Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Pi-Harirot).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Pi-Harirot).

Vierte Predigt.

Eingang.

Wollen wir das oft dunkle Rätsel der Führung der meisten Kinder Gottes richtig fassen und verstehen, so müssen wir uns die Auflösung desselben merken, welche Gott selbst davon gibt. Zwar gibt er diese Auflösung in besonderer Beziehung auf die rätselhafte Führung der Kinder Israel durch die Wüste; sie gilt aber auch als eine allgemeine Regel, denn alle haben den nämlichen Zweck: die Demütigung und die darauf erfolgende Herrlichmachung. Demütigen heißt in der heiligen Sprache arm, klein, schwach machen. Dies Demütigen erweiset sich hauptsächlich in vier Stücken. 1) Wird dem Menschen die selbstgefällige Meinung benommen, die er von sich selbst hat, und das geschieht dadurch, dass ihm Alles kund wird, was im Herzen ist. - Was in seinem Herzen steckt, glaubt er nicht eher recht, als bis es durch irgendeine Veranlassung aus seinem Schlupfwinkel hervorgelockt wird, wie die Schnecke beim Regen. Der Glückwunsch Baledans brachte Hiskias Hochmut, die schöne, nackte Bathseba Davids Fleischeslust, der Türhüterin Frage Petri Wankelmut, zum Vorschein. – Alles kund werden, das ist viel; doch muss das Alles nicht gerade streng genommen werden. Es kann auch ein Hauptstück des Verderbens eine einzige Sünde sein, wie bei den genannten Heiligen. 2) Wird dem Christen seine eigene Kraft nach und nach dermaßen benommen, dass er, wie Christus es will, sein eigen Leben verliert. Was das sei, kann uns die Erfahrung am besten lehren. Es wird dafür gesorgt, dass Niemand sagt: meiner Hände Kraft hat das zuwege gebracht. Paulus selbst geriet, da er schon eine Zeitlang Apostel gewesen, in solche Umstände, da er über die Maße und über Macht beschwert wurde, damit er nicht auf sich selbst vertraute. 2. Kor. 1. Eigene Weisheit ist der dritte Gegenstand der Demütigung. Es ergehet ihr auch gar übel. Wer ihrer zu besitzen meint, soll ein Narr werden. Assaph wollte Manches mit seiner Vernunft fassen, ward aber so herunter gebracht, dass er sagen musste: ich bin ein großes Tier vor dir. Hiob, der sich auch noch klug dünkte, wurde gewaltig hergenommen und in ein scharfes Examen geführt, wo Gott zu ihm sprach: sage mir’s, bist du so klug? er aber bekennen musste: ich habe unweislich geredet, das mir zu hoch ist und nicht nicht verstehe. – Es wird dafür gesorgt, dass Niemand sagen kann: durch meine Weisheit ist’s mir gelungen, denn ich bin klug, was Gott dem heidnischen Sanherib so übel nahm, dass er ihn deswegen verdarb. Sollte er dies an seinen Kindern dulden? Mitnichten. Das Vierte ist die eigene Vortrefflichkeit und Gerechtigkeit, die freilich auch in dem einen begriffen ist: denn wenn Alles kund wird, was im Herzen ist, so fällt dieses von selbst hinweg. Nicht um deiner Gerechtigkeit und deines aufrichtigen Herzens willen kommst du in Kanaan, hieß es im alten wie im neuen Bunde. Gott zürnet über Tyrus, Ezech. 28, dass es sich so schön dünke. Sollte er das an seinen Kindern dulden?

Das Demütigen geht nicht bequem her. Hagar lief von ihrer Frau weg, als diese sie demütigen wollte, das täten wir auch, könnten wir, oder bestimmten doch die Art der Demütigungen.

Halten wir jenes fest, so können wir manches Rätsel lösen, und es wird uns auch die Geschichte der Führung Israels klar, welche auch diesmal der Gegenstand unserer Betrachtung sein soll.

Text: 4. Buch Mose 33,7.8.

Bei der Lagerstätte zu Hahirot gibt’s noch einiges Bemerkenswerte; es wird von demselben gesagt: es liege im Grunde gegen Baal-Zephon und Migdol.

Dass der Christ überhaupt im Grunde, in der Tiefe gelagert sei, ist zu allen Zeiten wahr. Für seine Person liegt er in einem tiefen Elende, dessen unergründliche Tiefe er je länger, je mehr einsieht, und dadurch immer deutlicher erkennt, dass er wirklich einen solchen Erlöser, wirklich eine solche Gnade, wirklich eine solche Gerechtigkeit bedarf, wie es das Evangelium verkündigt. Wie wird’s in ihm, sobald sich das Licht ein wenig verbirgt? so schwebt wieder Finsternis auf der Tiefe, und es regen sich alle wilden Tiere. Psalm 104. – Wie manches Kopfschütteln muss er über sich selbst machen, welches Missfallen an sich selbst haben! Nein, in ihm wohnet nichts Gutes.

Es ist also sehr natürlich, dass er in dem Grunde der Demut gelagert ist, einer Demut, die er nicht als eine Art von Tugend betrachten kann, sondern die sich von selbst macht und ihn Paulo nachsagen lässt: ich bin nichts. – Die hohen Gedanken fallen je mehr und mehr dahin, mochten die Jünger sie auch bis unter das Kreuz mitschleppen, da fielen sie in einander, und sie wurden die Kleinen, zu denen der Herr seine Hand kehrt.

Sie sind aber auch in der Tiefe gelagert und gewurzelt in Absicht ihres Heils. Es hat seine Wurzel in der Liebe Gottes, welche sie zuvor bestimmt und sie erwählet hat vor Grundlegung der Welt, und hat sie verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst, durch Jesum Christ, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zu Lobe seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten. – Sie haben zwar keine eigene Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz ist, und die sich durch eigenen Fleiß zuwege gebracht; dagegen aber haben sie eine Gerechtigkeit, die ihnen zugerechnet wird, die die strengste Prüfung aushält und nie wankt; sie schwebt über ihnen, wie verderbt sie sich auch fühlen, wie die Wolkensäule über den Kindern Israel, und sichert sie gegen die brennenden Sonnenstrahlen der Heiligkeit des den Sünder verdammenden Gesetzes. Ihre Gerechtigkeit wurzelt in den blutigen Verdiensten des Sohnes Gottes. Nicht weniger fest ist ihre Erneuerung nach dem Ebenbilde Gottes. – So wenig etwas daraus werden würde, wäre sie ihrer eigenen Sorge, ihrem eigenen Fleiß, anheim gegeben, so gewiss kommt sie, aller Unwahrscheinlichkeit ungeachtet, doch deswegen zu Stande, weil der Herr es ist, der sie heiligt. – So ist auch für ihr glückliches Durchkommen durch diese arge und versuchungsvolle Welt hinlänglich gesorgt, weil sie aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werden zur Seligkeit und Niemand sie aus seiner Hand reißen kann. – Es sind keine ungewisse, sondern gewisse Gnaden Davids, mag auch unser Herz manchmal zappeln und zagen. – Es ist ein Salzbund, der wohlgeordnet und beständig ist, so dass wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber des Herrn Gnade nicht von uns weichen noch der Bund seines Friedens hinfallen wird. In uns kann es wunderbarlich abwechseln und auch wohl zu der Klage und Frage kommen: ist es denn ganz und gar aus mit seiner Güte? (Ps. 77,9). Gott aber gedenkt seines Eides, und seine Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen. – Mit einem Worte, Christus, der ganze Christus, wie er uns von Gott gemacht ist, ist der Grund, wo Israel gelagert ist. Er ist der Fels, auf welchen seine Gemeine gegründet ist, und die Pforten der Hölle überwältigen sie nicht. Da kann wohl von außen die Welt gegen anrennen, und wie sie oft getan, mit Feuer und Schwert dagegen wüten; innerlich kann wohl das Verderben toben und Satan wüten, die Jünger auch wohl schreien: wir verderben, weil die Wellen schon über das Schifflein gehen, und der Sturm noch mehr darüber herzuwerfen droht; - es hat doch so wenig zu bedeuten, dass Jesus fragt: warum seid ihr so furchtsam? als wäre auch unter solchen Umständen kein Grund dazu vorhanden. Hier muss aber auch ein Jeder gelagert sein. Ist es deine eigene Kraft, sind’s deine gute Gesinnungen, ist es deine Tugend, worauf du dich verlässt, sind’s deine eigene Einsichten, denen du folgst, so wohnst du in einem Hause, das kein Fundament hat, und beim ersten Sturm über die zusammen fallen wird. Von der Unzulänglichkeit jener überzeugt werden, überzeugt werden von den heiligen und hohen Forderungen des Gesetzes, überzeugt werden von der unermesslichen Heiligkeit Gottes, und von unserer Unheiligkeit, Blindheit, Verkehrtheit, und dann überzeugt werden von der Bereitwilligkeit Jesu Christi, sich solcher Verlornen treulich und seligmachend anzunehmen, das leitet zu dem wahren Grunde, wo es dann wohl heißt:

Der Grund, wo ich mich gründe,
Ist Christus und sein Blut;
An mir und meinem Leben
Ist nichts auf dieser Erd’.
Was Christus mir gegeben,
Das ist des Lobens wert;
In ihm kann ich mich freuen,
Hat’s meine Seele gut,
Darf kein Gerichte scheuen,
Wie sonst ein Sünder tut.
Kein Unfall mich erschrecket,
Kein Unfall mich betrübt,
Weil mich mit Flügeln decket
Mein Heiland, der mich liebt.

Wohl ist’s der Mühe wert, von Zeit zu Zeit sich über den Grund zu prüfen, worauf man seine Hoffnung stützt. In uns keinen, in Christo der Genugsame. Das ist die Regel. Ist denn dieser Grund auch bei dir dadurch gelegt worden, dass du angefangen hast zu erkennen, wie groß deine Sünde und Elend sei, und sodann wie du von allen deinen Sünden erlöst werdest? Wird dein eigener Grund immer völliger umgerissen, so dass du wirklich dein eigen Leben verlierest und Christus dein Leben wird, ohne welchen du nichts tun kannst noch willst?

Es kommen hier noch einige Wörter vor, deren Bedeutung wir bemerken. Baal ist ein bekanntes Wort, und wir wissen, dass die Juden einem Götzen dienten, den sie also nannten, dessen Dienst Elias und Jehu zerstörten. Baal heißt so viel, als einer, der da hat, besitzt und deswegen auch Herr. So könnte die bekannte Stelle Jesaja 54,5.: der dich gemacht hat, ist dein Mann, so gegeben werden: der dich gemacht hat, hat dich, - du hast nicht bloß ihn, er hat auch dich und wird dich nicht lassen, welches ja sehr tröstlich ist, weil daraus erhellet, dass die Seele den Herrn nicht nur mit ihren oft so schwachen Glaubensarmen, sondern der Herr auch sie mit den ewigen Armen seiner Liebe gefasst hat und sie nicht fahren lässt. Eine solche zwiefache Schnur hält. Es bedarf ihrer aber auch. Dieser Name hatte offenbar etwas sehr ermunterndes für das arme Israel. Bisher war Pharao ihr Baal, wenigstens maßte er sich’s an, ihr Besitzer zu sein, und betrachtete sie als Leibeigene, und wollte sie auch nicht aus seinem Lande lassen, weil sie ihm allzu nützliche Leute waren. Aber ihr eigentlicher Baal und Besitzer war nicht Pharao, sondern der Herr, der wollte sie nicht lassen. Er wird sie in keiner Not stecken lassen, ihnen nie seinen Beistand versagen, sondern sie herausreißen und zu Ehren machen, mochte es auch oft gar seltsam hergehen. Und diesen Trost haben alle wahre Christen. Es ist wahr, sie waren Knechte der Sünde. Es ist wahr, sie waren in der schrecklichen Gewalt des Satans und der Obrigkeit der Finsternis. Es ist auch wahr, dass beide ihr ehemaliges Besitztum ungern drangaben und noch manche Versuche machen, um sie wieder zu erobern, welches ihnen auch nicht selten zu gelingen scheint, und das wohl auf eine Furcht und Zagen erregende Weise. Aber da ist’s ermutigend zu hören: der dich gemacht hat, hat dich. Sagte die Braut: Ich halte ihn und will ihn nicht lassen, wie vielmehr wird das der Bräutigam sagen und tun.

Ein treuer Untertan
Betrübet sich von Herzen,
Wenn er gefangen sitzt
In fremder Herren Macht:
Mein rechter Herr und Gott,
Du kennest meine Schmerzen,
Die andre Herren oft
Mir haben zugebracht.
Wenn Sünd’ und Satans Macht,
In Angst und Not mich treiben:
So denkt mein armes Herz
Alleine doch an dich.
Es gehe wie es geh’,
Ich will der Deine bleiben;
Mein Wille bleibt fest,
Du bleibst es ewiglich.

Herr, unser Herrscher, es haben wohl andere Herren über uns geherrscht, denn Du. Aber wir gedenken doch allein dein und deines Namens. Jes. 26.

Das Wort Zephon hat mehr als eine Bedeutung. Es bezeichnet verbergen. Und wohl war ihnen Gott hier ein verborgener Gott. Es war ihnen noch verborgen, warum er sie einen so seltsamen, widersinnigen Weg führte, dass auch der vernünftige Pharao ausrief: sie sind verirrt; verborgen, warum es gerade mit ihnen aufs rote Meer losging; verborgen, was es doch da mit ihnen geben werde. Wehe dem, welchem Gott überhaupt ein Verborgener ist, der ihn weder als einen heiligen und gerechten Gott noch auch als einen gnädigen Vater in Christo kennt. Gott ist in seiner Regierung oft ein verborgener Gott, und ist es zuweilen in sehr hohem Grade. Denkt nur an die Geschichte des Lazarus. Wie unerklärbar musste seinen Schwestern sein Tod sein, obschon Jesus ihnen hatte sagen lassen, die Krankheit sei nicht zum Tode, sondern nur dass der Sohn Gottes dadurch geehrt werde. Denkt an den Tod Christi selber. Was für Gedanken, oder vielmehr was für eine Bestürzung musste derselbe bei den Jüngern erregen, die eher alles als dies erwartet hatten. Wie sehr schien dies dem Worte Gottes, so weit sie’s wenigstens verstanden, zuwider, das doch gerade auf diese Weise erfüllt wurde. – David sagt aber auch Ps. 31,21.: Du verbirgst sie heimlich bei dir vor Jedermanns Trotz; du verdeckest sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen, d.h. du beschützest sie. Und die christliche Kirche hat diesen Schutz zu allen Zeiten ebenso sehr bedurft, als damals Israel, wenn es sich gleich nicht zu allen Zeiten gleich merkbar gezeigt hat. Es ist bekannt, welche erschreckliche Verfolgungen dieselbe bei ihrer Entstehung von Juden und Heiden und später in ihrer Reinigung von den Anhängern des Papsttums hat erdulden müssen und erduldet hat, ohne zu Grunde gerichtet werden zu können. Wer hätte es für möglich halten sollen, dass heute noch ein ansehnliches Häuflein Waldenser, mitten unter lauter bitteren Katholiken und im Gebiete eines katholischen Fürsten, übrig sein könnte, da ihre gänzliche Ausrottung beschlossen und aus allen Kräften versucht ward, und dies nicht zehn, nicht zwanzig, sondern viele hundert Jahre hindurch. Und findet derjenige es anders, der in seine eigene Geschichte sieht? Wie wenig ließ sich bei den Meisten die Sinnesänderung erwarten, die dennoch durch die Gnade Gottes in ihnen bewirkt und sie lebendig gemacht wurden, da sie tot waren in Sünden. Wie viele Fesseln waren zu lösen, wie viele Vorurteile zu beseitigen, wie viele Irrtümer wegzuschaffen, wozu freilich eine so durchgreifende und unwiderstehliche Gnade erforderlich war, wie sie wirklich ist. So mag’s von jedem wahren Christen heißen: er ist ein Wunder. Sach. 3. – Aber wenn nun auch das gute Werk wirklich begonnen ist, welchen Gefahren ist dasselbe nicht ausgesetzt, so dass man, nach der Vernunft gesprochen, nichts für leichter halten kann, als einen Rückfall aus der Gnade, wie denn nichts leichter und gewöhnlicher ist, als das Fallen von derselben, nach Gal. 5,4. Die Versuchungen der Welt sind vielleicht noch die unbedeutendsten. Aber als hätten wir an unserem eigenen, nur allzu sehr zu allem Bösen geneigten Herzen noch nicht Feindes genug, steht uns sogar der Satan entgegen, dessen schmerzhafteste Anfälle mehrenteils noch die am wenigsten gefährlichen sein mögen. Wer darf aber erwarten, von ihm ungeneckt zu bleiben, da er Christum selbst anfiel, - wer darf hoffen, ihn zu überwinden, da Adam ihm erlag? Was steht nicht von seiner Macht, verbunden mit List und Bosheit, zu besorgen, und musste Paulus seine Faustschläge ins Angesicht erdulden, was kann uns widerfahren? Bedürfen wir da nicht des Baal-Zephon, des Herrn, der verbirgt und bewahrt? Mehr als sich sagen lässt. Sehen wir doch einen David fallen, einen Salomon so irren, dass er vor Götzen knieet, einen Moses sogar die Ehre Gottes verwahrlosen. Wie demütig mögen wir derhalben wohl sein, und wachen und beten, dass wir nicht in Anfechtung fallen.

Zephon bezeichnet aber auch etwas, worauf man mit Verlangen sieht, und das Wort Migdol bedeutet einen Thurm, so wie etwas Vortreffliches. Es wird hier also ein Volk bezeichnet, was etwas Vortreffliches mit Verlangen begehrt und darnach aussieht, und diese Gesinnung treffen wir nur bei wahren Christen an. Die Andern begehren mit großem Verlangen Dinge, die nur in einem sehr eingeschränkten Sinne vortreffliche genannt zu werden verdienen. Sie sind bloß irdischer Art. Gute Tage, Gesundheit, langes Leben, Glück, Vermögen. Über dieses gehen ihre Begierden nicht hinaus. Wahre Christen haben einen anderen Sinn. Zwar verschmähen sie die genannten Dinge keineswegs. Sie bleiben aber auch nicht daran hangen. Das neue Herz und der gewisse Geist, um welche David betet, die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und der Friede Gottes, der daraus entspringt, und den Paulus für höher erklärt, als alle Vernunft, der Heilige Geist und das ewige Leben, die Gemeinschaft mit Gott und die genaue Vereinigung mit Christo, sind die Vortrefflichkeiten des Migdol, das sie begehren. Sie wählen das beste Teil und sehen nach demselben verlangend aus. Verlangend sehen sie der Erfüllung der, das Allgemeine angehenden herrlichen Verheißungen entgegen, wonach die Erde noch voll werden wird der Erkenntnis des Herrn, wo die Fülle der Heiden wird eingehen, und schauen begierig zu, was sich unter Juden und Heiden etwa Erfreuliches regt. Ebenso harren sie sehnsuchtsvoll für ihre eigene Personen entgegen der völligen Unterjochung, Kreuzigung und Tötung ihres, ihnen so missfälligen, alten Menschen, der mehreren Ausbreitung ihres Herzens in Glauben und Liebe, der innigeren Gemeinschaft mit Christo und ihrer endlichen Aufnahme in die ewige Herrlichkeit. Unsere Augen sehen nach den Bergen, von welchen uns Hilfe kommt. Ach! dass doch die Hilfe aus Zion erschiene, und der Herr sein gefangen Volk erlöste. Ist hier doch so mannigfaltiger Streit und vielfache Mühe. Auf einige Sonnenblicke folgen oft Tage voll Nebel und Regen. Und wie viele ächzen unter mannigfaltigem Kreuz und gleichen einem Simon, der ermüdet vom Felde eilt, um sich zu Hause zu erquicken, sich an dessen statt aber das Kreuz muss aufbürden lassen. So sehen wir’s auch in der Reise Israels. Bald fehlt’s hie, bald mangelt es dort, und immer ist’s eine Wüste, nicht Kanaan, das Land, worin sie wohnen sollten. Und werden ihnen köstliche Früchte aus dem Segenslande gezeigt, so sagt der Unglaube: nie könnt ihr dazu gelangen, - und Josua hat genug zu schreien: es entfalle Keinem das Herz um deswillen. Alles hebt doch seine Stimme auf und weint.

Endlich bezeichnet Zephon auch Mitternacht, nämlich die Himmelsgegend, die man also oder auch Norden nennt. Mitternacht und Mittag hast du geschaffen, sagt Etan Ps. 89,13. Fürchte dich nicht, Jakob, heißt’s Jes. 43,6., denn ich bin mit dir. Ich will vom Morgen deinen Samen bringen und vom Abend dich sammeln; und will sagen gegen Mitternacht: gib her, und gegen Mittag: wehre nicht. Nach Norden hin finden sich einige Sterne, die ihre Stellen am Himmel das ganze Jahr durch sehr wenig ändern, und einer unter ihnen, der Polarstern genannt, der sie fast gar nicht verändert, sondern wie unbeweglich dasteht. Dieser Stern diente besonders ehemals, da man den Kompass, der stets nach Norden weist, noch nicht kannte, vornämlich den Seefahrern als ein Wegweiser, wonach sie ihre Fahrt richten konnten, weil sie die anderen Himmelsgegenden auch bestimmen konnten, wenn sie erst wussten, wo Norden war. Auch bei Landreisen kam dies Gestirn gut zu statten. – Um den Weg auszumitteln, bedurften die Kinder Israel des Zephon, des Polarsterns, freilich nicht, aber sie bedurften für alles übrige eines festen Punktes, worauf sich das Auge ihres Vertrauens heften mochte. Und den konnten sie besonders in ihrer dermaligen Lage auf Erden nicht finden, mussten ihn also in der Höhe suchen, wohin sie gleichsam auch der hohe Thurm verwies. Denn womit waren sie denn wohl für ihre Reise versehen? Nicht einmal mit Waffen, geschweige mit sonst was. Doch nicht nur sie, sondern bedürfen nicht wir Alle eines Polarsterns, eines festen Punktes, woran sich unsere Seele hange? wo finden wir denselben aber? Nicht in der Welt; nicht in ihrer Weisheit, die Torheit vor Gott und alle fünf Jahre eine andere ist, also kein Polarstern. Nicht in ihrer Gunst und in ihren Gütern, die der Veränderung ebenso unterworfen sind, wie alles Übrige. Eben so wenig finden wir den Stützpunkt unseres Vertrauens in uns selbst. Worauf wollten wir uns wohl stützen, da die Schrift den für einen Narren erklärt, der sich auf sein Herz verlässt; auf unseren eigenen Verstand? da das was gilt, nur Unmündigen geoffenbart wird; - auf unsere Macht? womit wir nicht einmal ein Haar schwarz oder weiß machen können; - auf unsere Vorsätze? die schon als halbtote Kinder geboren werden; - auf unseren Mut? der uns so leicht entfallen; auf unser Licht? das so leicht verdunkelt; auf unsere Gewissheit? die so schnell erschüttert; auf unseren Glauben? der so bald ans Wanken gebracht werden kann; auf unsere Erfahrungen? die wir so schnell vergessen, oder worauf wollen wir uns sonst stützen, zumal wenn es einem ginge, wie David Ps. 31,13. von sich sagt: ich bin wie ein zerbrochen Gefäß, - und da Menschen, die von sich selber halten, in der Schrift so übel angeschrieben stehen, 2. Tim. 3. Wer ist denn der feste Stützpunkt? Ist es Gott? Aber sind wir nicht Sünder, und ist er nicht ein Feind derselben? Aber es ist ein Stern in Jaed aufgegangen und ein Held aus dem Stamm Juda, dem werden die Völker anhangen. In ihm ist das Leben und alle Fülle. Lasst uns denn aufsehen auf Jesum. Wir bedürfen Weisheit, große Weisheit, wir müssen eine Tugend haben, die von Gott selbst gültig befunden wird, ohne Heiligung können wir ihn nicht sehen, und bei so mächtigen Übeln, als uns drängen, tut eine große Erlösung not. Aber seht, dies Alles ist in dem Einen. Wie nun einst im israelitischen Lager fast Aller Augen auf sein Vorbild, die kupferne Schlange, gerichtet waren, so sollen wir immer nichts wissen wollen, als Jesum Christum den Gekreuzigten. Er ist der einige Stein, auf den, nach Sach. 3., sieben, d.h. alle Augen gerichtet sind. Haben wir denn sonst nichts, gar nichts, des wir uns rühmen mögen und getrösten dürfen: so haben wir doch ihn, und mag auch unser Glaube leider nur schwächlich sein, so kann er ihn leicht stärken, und glauben wir auch nicht, so bleibt er doch getreu. Dies ist der rechte Polarstern für uns arme Pilger. Sein Wort ist der Thurm Migdol, der uns an ihn weist, und dies Wort sollen wir festalten.

Die Kinder Israel kamen auch gar bald in solche Verhältnisse, wo sie dieses festen Punktes außerhalb der sichtbaren Welt ungemein sehr bedurften. Wir meinen auch wohl einmal, uns in einer sehr bedrängten und verwickelten Lage zu finden. Vielleicht ist das auch so. Wenn es uns aber vorkommen will, als sei außer uns wohl Niemand in gleichen oder gar noch bedrängteren Umständen gewesen, und möchten wir mit Jeremias ausrufen: wo ist ein Schmerz, wie mein Schmerz! – so irren wir. Lasst uns nur einmal die Lage der Kinder Israel zu Pi-Hahirot ein wenig vergegenwärtigen. Sie waren in einem tiefen Tale gelagert, von hohen Bergen eingeschlossen, wo man weder rechts noch links ausweichen konnte. Zu diesem Tale gab es nur einen Eingang. Der Ausgang am entgegengesetzten Ende war durch den arabischen Meerbusen oder das rote Meer geschlossen. Und in diese Kluft hinein hatten die Kinder Israel gemusst, weil die Wolkensäule sie dahin leitete, ohne welches sie einen weniger ängstlichen Weg würden eingeschlagen haben, wie sie gekonnt hätten. Pharao erfuhr ihre Lage. Er fing an es zu bereuen, dass er sie hatte ziehen lassen, welches ja dem Lande zu einem unersetzlichen Schaden gereichte, da sie sich dadurch ihrer Knechte beraubt sahen, welche die Arbeiten verrichten mussten, wozu sie selbst keine Lust hatten. Seine Räte stimmten vollkommen mit ihm überein, und sehr bald war ein Entschluss gefasst. Er befahl augenblicklich, sein Heer aufbrechen zu lassen, an dessen Spitze er sich selber stellte und den Oberbefehl führte. Die Rüstung geschah so rasch und ihr Aufbruch so schleunig, dass sie die Kinder Israel sehr bald eingeholt hatten. Diese lieben Leute dachten an keine Gefahr, sondern glaubten, mit dem glücklichen Ausgang aus Ägypten aller Not auf einmal entgangen zu sein. Sie hatten keine Waffen, womit sie sich zur Wehre setzen konnten, und an Mut fehlte es ihnen nicht weniger. Ihr aus Ägypten mitgenommener Mundvorrat war auch sehr auf die Neige gegangen und sie finden an, Mangel zu leiden. Nun sehen sie mit einmal das große ägyptische Heer mit seinen blitzenden Waffen und rasselnden Wagen und stampfenden Rossen. Wer schildert ihr Entsetzen! Pharao – so schien es – konnte mit ihnen machen, was er wollte, sie Alle oder doch ihre Häupter totschlagen, sie aushungern, sie ins Meer jagen, oder sie in eine ärgere Knechtschaft zurückführen, als je zuvor. Israel sah kein Rettungsmittel vor sich. Es konnte nicht einmal fliehen, nicht zur Seite – das litten die schroffen Felsen nicht, nicht vorwärts – da war das Meer, nicht zurück – da war eine gerüstete Armee. Erschreckliche Lage! Sie waren ohne Rettung verloren, oder wenn ihnen noch etwas übrig blieb, so war dies das Einzige, sich auf Diskretion, auf Gnade und Ungnade, zu ergeben, und wie würde es ihnen dann gehen! Ihre Angst war namenlos. Sie fingen jämmerlich an zu schreien. Nichts blieb ihnen übrig, als der Baal-Zephon, als der Polarstern am Gnadenhimmel, der auch in der finstersten Nacht am klarsten funkelt, nichts als Migdol, der Hohe und Erhabene, nichts als der Herr, den schrien sie an. Jedoch nicht auf eine freudig gläubige und zuversichtliche Weise, sondern mehr fürchtend als hoffend, auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war. Sie hatten Alles vergessen, was der Herr bis jetzt schon Großes und Erstaunliches an ihnen getan, und waren unfähig, daraus den Schluss zu machen: er werde sie auch jetzt nicht stecken lassen. Selbst Moses, dem doch nichts unerwartet kam, da ihn der Herr schon früher unterrichtet hatte, selbst Moses stand eine Weile stumm und bestürzt da. Ja, wie weit kann das Misstrauen nicht gehen! Die beängstigten Kinder Israel schöpften auch gegen Mose selbst einen gräulichen Verdacht, ob er’s nicht vielleicht mit Pharao so verabredet hätte, wenigstens betrachteten sie ihn als den Urheber all ihres Unglücks, der sie durch seine Unbesonnenheit in diese verzweifelte Lage gebracht, die sie wohl vorausgesehen und ihm mehr als einmal gesagt: höre auf und lass uns den Ägyptern dienen. Denn welch ein Elend das auch ist, so wäre es doch besser, als so elendiglich in der Wüste zu sterben. – Wirklich ist Moses noch immer ein gar schlimmer Mann, der uns mit seinen Forderungen und Drohungen in großes Gedränge und Ungemach führt, indem er nur vom Tun wissen will, ohne die erforderliche Kraft dazu mitzuteilen, so wenig als Jemand den Kindern Israel an der bestimmten Zahl Ziegel half, indem er nur Fluch und Tod predigt. Er treibt seine Forderungen bis ins Unendliche, wo man auch wohl sagen möchte: höre auf! Aber er hört nicht auf, so lange noch das Allermindeste zurückbleibt. Es ist wirklich nicht zu sagen, in was für Jammer und Not das Gesetz eine Seele bringen kann, an welcher es sein Amt tut, wie schon an Paulo zu sehen ist, welcher auszurufen sich gedrungen fand: Ach! ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes. Die Seele weiß dann auch wohl nicht rück- noch vorwärts, und sieht kein Durchkommen. Unter solchen Umständen hat wohl schon Mancher gedacht, was die Kinder Israel sagten: Wären wir doch nur in Ägypten, - wären wir doch nur in unserer vormaligen Sicherheit geblieben, wo wir uns um Gott und sein Wort, um unsere Sünden und unseren Seelenzustand nicht bekümmerten, sondern sorglos dahin lebten, wie andere Leute noch tun. Was hilft uns jetzt unser Sorgen und Grämen, womit wir uns nur plagen, ohne etwas auszurichten. Kurz, die armen Kinder Israel glaubten nicht anders, als Alles habe sich zu ihrem Untergange zusammen verschworen. Moses und Pharao, das Tal und das Meer. Freilich hatten sie so Vieles, was sie zum Glauben ermuntern sollte, namentlich das sichtbare Zeichen der gnädigen Gegenwart Gottes in der Wolken- und Feuersäule, wie wir die heiligen Sakramente haben, - aber was hilft das Alles in jener Zeit der Drangsal! – O! ihr lieben Kinder Israel, wie ging es euch hier so ganz anders als zu Raemses, wo ihr vor Freuden jubeltet und ein Freudengeschrei erhubet. Wie müsst ihr jetzt so ängstlich seufzen! Es ist Nacht geworden, wo euch nur der Polarstern schimmert. Nichts ist euch übrig geblieben, als derjenige, der da gesagt: Ich werde sein. Aber er wird auch sein. Fürchtet euch nur nicht. Der Herr wird Ehre einlegen. Er wird für euch streiten, und ihr sollt stille sein. Es kommt noch ein Elim.

Lasst uns hier wieder abbrechen, und, so der Herr will, nächstens sehen, wie herrlich er sie aus der Not errettete.

Du aber, o Herr! mache uns nur elend, hilf uns Elenden aber auch herrlich. Amen.

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