Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - I. Sehnliche Bitte um Vergebung der Sünden.

Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - I. Sehnliche Bitte um Vergebung der Sünden.

Wohin sollen der Gläubigen Wünsche gerichtet sein, als in den Himmel? Wohin die Seufzer, als zu Gott? In den Himmel, als in das Haus. Zu Gott, als zu dem Herrn.

Herr Jesu Christe, Du holdseliger Mittler der ganzen Welt und doch strenger Richter alles Fleisches, Dir sage ich im Anfange dieses meines Vorhabens von Grund des Herzens Lob und Dank, dass Du mich, der ich durch den Fall unserer ersten Eltern verloren war, erlöst und, obwohl unwürdig und der Geringste unter meinen Brüdern, doch zu einem Lehrer Deiner Schule und Prediger Deines auserwählten Volkes berufen hast. Ja, Herr Jesu, Dir sage ich für diese große Wohltat Preis und Dank. Dein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. Meine Seele soll Dich rühmen um alle Deine Güte und Treue, die Du mir von Jugend auf erzeigt hast.

Aber ich erinnere mich der Worte, die Du im 50. Psalm gesprochen: „Was verkündigst du meine Rechte und nimmst meinen Bund in deinen Mund, da du doch Zucht hasst und wirfst meine Worte hinter dich?“ Diese sind ein Pfeil in meinem Herzen, ein Donner in meinen Ohren, ein Wurm in meinem Gewissen. So oft ich daran gedenke, erzittern meine Gebeine, mein Angesicht erbleicht und alle meine Kräfte schwinden. Denn sollte ich mich nicht fürchten vor Deinem Zorn, vor welchem Himmel und Erde fliehen, die Felsen zerreißen, die Berge erbeben, die Wasser erstarren, Sonne und Mond vor Schrecken still stehen? „Deine Stimme gehet mit Macht. Deine Stimme gehet herrlich. Deine Stimme zerbricht die Zedern. Du, Herr, zerbrichst die Zedern im Libanon. Deine Stimme häuet wie Feuerflammen. Sie erreget die Wüsten, sie erreget die Wüsten Kades“ (Ps. 29.).- Wo soll ich doch hingehen vor Deinem Geist? Ach wo soll ich hinfliehen vor Deinem Angesichte? Wenn ich mich gleich flüchten wollte auf die Gipfel der Berge, würdest Du doch mich daselbst suchen und herabholen. Wenn ich mich vor Deinen Augen verbergen wollte in dem Grund des Meeres, würdest Du doch den Schlangen daselbst befehlen, dass sie mich stechen müssten. Ja wenn ich gleich in die Höhe führe, wie ein Adler, und machte mein Nest zwischen den Sternen, dennoch würdest Du mich daselbst finden und herabstürzen. Drum ist mir nicht anders zu Sinnen, als ob Deine Stimme insonderheit mich anrede: Du Gottloser, was verkündigst du meine Rechte und nimmst meinen Bund in deinen Mund, da du doch in deiner Jugend Zucht gehasst und meine Worte hinter dich geworfen hast?„ - Ich muss leider bekennen, und wenn ichs verschweigen wollte, möchten mir meine Gebeine verschmachten und mein Saft vertrocknen, wie es im Sommer dürr wird. Darum will ich Dir in dieser Stunde bekennen meine Sünde und meine Missetat nicht verhehlen.

Herr Jesu, Deine Hand hat mich bereitet. Du hast mich herrlicher geschmückt, denn alle Kreaturen. Das Edelste, was eine jegliche hat, hast Du mir gegeben. Von den Himmeln gabst Du mir den Glanz, von den Edelsteinen die Dauer, von den Pflanzen das Wachsen, von den Tieren die Sinne, von den Engeln den Verstand. Aber ach! ich habe alle diese Gaben nicht recht angewendet; ich habe sie zur Sünde gebraucht. Darum musstest Du, Herr Jesu, um meinetwillen die Augen von den Himmeln, Deiner Hände Werk, abwenden und in dem Garten des Ölberges die Erde mit traurigen Tränen befeuchten, auch einen so blutigen Schweiß schwitzen, dass ihn Maria Magdalena mit ihren Zähren nicht hat abwaschen, noch viel weniger mit ihrem Haar hat abwischen können. Um meinetwillen musstest Du, der Du warest ein Fürst der Engel, ein Haupt aller Kreaturen, ein König über Himmel und Erde, mit Nägeln durchbohret, mit Geißeln zerhauen, mit Dornen gekrönt, mit Stricken gebunden und endlich mit Lanzen durchstochen werden. Denn ich habe Dir Arbeit gemacht in meinen Sünden und Mühe mit meiner Missetat.

Wenn ich bedenke, dass ich also Dein heiliges Leiden verachtet, so möchte ich aus Schwachheit fast wünschen: Ach dass ich in der Wiege wäre weggenommen aus der Mitte der Sünder, dass die Bosheit meinen Verstand nicht verkehret, noch falsche Lehre meine Seele betrogen hätte. Aber ich will mit David in Dein Heiligtum eingehen und Deine Gerichte erkennen in Demut. Ich will nicht urteilen, bis Du, Herr, zu dem großen Tag aufbrechen wirst. Fern sei es von mir, dass ich in meiner Bosheit widersprechen sollte Deiner Gütigkeit, in meiner Schwachheit Deiner Allmacht, in meiner Ungerechtigkeit Deiner ewigen Barmherzigkeit. O Herr Jesu! ich bin Dein teurer Sohn und Dein trautes Kind. Gedenke doch daran, was Du mir geredet hast durch den Mund des Propheten Jesaias: Wenn meine Sünden gleich blutrot wären, sollten sie doch schneeweiß werden; und wenn sie wie Rosinfarbe wären, sollten sie doch wie Wolle werden“ (Jes. 1,18.). Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu Dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach Dir, dem lebendigen Gott (Ps. 42.). Wie zu den Zeiten des Wundermanns Elias, als es drei Jahre und sechs Monate lang in ganz Israel nicht geregnet hatte, die verdorrten Bäume gelechzt, die zerrissene Erde geschmachtet, die unvernünftigen Tiere geschrien und die Menschen geseufzt haben; so seufze und schmachte ich nach Dir, o Gott. Deine Barmherzigkeit ist wie der große Fluss des Paradieses, in Deinem Herzen mit der unwandelbaren Wahrheit umschlossen und mit der strengen Gerechtigkeit umwallt. Aber, o Vater des Trostes, lass jetzt sich erregen die Fluten der Liebe und sich erheben die Wellen der Barmherzigkeit; lass erbeben die Grundfeste der Gnade und zerspringen den Wall der strengen Gerechtigkeit. Ja, ja, Herr Jesu, Dein Herz bricht Dir gegen mich, dass Du Dich mein erbarmen musst. Nun fahren daher die Fluten der Liebe. Nun laufen die Wellen der Barmherzigkeit. Nun ergießen sich die Ströme der Gnade. Sie überschwemmen meinen Leib und Seele. Sie erfüllen all meinen Sinn und Gemüt. Wo ich unrein bin, säubern sie mich; wo ich gebrechlich bin, heilen sie mich; wo ich vertrocknet bin, befeuchten sie mich; wo ich betrübt bin, erfreuen sie mich; und obwohl ganz verloren, rechtfertigen sie mich. Selig bin ich, dass nur ein Tröpflein der Barmherzigkeit aus Deinem zerbrochenen Herzen mir zugeflossen. Dir aber, o Herr Jesu, sei für so große Wohltat, für die Freude in meinem Gemüte, für den Frieden in meinem Gewissen, für Deine Huld, die Du mir durch Deinen heiligen Geist bezeugest und versicherst, Lob und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen.

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