Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - IV. Die Auserwählten fürchten den Tod nicht, sondern schlafen sanft ein.

Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - IV. Die Auserwählten fürchten den Tod nicht, sondern schlafen sanft ein.

Ein indischer Philosoph schrieb an Alexander den Großen also: Wir sind nicht eingesessene Bürger dieser Stadt, sondern Fremdlinge. Wir sind nicht auf die Erde gekommen, um uns da festzusetzen, sondern durchzuwandern; denn wir eilen zum Vaterhaus.„

An dem Beispiel der Märtyrer, das wir eben betrachtet, ist ganz offenbar, dass die Auserwählten den Tod gar nicht fürchten, sondern sanft in dem Herrn entschlafen; wie denn auch die heilige Schrift den Tod der Frommen einen Schlaf zu nennen pflegt. Die Frommen folgen hierin allesamt den Fußstapfen des alten Simeon, denn wie derselbe des Leibes Herberge, der Welt Pilgrimschaft, des Nächsten Umgang verlassen und nunmehr in Frieden dahinfahren wollte: so freuen auch sie sich beim Herannahen des Todes, weil sie wissen, dass sie dadurch der Fesseln erledigt, der Schwachheit entnommen, von Sünden gereinigt und zur ewigen Seligkeit befördert werden. Sie wissen, dass der Tod für sie keine Strafe, sondern eine Wohltat sei; denn was für großes Unglück müssten sie erleben und was für Herzeleid ausstehen, wenn sie mit Methusalem 969 Jahre in diesem Jammertal zubringen sollten! Wie mancher Vater würde erfahren, dass seine Kindeskinder an Bäumen hängen blieben, wie Absalom; das Jungfraukränzlein verscherzten, wie Dina; mit Totschlag sich befleckten, wie Kain; mit Diebereien sich beschmutzten, wie Achab; mit Blutschande sich besudelten, wie Ruben; dass sie wie ganz Ephraim ins Gefängnis geführt, wie Abjathar ins Elend geschickt, wie Simei in Aufruhr verwickelt würden.

Sie halten dafür, dass das Wort des Herrn (1 Mos. 3,19.): „Du bist Erde und sollst zu Erden werden:“ nicht sowohl ein Wort der Gerechtigkeit, als vielmehr ein Wort der Barmherzigkeit sei, als spräche Gott: O Mensch, obgleich ich deinetwegen die Erde aus meinem göttlichen Munde verflucht habe, dass sie statt der edlen Früchte Dornen und Disteln trage, und du im Schweiße deines Angesichts dein Brot isst: so sei doch getrost und unverzagt; denn dieses Elend soll zeitlich und nicht ewig sein; es wird der fröhliche Tag kommen, welcher den toten Leib zur Erden und alles Jammers ein Ende machen wird.

Sie halten dafür, dass unser Herr Jesus Christus (Joh. 11.) am Grabe des Lazarus nicht darüber geweint habe, dass sein Freund Lazarus gestorben, sondern darüber, dass er ihn wieder mit Leib und Seele in das Kreuzhaus dieses Lebens hineinstoßen sollte, da es ihm doch wohler wäre, wenn sein Leib dem Grab und seine Seele den Engeln gelassen würde, als habe der Herr Christus gedacht, wie Chrysostomus schreibt: „den Lazarus, welcher zum glücklichen Hafen schon gefahren war, stoße ich wieder hinaus in die gefährlichsten Fluten des Meeres. Den Lazarus, welcher den Kampf bereits überstanden hatte, führe ich wieder her unter die grimmigen Rotten der Feinde.“

Das war die rechte Ursache, dass der Brunnquell der Gnaden in Tränen überfloss.

Sogar etliche Heiden haben schon erkannt, dass der Tod ein Entbinder der Fesseln, ein Befreier aus der Dienstbarkeit sei, und haben auf ihn gehofft, wie der heidnische Philosoph Seneca schreibt: „Der Tag des Todes, den du fürchtest, ist die Geburtsstunde der Ewigkeit.“ Und sollten dieses die gläubigen Christen nicht wissen?

Wie freut sich ein Schiffer, wenn er mitten unter den ungestümen Wellen des Meeres den glücklichen Hafen von ferne schaut, in welchen hineinzufahren er nur hofft, was für Freude muss nun die gläubige Seele erfüllen, wenn sie mitten unter den Flammen des Fiebers, mitten unter dem Toben der Krankheiten den Hafen des Paradieses nicht von ferne, sondern in der Nähe sieht und in denselben zu gelangen nicht nur hofft, sondern bereits schon hineinsteuert, ja im Glauben schon eingefahren ist.

Wenn ein Mensch fern von seinem Vaterland in einem Hause zur Miete wohnet und außer der Erstattung des beschwerlichen Mietzinses noch viel Ungemach leiden muss; so gedenkt er immerdar seines Vaterlandes und freut sich inniglich auf den Tag, da er aufbrechen und zu den Seinen zurückkehren soll. Also geht es auch den Auserwählten; denn da sie in dieser Welt weit entfernt sind von ihrem Vaterland, dem himmlischen Jerusalem, und in der engen Hütte des sterblichen Leibes wohnen, demselben einen großen Zins an Krankheit und Traurigkeit erlegen und noch dazu von außen her allerhand Verfolgung, Not und Elend ausstehen müssen:, so freuen sie sich gar sehr auf die fröhliche Stunde, in welcher sie abscheiden und mit St. Paulus bei Christus im Vaterhaus sein sollen.

Lasst uns noch ein Gleichnis betrachten. Zwei Gefangene liegen verschlossen in einem Kerker; der eine nur auf kurze Zeit zur Züchtigung, der andere zum peinlichen Halsgericht. Dem einen ist die Missetat vergeben und der Kerker leicht gemacht; dem anderen aber behalten zur schrecklichen Strafe des Todes, und der Kerker mit Ketten und Banden verschärft. Sollte aber jemand den ersten fragen, ob er begehre aus dem Kerker entlassen zu werden; so würde er geschwind antworten: Ja, denn eine Stunde darin scheine ihm ein Tag zu sein, ein Tag ein Monat, ein Monat ein Jahr, ein Jahr viel tausend Jahre. Fragte dagegen jemand den andern, so würde er entweder gar still schweigen oder er würde antworten: Nein, denn der Kerker sei ihm nicht beschwerlich, die Bande nicht unerträglich; es schiene ihm vielmehr, als wären sie aus Baumwolle geflochten und aus Seide gewunden. Daher freut sich der erste von Herzen, wenn er nur die geringste Bewegung vor der Tür des Kerkers verspürt, oder gar wenn er die Schlüssel klirren und das Schloss rasseln hört; denn er vermutet, dass der Obrigkeit Diener komme, um ihn nach Hause zu entlassen. Und ist nun wirklich die glückselige Stunde da, so macht er sich ganz getrost und mutig auf, und wird von Freude gleichsam überschüttet, dass er zu Weib und Kindern oder zu Verwandten und Freunden gelangen soll. Hört aber der andere irgend ein Geräusch bei der Tür, Blätter rauschen oder Mäuse oder anderes Ungeziefer laufen; so erschrickt er. Und hört er nun gar die Schlüssel klirren, die Riegel rasseln, Tor und Tür aufgehen; so erblasst und erbleicht er und möchte vor Furcht in Ohnmacht sinken; denn er vermutet die Ankunft des Henkers. Kommt dann die unglückselige Stunde, wo er dem Henker überantwortet wird: wie erzittern ihm die Glieder! wie erbebt ihm das Herz! wie erbleicht ihm das Angesicht! wie erstarrt ihm das Geblüt! Denn er weiß ja, dass er nicht nach Haus, sondern zum Richtplatz hinaus, nicht zu den Seinen hin-, sondern von den Seinen weggeführt, nicht zum Leben, sondern vom Henker zum Tod gebracht werden soll.

Ebenso verhält es sich auch mit dem Tod des Frommen und des Gottlosen. Die Seele des Frommen ist zwar zu ihrer Züchtigung mit dem kranken Körper umfangen, aber sie ist nicht mit Stricken der Furcht gebunden; vielmehr ist sie der Gnade Gottes versichert und wartet mit Verlangen auf das letzte Gänglein, in welchem sie den Kerker des Leibes verlassen soll. Und wann endlich das letzte Stündlein kommen ist, so scheidet sie mit Freuden ab und dahin. Die Seele des Gottlosen aber entsetzt sich vor diesem letzten Lebensschritt und fährt mit Angst und Verzweiflung zum ewigen Gericht. Dagegen wird die auserwählte Seele im letzten Stündlein noch besonders gestärkt und erquickt durch himmlische Gesichte. Gewisslich sieht sie in der höchsten Schwachheit des Leibes, in der Zerrüttung seiner vornehmsten Glieder, auch in der letzten Bestürmung des Herzens mit Jakob im Traum die Leiter, die von der Erde bis an die Spitze des Himmels reichet und auf derselben die Engel Gottes in schönster Ordnung verteilt und gedenkt, wie sie jetzt zum himmlischen Jerusalem aufsteigen werde. Gewisslich sieht sie mit Elia den feurigen Wagen mit den feurigen Rossen daher eilen und gedenkt, dass nun die Himmelfahrt beginnen soll. Gewisslich schaut sie mit Stephanus gen Himmel und sieht die Herrlichkeit Gottes und Jesum stehen zur Rechten Gottes und ruft mit Entzücken: wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anders, denn Gottes Haus. Hier ist die Pforte des Himmels.

Der berühmte Mathematiker Archimedes zu Syrakus war so vertieft in die Beschauung seiner Zirkel, dass er selbst von dem Höllenlärm der Zerstörung nichts merkte, obwohl er mitten darin war; denn als die Römer diese berühmte Stadt eroberten und in der Asche ihrer Paläste begrüben; als ihr Fall mit dem Geheul der Weiber und Kinder besungen, mit dem Schall der Trompeten und Posaunen beläutet und mit dem Tod des Adels und Pöbels, der Reichen und Armen, der Jungen und Alten begleitet wurde: so vernahm er weder das Schnauben der blutdürstigen Krieger, noch das Geschrei der Verwundeten und Sterbenden, noch das Krachen der einstürzenden Dächer, noch das Prasseln der um sich greifenden Feuerflammen. Er ist auch in solcher tiefen Betrachtung plötzlich erstochen worden, so dass etliche zweifeln, ob er selbst die Todeswunde gefühlt habe. Wie sollte nun die auserwählte Seele in den letzten Zügen die Todesschmerzen spüren, die doch bereits in das andere Leben entrückt und mit dem Freudentroste des heiligen Geistes gestärkt ist; ja die all ihre Gedanken gen Himmel geschickt und in Christum versenkt hat! Herr Jesu, der Du den Joseph im Kerker mitten unter dem Heulen der betrübten Gefangenen und den Moses in der Wüste mitten unter dem Ungestüm der aufrührerischen Israeliten erhört, der Du den Daniel in der Grube mitten unter dem Brüllen der grimmigen Löwen und den Jonas im Bauche des Walfisches mitten in den Fluten des brausenden Meeres erhört und wohlbewährt, der Du die drei Jünglinge im feurigen Ofen trotz den rauschenden Flammen und den Schächer am Kreuze trotz dem Geschrei der Schmäher und Lästerer dennoch erhört und sie alle gnädiglich errettet hast: erhöre auch meine Stimme in der letzten Stunde unter dem Wehklagen der Freunde und unter dem Weinen der Umstehenden. Reiße mich von mir, zeuch mich zu Dir, dass ich Dich preise für und für! Amen.

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