Melanchthon, Philipp - Ob vor Gericht hadern unrecht und wider Gott sei?

Melanchthon, Philipp - Ob vor Gericht hadern unrecht und wider Gott sei?

Es hadert mancher Mann vor dem Gericht, der sonst untadelig, welcher, weil er meint, er tue daran Unrecht, und macht ein böses Gewissen, fällt er dahin, und gerät aller Ding in eine Verachtung Gottes, gleich wie die Priester, so weiland ihre sieben Zeiten zu lesen, mit bösem Gewissen unterlassen haben, sind danach gar ruchlos worden.

Auch sind derer viel mehr, welche, so sie hören, das Rechten soll verboten sein, den Namen Christi hassen; denn sie achtens dafür, dass solche Lehre ärgerlich, und sie meinen, der Friede sei schädlich. Darum muss man es mit Fleiß bedenken, ob es Unrecht sei, vor Gericht zu hadern oder nicht?

Bei mir ist gar kein Zweifel, ein Christenmensch möge sich der Gerichte gebrauchen, gleich wie anderer Kreaturen Gottes. Doch dass er die Regel Pauli habe, 1. Kor. 7: „Wer der Welt braucht, der missbrauche sie nicht.“ Gleich wie ich wohl darf kaufen und verkaufen; allein, dass ich Niemanden vervorteile; also mag ich auch wohl hadern, allein, dass es ohne Neid, Hass und Untreue geschehe.

Und sind dieser meiner Meinung folgende Grunde und Ursachen. Paulus sagt Röm. 13: Dass die Obrigkeit nicht allein zur Strafe und Furcht sei den bösen Werken, sondern auch zur Ehre den guten Werken. Darum mögen sie, die Frommen, der Obrigkeit Hilfe gebrauchen. Was ist aber vor Gericht hadern Anderes, denn der Obrigkeit Hilfe anrufen? Ist's nun den Frommen eine Schande, so sie der Obrigkeit Hilfe anrufen, so ist es je gewisslich, dass die Obrigkeit den Frommen mehr zur Schande, denn zur Ehre förderlich ist.

Und weil St. Paulus ihr den Namen gibt, dass es soll eine Ehre heißen, ist es je gewisslich nichts Böses, auch kein solches Ding, das fromme Leute nicht brauchen dürften.

So hat auch St. Paulus Act. 25 vor dem Kaiser appelliert, und sich berufen. Solche Appellation ist ein Stück, das zu den Gerichtshändeln und Hadersachen gehört. Darum mag man wohl vor Gericht hadern.

Ein Christ mag Eigentum besitzen, derhalben mag er auch wohl vor dem Gericht handeln: denn Eigentum kann ohne Gericht nicht erhalten werden, sintemal Gericht gibt oder nimmt Eigentum.

Dass man aber Eigentum besitzt und haben möge, ist kund aus vielen und mancherlei Sprüchen in der Schrift; denn es darf je Einer wohl reich sein, wie St. Paulus zeugt 1. Tim. 6, da er sagt: „Den Reichen von dieser Welt gebietet, dass sie nicht nach hohen Dingen trachten, auch nicht hoffen auf den ungewissen Reichtum, sondern auf den lebendigen Gott, der uns dargibt reichlich allerlei zu genießen, dass sie Gutes tun, reich werden an guten Werken, gerne geben, leutselig seien, Schätze sammeln, ihnen selbst einen guten Grund aufs Zukünftige, dass sie ergreifen das ewige Leben.“ Und Christus sagt nicht Luk. 18: Dass ein Reicher nicht möge in den Himmel kommen, sondern sagt nur allein, dass es schwerlich zugehe.

Es ist offenbar, dass Könige oder Fürsten mögen Christen sein. Nun müssen ja Fürsten reich sein, wie das Evangelium spricht Luk. 22: Die weltlichen Könige herrschen, und die Gewaltigen heißt man gnädige Herren, d. i., unser Leib und Gut ist ihr.

St. Paulus heißt die Korinther 1. Kor. 6: Dass sie ihnen einen Richter wählen, und sich vor dem selbigen ihrer Händel entscheiden lassen sollen. Darum so ist solche Gerichtshandlung dem Evangelio nicht entgegen.

Christus verbietet nirgends, das Gericht zu gebrauchen. Darum tun die Unrecht, so dem Evangelio aus ihren Gedanken Etwas zusetzen.

Moses verbietet es auch nicht, und Christus ist ohne Gesetz offenbart. Darum, gleicher Weise, wie es den Israeliten nicht verboten gewesen ist, sich ihrer Gesetze zu gebrauchen, also mögen wir unsere Gesetze auch wohl gebrauchen. Derhalben, so es ihnen erlaubt ist, einander vor dem Gericht anzuklagen, also haben wir es auch Recht und Macht es zu tun. Denn Christus lässt es wohl geschehen, dass wir ordentliches Rechtens brauchen, wie solches allenthalben bei allen Völkern sittlich und gewöhnlich ist. Und werden solche mit Recht Gottes Ordnung genannt, Röm. 13.

Weil denn ein Christenmensch andere Gottesordnung wohl brauchen mag, als Ehestands, Speis, Tranks und dergleichen, so mag er sich auch freilich wohl der Gerichte gebrauchen, welche gar nichts weniger eine göttliche Ordnung ist, Röm. 13, denn der Ehestand, Essen und Trinken.

Aber dagegen pflegt man zu halten den Spruch Christi aus dem Evangelio, Matth. 5: „So Jemand mit dir rechten will, und deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel.“ Diesen Spruch will ich nicht allein für einen Rat, wie Etliche gelehrt haben, sondern vielmehr für ein streng ernstlich Gebot halten. Denn wo es für einen Rat und nicht für ein Gebot sollte gehalten werden, so wird daraus folgen, dass die nicht Unrecht taten, so sich außerhalb ordentlichen Amtes und Gerichtes selbst rächen.

Darum kann es und mag es nicht anders sein, denn dieser Spruch muss von Not wegen für ein Gebot gehalten und verstanden werden. Und ist dies dieses ganzen Sprüche rechter natürlicher Verstand: Es wird da verboten alle die Rache, so ohne und außerhalb ordentlicher Obrigkeit wird vorgenommen, und soll es Niemand verstehen, dass das Evangelium, indem es eine innerliche und herzliche Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, lehrt, das weltliche Regiment aufhebe und wegnehme. Solche Rache, so ohne und außerhalb ordentlicher Obrigkeit Befehl geschieht, verbietet allhier Christus in diesem Spruch, als ob Er sagen wollte: Du, als dem es von ordentlicher Obrigkeit, oder von Amtswegen nicht gebührt, noch befohlen ist, sollst nicht Rache tun, wenn dir auch gleich alle deine Güter und Habe genommen wurden. Der Obrigkeit aber will ich nichts verboten haben. Ja, wenn dir auch selbige Obrigkeit Gewalt und Unrecht tut, sollst du es dennoch leiden. Denn Ich will hiermit kein neues Weltrecht wider die jetzige regierende Obrigkeit aufrichten, wiewohl die Apostel meinten, Christus wurde ein solches neues weltliches Regiment anfahen. Und eben darum will Er ihnen mit dieser Rede solchen Irrtum aus dem Sinne und Herzen nehmen, wie Er denn auch an vielen anderen Orten mehr tut.

Und zwar, wenn Einer gleich hart darauf dringen wollte, dass dieser Spruch auf die Gerichtshandel sollte gesagt sein, so muss daraus eben also wohl folgen, dass auch nicht der Kläger, sondern auch der Beklagte, vor dem Gericht nicht erscheinen durfte.

Es ist aber dennoch offenbar, dass der Beklagte diesfalls nicht Unrecht tut, dass er sich vor dem Gericht darstellt, sintemal er auf das Gebot der Obrigkeit allda Gehorsam leistet, welcher uns Gott gebietet gehorsam zu sein, Röm. 13.

Man hält den Gerichtshandlungen auch diesen Spruch entgegen, Matth. 5: „Sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf dass dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir: Wahrlich, du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlst.“ Aber dieser Spruch soll verstanden werden nach den Worten Pauli, Röm. 12, da er sagt: „So viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Wir aber sollen Niemanden beleidigen, oder je aufs wenigste wiederum versühnen und abbitten, wenn wir Jemanden beleidigt haben.

Wollen aber andere Leute ihnen nicht Friede haben, so ist es Niemandem verboten, die Obrigkeit um Hilfe anzusuchen. Und dieser Spruch Christi lehrt: die da Unrecht haben, die sollen sich wiederum mit denen versöhnen, so sie mit Unrecht beleidigt haben. Darum tut dieser Spruch Nichts wider mich; denn ich sage nicht, dass es christlich sei, Einen mit Unrecht vor Gericht zu ziehen.

St. Paulus zu den Korinthern 1. Kor. 6 verbietet, vor heidnischen Richtern zu hadern. Das geschieht aber um Ärgernis willen, nicht dass vor dem Gericht hadern unrecht sei; denn sonst dürfte man auch vor den Richtern, welche wir selbst wählen, das Unsere nicht rechtlich ansprechen.

Und am selbigen Ort, 1. Kor. 6, sagt St. Paulus auch, es sei schon ein Fehler, dass unter den Christen Hadersachen sind. Aber damit straft er nicht den Teil, der der Sachen Recht, sondern der ihr Unrecht hat, denn sie können nimmermehr beide Recht haben; sondern es muss allewege der eine Teil Unrecht haben. Darum fehlt es nimmermehr, es muss in Hadersachen etwas Fehls haben, um des unrechten Parts willen.

Der Spruch im Lukas, Luk. 6 wird dieser Meinung von Gerichtshandeln auch entgegengehalten: „So dir einer das Deine nimmt, fordere es nicht wieder.“ Aber es mag gewisslich dieser Spruch dahin nicht gezogen werden, als dass Christus hiermit lehren wollte, dass alle Dinge sollten gemein sein, oder dass die sollten sündigen, so da Eigentum besitzen, oder ihr ausgeliehenes Gut wiederum einnehmen. Sondern dieser Spruch soll von der Rache, die außerhalb ordentlichen Amtes und Befehl der Obrigkeit vorgewendet wird, verstanden werden, in Maßen, wie die anderen Worte, so im selbigen Kapitel vorhergehen.

Denn Paulus hat eine Regel gegeben, wie man Andern geben soll, nämlich also ferne, dass nicht Andere Ruhe, und ihr Trübsal habt, 2. Kor. 8.

Darum ist es ohne Not, dass man den Dieben ihr Stehlen allenthalben lasse gut sein, sondern die Liebe wird wohl Richter werden, wo sie klagen, oder nicht klagen soll.

Und dies ist meine Meinung von dieser Sache, dass es frei sei Einem, vor Gericht zu hadern, gleich als es Einem frei ist, dass er Wein, oder einen andern Trank, der ihm dienstlich, trinken mag.

Die aber eine andere Meinung haben, und den Christen verbieten, vor Gericht zu klagen, die dünken mich, dass sie nicht genugsam verstehen, was christliche Freiheit vermöge, noch wie Paulus Lehre von der Obrigkeit, Röm. 13, soll verstanden werden.

Aber man sollte St. Paulus Regel allweg halten, 1. Kor. 7, „so man der Welt braucht, dass man ihr nicht missbrauche.“ Ich halte, dass Viele, so sie wissen, wie ferne ihnen erlaubt, zu rechten, ihr Recht auch glimpflicher suchen wurden; denn sie meinen, sie tun Unrecht, wenn sie hadern, und fahren doch fort mit bösem Gewissen, dadurch sie ganz ruchlos werden, und scheuen doch nicht daran, allen Vorteil im Gericht zu gebrauchen.

Dieweil aber Wenig sind, die diese Regel und Maße halten, darum ist oftmals am sichersten, dass man gar nicht hadere, und zumal, weil solch Exempel schädlich ist, den freventlichen Leuten, welche desto leichter zu hadern gereizt werden, wenn sie sehen, dass solches die, so man für fromm achtet, auch tun, können aber den selbigen nicht recht nachfolgen, sondern sind voll Neides und Hasses.

Von den Fürsprechern und Prokuratoren ist kein Zweifel, sie mögen wohl der Leute Sachen führen, wenn auch gleich die Parteien Unrecht haben, so ferne doch, „dass sie der Welt auch brauchen, und nicht missbrauchen:“ denn solche Fürsprecher und Advokaten sind der Obrigkeit Diener rc.

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autoren/m/melanchthon/melanchthon-gerichte.txt · Zuletzt geändert: von aj
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