Kunel, Christian Klaus - In schwerer Zeit - Am VIII. Sonntag nach Trinitatis.
(Buß- und Bettag.)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch! Amen.
Text: 1 Petr. 5, 6. 7.
So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, dass er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.
Geliebte Gemeinde! Wir feiern heute einen Buß- und Bettag. Warum? Das wisst ihr. Jeder ernste Mensch, der nicht sorglos in den Tag und die Welt hinein lebt, wird, wenn er an einem bedeutenden Wendepunkt seines Lebens steht, Einkehr in sich selbst halten, wird sich besinnen über sich und über das, was ihm frommt und zukommt. Bei dem Christen aber, der es in Wahrheit ist, wird solches Sinnen und Erwägen immer zum Gebet werden. Er kann nicht anders; er muss die Hand und das Herz der Liebe, von dem er sich gehalten und getragen weiß, von Neuem mit aller Inbrunst erfassen; es würde ihm sonst sein, als ob ihm der Boden unter den Füßen fehle. Sowie er aber betet, wird sein Gebet zum Bußgebet werden. Er kann ja nicht vor Gottes Angesicht treten, ohne dass er es empfindet, wie viel ihm noch fehlt, wie weit er noch zurück ist hinter dem, was er sein soll, ohne dass in ihm die herzliche Sehnsucht erwacht, durch Gottes Gnade alles dessen teilhaftig zu werden, was ihm nötig ist, um in Wahrheit als ein Kind vor seinem himmlischen Vater stehen zu können.
Wir feiern heute alle mit einander einen Buß- und Bettag. Ja, diese Tage, die gekommen sind, müssen, wenn es anders recht zugeht, für unser ganzes deutsches Volk lauter Buß- und Bettage sein. Stehen wir doch an einem der größten Wendepunkte für das Leben, für die Geschichte, für die Zukunft unseres ganzen Volkes. Wir sind in einen gewaltigen Krieg verflochten. Die ganze waffenfähige Mannschaft unseres Volkes ist ins Feld gerückt, zu Hunderttausenden stehen sie dem Feind gegenüber, und schon hat die heiße, blutige Kampfesarbeit begonnen. Unter uns allen werden wohl nur Wenige sein, die unter diesen todesmutigen Streitern nicht wenigstens einen haben, an dem ihr ganzes Herz hängt, dessen Leben der schönste Teil ihres eigenen Lebens ist, und an den sie voll Angst und Bangen denken Tag und Nacht. Wie manche Augen mag nachts der Schlaf fliehen! Wie viele brünstige Gebete mögen in der stillen Nacht aufsteigen zu dem Hüter, der nicht schläft noch schlummert, für die Lieben, die draußen die Mühen und Gefahren des Krieges teilen. Sie, die Bleibenden, können nicht mit ihrer Brust zwischen sie und die Feinde treten, was sie ja gern tun möchten; aber Gottes Hand kann sie schirmen und hüten mächtig und wunderbar. Ja, ein großer Bettag ist angebrochen für unser ganzes Volk. Ich bin gewiss, dass kein Augenblick am Tag und in der Nacht vorüber geht, der nicht brünstige Seufzer zu Gottes Thron empor bringt.
Und dann, es handelt sich jetzt nicht bloß um Einzelne, es handelt sich um das Wohl und Wehe unseres ganzen Volkes, auf Jahre hinaus und vielleicht für immer. Der Kampf, der begonnen hat, ist im vollsten Sinn des Wortes ein Kampf um unsere Existenz, und zwar nach allen Seiten hin, nicht bloß ein Kampf um unsere leibliche Wohlfahrt, sondern auch um die geistigen und geistlichen Güter, deren Träger unser Volk nach Gottes Wohlgefallen ist. Wenn der herrschsüchtige und gewissenlose Tyrann, der seine Scharen gegen uns aufgeboten hat, siegen würde, was würde aus, unserem Lande und Volke werden! Schon ward eine deutsche Stadt aus bloßem Mutwillen und aus bloßer Prahlsucht in Brand geschossen. O, wenn unser Land vom Feind zertreten, beraubt, geplündert, geschändet und jede Äußerung wahren deutschen Wesens geächtet würde, welche Zukunft stünde uns bevor! Ja, es ist eine Zeit des gewaltigsten Ernstes, die für uns angebrochen ist.
Dank, Preis und Anbetung dem Herrn der Heerscharen! Er hat es uns bereits bewiesen, dass er unser noch gedenkt nach seiner Gnade und Barmherzigkeit. Wir waren anfangs in Sorgen, es möchte der Feind, der es ja darauf abgesehen hatte, uns zu überraschen, sofort nach erfolgter Kriegserklärung über die Grenzen brechen und einen Teil unseres Vaterlandes überschwemmen, ehe unsere Heere zur Abwehr bereit wären. Das ist ihm unmöglich geworden. Und nun hat Gott gleich im Anfang des Krieges den Unseren einen herrlichen Sieg verliehen, von dem die Kunde überall im deutschen Lande die Herzen freudig bewegt hat. Und an diesem Morgen ward uns noch ein zweiter Sieg gemeldet, noch bedeutender, noch entscheidender als der erste. Aber freilich damit hat die heiße, schwere Arbeit erst begonnen. Es wird noch viel zu tun sein. Und auch der Sieg kostet Opfer; das haben wir bereits schmerzlich erfahren. Treffliche Männer, die noch vor Kurzem unter uns wandelten, und denen wir beim Abschied: „Auf fröhliches Wiedersehen!“ nachriefen, haben mit ihrem Leben ihre Liebe zum Vaterland besiegelt, und die Kunde, dass sie gefallen sind auf dem Feld der Ehre, ist eine Trauerbotschaft für jedes Haus. Und wie viel warten bange auf ein Lebenszeichen von den Ihren, die mit im heißen Kampf gestanden sind!
Ein großer Bettag ist für uns gekommen. Ganz gewiss ist in diesen Tagen viel mehr unter uns gebetet worden, als es sonst wohl der Fall war. Und es hat wohl nicht bloß das Gefühl des eigenen Unvermögens zum Gebet getrieben und die Einzelnen gedrängt, für sich und die Ihren und unser ganzes Volk den Beistand des allmächtigen Herrschers im Himmel zu erflehen. Jedes wahre christliche Gebet ist immer ein stilles, gelassenes Hineinsenken in den Gnaden - und Liebesrat Gottes. Darin findet der Christ seine Ruhe und seine Kraft, dass er sich gehalten weiß vom Arm der göttlichen Liebe. Und ein solcher Bettag das ist immer auch ein Bußtag. Man kann nicht ruhen in Gottes Liebe, so lange man seinen eigenen Gedanken vor Gott noch ein Recht zuschreibt. Man kann dies nur, wenn man mit seinen eigenen Gedanken sich in Gottes Gedanken hinein ringt. Und das heißt eben Buße tun.
Und da stehen wir denn bei unserem Text: „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ Zwei Ermahnungen und dazwischen eine Verheißung hält uns der Apostel vor. Das Alles aber heißt: „Hinein mit eurem Willen, mit euren Gedanken in Gottes Willen, in Gottes Gedanken!“ Im Einzelnen aber heißt es: „In Demut stark, in Hoffnung freudig, im Vertrauen ruhig!“ Das sei nun der Gang unserer Predigt. Ehe wir aber weiter gehen, lasst uns zuvor noch Herzen und Hände erheben und um den Segen des Herrn flehen in einem andächtigen Vaterunser.
1.
Man konnte schon lange, ehe diese gegenwärtigen Tage über uns kamen, es von Vielen aussprechen hören: „So wie jetzt kann es nicht weiter gehen; es muss anders werden auf die eine oder die andere Weise.“ Man hatte dabei die Entchristlichung der großen Massen in unserer Zeit im Auge, die Nichtachtung aller Sitte und aller Zucht, die offene Feindseligkeit gegen alle göttliche Ordnung.
Ich habe erst in meiner Predigt vor drei Wochen Angesichts des Gerichts, das über Jerusalem erging, das Bild unserer Zeit zu zeichnen gesucht. Es wird wohl nicht überflüssig sein, wenn ich heute wieder darauf zurück komme und den Erscheinungen in der Gegenwart, wie sie vor Aller Augen offen liegen, den rechten Namen und die rechte Deutung gebe. Man muss die Sache immer anfassen, wo sie liegt, und der erste Schritt zur Besserung ist immer die einschneidende Erkenntnis, dass man geirrt, dass man gefehlt hat.
Wer sich von den Wogen unserer Zeit nicht gedankenlos mit fortreißen ließ, dem musste Eines besonders auffallen: die schrankenlose Neuerungssucht auf allen Gebieten des Lebens. Wohl es war Vieles zu bessern und ist noch vieles zu bessern, und jedem ernstgesinnten Menschen musste es wohl tun, wenn bald da bald dort ein Missstand beseitigt wurde, wenn bald da bald dort Vielen eine Erleichterung oder eine gleiche Berechtigung mit Anderen gewährt wurde. Aber dabei blieb man nicht stehen.
Es war, als wenn man geradezu allem Bestehenden den Krieg erklärt hätte. Alles, was Geltung hatte, Alles, was sich durch Jahrhunderte, durch Jahrtausende bewährt hatte, sollte niedergerissen, sollte gestürzt werden, bloß weil es da war, weil es Vielen wert und ehrwürdig war. Es sollte nichts Heiliges mehr geben als das Wort und die Weisheit derer, die sich an die Spitze stellten und den Andern zu diktieren suchten. „Alles anders! Alles anders!“ das war das Losungswort geworden. Bald stürzte man sich auf Dieses, bald auf Fenes, und die Stimmführer hatten immer ihre Haufen hinter sich, die ihnen zujauchzten, auch wenn sie dabei Spieße und Nägel ins eigene Fleisch sich gruben. Zuletzt fragte man fast allgemein verwundert: „Wohin denn noch? Was soll denn noch werden?“
Wisst ihr aber, worin diese leidenschaftliche, aufreibende, verzehrende Unruhe ihre Quelle hat? Sie ist das Zeugnis, dass man den wahren Grund des Lebens aufgegeben und verloren hat, dass man sich von Gott losgerissen hat. Man wollte ohne Gott und wider Gottes Willen in eigener Weisheit etwas Neues fertig bringen. Aber jedes solche Werk missrät unter den Händen. Man hascht nach einem wesenlosen Schatten, wobei der Mensch nicht befriedigt, sondern immer nur von Neuem aufgestachelt werden kann. Von Gott wollte man los, das war der Zug unserer Zeit geworden. Darum suchte man auch dem Worte Gottes und seinem heiligen Evangelium überall in den Weg zu treten, wollte man seine Geltung, seine Herrschaft bald im Geheimen, bald offen untergraben und unterwühlen. Wenn es galt, dem frechsten Unglauben, der Gottes Dasein und die Unsterblichkeit der Seele leugnet, zu fördern und ihm Boden zu schaffen, da gab es tätige Hände genug, das war zeitgemäß, damit konnte man Ehre gewinnen. Unsere Kirche aber und der seligmachende, heiligende Glaube unserer Väter ward von Unzähligen, die Glieder unserer Kirche heißen, verhöhnt, mit Füßen getreten. Was hätte man darum gegeben, wenn nur Alles, was noch an das Christentum erinnert, aus unserem Leben hätte beseitigt werden können. Hat man doch in unserer eigenen Mitte den Versuch gemacht, den Sonntag, soweit er noch gesetzlich besteht, abzuschaffen. War es doch eine Zeit lang Mode geworden, für die Abschaffung des christlichen Religionsunterrichtes in unseren christlichen Schulen zu reden und zu kämpfen. Unsere Kinder sollten nichts mehr hören von ihrem Gott, der sie erschaffen hat, der sie erhält und dessen Liebe sie trägt und leitet, nichts mehr von ihrem Heiland, der sie mit seinem Blut erlöst hat, und dem sie in der heiligen Taufe als sein teuer erkauftes Eigentum in die Arme gelegt wurden. O, der Unglaube hat nicht mehr hinterm Versteck gelauert, er ist offen als die eigentlich berechtigte Macht aufgetreten, und schon war er bereit, schon war er auf dem Sprunge, Gewalt zu üben und uns und unseren Kindern unseren Glauben zu wehren.
Und das Leben in unserer Mitte? Es fing unter den fortgesetzten Einflüssen des Unglaubens zu verwildern an. Man wollte sich nicht mehr fügen; Keiner wollte mehr untergeben sein, die Kinder nicht den Eltern, die Magd nicht der Frau, der Diener, der Arbeiter nicht dem Herrn. Nach Sittlichkeit, Zucht und Ehre ward in weiten Kreisen nicht mehr gefragt. Was man tun konnte und tun mochte, war auch erlaubt. Unzucht, Unredlichkeit, Wucher ward immer ungescheuter geübt.
Meine Lieben, die hatten Recht, die da sagten: „So wie jetzt kann es nicht mehr fort gehen.“ So wäre unser Volk im Unglauben und in sittlicher Fäulnis verkommen. Nun, es soll auch nicht so fort gehen. Gott hat sich ausgemacht, um unser Volk aus seiner Betäubung aufzurütteln. Nun, so demütigt euch denn unter die gewaltige Hand Gottes. Aber wie? schickt Gott diesen Krieg? Ja, er schickt ihn, er lässt ihn zu als eine Rute, die die Völker sich selber binden, als ein Gericht, dessen schuldbeladene Werkzeuge sie sind. Hüben und drüben ward die Saat gestreut, die nun geschnitten werden soll. Und ich meine, in diesem Krieg ist Gottes Finger ganz besonders sichtbar. Unser Volk hat voll Verblendung, voll Betörung Frankreich und Paris als seinem Lehrmeister gehuldigt. Von dort her holte es seine Mode, seinen Luxus, glatte und schlüpfrige Redensarten, frivole Bücher, frivole Sitten. Nun lässt Gott Meister und Schüler gegen einander gehen, um es sie erfahren zu lassen, dass er der Richter ist, der die Sünde durch Sünde züchtigt, dass er der Herr ist, der sich nicht bei Seite schieben lässt.
So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes. Nehmt hin aus seiner Hand die Schrecken und den Jammer dieser Tage, damit hebt eure Kraft und eure Stärke an. Wenn wir uns sagen müssen: „Du, Herr, züchtigst uns um unserer Sünde willen,“ so ist das freilich beugend und niederdrückend. Aber wenn wir es wissen, nicht menschliche Willkür, nicht ein blindes Ungefähr ist es, das über uns waltet, sondern Gottes Rat ist es, der erfüllt wird, so gewinnen wir damit schon einen festen Halt. Und wenn wir ihm, der allein Recht hat, Recht lassen, wenn wir unsere Sünde vor ihm verwerfen, weil wir sie selbst als verwerflich erkennen, so treten wir damit wieder auf seine Seite, und wir erfahren es: der Herr, der sich aufmacht zum Gericht, ist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte; er wird das zerstoßene Rohr nicht gar zerbrechen, und das glimmende Docht nicht gar auslöschen. Und wenn wir dann vor ihm liegen mit unserem Gebet und rufen: „Herr, Herr, handle nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat,“ dann hören wir es aus seinem Mund und seinem Herzen: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselben vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen!“ Damit sind wir dann stark und gerüstet gegen Alles, was da kommen mag. Klingt uns dieses Wort ins Herz hinein und bleibt es unserem Herzen unauslöschlich eingeschrieben, dann können wir fröhlich aufatmen und mutig das Haupt erheben in aller Trübsal und Bedrängnis, und der Sieg ist unser, auch wenn Hab und Gut, Leib und Leben verloren ginge.
In Demut stark. Nun, so demütigt euch denn unter die gewaltige Hand Gottes. O, ich bitte euch, schließe sich Niemand aus vom allgemeinen Sündenbekenntnis und von der Gesamtschuld unseres Volkes. Denke nur Niemand: „Was geht mich das an, was die Ungläubigen gefehlt und geplant haben!“ O, auch davon steht ein großer Teil mit auf unserer Rechnung. Wenn die Gläubigen getan hätten, was ihnen geziemte, wenn sie recht offen und entschieden hervor getreten wären, es würde nicht so schlimm geworden sein in unserem Volk. Und warum haben sie das nicht getan? Weil ihr Glaube noch so schwach war, weil sie noch so viel Rücksicht nahmen auf die Welt. O, wie viel haben wir alle versäumt! Und wie viel haben wir alle verschuldet! O, wie viel Zeugnisse von unserer Untreue, von unserem weltlichen Sinn bietet unser Leben noch dar! Ja, wir alle haben es verdient, dass Gott uns richtet und züchtigt. O, so lasst uns denn den aufgehobenen richtenden Arm Gottes durch wahre Buße und herzliches Gebet beugen, dass er wieder segnend seine Gnadenhand zu uns neige.
Und lasst uns ihm neue Treue geloben. Mit unseren Gedanken müssen wir uns hinein ringen in Gottes Gedanken, das ist wahre Demütigung, wahre Buße vor Gott. Mit unseren Sünden haben wir Gottes Gericht wider uns heraus gefordert. Erkennen wir das, geht das wie ein Schwert durch unsere Seele, dann muss notwendig dieser Schmerz zur Geburtsstunde werden für einen heiligen Willen, der einzig und allein dem Herrn dienen will zu seinem Wohlgefallen und zu seiner Ehre. Und wenn man sich so in Demut hindurch gerungen hat zur Pforte eines neuen Lebens unter dem Auge des Herrn, dann fühlt man sich stark, stark im Blick zu dem Herrn; denn dann ist man in Wahrheit sein eigen. O, die demütige Buße ist kein Verlust, sondern ein Gewinn, der herrlichste Gewinn! Der alte sündige Mensch wird dem Tode geweiht, damit der neue Mensch kräftig auflebe. Die Demut ist der Weg, um der ganzen Fülle der göttlichen Liebe und des göttlichen Lebens inne zu werden. In Demut stark.
2.
In Hoffnung freudig. „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, dass er euch erhöhe zu seiner Zeit.“ An die Aufforderung zur Demütigung knüpft sich eine liebliche Verheißung. Der Herr will uns nicht arm machen; er will uns geben, reichlich geben über all unser Bitten und Verstehen. Erniedrigen müssen wir uns alle vor ihm, denn wir alle sind Sünder, die, wenn er mit uns rechten will, ihm auf Tausend nicht Eines antworten können, Sünder, die sich erst von sich selbst losringen müssen, wenn sie mit ihm eins werden wollen. Sein Weg führt in die Tiefe, aber aus der Tiefe zur Höhe und Herrlichkeit. O, wenn unser Volk sich in Wahrheit demütigen würde, dann würde es auch erhöht werden, und eine neue Zeit des Heils würde für dasselbe anbrechen. Schon hat uns Gott gnädig zwei Siege verliehen. Damit spricht er zu uns: „Siehe, mein Volk, ich habe dich noch nicht verworfen, ich erbarme mich noch über dich, wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt.“ Nun denn in Hoffnung freudig! Er kann weiter Sieg verleihen, und er wird ihn gnädig verleihen. Seinem Arm ist nichts zu stark, er kann es brechen und stürzen. Aber uns geziemt es, meine Lieben, dass wir unseren Brüdern draußen im Kampfe helfend zur Seite stehen, wir müssen mit ihnen kämpfen und den Sieg mit ihnen erringen. Das sollen wir tun mit unseren Gebeten; darum feiern wir heute einen Buß- und Bettag. Das Gebet ist auch eine Waffe und Wehr, ja die stärkste von allen. Denn das Gebet, wenn es ernstlich ist, findet und trifft Gottes Herz, und er tut, was die Gottesfürchtigen begehren. Meine Lieben, seid ihr unseren Heeren draußen im Feld denn auch schon recht ernstlich mit euren Gebeten zur Seite gestanden? Könnt ihr sagen, dass ihr auch einen Teil mit habt an den Siegen, die Gott die Unseren hat erringen lassen; dass ihr sie mitgewonnen habt mit eurem Gebet? Ihr wisst es doch, was die Gläubigen und ihr Gebet dem Herrn gelten? Als Gott sich aufmachte, um Gericht zu halten über Sodom und Gomorra, da gelobte er dem Abraham, dass wenn auch nur zehn Gerechte darinnen wären, sie nicht zerstört werden sollten. Um der Gläubigen willen werden auch die Ungläubigen geschont. Nun, so wartet denn eures Amtes, ihr Gläubigen! Tretet ein als Priester Gottes mit eurem Gebet für unser Volk!
Und wenn denn unser ganzes Volk wie ein Mann, wie eine Seele sich aufs Neue zu seinem Gott und Herrn wenden würde, welche Macht wollte es dann fällen? O, mein Volk, dein Gott sucht dich; er ruft dir jetzt in dem Schrecken des Krieges, lass dich finden. Du sollst dich demütigen, damit du erhöht wirst. Wenn schwüle Dünste die Luft erfüllen, und man beengt kaum atmen kann, dann schlägt ein Wetter die beengenden Dünste nieder und macht die Luft wieder frisch. So hat es Gott auch mit dir vor, mein Volk. Du hast viel Verderbliches in dich aufgenommen und in deiner Mitte heimisch werden lassen. Nun soll der Sturm des Krieges deine Tenne wieder rein fegen, und durch das Feuer der Trübsal sollst du zu einem neuen Leben hindurchbrechen. O, so gib denn dem Herrn deinem Gott die Ehre, er wird sich von Neuem zu dir bekennen, und dir Sieg verleihen wider alle deine Feinde.
Der Herr hilft; er verleiht den Sieg. Aber vergesst nicht, was unser Text sagt: „Er erhöht zu seiner Zeit.“ Seine Zeit und unsere Zeit stimmt selten zusammen. Wir wollen meistens mit einem Schritt am Ziele sein, und er lässt uns zum Ziel gelangen, wenn seine Gnadenabsicht erreicht ist. Darum in Hoffnung freudig, aber zugleich im Warten geduldig. Was auch kommen mag, nur nicht verzagt! Gott hilft, aber zu seiner Zeit.
Gott erhöht zu seiner Zeit. Freilich, sollte unser Volk auch Sieg um Sieg gewinnen, es wäre ihm doch nicht geholfen, wenn es sich nicht zu dem Herrn wenden würde. Es würde dadurch in seiner Verhärtung nur gesteift werden, und das Letzte würde ärger sein als das Erste. „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit,“ so lautet unser Text. Ohne wahre Demütigung keine wirkliche Erhöhung. Wo man sich aber gedemütigt hat, da fängt die Erhöhung, was das Herz betrifft, auch sofort an. Wenn ihr von hier hinweg geht voll Reue über eure Sünden, voll Ergebung in Gottes Rat und Willen, voll Ernst, ihm zu dienen mit allen euren Kräften; wenn ihr mit Eifer daran geht, die Euren und wen ihr sonst könnt, zu dem Herrn zu weisen, wenn es euch eine heilige Aufgabe ist, aller Gottlosigkeit, so weit es euch möglich ist, zu steuern und zu wehren, wenn ihr eure Lenden gürtet zu den heiligen Werken der Liebe, jetzt in dieser Zeit besonders zur Unterstützung der Frauen und Kinder, deren Gatten und Väter im Felde stehen, zur Pflege der Verwundeten, zur Erleichterung derer, die im Augenblick ohne Arbeit und Verdienst sind: wenn so eure Gedanken eins werden mit Gottes Gedanken, dann wird es auch bei euch Wahrheit sein: In Hoffnung freudig. Und wenn ihr auch Leib und Leben verlieren müsstet, dann würde es eben an euch völlig erfüllt werden: Der Herr erhöht die Seinen zu seiner Zeit. Dann käme für euch der volle Friede nach Streit und Krieg, der letzte Sieg nach dem letzten Kampf.
3.
In Demut stark, in Hoffnung freudig und dann im Vertrauen ruhig. „Alle eure Sorgen werft auf den Herrn; denn er sorgt für euch.“ Sorgen ach, die gibt es jetzt bei Allen. Mit Sorgen steht man auf, mit Sorgen legt man sich nieder. Mit Sorgen der Nahrung, mit Sorgen um die leiblichen Bedürfnisse haben nicht bloß die Armen, sondern selbst die Reichen zu kämpfen. Es ist ja Alles schwankend geworden. Wer kann denn noch für etwas gut stehen? Wer heute noch reich ist, kann in Kurzem arm sein. Nun, unser Text weist uns einen Weg, dass wir aus allen Sorgen und Beängstigungen wieder fröhlich aufatmen können. Alle eure Sorgen werft auf den Herrn; denn er sorgt für euch. Hinein mit euren Gedanken in Gottes Gedanken! Kennt ihr denn euren Gott und Vater nicht? Kennt ihr sein Herz nicht? Will er euch verkommen und verkümmern lassen? Ach, kein irdischer Vater lässt sein Kind hungern, so lange er nur noch ein Stück Brot erarbeiten, oder, wenn es sein muss, erbetteln kann. Und der himmlische Vater, der mächtig ist über Alles, der Manna vom Himmel regnen, der Wasser aus dem Felsen in der Wüste sprudeln lassen kann, der sollte seine Menschenkinder vergessen? „Er sorgt für euch,“ sagt der Apostel in unserem Text. Wisst ihr das noch nicht? Wie viel Stücke Brot habt ihr schon gegessen? Könnt ihr sie zählen? Wer hat sie euch gegeben? Euer Gott hat's getan. O, er hat noch Brot; er kann noch austeilen. Freilich, dass ihr reich sein müsst, das hat er Keinem verheißen und Keinem besiegelt. „Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns begnügen,“ sagt der Apostel. O, es ist gut, dass Mancher daran erinnert wird, dass wir nichts in die Welt gebracht haben, und dass wir auch nichts hinaus bringen werden! Aber Keiner soll's auch vergessen: Er sorgt für euch.
Dann ist's aber noch eine Sorge, die die Herzen aufs tiefste beschwert, die Sorge um die lieben Angehörigen draußen im Feld. Nun, werft eure Sorgen auf den Herrn; er sorgt für euch, er sorgt für sie. Sie sind in seiner Hand. Sollt ihr sie wieder sehen, er wird sie euch wieder in die Arme führen, und die Stunde des Wiedersehens wird allen Kummer, alle Tränen aufwiegen, die geweint worden sind. Soll ihr Leben zum Opfer werden für ihr Volk und Vaterland, sie stehen in einem heiligen Beruf. Schon die Heiden sagten: „Süß ist's, für das Vaterland zu sterben.“ Und unser Text sagt: „So fügt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.“ O, wer als gläubiger Christ in seinem Beruf stirbt, der ist nicht zu beklagen. Wir kennen ja das Wort: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an; sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach.“ Und wenn sie auch einsam draußen ihre Seele ausatmen, wenn kein Freundesauge auf sie blickt, keine Freundeshand sich unter ihr sinkendes Haupt legt, der Herr ist bei ihnen; er wird sie trösten und erquicken in der letzten Not wie kein Vater und keine Mutter es können. Und die Bleibenden, so viel sie auch mit ihnen verlieren, den Herrn verlieren sie nicht. Er bleibt ihnen, bleibt bei ihnen, und im Gefühl seines Naheseins lindert sich alles Leid, wird auch das Leid zuletzt zu einer geheimen Freude.
Nun, so lasst uns denn demütigen unter die gewaltige Hand Gottes, er will uns erhöhen, erhöhen zu seiner Zeit. Und alle unsere Sorgen lasst uns werfen auf ihn; er sorgt für uns. Amen.