Lobstein, Friedrich - Die letzten Worte - XIII. Jakobs Traum.

Lobstein, Friedrich - Die letzten Worte - XIII. Jakobs Traum.

1. Buch Mosis 28, 10-22.
(Weihnachten 1856.)

Wir sehen einen Reisenden, der einem fremden Lande zuwandert. Er hat nur seinen Stab und weiß nicht, was ihn in der Fremde erwarten mag. Doch schreitet er voran; ein unsichtbarer Gefährte begleitet ihn; dieser wird ihn nicht verlassen noch versäumen. Gedanken in Menge mögen seine Seele unterwegs beschäftigt und bewegt haben; da überrascht ihn eines Tages, auf offenem Felde, die Nacht. Er muss Halt machen und, ferne von jedem gastlichen Haus und Herd, bleibt ihm nichts übrig, als sich eine Lagerstätte zu bereiten, und Steine müssen ihm zu Kissen dienen; nun streckt er sich hin und schlummert ein. Da, sagt unser Text „träumte ihm“, und der Traum dieses Reisenden steht in inniger Verbindung mit unserem Weihnachtsfest. Man spricht oft von goldenen, seligen Träumen; wohlan denn! auch unser Reisender hat einen goldenen, seligen Traum. Was aber mehr wert ist, dieser Traum lässt nicht hinter sich beim Erwachen eine umso schmerzlichere Enttäuschung; er ist nicht eine glückliche Vorspiegelung, welche die Wirklichkeit hernach verscheucht; dieser Traum soll sich herrlich erfüllen. Unser Reisender sieht den Himmel offen; eine Leiter, die, von der Erde zum Himmel aufsteigend, plötzlich zwischen den zwei Welten eine Verbindung herstellt. Unter sichtbarer Gestalt erscheint der unsichtbare Gort oben an der Leiter; der schlummernde Reisende sieht seinen Gott und hört unaussprechliche Worte. Er empfängt einen Segen, der wie ein Himmelstau auf diesen Erdensohn herabsinkt und mit Frieden ihn erfüllt. Zu gleicher Zeit verlassen Engel ihre ewigen Wohnungen, und steigen auf und ab, um dieses Adamskind zu schützen. Und der ewige Vater gibt diesem Mann auf diesem erschlossenen Lebenswege die Verheißung: „Siehe, ich bin mit dir, und will dich behüten, wo du hinziehest, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht lassen, bis dass ich tue Alles, was ich dir geredet habe.“

Heute, am Weihnachtsfest, ist dies Gesicht eine heilige Wahrheit. Sehen wir, wie der Traum sich erfüllt hat, und in welchem Sinne wir Alle Teil haben an diesem offenen Himmel, an dieser Gemeinschaft mit den Engeln und mit den Verheißungen des dreimal heiligen Gottes.

Wir sprechen von der „Jakobsleiter“; ihr kennt den Reisenden und wisst, dass hier ein Gemeingut für Alle unter der Reise und dem Traume eines Einzelnen zu verstehen ist.

Wir Alle haben den Pilgerstab in der Hand und wandern nach einem unbekannten Land. „Wir haben hier keine bleibende Stätte.“ Jakob verlässt Vater und Mutter, und hinterlässt einen zürnenden Bruder; so sind wohl Wenige unter uns, welche nicht schon erfahren haben, was Scheiden heißt, und die nicht auch ihre Feinde haben. Wie oft auch fühlt man sich auf dieser Lebensreise allein inmitten seiner Umgebung. Ja, mit einer Menge Bekannten, vielleicht im Schoße der Familie kann man sich einsam fühlen. Ach! das Herz ist allein, wo es unbegriffen, unglücklich ist. Ist nicht die menschliche Gesellschaft, näher betrachtet, eine Gesamtheit von Einsiedlern, so lange der wahre Gefährte, der auch die Wüste belebt, fehlt?

Doch weiter in unserer Jakobsfahrt. Es heißt: „Er kam an einen Ort, wo die Nacht ihn überkam, weil die Sonne untergegangen war.“ Aber wie die Sonne über den Menschen untergeht, so auch geht sie für Alles unter, was vom Menschen stammt. Wir wissen nie, ob die nächste Nacht nicht unsre letzte ist; so auch können wir nie sicher sein, dass unser Wirken, Hoffen, Lieben nicht morgen sein Ende habe. Ein jedes Leben enthält tausend Todeserfahrungen, da eine jede untergehende Sonne ein Lebensteilchen mit sich fortnimmt. Wie Viele aber, wenn sie einschlummern, haben nie daran gedacht, nie sich Gottes erinnert! Zwischen ihrer Seele und Gott liegt eine Scheidung, eine Kluft, die sie nicht kennen, vielleicht nie wahrgenommen haben. Jakob entschlief und träumte. Ach! Tausende von Menschen träumen auch, ohne zu schlafen; sie haben immer geträumt; nie haben sie den Ruf vernommen: „Wach' auf, der du schläfst; stehe auf von den Toten und Christus wird dich erleuchten.“ Das Leben des natürlichen Menschen ist eine Art Nachtwandeln. Da gehen die Träumer mit offenen Augen dahin: sie haben die Wahrheit nie erkannt, noch sich darum gekümmert. Ihr wisst, wie man lebhaft träumen kann; so ergeht es allen Menschen, denen Gott nicht die Augen geöffnet. Sie sind zuversichtlich, sie zweifeln nicht an ihrem Heil, und doch ist ihr Gewissen verriegelt, ihr Herz Gott entfremdet, sie wandeln in der Sünde und haben noch keine einzige wahrgenommen.

Allein es gibt zweierlei Träume. Solche, die vom Teufel kommen, und solche, die von Gott sind. Letzteren gehen immer Ahnungen voraus. Ist hier niemand unter uns, der da merkt, dass er im Irrtum ist, dass sein Herz den Frieden nicht hat, dass, wenn er diese Nacht für immer entschlummerte, sein Erwachen ein unglückseliges wäre? Es gibt eine Unruhe, die Schlimmes andeutet, besonders wenn sie wiederkehrt, wenn sie von unaussprechlicher Traurigkeit begleitet ist, wenn sie das Hinfällige des Irdischen, das Unfruchtbare auch des religiösen Lebens fühlbar macht. Solche Stimmungen mag man heimlich halten, aber gewiss sind sie mehreren unter uns bekannt. Da ist zwischen dir und Gott ein Abgrund; nicht Engel, Gespenster steigen auf und ab über dir. Erinnerungen erheben sich anklagend, die letzte Zukunft birgt Schrecken in sich, und betest du, so will dennoch kein Segen haften. So beginnen die Träume, die von Gott sind. Es sind, wie gesagt, Ahnungen, dass man nicht ist, wie man sein sollte, dass man nicht glücklich ist, dass man so nicht weiter leben kann, dass im Gewissen eine faule Wunde eitert. Wohl dir, wenn du dann einen Jakobstraum hättest! Ach! wenn sich der Himmel auftäte und zwischen deiner mühseligen Seele und Gott eine Verbindung erschlösse! Wenn von der Leiter herab Worte des Friedens und des Erbarmens über dich kämen! Wenn der ewige Vater mit dir einen Bund schlösse und ihn besiegelte durch seinen Heiligen Geist! Wenn du über dir als über einem Schützling Gottes die Engel würdest auf- und absteigen sehen, um dich auf allen deinen Wegen zu schirmen! Wenn auch dir die Verheißung sicher würde: „Siehe, ich bin mit dir, und will dich behüten, wo du hinziehest, und will dich wieder herbringen in dein Land; denn ich will dich nicht lassen, bis dass ich tue Alles, was ich dir geredet habe!“ Welch' ein Erwachen, o mein Bruder, wenn dieser Traum wahr wäre! Entzückt würdest du deinen Wanderstab wieder ergreifen! Wie mutig würdest du die finstersten Täler betreten! Wie würden deine Tränensaaten in Segensernten sich verwandeln!

So höre denn! Andere Stimmen werden laut: Engel steigen auf und ab; nicht ein Traum ist dies, es ist die Wirklichkeit. Auch hier steht der Himmel offen, es ist Nacht und einige Menschenkinder liegen auf offenem Felde. Sie schlafen nicht, sie wachen, und die Stimme spricht: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren ist. Euch ist heute in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Heute ist die Jakobsleiter zur Wahrheit geworden; die zwei getrennten Welten sind hinfort eins; von nun an besteht ein lebendiges Band zwischen der gefallenen Menschheit und dem unsichtbaren Gott; blicke auf diesen Mittler, der uns gegeben ist und der als Mensch der Erde, als Gott der Ewigkeit angehört, und erkenne, dass du glücklicher bist als Jakob. Ja, uns ist der unsichtbare Gott sichtbar, oben auf der Himmelsleiter; „in ihm ist die Fülle der Gottheit leibhaftig.“ Hör ihn selbst sprechen; er sagt zu dir: „Ich bin gekommen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, dass sie los sein sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen.“ Ihr mühseligen und beladenen Seelen, gebt her eure „Asche und Trauergewand,“ Weihnachten ist das Fest eurer Wiederaufrichtung. Dieser Tag ist dein Tag der Herrlichkeit, dein Freudentag, wo du anstatt des betrübten Geistes ein „Kleid des Heils“ anziehen sollst. Ja, wir können unsere Straße weiter ziehen, den guten Kampf kämpfen, bis ans Ende beharren, denn an unsrer Seite ist der Sieger. Vor der Krippe zu Bethlehem gilt es auszurufen: „Gewiss war der Herr an diesem Orte, ich aber wusste es nicht!“ Frage die Hirten, frage die Weisen des Morgenlandes, sie werden dir sagen: „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts Anderes, denn Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels!“ Wirst du noch zweifeln, dass „Gott dich behüte auf dem Wege, den du reist,“ dass er in seinem Hause dir eine Wohnung, eine Heimat, offene Arme, offene Ohren bereit hält? Es gibt eine geschichtliche Tatsache, die von nun an jedem Zweifel widersteht: „Gott hat also die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab; ist Gott für uns, wer wird wider uns sein? Dieser Gott, der seines Sohnes nicht verschont hat, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken? Ja, Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen!“

„Jakob nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Mal und goss Öl oben darauf.“ Der Stein Gottes, uns zum Mal gegeben, ist „der köstliche Eckstein“: wer auf den sich gründet, der, wird nicht zu Schanden. Der Heilige Geist aber gibt uns „das Freudenöl,“ den kostbaren Balsam, welcher vom Haupte niederfließt auf alle seine Erkauften. Diese Freude von oben ist auch die Salbung von oben; sie bleibt, wächst, heiligt, wie keine Weltfreude es tut. Diese Freude dringt bis in jede Furcht und Angst, in die Tränen und Heimsuchungen, in die Kämpfe und Trübsale; zieht sie manchmal sich zurück, so geschieht es in die Tiefen der Seele; sie geht mit uns auch ohne unser Wissen, und bekundet sie sich auch nicht mehr in unsern Empfindungen, so bleibt sie uns doch in Christo.

„Und Jakob tat ein Gelübde und sprach: So Gott wird mit mir sein, und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen, und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein.“

Ihr, die ihr das Abendmahl genossen, habt mehr empfangen, als Jakob zu begehren wagte. Ihr könnt glauben, dass Gott mit euch sein wird und dass ihr sein Eigentum seid für die Weiterreise; ein Begnadigter ist auch ein Pflegebefohlener; „niemand,“ sagt Jesus Christus, „soll sie aus meiner Hand reißen.“ Du hast „Brot zu essen“ bekommen, „nicht eine vergängliche Speise, sondern die da bleibt ins ewige Leben und die des Menschen Sohn gegeben hat.“ Du hast „Kleider anzuziehen“ bekommen, „Kleider des Heils und der Gerechtigkeit“; du hast den Tisch Gottes verlassen, wie ein Bräutigam geschmückt, wie eine Braut, angetan mit ihren Kleinodien.“ Du wirst nicht mehr sagen: „So ich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater kehre, so soll der Herr mein Gott sein.“ Ist nicht der greise Simeon „mit Frieden heim zu seinem Vater gekehrt, denn seine Augen haben das Heil gesehen.“ „Das Kind, das uns geboren,“ der Sohn, der uns gegeben“, „ ist auch „der Friedefürst“; „er lässt dir seinen Frieden; er gibt dir seinen Frieden; er gibt dir ihn nicht, wie die Welt ihn gibt.“

„Und dieser Stein,“ sagt zuletzt Jakob, „den ich aufgerichtet habe zu einem Mal, soll ein Gotteshaus werden; und Alles, was du mir gibst, des will ich dir den Zehnten geben.“

Hat eine gewöhnliche Krippe das Haus Gottes werden können, warum würden nicht eure Häuser aus Stein auch Tempel des Herrn werden können? Jesus Christus kann Alles beleben; seine Gegenwart gibt Allem einen göttlichen Anstrich. Was sind im Grunde unsere Familienfeste, unsere häuslichen Freuden, so nicht Jesus Christus, er allein, dieselben zu wahren Freuden weiht? Was ist die Geburtsfeier, der Hochzeittag, der Neujahrstag, beginnt und endet man nicht mit dem Herrn? Der Zehnte, den man dem Herrn gibt, ist er was Anderes, als die Freude, die er uns selbst gewährt? In unsern Gaben ist Er der Geber, nicht wir; Jakob kann nur geben, „was ihm der Herr geben wird.“ Und wie könnte, im Angesicht der höchsten Gabe Gottes, irgendein Opfer uns schwer fallen? Nicht seinen Zehnten, sein Alles hat uns Gott gegeben; er ist unser ganzes Heil, unsere ganze Freude. Nicht ein Traumgesicht ist „das Wort, das Fleisch ward und unter uns gewohnt hat, voller Gnade und Wahrheit.“ „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen,“ sagt Johannes, „eine Herrlichkeit als des einigen Sohnes vom Vater.“ Die Jakobsleiter ist mehr als ein Gesicht; wir haben einen „neuen Weg, der zum Leben führt“; und dieser Weg ist nicht für die Engel, er ist für die armen Sünder eröffnet. Steigt auf und nieder, „naht euch mit lauterem Herzen, mit ganzem und vollkommenem Vertrauen“; das Weihnachtkind „weist keinen ab, der zu ihm kommt.“ Den Geringsten will Er zu einem Mal seiner Barmherzigkeit machen, den Betrübtesten zum Gefäß der „großen Freude, die allem Volk widerfahren ist.“ Mit dem Weihnachtstag ist Weihnachten nicht vorüber; Gottes Feste sind für die Ewigkeit berechnet. Das ist's eben, was wir bedurften; dieser Reichtum von oben will unsere Leere füllen und uns sättigen wie mit Mark und Fett.“ Was sind neben diesem Christgeschenk alle eitlen Freuden der Welt? Möchtest du die irdische Glückseligkeit um den Preis der ewigen erkaufen? Möchtest du den einzigen Gefährten, der das wahre Glück mit sich bringt, gehen lassen und eher die Gesellschaft anderer Gefährten beibehalten? Er allein ist treu; auch sind wir für ihn geschaffen. Willst du an Ihn glauben, so gib dich Ihm hin - und deine Weihnachten werden kein Ende nehmen, dein Leben wird „jung werden wie das des Adlers, Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen dein Leben lang,“ und alle deine Freuden werden in der einzigen aufgehen: „Heute ist in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr!“ Amen.

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autoren/l/lobstein-die_letzten_worte/lobstein-die_letzten_worte_-_13.txt · Zuletzt geändert: von aj
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