Landenberger, Albert Julius - Predigt am Sonntag Estomihi - Wie lernen wir, für schweres Leiden noch Gott zu danken?

Landenberger, Albert Julius - Predigt am Sonntag Estomihi - Wie lernen wir, für schweres Leiden noch Gott zu danken?

Ev. Luk. 18, 31-43. (I. Jahrgang.)

Jesus nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf gen Jerusalem, und es wird alles vollendet, was geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und geschmäht und angespien werden, und sie werden ihn geißeln und töten, und am dritten Tage wird er wieder auferstehen. Sie aber vernahmen deren keines, und die Rede war ihnen verborgen, und wussten nicht, was da gesagt war. Es geschah aber, dass er nahe zu Jericho kam, saß ein Blinder am Wege und bettelte. Da er aber hörte das Volk, das durchhin ging, forschte er, was das wäre. Da verkündigten sie ihm, Jesus von Nazareth ginge vorüber. Und er rief und sprach: Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Die aber vorne an gingen, bedrohten ihn, er sollte schweigen. Er aber schrie vielmehr: Du Sohn Davids, erbarme dich mein! Jesus aber stand stille und hieß ihn zu sich führen. Da sie ihn aber nahe bei ihn brachten, fragte er ihn und sprach: Was willst du, dass ich dir tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen möge! Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend; dein Glaube hat dir geholfen! Und alsobald ward er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das solches sah, lobte Gott.

Mit dem heutigen Sonntage treten wir hinein in die Leidensgeschichte unseres Heilandes. Wir begleiten ihn im Geiste, wie er nach Jerusalem hinaufgeht, um den Heilsratschluss Gottes zu vollenden und durch Leiden zur Herrlichkeit einzugehen. Keiner seiner Jünger versteht die Notwendigkeit und Wichtigkeit dieser tiefen Erniedrigung des geliebten Meisters; mit ernstem Worte sieht sich der Herr genötigt, auch seinen Vertrauten, Petrus, darauf hinzuweisen, dass er nicht meine, was göttlich, sondern was menschlich sei. Welche innere Kämpfe er selbst vorher durchzukämpfen hatte, bis er den Leidenskelch freudig und geduldig trank, das zeigt uns später in solch ergreifender Weise der Seelenkampf in Gethsemane. Aber auch angesichts des über ihn kommenden eigenen Leidens erbarmt er sich doch, wie in den Tagen seiner früheren Wirksamkeit, all der Leidenden, die seine Hilfe gläubig suchen und durch die Drohungen und Anschauungen der Welt sich nicht beirren lassen, ihn ernstlich anzurufen. Er öffnet dem Blinden das Auge mit den Worten: „Dein Glaube hat dir geholfen,“ er gewinnt ihn dadurch für seine Nachfolge, und Gott laut preisend, zieht der Geheilte mit ihm, Lob und Dank in seinem Herzen.

Ja, eine schwere, ernste Zeit beginnt für den Heiland, als er seine Schritte zum letzten Mal Jerusalem zuwendet; eine ernste, schwere Zeit bricht immer auch für uns an, wenn der Herr uns die Leidensstraße führt, dahin, wohin wir eigentlich nicht wollen, und wohin wir doch zur Vollendung des göttlichen Heilsratschlusses für unser eigenes Wohlergehen gehen müssen. Wie wenige Christen gibt es doch, welche gleich dem Herrn und seinen Aposteln freudig leiden um Gottes willen und sich selig preisen, wenn sie durch viel Trübsal eingehen dürfen in das Reich ihres Gottes! Wie sträubt sich doch die menschliche Natur mit aller Macht, das liebe Kreuz auf sich zu nehmen und durch die enge Pforte auf dem schmalen Leidenswege zu wallen! Ruft uns aber nicht ein Paulus zu: „Seid allezeit fröhlich“ und „Seid dankbar in allen Dingen,“ ja „Dankt allezeit Gott für alles im Namen Jesu Christi?“ Das, Geliebte, ist das Geheimnis und Siegel, das Kennzeichen echter Gotteskinder, dass sie ihrem himmlischen Vater auch für die Trübsal noch danken können, freilich nicht durch eigene Kraft und Ergebung, sondern durch himmlische Stärkung. Ein Blick auf unser heutiges Evangelium legt uns daher die wichtige Frage nahe: Wie lernen wir, für schweres Leiden noch Gott zu danken?

Und die Antwort lautet:

I. Wenn wir gläubig hinschauen auf Christi Leiden und daraus täglich Licht, Kraft und Trost schöpfen;
II. Wenn wir ihn immer ernster anrufen und immer freudiger ihm nachfolgen.

I.

Es ist ein sehr beherzigenswertes Wort, liebe Zuhörer, das der Apostel Petrus seiner Gemeinde zuruft: „Freut euch, dass ihr mit Christo leidet!“ wie er einst selbst mit den andern Aposteln fröhlich nach erhaltener Züchtigung vom hohen Rate hinwegging, weil sie würdig gewesen waren, um Christi willen Schmach zu leiden.

Ja, wiederholt ruft derselbe Apostel, der einstens den Herrn von seinem Leidenswege abbringen wollte, später den Seinigen zu: „Wer als ein Christ leidet, der schäme sich nicht, wer nach Gottes Willen leidet, der soll ihm seine Seele befehlen - ja, ob ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig.“ Ebenso redet Paulus von einer Leidensgemeinschaft mit Christo, in die jeder Christ treten müsse, um einstens der Herrlichkeitsgemeinschaft mit ihm teilhaftig zu werden. Noch entschiedener hat unser Heiland selbst gesprochen: „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert!“ So sehr nun das Leiden zur Nachfolge Christi gehört, so schwer fällt es uns doch, Krankheit und Unglück aller Art, innere und äußere Anfechtung mit Gottergebung auf uns zu nehmen und Gott gar noch dafür zu danken. Dies vermögen wir überhaupt nur durch den Geist Christi, der in unserer Schwachheit mächtig ist, der uns in die Leidensgemeinschaft mit Christo hineinführt, uns den Blick für die segensreiche Wirkung und die Notwendigkeit der Trübsal öffnet, uns tröstet und erquickt. Der fromme Christ schaut in seinem Leiden zuerst nach oben, in der festen Überzeugung, es kommt alles von Gott, Glück und Unglück, Leben und Tod, Armut und Reichtum, und es soll alles zu Gott führen, ja immer inniger mit Gott verbinden. Die volle, tiefere Erkenntnis der Trübsal gewinnt er jedoch erst im Hinblick auf den, der selbst um unsertwillen und uns zu gut, selbst unschuldig, das tiefste Leiden des Körpers und der Seele auf sich genommen und dadurch unsere Erlösung vollbracht hat, unsern Heiland Jesus Christus. Für ihn war sein Leiden nicht bloß die Bedingung seiner eigenen inneren Vollendung und seines Eingangs in die Herrlichkeit des Vaters, sondern die volle Bewährung seines rettenden, versöhnenden, heilenden Berufes. Nur so konnte alles vollendet werden, was von ihm durch die heiligen Propheten, vor allem den gottbegeisterten Sänger David und den großen, sich in das Leiden des Messias so innig vertiefenden Propheten Jesajas geweissagt war. Es war nicht möglich, dass dieser Kelch an ihm vorüberging, sonst wäre der göttliche Heilsratschluss nicht vollendet worden.

Aber noch blieb den Jüngern diese Rede verborgen, noch wussten sie dieselbe nicht zu fassen und zu deuten, und der leidende und gekreuzigte Messias ist bis auf den heutigen Tag, ja bis ans Ende der irdischen Weltentwicklung den Einen, wie Paulus sagt, ein Ärgernis, den Andern eine Torheit. Wer aber auf Christi Leiden gläubig hinschaut, sich in dasselbe versenkt und die Ursache desselben in der eigenen Sünde, wie in der Schuld der ganzen Menschheit erkennt, der tritt dadurch mit Christo in eine solche innige Geistesgemeinschaft, dass ihm sein eigenes Leiden in das rechte Licht tritt und eben damit versüßt und erleichtert wird. Ist ja doch, wie dies im Buche Hiob mit solch erschütternder Gewalt nach heißem, innerem Ringen zu Tage tritt, das Leiden des Frommen keineswegs nur ein Strafleiden für verborgene oder offenbare Sünde, sondern es dient zur eigenen Läuterung, Bewährung und Vollendung. Manche Trübsal soll, wie der Heiland dies seinen Jüngern am Blindgeborenen gezeigt hat, gerade zur Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit, und jegliche Trübsal soll dadurch zu unserm Besten dienen, dass sie Geduld, Erfahrung und siegreiche Hoffnung im Herzen immer mehr zur Reife bringt. So ist also jedes Kreuz für einen wirklichen Christen reich gesegnet und darum auch notwendig für ihn, wie für alle diejenigen, mit denen er in Berührung tritt. Der himmlische Vater reinigt dadurch die Reben des Weinstocks, dass sie mehr Frucht bringen und führt in immer lebensvollere und innigere Beziehung zu Christo selbst, d. h. eben zur Leidensgemeinschaft mit ihm. So gewinnen wir täglich neues Licht über so manche dunkle und schmerzliche Führung und damit zugleich auch täglich neue Kraft und neuen Trost. Dreimal hat einst der fromme Apostel Paulus zum Herrn gefleht, dass sein Leiden, der Pfahl ins Fleisch, des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlug, von ihm weiche. Der Herr aber hat seine Bitte ihm nicht gewährt, vielmehr hat er zu ihm gesagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ So treulich und wirksam hat er an ihm diese Verheißung erfüllt, dass Paulus unmittelbar nachher von sich sagen durfte: „Darum bin ich guten Mutes in Schwachheiten, in Schmach und Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen, denn,“ setzt er hinzu, „wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“

Das hat auch gewiss, liebe Gemeinde, jeder Kreuzträger unter uns schon erfahren dürfen, wie ihn die göttliche Gnade oft so wunderbar gestärkt, in den schwersten Stunden aufrecht gehalten, in den tiefsten Anfechtungen erquickt und so herrlich getröstet hat. Darum heißt ja der himmlische Vater selbst ein Gott alles Trostes, der uns tröstet in aller Trübsal, dass wir auch trösten können, die da sind in allerlei Trübsal, mit dem Troste, damit wir getröstet werden von Gott. Wie eine Mutter will er seine Kindlein trösten und unser Heiland selbst hat nicht bloß alle die selig gesprochen, die da Leid tragen, weil sie sollen getröstet werden, sondern er hat ja den Seinigen den heiligen Geist als den Tröster verheißen und gesendet, der bei ihnen bleibe ewig. „Das ist mein Trost in meinem Elend, denn dein Wort erquicket mich,“ das haben mit David so viele Tausende leidender Gotteskinder schon erfahren. II. Ja, wer in seinem Leiden auf Christi Leiden gläubig schaut und mit ihm innerlich verbunden ist, der schöpft täglich neues Licht, neue Kraft und neuen Trost aus dieser beseligenden Gottesgemeinschaft. Aber nur selten schwingt sich der Christ zu jeder Zeit auf jene selige Höhe der Vereinigung mit Christo; viel öfters ist alles dunkel um ihn her, die Seele müd' und freudenleer“. Gleich den verzagten Jüngern rufen auch wir, wenn die Wellen des Unglücks brausend über unsrem Haupte zusammenschlagen, voll Verzweiflung aus: „Herr hilf uns, wir verderben!“ oder klammern wir uns, wenn die Hilfe nicht alsbald kommt, verzagt an den Herrn an, wie der sinkende Petrus auf dem Meere, oder rufen wir, wie der Vater des kranken Knaben, flehentlich: „Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!“ Als jener unglückliche Blinde von dem vorbeiströmenden Volke die Kunde vernimmt, Jesus von Nazareth, der große Wundertäter, der Mann mit dem milden, menschenfreundlichen Herzen, der gewaltige Prophet geht vorüber, da fühlt er es im tiefsten Herzensgrunde: „Der Mann kann allein dir helfen, und jetzt oder nie mehr kann dir die längst ersehnte Hilfe kommen.“ Da ruft er mit lauter Stimme aus: „Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ Immer lauter, immer ergreifender wird seine Klage, je mehr ihn die Vorübergehenden verlachen, bedrohen und zum Schweigen bringen wollen. Da lässt ihn der Heiland zu sich führen, da richtet er die inhaltsvolle Frage an ihn: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ „Herr, dass ich sehen möge!“ so lautete die flehentliche Bitte; aber in dieser Bitte liegt auch der feste Glaube an die Herrlichkeit der Person Christi, des großen Davididen, des verheißenen und nun erschienenen Messias, der nach der Weissagung der heiligen Propheten auch den Blinden das Gesicht wiedergeben soll. Wie rasch ist nicht durch die holden Worte Christi in seiner Seele das Glaubenslicht emporgeflammt, und wie augenblicklich wird nun seine Bitte erfüllt, indem der Heiland ihm zuruft: „Sei sehend, dein Glaube hat dir geholfen!“ Und wie er nun plötzlich sehend wurde, das Licht der Sonne und das milde Antlitz dessen schaute, der ihm so gnädig und so wunderbar den höchsten Wunsch der Seele erfüllt hatte, da pries er Gott und folgte nun Jesu, seinem Wohltäter nach. Herz und Mund strömte über von Lob und Dank gegen den himmlischen Vater. Der Weg aber, den sein Fuß nun einschlägt, ist Christi Weg, dem er in der heißesten Liebe unzertrennlich sich verbunden fühlt, dem er als sein dankbarer Jünger nachfolgte. Gleichen. wir nicht, Geliebte, so oft jenem Unglücklichen? Dunkle Nacht hat uns in unsrem Leid umfangen, kein Sonnenstrahl dringt herein, finster und öde breitet sich die Zukunft vor uns aus. Die Welt geht kalt und teilnahmslos an uns vorüber, oder wirft uns höchstens die Kupfermünze leeren Trostes in den Schoß. Da kommt der Herr von ferne, da offenbart sich uns, wenn die Not am größten ist, ein Licht von oben. Die verschwundenen, oder doch erbleichten Kindheits- und Jugenderinnerungen werden wieder lebendig im Herzen, die stolzen Knie beugen sich, die müden Hände falten sich, und eine Stimme ruft uns zu: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erhören, und du sollst mich preisen!“ Aber noch hilft der Herr nicht, noch ist er nicht nahe. Wieder und wieder heben wir unsere Augen nach oben zu den Bergen, von welchen unsere Hilfe kommen sollte; unser Gebet wird unter der Kraft des Heiligen Geistes immer flehentlicher und doch gottergebener, immer stürmischer und doch reiner, immer mehr ein Gebet im Namen Christi. Da ist er plötzlich vor uns hingetreten und wieder ertönt sein süßer Ruf: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Ja, dieses Wort richtet der Herr an Alle, die ihr Elend erkannt haben, die mit dem Kerkermeister in Philippi ausrufen: Was muss ich tun, dass ich selig werde?“ Das sind die mühseligen und beladenen Seelen, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, die geistlich Armen, die nun satt werden sollen. Ja, er öffnet uns das Auge, dass wir seine verborgene Herrlichkeit schauen, er erfüllt unser Herz mit seiner Liebe und unsern Mund mit seinem Lobe, er reißt unsern Fuß aus dem Verderben und richtet ihn auf den Weg des Friedens. Wer die gnädige und wunderbare Durchhilfe des Herrn in einer Not schon erfahren hat, der lernt ihm auch in einer andern, die über ihn kommt, gläubig vertrauen, der tritt in seine Nachfolge ein mit dankerfülltem, freudigem Herzen und gedenkt an das schöne, trostvolle Wort der Verheißung: „Der Herr verletzt und verbindet, er zerschmeißt und seine Hand heilt. Aus sechs Trübsalen wird er dich erretten und in der siebten wird dich kein Übel rühren.“ So erwächst aus der inneren Erfahrung der göttlichen Gnade und Barmherzigkeit, die auch im tiefsten Leide alle Morgen neu ist, der fröhliche, unermüdliche Gebetsgeist, der wie der Erzvater Jakob unter heißem Ringen ausruft: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Dieser Geist des Gebets und der Gotteskindschaft treibt uns aber immer tiefer in die Wege, in die Nachfolge des Heilandes hinein, durch dessen treue Hilfe uns das schwerste Leid erleichtert, der bitterste Kelch versüßt wird.

Sind wir aber durch Gottes barmherzige Führung und durch die Liebe zu unsrem Heilande so weit gekommen, dass wir in jeglichem Anliegen unser Herz vor ihm ausschütten, dass wir unbeirrt durch Hohn und Spott, durch falsche Ratschläge und Anschauungen anders Denkender ihn zum Leitstern wählen und ein freudiges Bekenntnis seines Namens ablegen, dann lernen wir es unter der erziehenden Kraft seines Heiligen Geistes täglich mehr, auch für schweres Leiden unsrem Gott noch zu danken. „Herr, dein Wille geschehe,“ und „Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst,“ so lautet dann unser Losungswort, denn wir sind dann mit dem Apostel gewiss, dass uns nicht Trübsal und Angst, nicht Verfolgung noch Hunger, nicht Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert scheiden darf von der Liebe Gottes. Vielmehr überwinden wir in dem allen weit um deswillen, der uns geliebt hat.

Und nun schauen wir noch einmal zurück auf unser Evangelium. Wir sehen wie durch ein heiliges Portal hinein in die Leidensgeschichte des Heilandes, wir schauen die ruhige Gottergebung, die entschlossene Dahingabe des Menschensohnes in das schwerste und bitterste aller Leiden. Wir hören ihn im Geiste weissagend sprechen: „Nun ist des Menschen Sohn verklärt und Gott ist verklärt in ihm“, wir vernehmen noch jene wunderbar innigen und herzlichen Abschiedsreden, in denen er, der selbst bald des Todes Bitterkeit erfahren und den Leidenskelch trinken sollte, dennoch seine Jünger so lieblich tröstet, so freundlich ermahnt; wir gedenken an jenes ungemein zarte und ergreifende hohepriesterliche Gebet, in dem er den Herrn nicht darum bittet, dass er sie vor dem Übel bewahre, sondern dass er sie heilige in seiner Wahrheit und ihnen seine Herrlichkeit einstens mitteile. Noch vernimmt ihre Blindheit nicht das Wort vom Kreuze, bis ihnen der Auferstandene das Auge öffnet und der Scheidende ihnen seinen heiligen Geist in baldige Aussicht stellt. „Ja siehe, wir müssen hinauf nach Jerusalem,“ den Weg des Leidens und doch den Weg des Heiles, wir müssen angesichts des eigenen Leidens den großen Leidenden in Gethsemane und Golgatha umfassen, dann wird er in uns verklärt und dann verwandelt er auch unser Leid in Freude, unsere Traurigkeit in Lob und Dank, auch wenn er das äußerliche Leiden uns nicht von den Schultern nimmt, sondern nur es uns tragen hilft. Im Zustande des unglücklichen Blinden dagegen sehen wir, wie wir stufenweise auf diese Höhe der seligen Lebensgemeinschaft mit ihm geführt werden, und mit Recht hat man Diese Heilung des Blinden vor Jericho Zug für Zug einen Spiegel Der geistlichen Genesung des Menschen genannt. Gleich ihm Hören wir von Christo sagen, er sei in unserer Nähe; die Glaubenszuversicht erwacht unter dem Läuterungsfeuer der Trübsal, das dringende Flehen um Hilfe steigt aus dem Herzen auf die Lippen, der Hohn und Spott der Welt vermag uns nicht mehr zu beirren, wir stehen dem Herrn still, wir antworten auf die ernsten und doch so milden Fragen, die er an uns richtet und er hilft, er heilt, denn „der Herr hat ihn gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden und alle Traurigen zu trösten“. Und nun wandeln wir in seiner Gotteskraft unsere Kreuzesstraße weiter und danken Gott für alles, auch für die schmerzlichsten Führungen unseres eigenen Lebens, wie des der lieben Unsrigen. Ja, dann heißt es auch von uns: „Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht.“ Von der Überzeugung durchdrungen, dass wir „eben nur durch viel Trübsal eingehen können in das Reich Gottes“, werden wir in der Nachfolge Christi auch nicht müde, sondern ob auch der äußerliche Mensch verweset, so wird doch der innerliche von Tag zu Tag erneuert. Ja der Herr öffne uns allen, Groß und Klein, das Auge für die Straße, die hinauf nach Jerusalem führt, zur Stätte des Heiles, er richte die müden Knie auf, wenn sie straucheln, er schenke uns allezeit ein fröhliches Bekenntnis seines Namens mit unserem Munde und bewahre uns fest in seiner Nachfolge bis an unser Ende, dass unser ganzes Leben ein Lobgesang seiner Barmherzigkeit, unser Leiden ein Spiegel seiner verborgenen Herrlichkeit und unser Sterben ein Heimgang zur oberen Gottesstadt, zum himmlischen Jerusalem werde, wo auch an uns das herrliche Wort der Verheißung sich erfüllen wird: „Diese sind es, die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider helle gemacht im Blut des Lammes. Und das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Amen.

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autoren/l/landenberger/landenberger-estomihi.txt · Zuletzt geändert: von aj
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