soll man nicht von Gottes Willen gedenken. Dieser Spruch ist ewiglich wahr, Psalm 5: „Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen oder Sünde gefällig ist.“
Denn ob Er die Heiligen annimmt, die auch noch Sünde an ihnen haben, so nimmt er sie doch nicht ohne eine große Bezahlung an; Christus hat müssen ein Opfer werden, um welches willen uns Gott annimmt und schont, so lange wir im Glauben bleiben, und wenn wir im Glauben sind. Und dass dagegen Etliche anziehen, David bitte: „Nimm deinen heiligen Geist nicht von mir!“ Darum sei der Heilige Geist auch in ihm gewesen, da er den Ehebruch und Totschlag beschlossen hatte; ach, dieses sind sehr ungeschickte Reden, dagegen Not ist, rechten Unterricht zu tun, und kann ein Jeder diese Folge leicht richten, dass aus den Worten des Psalmen nicht folgt, dass er nicht zuvor verlassen gewesen sei.
Ja, darum schreit David also, dass er gefühlt, dass er zuvor verlassen gewesen und erfahren hat, wie schwach der Mensch ist, so er allein ist, ohne Gottes Hilfe; er hat Gottes Zorn und eigene Schwachheit erfahren, darum bittet er jetzt von vielen Stücken, dass er forthin in Gnaden, Trost, Stärke lebe. „Lass mich hören Freude und Wonne, dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast!“ Eben darum bittet er Trost, dass er Gottes Zorn erfahren hat, und nennt seine Tat selbst eine solche Sünde, die Gottes Zorn und den ewigen Tod verdient habe, wie er spricht: „Errette mich von den Blutschulden!“ d. i., von Sünden, die den Tod verdient haben.
Diese Erinnerung ist zusammen gezogen, anzuzeigen, warum wir Bedenken gehabt, die Auslegung über Johannem in Druck zu geben, darin der Pfarrherr zu Kahla eine andere Meinung setzt von den Auserwählten, nämlich, dass sie gerecht bleiben und den heiligen Geist behalten, ob sie gleich in öffentliche Sünde fallen. Er ist auch mit ganz züchtigen Worten davon vermahnt worden, und hoffen nochmals, er werde sich besser bedenken.