Luther, Martin - Ein klein Unterricht, was man in den Evangeliis suchen und gewarten soll

Luther, Martin - Ein klein Unterricht, was man in den Evangeliis suchen und gewarten soll

Es ist eine starke Gewohnheit, daß man die Evangelien zählet und nennet nach den Büchern und spricht, es sind vier Evangelien. Daher ists gekommen, daß man nicht weiß, was S.Paulus und Petrus in ihren Episteln sagen, und wird ihre Lehre gleichgeachtet als Zusätze zur Lehre der Evangelien, wie auch ein Prologus Hieronymi sich hören lässet. Danach ist noch eine ärgere Gewohnheit, daß man die Evangelien und Episteln achtet gleich wie die Gesetzbücher, darinnen man lernen soll, was wir tun sollen, und die Werk Christi nicht anders denn als Exempel uns vorgebildet werden. Wo nun diese zwei irrigen Meinungen im Herzen bleiben, da mag weder Evangelium noch Epistel nützlich und christlich gelesen werden, bleiben eitel Heiden wie vorhin.

Darum soll man wissen, daß nur ein Evangelium ist, aberdurch viele Apostel beschrieben. Eine jegliche Epistel Pauli und Petri, dazu die Apostelgeschichte des Lukas ist ein Evangelium, ob sie wohl nicht alle Werk und Wort Christi erzählen, sondern eins kürzer und weniger denn das andere begreift. Ist doch auch der großen vier Evangelien keines, daß alle Werk und Wort Christi begreift, ist auch nicht not.

Evangelium ist und soll nichts anderes sein denn eine Rede oder Historia von Christo, gleichwie unter den Menschen geschieht, daß man ein Buch schreibt von einem Könige oder Fürsten, was er getan und geredet und erlitten hat in seinen Tagen, welchs man auf mancherlei Weis mag beschreiben, einer in die Länge, der andere in die Kürze. Also soll und ist das Evangelium nichts anderes denn eine Chronika, Historika, Legenda von Christo, wer der sei, was er getan, geredet und erlitten habe, welchs einer kurz, der andere lang, eines sonst, der andere so beschrieben hat.

Denn aufs kürzlichst ist das Evangelium eine Rede von Christo, daß er Gottes Sohn sei und für uns Mensch geworden, gestorben und auferstanden, ein Herr, über alle Ding gesetzt. Soviel nimmt S.Paulus sich vor in seinen Episteln und streicht das aus, läßt anstehen alle die Wunder und den Wandel, die in den vier Evangelien geschrieben sind, und begreift doch gnugsam und reichlich das ganze volle Evangelium, wie das im Gruß an die Römer klärlich und fein zu sehen ist, da er sagt, was das Evangelium sei, und spricht: „Paulus, ein Knecht Jesu Christi, berufener Apostel und verordnet zum Evangelium Gottes, welchs er zuvor hat versprochen durch seine Propheten in der heiligen Schrift von seinem Sohn, der ihm geboren ist aus dem Samen Davids, nach dem Fleisch, der da verkläret ist ein Sohn Gottes in der Kraft nach dem Geist der Heiligung aus der Auferstehung von den Toten, der da ist Jesus Christus, unser Herr“ etc.

Da siehest du, daß das Evangelium eine Historia ist von Christo, Gottes und Davids Sohn, gestorben und auferstanden und zum Herrn gesetzt, welchs ist summa summarum das Evangelium. Wie nun nicht mehr denn ein Christus ist, so ist und mag nicht mehr denn ein Evangelium sein. Weil auch Paulus und Petrus nichts andres denn Christum lehren auf vorgesagte Weise, so mögen ihre Episteln nichts andres denn das Evangelium sein. Ja, auch die Propheten, dieweil sie das Evangelium verkündigt und von Christo gesagt haben, wie hie S.Paulus meldet und jedermann wohl weiß, so ist ihre Lehre an demselben Ort, da sie von Christo reden, nichts andres denn das wahre, lautere, rechte Evangelium, als hätts Lukas oder Matthäus beschrieben. Als da Jesaja sagt 53,4ff., wie er für uns sterben und Sünd tragen sollt, hat er das lautere Evangelium geschrieben. Und ich sage fürwahr, so nicht jemand diesen Wahn vom Evangelium fasset, der wird nimmer mögen in der Schrift erleuchtet werden nicht den rechten Grund überkommen.

Zum andern, daß du nicht aus Christo einen Mose machest, als tue er nicht mehr denn lehren und gebe Exempel, wie die andern Heiligen tun, als sei das Evangelium ein Lehr- oder Gesetzbuch. Darum sollst du Christum, sein Wort, Werk und Leiden in zweierlei Weise fassen. Einmal als ein Exempel, die vorgetragen, dem du folgen sollst und auch also tun, wie S.Petrus sagt 1.Petr.4,1: „Christus hat für uns gelitten, darin uns ein Exempel gelassen.“ Also wie du siehest, daß er betet, fastet, den Leuten hilft und Liebe erzeiget, so sollst du auch tun dir und deinem Nächsten. Aber das ist das Geringste vom Evangelium, davon es auch noch nicht Evangelium heißen mag; denn damit ist Christus dir nichts mehr nutz denn ein andrer Heiliger. Sein Leben bleibt bei ihm und hilft dir noch nichts, und kürzlich: diese Weise macht keinen Christen, es macht nur Gleißner, es muß noch gar viel höher mit dir kommen. Wiewohl jetzt lange Zeit dies die allerbeste Weise, wenn auch selten, gewesen ist zu predigen. Das Hauptstück und der Grund des Evangeliums ist, daß du Christum zuvor, ehe du ihn zum Exempel fassest, aufnehmest und erkennest als eine Gabe und Geschenk, das dir von Gott gegeben und dein eigen sei, als daß, wenn du ihm zusiehest oder hörest, daß er etwas tut oder leidet, daß du nicht zweifelst, er selbst, Christus, mit solchem Tun und Leiden sei dein. Darauf du dich nicht weniger mögest verlassen, denn als hättest du es getan, ja als wärest du der derselbige Christus. Siehe, das heißt das Evangelium recht erkennet, das ist die überschwengliche Güte Gottes, die kein Prophet, kein Apostel, kein Engel hat je können ausreden, kein Herz je gnugsam bewundern und begreifen, das ist das große Feuer der Liebe Gottes zu uns; davon wird das Herz und Gewissen froh und zufrieden, das heißt den christlichen Glauben gepredigt. Davon heißt solch Predigt Evangelium, das lautet auf deutsch soviel als eine fröhliche, gute, tröstliche Botschaft, von welcher Botschaft die Apostel genennet werden die Zwölfboten. Davon sagt Jesaja 9,6: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Ist er uns gegeben, so muß er unser sein; so müssen wir uns auch sein annehemen als des unseren.

Und Römer 8,32: „Wie hat er uns nicht alle Ding sollen geben mit seinem Sohn ?“ Siehe, wenn du also Christum fassest als eine Gabe, dir zu eigen gegeben, und zweifelst nicht dran, so bist du ein Christ, der Glaube erlöst dich von Sünden, Tod und Hölle, macht, daß du alle Ding überwindest. Ach, davon kann niemand gnug reden. Das ist die Klage, daß solch Predigt in der Welt verschwiegen ist und doch alle Tage das Evangelium gerühmet ist. Wenn du nun Christum also hast zum Grund und Hauptgut deiner Seligkeit, dann folget das andre Stück, daß du ihn auch zum Exempel fassest, ergibst dich auch also, deinem Nächsten zu dienen, wie du siehest, daß er sich dir ergeben hat. Siehe, da gehet denn Glaub und Lieb im Schwang, ist Gottes Gebot erfüllet, der Mensch fröhlich und unerschrocken, zu tun und zu leiden alle Ding. Darum siehe eben drauf, Christum als eine Gabe nähret deinen Glauben und macht dich zum Christen. Aber Christus als ein Exempel nähret deine Werk; die machen dich nicht zum Christen, sondern sie gehen von dir, so du zuvor zum Christen gemacht bist. So sehr nun Gabe und Exempel sich unterscheiden, so sehr sind auch Glaube und Werk voneinander entfernt. Der Glaub hat nichts eigen, sondern Christi Werk und Leben. Die Werk haben etwas eigen von dir, aner auch nicht dein Eigen, sondern des Nächsten sein. Darum siehest du, Evangelium ist eigentlich nicht ein Buch der Gesetze und Gebote, das von uns fordere unser Tun, sondern ein Buch der göttlichen Verheißungen, darin er uns verheißet, anbeut und gibt alle seine Güter und Wohltaten in Christo. Daß aber Christus und die Apostel viele gute Lehre geben und das Gesetz auslegen, ist zu rechnen unter die Wohltat wie ein ander Werk Christi, denn rechte Lehre ist nicht die geringste Wohltat. Darum sehen wir auch, daß er nicht greulich dringt und treibt, wie Mose tut in seinem Buch und des Gebots Art ist, sondern lieblich und freundlich lehret, sagt nur, was zu tun und lassen sei, was den Übeltätern und Wohltätern begegnen werde, treibt und zwingt niemand, ja, auch so sanfte lehret, daß er mehr reizet denn gebeut, hebet an und sagt: „Selig sind die Armen, selig sind die Sanftmütigen“ etc.

Und die Apostel brauchen auch gemeiniglich das Wort: Ich ermahne, ich bitte, ich flehe etc. Aber Mose, der spricht: Ich gebiete, ich verbiete, dräuet und schreckt daneben mit greulicher Strafe und Pein. Aus diesem Unterrichten kannst du nützlich die Evangelien lesen und hören.

Wenn du nun das Evangelienbuch auftust, liesest oder hörest, wie Christus hie oder dahin kommet oder jemand zu ihm gebracht wird, sollst du dadurch vernehmen die Predigt oder das Evangelium, durch welchs er zu dir kommet oder du zu ihm gebracht werdest. Denn Evangelium predigen ist nichts anders, denn daß Christus zu uns komme oder uns zu sich bringe. Wenn du aber siehest, wie er wirkt und hilft jedermann, zu dem er kommet und die zu ihm gebracht werden, sollst du wissen, daß solchs der Glaube in dir wirke und er deiner Seelen eben dieselbige Hilf und Güte anbeut durchs Evangelium. Hältst du hie still und lässest dir gut tun, das ist, so du es glaubest, daß er dir wohltue und helfe, so hast du es gewiß; so ist Christus dein und dir zur Gabe geschenkt. Danach ists not, daß du ein Exempel draus machest und deinem Nächsten auch also helfest und tust, seiest auch ihm zur Gabe und Exempel gegeben, davon sagt Jesaja 40,1ff: „Seid getrost, seid getrost, mein liebes Volk, spricht euer Herr Gott. Sagt in das Herz Jerusalem und ruft ihr, ihr ist vergeben ihre Sünd. Ein Ende hat ihre Missetat, sie hat zwiefach gut empfangen von der Hand Gottes für alle ihre Sünde etc“ Diese zwiefachen Güter sind die zwei Stück in Christo: Gabe und Exempel, welche auch sind bedeutet durch die zwei Stück des Erbteils, die das Gesetz Mose zueignet dem ersten Sohn, und durch viel andere Figuren.

Wiewohl es Sünd und Schand ist, daß es mit uns Christen dahin gekommen ist und wir so unfleißig im Evangelium gewesen sind, daß wirs nicht allein nicht verstehen, sondern auch zuallererst bedürfen, daß man uns mit anderen Büchern und Auslegungen zeige, was drinnen zu suchen und zu gewarten sei. Sintemal die Evangelien und Episteln der Apostel darum geschrieben sind, daß sie selbst solche Zeiger sein wollen und uns weisen in die Schrift der Propheten und Mose des Alten Testamentes, daß wir allda selbst lesen und sehen sollen, wie Christus in die Windeltücher gewickelt und in die Krippen gelegt sei, das ist, wie er in der Schrift der Propheten verfasset sei. Da sollt unser Studieren und Lesen sich üben und sehen, was Christus sei, wozu er gegeben sei, wie er versprochen sei, und wie sich alle Schrift auf ihn ziehe, wie er selbst sagt Joh.5,46: „Wenn ihr Mose glaubet, so glaubet ihr auch mir, denn von mir hat er geschrieben.“ Item: „Forschet und suchet in der Schrift, denn dieselbige ists, die von mir Zeugnis gibt.“ Das meinet Sankt Paulus Römer 1,2, da er vornan im Gruß spricht, das Evangelium sei von Gott versprochen durch die Propheten in der heiligen Schrift. Daher geschiehts, daß die Evangelisten und Apostel immerdar uns in die Schrift weisen und sprechen: „Also ists geschrieben.“ Item: „Das ist geschehen, daß die Schrift der Propheten erfüllet würde“ etc. Und Apg.17,11, da die Thessalonicher das Evangelium mit aller Lust hörten, spricht Lukas, daß sie haben in der Schrift studiert und geforschet Tag und Nacht, obs also wahr wäre. Also da S.Paulus seine Epistel schreibt, mitten im Anfang spricht er: „Nach diesem euren Heil haben die Proheten geforschet, die da von dieser Gnad in euch geweissagt haben und ersucht, auf welche oder welcherlei Zeit ihn zeigete der Geist Christi, der in ihnen war, und verkündigte durch sie die Leiden, so da sind in Christo, und die nachfolgende Klarheit, welchen es auch ist offenbart; denn nicht ihnen selbst, sondern uns haben sie solche Dinge dargetan, welche jetzt sind gepredigt unter euch durch den heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist, welche Dinge auch die Engel begehren zu schauen.“ (1.Petr.1,10-12). Was will hiermit S.Petrus, denn uns in die Schrift führen ? Als wollt er sagen : Wir predigen und öffnen euch die Schrift durch den heiligen Geist, daß ihr selbst mögt lesen und sehen, was drinnen ist und von welcher Zeit die Propheten geschrieben haben, wie er auch sagt Apg.3,24: „Von diesen Tagen haben alle Propheten geredet, von Samuel an, die da je geweissagt haben.“ Darum spricht Lukas 24,45, daß Christus habe den Aposteln den Verstand aufgetan, daß sie die Schrift verstünden. Und Christus Joh.10,2f. sagt: Er sei die Tür, durch ihn muß man eingehn, und wer durch ihn eingeht, dem tut auf der Türwärter(der heilig Geist), daß er finde Weide und Seligkeit. Also daß endlich wahr ist, wie das Evangelium selbst Zeiger und Unterrichter ist in die Schrift, gleichwie ich mit dieser Vorrede gerne das Evangelium zeigen und Unterricht geben wollt.

Aber siehe zu, wie fein, zart, fromme Kinder wir sind ! Auf daß wir nicht bedürften in der Schrift zu studieren und Christum allda zu lernen, halten wir das ganze Alte Testament für nichts, als sei es nun aus und gelte nichts mehr, so es doch allein den Namen hat, daß es heilige Schrift heißt, und Evangelium nicht eigentlich Schrift, sondern mündlich Wort sein sollt, das die Schrift hervortrage, wie Christus und die Apostel getan haben.

Darum auch Christus selbst nichts geschrieben, sondern nur geredet hat und seine Lehre nicht Schrift, sondern Evangelium, das ist eine gute Botschaft oder Verkündigung, genennet hat, das nicht mit der Feder, sondern mit dem Mund soll getrieben werden. also fahren wir zu und machen aus dem Evangelium ein Gesetzbuch, eine Gebotlehre, aus Christo einen Mose, aus dem Helfer nur einen Lehrer. Was sollt nicht Gott verhängen über solch dumm, verkehret Volk ?

Es ist billig, daß er uns in des Papsts Lehre und der Menschen Lügen hat fahren lassen, da wir seine Schrift ließen fahren und anstatt heiliger Schrift eines lügenhaftigen Narren und bösen Schalks Dekretales lernen mußten. O wollt Gott, daß diese meine Arbeit nur aufs schierest kein Nutz noch Not würde, so wäre gewiß Hoffnung, daß auch die heilige Schrift wieder hervorkäme in ihre Würdigkeit. Das sei gnug zur Vorrede und Unterricht aufs kürzest gesagt; in der Auslegung wollen wir mehr davon sagen. Amen.

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