Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Sechste Betrachtung.

Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Sechste Betrachtung.

Vom Selbstbetrug im Hören und von der Seligkeit im Tun des Wortes der Wahrheit.

Über Jak. 1,22-25.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Jak. 1,22-25:
Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; damit ihr euch selbst betrügt! Denn so Jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Täter, der ist gleich einem Manne, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschaut. Denn nachdem er sich beschaut hat, geht er von Stund an davon, und vergisst, wie er gestaltet war. Wer aber durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharrt, und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, derselbige wird selig sein in seiner Tat.

„Nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in euch gepflanzt ist, welches kann eure Seelen selig machen!“ Das war die Mahnung, welche Jakobus im 21. Verse an die Leser seines Briefes richtete. Damit aber diese keinen Zweifel darüber haben können, wie es gemeint sei mit diesem Annehmen mit Sanftmut Annehmen des Wortes, ohne welches sic die beseligende Kraft desselben nicht an sich erfahren können, fügt er die warnenden Worte hinzu: „Seid aber Täter des Worts, und nicht Hörer allein!“ Denn wer nur ein Hörer des Wortes ist, nicht aber ein Täter desselben, der betrügt sich selbst, wenn er meint, dass dasselbe seine Seele selig mache, und nur der Täter des Wortes wird selig sein in seiner Tat.

Vom Selbstbetrug im Hören und von der Seligkeit im Tun des Wortes der Wahrheit redet demnach heute Jakobus, und wir müssen darauf Acht haben,

  1. von welchem Hören des Wortes er rede, und wiefern ein solcher Hörer sich selbst betrüge; sodann aber,
  2. was für ein Tun des Wortes er meine, und wiefern ein solcher Täter desselben selig sei in seiner Tat.

Gott der Gnade aber segne diese Betrachtung, und öffne unsere Herzen dem Worte der Wahrheit,

„Dass wir nicht Hörer nur allein,
Nein, auch desselben Täter sein,
Frucht hundertfältig bringen!“ Amen.

1.

„Seid aber Täter des Worts, und nicht Hörer allein“, schreibt Jakobus. Also Hörer wohl, aber nicht allein Hörer! Das ist seine Meinung nicht, dass man, auch ohne das Wort Gottes und die Predigt desselben zu hören, Gottes Wort und Willen tun könne. Wir können den Spiegel des Wortes der Wahrheit nicht entbehren, um uns selbst und die wahre Gestalt unseres Herzens und Lebens recht zu erkennen, und uns auf den Weg des Heils und der Seligkeit weisen zu lassen. Wir haben freilich auch sonst Gelegenheit genug in unserem Leben, uns selbst kennen zu lernen; aber wir gehen derselben gern aus dem Wege, weil wir die Wahrheit nicht hören mögen; wir suchen die Gesellschaft Solcher auf, die unserer Eitelkeit und Eigenliebe schmeicheln, und durch schmeichlerische Rede uns die Wahrheit verhüllen. Das tut Gottes Wort eben nicht. Es zeigt uns mit erschreckender Aufrichtigkeit unsere wahre Gestalt, als ob es die geheimsten Gedanken unserer Seele und die verborgensten Gelüste uns abgelauscht hätte. Darum gehen so Viele dem Worte Gottes aus dem Wege. Wie viele Abneigung gegen Bibel und Kirchgang, gegen die Gesellschaft aufrichtiger, ernstgesinnter Christen, in deren Leben das Wort der Wahrheit Kraft und Gestalt gewonnen hat, kommt nur daher, dass man die Wahrheit nicht hören, es sich nicht gestehen mag: „Ja wohl, so bin ich, so arm und elend, jämmerlich, blind und bloß, so fern von der Erfüllung der hohen, heiligen Forderungen dieses Wortes der Wahrheit im Gesetze Gottes, und wie viel ferner noch von dem hohen heiligen Bilde des Erlösers, von seiner hehren Licht- und Liebesgestalt, wie sie dies Wort der Wahrheit mir im Evangelium vor die Augen stellt!“ Solche Alle warnt dieser Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi, dass sie doch dem Worte der Wahrheit nicht länger aus dem Wege gehen, sondern Hörer desselben, aber freilich auch rechte Hörer desselben werden!

Denn es gibt Hörer des Wortes, welche sonntäglich in das Haus des Herrn kommen, es zu hören, und es doch noch niemals recht gehört haben, und sich nie haben sagen lassen, was es ihnen zu sagen hat. Oder wie anders wollten wir uns die betrübende Wahrnehmung erklären, dass sich auch unter unseren regelmäßigen Kirchgängern nicht wenige finden, denen es an der rechten christlichen Erkenntnis und Heilserfahrung mangelt, und in deren Herzen und Häusern das Christentum keine rechte Lebensgestalt gewinnt? Es gibt einen gewohnheitsmäßigen Kirchenbesuch, bei welchem der Mensch einem Manne gleicht, der zwar in den Spiegel blickt, aber so gedankenlos, dass er kaum recht weiß, was er gesehen hat, und kaum merkt, dass es sein eigenes Bild ist, das ihm im Spiegel entgegentritt. Ein solcher Hörer des Wortes fragt gar nicht danach, und will es auch gar nicht wissen, was ihm das Wort Gottes zu sagen hat. Er geht darum auch solchen Predigten aus dem Wege, welche ans Herz greifen und ins Gewissen reden, und zieht solche vor, welche den Verstand und die Einbildungskraft beschäftigen, oder denen man zuhören kann, ohne aus der Gemütsruhe und der behaglichen. Sicherheit aufgeschreckt zu werden. Man lässt sich die rechtgläubigste Predigt gefallen, nur keine, die auf den rechten Glauben dringt, und darum Buße fordert, und von der man mit dem unbehaglichen Gefühle heimkehrt, dass im Herzen und im Hause noch etwas fehle, und dass es nicht länger so bleiben dürfe, wie es bisher gewesen ist.

Es gibt freilich auch Hörer des Wortes Gottes, die sich das gern gefallen lassen, ja denen es ordentlich ein Bedürfnis ist, sich ernstlich anfassen und aus ihrer Sicherheit aufrütteln zu lassen. Sie lieben es, wenn die Eitelkeit der Welt, die Torheit und die Verderbtheit des sündigen Menschenherzens ihnen mit den düstersten Farben vor die Augen gestellt werden. Tief bewegt, bis auf den innersten Grund ihres Herzens erschüttert, verlassen sie die Kirche. Wie ist doch in der Welt Alles eitel, so ganz eitel, und kein Heil, kein Friede, keine Hoffnung des Lebens, als in ihm, dem einigen Heilande der Sünder! Nun endlich soll es darum auch ganzer Ernst werden mit ihrem Christentum, mit ihrer Bekehrung, ihrem Glauben! Nun endlich soll es Alles anders werden in ihrem ganzen Leben, in ihrem Hause. Aber bald, vielleicht schon auf dem Heimwege, erblassen die ernsten Bilder wieder, welche das Wort der Wahrheit ihnen vor die Augen gestellt hatte, die erschütternden Eindrücke, die gefassten Entschließungen und guten Vorsätze werden wieder vergessen, oder man ist wenigstens bemüht, sie wieder zu vergessen. Ist man nicht allzu strenge gewesen in der Selbstanklage, dem Urteil über sich selbst und die eigenen Schwächen? Hat der Prediger nicht allzusehr schwarz in schwarz gemalt? Man erschrickt vor dem Ernst der Selbstverleugnung, vor der Größe der Opfer, welche man zu bringen gelobt hatte, und die auch gebracht werden müssen, wenn es wirklich Alles anders, ganz anders werden soll, daheim, im Hause, im Herzen, im ganzen Leben. Man fängt an, mit dem Worte Gottes zu markten, von seinen heiligen Forderungen etwas abzudingen. Man sucht andere Gesellschaften auf, um sich zu zerstreuen, sich die düsteren Gedanken aus dem Sinne zu schlagen, die erschütternden Eindrücke des Wortes der Wahrheit wieder zu vergessen, und die Seele wieder mit heiteren Gedanken und Bildern zu beschäftigen. „So ist man dem Manne gleich, welcher sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut, und nachdem er sich beschaut hat, von Stund an davongeht, und vergisst, wie er gestaltet war“.

Solche Hörer betrügen sich selbst, wenn sie sich für frömmer halten, als Andere, welche das Wort nicht gehört haben, da sie es doch weder mit dem rechten Ohre, noch zu rechter Frucht gehört haben. Und welch ein seelengefährlicher Selbstbetrug ist es, in welchem sie sich befinden! Je öfter sie das Wort gehört, und doch nicht recht gehört haben, um so unempfänglicher wird ihr Herz für die Wahrheit, welche es ihnen verkündigt. Der arme blinde Heide, welcher nie zuvor in den Spiegel des Wortes Gottes blickte, empfängt einen tieferen Eindruck von demselben, als sie. Oder die Seele kann sich den Eindrücken des Wortes Gottes nicht wieder entziehen, und sie versucht es doch immer wieder, und sträubt sich immer wieder dagegen, Ernst zu machen mit den Forderungen der Buße, des Glaubens, der gründlichen Erneuerung und Heiligung des Herzens und Lebens; da betrügt man sich selbst, indem man sich den wahren Zustand des Inneren verbirgt; man wälzt die Schuld davon, dass es nicht Friede werden will im Herzen, auf das Wort Gottes, auf die Predigt desselben, und verbittert sich gegen die Wahrheit. So werden aus halben und halbherzigen Freunden ganze und entschiedene Feinde derselben. Ach, was will werden, wenn am Tage der Rechenschaft und der gerechten Vergeltung nun die Decke von euren Augen genommen wird, und wie wollt ihr bestehen, wenn ihr das seligmachende Wort so oft gehört, und doch nicht zu eurer Seligkeit, sondern euch zum Gerichte gehört habt? Darum bitten wir in unserem Kirchengebete sonntäglich nach der Predigt des Wortes Gottes: Dass nicht das Wort, welches uns gesagt ist, dass wir sollen selig werden, uns am jüngsten Tage richten möge“; und darum mahnt dieser Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi in unserem Texte: „Seid aber Täter des Wortes, und nicht Hörer allein; damit ihr euch selbst betrügt!“

2.

„Täter des Wortes!“ was heißt das? Will Jakobus uns verführen, unsere Seligkeit nicht im Glauben an die Gnade Gottes in Christo, sondern in dem Verdienst unserer eigenen Werke zu suchen? Das sei ferne! Ist es doch überall nicht eine äußere Tat, welche er fordert, sondern die innere Tat des Herzens und des Willens. „Wer durchschaut“, sagt er, „in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharrt, und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, derselbige wird selig sein in seiner Tat!“

Da hörst du, worauf es ankommt nach dem Worte des Jakobus. Durchschauen sollen wir in das Gesetz der Freiheit, nicht nur flüchtig in den Spiegel des Wortes der Wahrheit blicken, sondern in die lebendige Erkenntnis desselben eindringen. Darinnen beharren sollen wir, nicht so bald wieder davongehen, und vergessen, was wir gesehen haben, sondern die Eindrücke festhalten, damit sie Kraft und Leben in uns gewinnen. Nicht vergessliche Hörer, sondern Täter des Wortes, die mit ganzem Ernste danach ringen, seine Gotteskraft in allen Verhältnissen ihres Lebens zu betätigen. Das Gesetz, wie Jakobus das Wort der Wahrheit nennt, weil es für den Christen, wie das Wort des alten Bundes für Israel, die Regel und Richtschnur seines Lebens zu sein bestimmt ist. Aber ein vollkommenes Gesetz, weil es nicht, wie das unvollkommene Gesetz des alten Bundes nur mit dem: „Du sollst!“ vor uns hintritt, sondern in uns Geist und Leben werden will, also dass dem: „Du sollst!“ unseres Gottes ein frisches, freudiges: „Ich will!“ „ich kann!“ des dankbaren Menschenherzens begegnet. Und eben darum das vollkommene Gesetz der Freiheit, weil es dem Menschen nicht nur als ein Gebot gegenübertritt, sondern ihm auch den Willen und die Kraft gibt, demselben zu gehorchen, und uns nicht bloß vom Fluche, sondern auch von der Herrschaft des Bösen frei macht zu seligen Kindern Gottes, denen es Friede und Freude ist, in kindlichem Gehorsam und in dankbarer Liebe seinen Willen zu tun.

Ein solcher Täter des Worts ist selig in seiner Tat. Zwar anfangs nicht, wenn wir dem Worte der Wahrheit das Herz auftun, und uns von ihm strafen, und zur Traurigkeit über unsere Sünden betrüben lassen. Wie könnte das Seligkeit sein, sich so im herben Schmerz der Buße zu demütigen vor Gott! Auch Paulus sagt darum nicht, dass die göttliche Traurigkeit, zu welcher wir uns betrüben lassen über unsere Sünden, Seligkeit sei, „aber sie wirkt, sagt er, zur Seligkeit eine Reue, die Niemand gereut“. (2 Kor. 7,10.) Wenn ich es nun im Glauben mir aneignen darf, was in dem Wort der Wahrheit auch für mich zum Heil und zum Frieden meiner Seele gesagt ist, und es nun weiß, dass auch für mich der eingeborene Sohn vom Vater in die Welt gekommen, und gehorsam geworden ist bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz; und auch ich in ihm berufen zu einem seligen Kinde Gottes, das an seinem Vaterherzen ruhen, und sich ihm vertrauen, und ihn bitten darf: „Abba, lieber Vater!“ getrost und mit aller Zuversicht, wie die lieben Kinder ihren lieben Vater bitten; da erfahre ich die seligmachende Kraft des Wortes der Wahrheit. Ja, selig im Glauben, und immer seliger nun, je mehr sich die Gotteskraft des Wortes Gottes in meinem ganzen Leben, in jeder Tat der Selbstverleugnung und Selbstüberwindung, der Heiligung, der brüderlichen Liebe bewährt! Ich bin, wie fern auch noch von dem Ziele christlicher Vollkommenheit, von dem hohen, heiligen Bilde meines Erlösers, nun doch nicht mehr so oft, wie einst, mir selbst und dem Besten, was ich will und erstrebe, durch meine Schuld und Schwachheit im Wege, nicht so ohnmächtig mehr im Kampfe wider verjährte Gelüste und böse Neigungen meines Herzens. Mein Glaube gewinnt an freudiger Zuversicht, mein ganzes Leben an Halt und Weihe; ich lerne, stille zu sein vor Gott, und ihm stille zu halten, wenn seine Hand mich schlägt, und schmecke in aller Angst und Unruhe der Welt den Frieden Gottes, welchen die Welt nicht gibt, und den Vorschmack himmlischer Seligkeit. Mein Herz geht auf in Liebe gegen die Brüder; ich darf es in jeder Gabe, in jedem Werk, in jedem Dienst der Liebe erfahren, dass Geben seliger ist, denn Nehmen. Und das Alles nicht in äußerem Dienst und Gehorsam unter Gottes Willen, sondern in dem lauteren Drange dankbarer Liebe, die von keinem Glücke weiß, als Gott zu dienen, und von keinem Maße für die Freude des Lebens, als wie weit es mir gelingt, meines Gottes Willen zu tun, und etwas zu werden und zu wirken zu seines Namens Ehre. O, was, wenn es nicht das ist, ist Seligkeit für den Menschen auf Erden, Seligkeit inmitten dieser Welt der Sünde und des Todes, Seligkeit im Glauben, in der Liebe, und darum endlich auch in der Hoffnung, in der seligen Hoffnung des Tages, da wir es erfahren. werden, dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert ist, die an uns soll offenbart werden, wenn nun die letzte Fessel fällt, welche hier noch die herrliche Freiheit, den seligen Frieden der Kinder Gottes hemmte!

Darum in Summa, in dem Herrn Geliebte! Selig nicht durch seine Tat, noch um seiner Tat willen; aber selig in seiner Tat, „wer durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharrt, und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Worts!“ zu solcher Seligkeit eines tätigen Christentums segne der Herr sein Wort aus Gnaden auch an unseren Herzen, auf dass wir es immer reicher und völliger erfahren: „Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren!“ denn, so ihr Solches wisst, selig seid ihr, so ihr es tut!“ (Luk. 11,28. Joh. 13,17.) Amen.

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