Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Ritma - Schluss)

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Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (29)

Neun und zwanzigste Predigt.

Vierzehnte Lagerstätte: Ritma. (Schluß.)

4. Buch Mosis 15,36. und C. 16.

In dieser Woche nimmt die feierliche Zeit ihren Anfang, welche der ausführlichen Betrachtung des allerheiligsten, versöhnenden Leidens Jesu Christi gewidmet ist. Das größte, erstaunlichste Wunder stellt sich unserm Blicke dar, uns zur Buße, zur Demüthigung, zur Welt- und Selbstverleugnung zu reizen und zum Glauben zu erwecken. Die unbegreifliche Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes, sammt seiner unbegreiflichen Huld und Gnade gehen vor uns vorüber, daß wir mit Mose auf unser Angesicht niederfallen, während der Herr ruft: Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue. –

Fragt Paulus im Ganzen von der Verkündigung des Evangelii: wer ist hierzu tüchtig? so gilt dies von den Leidensbetrachtungen in vorzüglichem Maaße. Es ist das Allerheiligste, es ist die Grundlage und das Fundament, es ist das Geheimniß des Kreuzes Christi, was wir betrachten. Die Geschichte der Leiden ist gleichsam nur der Rahmen, die Einfassung, die Schale, in welcher der Kern, der Edelstein, das Gemälde steckt.

Unter dem Alten Testament mußte sich bei der Feier des großen Versöhntages alles demüthigen, wie viel mehr, bei der Feier dieser heiligen Zeit! Sie heißt die Fastenzeit, und billig sollten wir diese sechs Wochen auf eine christliche, stille Weise auszeichnen. – Von den Fastnachtslustbarkeiten sage ich diesmal nichts. An Muth dazu fehlt’s uns eben nicht, möchten auch Hunde durch ihr Geheul verrathen, daß der geschleuderte Stein sie getroffen. Auch, daß man sich nicht d’ran kehrt, und vielleicht noch ärger tollt, hält uns nicht ab, sondern erinnert uns nur an den Ezechiel, zu dem es Kap. 3,27. heißt: ich will dir den Mund aufthun, daß du zu ihnen sagen sollst: so spricht der Herr, Herr: wer’s hört, der höre es, wer’s läßt, der lasse es, denn es ist ein ungehorsam Haus; oder: ich will dir die Zunge an deinem Gaumen kleben lassen, daß du erstummen sollst und die nicht mehr tadeln mögest, V. 26. Es ist oft genug darüber geredet.

Unser diesmaliger Vortrag hat den Zweck, zu einer Einleitung in die, mit dem künftigen Sonntage beginnende Passionsbetrachtungen zu dienen. Ich will euch dabei in die Wüste zurückführen, und zu den Kindern Israel in derselben, und bitte euch im Voraus nicht ungeduldig zu werden, wenn ich euch diesmal einen sehr langen Abschnitt aus dem göttlichen Worte vorlesen werde.

Der Herr verleihe uns gnädiglich Licht und Segen von oben!

Der Text ist sehr lang, ich denke aber auch so merkwürdig und wichtig, daß es euch nicht zuwider gewesen sein wird, ihn in seiner ganzen Ausdehnung anzuhören. – Wir rüsten uns nun auf’s Neue, die Geschichte der versöhnenden Leiden unseres Herrn Jesu Christi zu betrachten, und wir finden in den vorgelesenen Worten Anlaß, eine vorbereitende Einleitung zu dieser Betrachtung zu machen, da es sich in denselben, sowohl von der Strenge und Unverbrüchlichkeit des Gesetzes, als vom Priesterthum und den Personen handelt, die dasselbe zu verwalten haben. –

Wir befinden uns noch an den Gränzen Kanaans zu Ritma. Daselbst trug sich auch diese klägliche Geschichte zu. Ihr werdet über dem Vorlesen derselben schon manche Anmerkung gemacht und manche Eindrücke bekommen haben. Wir heben insbesondere einen doppelten Gesichtspunkt hervor, nämlich die Unverbrüchlichkeit 1. des Gesetzes, und 2. des Priesterthums.

Die Strenge und Unverbrüchlichkeit des Gesetzes leuchtet aus der Geschichte des Sabbatschänders hervor. Die Sache war diese. An einem Sabbat ging ein Mann im Lager umher und las etwas Holz auf. Das war seine That. Aber wenn sich das auch nicht rechtfertigen ließ, so entschuldigte ihn doch ohne Zweifel manches, und verringerte dadurch sein Vergehen. Holz auflesen mochte er wohl. Er thats aber am Sabbat. Er wußte ohne Zweifel, daß Gott alle Arbeit am Sabbat verboten hatte, wenigstens konnte er’s wissen und mußte es wissen. Daß aber alle Arbeit so streng und bei Todesstrafe untersagt war – das wußte er nicht, so wie es das ganze Volk und Moses selbst nicht wußte. Und war es denn nur Arbeit? etwas Reiser zusammen zu raffen, heißt das denn schon arbeiten? Der Mann that’s doch nicht absichtlich, um damit zu zeigen, daß er sich aus dem göttlichen Gebot nichts mache; that’s nicht, andere zu ärgern und zum Bösen zu verführen! Es war ja nur eine Hand voll Reiser, die er auflas, ohne Zweifel sie zum Kochen zu brauchen. Was war das denn sonderliches? und wir sagen noch einmal: Hieß das Arbeit thun? –

Aber seht! welch eine erstaunliche Bewegung macht diese scheinbare Kleinigkeit im ganzen Lager. Die Leute, welche den Mann also beschäftigt finden, bringen ihn vor Moses, welcher alle Vorsteher der Gemeine wegen dieser Angelegenheit zusammenberuft, und sie ihrer Entscheidung vorlegt. Die Sache dünkt ihnen wichtig, aber, in Erwägung aller vorhingenannten Umstände, schwierig zu entscheiden. Sie wollen sich nicht übereilen, und legen den Mann indessen gefangen, denn es war im Gesetz nicht klar ausgedrückt, was man ihm thun sollte.

Jetzt entschied der Herr selbst. Und was meinen wir wohl, urtheilte Gott über ihn? Hieß es: er solle auf freien Fuß gesetzt werden, mit der Erinnerung, es hinfort nicht wieder zu thun, da er diesmal mehr aus Unwissenheit, als aus Frevel gefehlt habe, und sein Holzlesen doch noch eigentlich keine Arbeit zu nennen sei? Oder gebot der Herr, ihn einige Tage gefangen zu halten, und dann wieder frei zu lassen? damit er sich nicht für unschuldig halte, obschon er nicht gewußt, was für eine große Sünde es sei, die er begehe? Nicht wahr, das wäre unserer Meinung nach, barmherzig, milde, wo nicht gar recht gewesen. Aber unser Meinen – was gilt das in göttlichen Dingen? Nichts! Von Barmherzigkeit, von Milde, weiß das Gesetz nicht, und noch weniger von einem Recht, es weniger genau zu nehmen. Freilich, wenn unsere heutige Moral zu Gericht säße, so würde sie diese und noch viel wichtigere, und am Ende alle Vergehungen, für leicht verzeihliche Fehler, für Wirkungen des Leichtsinns, den man eben nicht zu den Sünden rechnet, - für Ausbrüche eines ungünstigen Temperaments, für Früchte einer vernachlässigten Erziehung – kurz, für alles halten und erklären, nur nicht für strafbare Sünde, die den zeitlichen und ewigen Tod verdient. Nimmt man namentlich die Feier des Sonntags heraus – wie wird derselbe, wenn man auch die alte Strenge keineswegs auf den christlichen Sonntag anwenden, noch die evangelische Freiheit beschränken will, wie wird derselbe gefeiert! Wodurch unterscheidet man ihn von den andern Tagen? Werden nicht theils die gewöhnlichen Arbeiten, auch wenn sie noch so geräuschvoll sind, ohne Noth, werden sie nicht die Vormittage, namentlich bei den meisten Färbern, ohne Abänderung fortgesetzt, und kaum der erste Tag der drei hohen Feste davon ausgenommen, und geschieht nicht in vielen Werkstätten ein Gleiches? Wie befremdend würde es den Meisten vorkommen, wenn man das auch mißbilligen wollte, daß die meisten Kaufläden den Sonntag eben so geöffnet sind, wie die Werktage, ja, daß man noch wohl um der Juden willen, einen Markttag eben auf den Sonntag verlegt; theils bringen viele den Sonntag im Müßiggang zu. Sie schlafen länger wie gewöhnlich, kleiden sich besser, machen und nehmen Besuche, und bringen die Abende in allerlei Gesellschaften, Lustbarkeiten und Schwärmereien zu, so daß selbst die späten Nächte von dem Rollen ihrer Wagen und von ihrem wilden Geschrei ertönen. England ist das einzige Land auf Erden, wo es anders ist. Am Sonntage herrscht in London, dieser unermeßlichen, einem ganzen Königreiche gleichenden Stadt, die tiefste Stille und Ruhe. Warum sollte das, was da wirklich ist, nicht auch anderswo und namentlich in unserm kleinen Thal möglich sein? Aber freilich, ihr wollt es nicht. Ihr wollt euren Lüsten nachleben, und Viele besorgen großen Nachtheil in ihrer Nahrung, wenn sie den Sonntag, da doch der Herr sagt, man werde es nicht umsonst thun, wenn man um seinet- und seiner Gebote willen, auch nur eine Thür am Tempel zuschließe, Mal. 1. feiern.

Nun, was war denn das Urtheil, das über den Mann erging, welcher Holz aufgelesen am Sabbat? Der Herr sprach zu Mose: der Mann soll des Todes sterben, die ganze Gemeine soll ihn steinigen. Und dies Urtheil ward also vollzogen. – Da sehen wir an einer einzelnen Probe, die furchtbare Strenge und Genauigkeit des göttlichen Gesetzes. An einer einzelnen Probe, sag ich, denn dies dehnt sich über alle Gebote aus, über welchen mit gleicher Strenge gehalten wird. Mögen Menschen es so genau nicht nehmen, so nimmts Gott desto strenger. Wer an Einem fehlt, ist des ganzen Gesetzes schuldig. Man besinne sich doch darüber, was das sagen will, und wie es um uns steht, wenn dieser Regel gemäß mit uns verfahren werden soll. Wer unter uns dürfte sagen, er habe nur an Einem gefehlt? Und wenn jemand das gestehen müßte, so wäre er ja verloren. Wievielmehr derjenige, der oft und viel gefehlt hat. Von jeglichem unnützen Wort sollen die Menschen Rechenschaft geben. Was für eine Rechnung gibt das! Laßt uns ja mit unsern Herzen und Gedanken dabei verweilen, und das wohl überlegen, denn es ist nicht Menschen, sondern Gottes Wort und Lehre. – Warum aber bei einem so ängstlichen Gegenstand verweilen? Damit wir unsere Sünde und unsern verlorenen Zustand recht erkennen, damit wir die Unmöglichkeit außer Christo selig zu werden, gründlich einsehen, damit wir die Nothwendigkeit des stellvertretenden Gehorsams Christi begreifen, damit wir die Opfer, die Gott gefallen – den geängsteten Geist und das zerschlagene Herz bekommen, damit wir gründlich an uns selbst verzagen, damit wir zu Jesu Christo unsere Zuflucht nehmen, und so durch den Glauben an ihn gerecht, und Erben werden des ewigen Lebens. Ach ja, eben darum ist den Menschen Christus so gleichgültig, ja eben darum ist den Menschen Christus so gleichgültig, ja eben darum gehen sie verloren, weil sie ihren verlorenen Zustand nicht einsehen. Ihn einsehen ist die halbe Rettung. Allein erkenne deine Sünde, spricht der Herr. O! wie übel ist es, daß die Menschen so ohne Anerkennung ihrer Sünde dahin gehen, ja, daß sie sie so lieb haben, und sie auf alle Weise zu verkleinern, zu beschönigen, zu entschuldigen suchen, ja gar leugnen. Wie übel ist es, daß sie sie sich selbst vergeben, und sie so gering anschlagen, als ob eine Vergebung, wenigstens eine förmliche Vergebung der Sünden ganz unnöthig, oder doch so leicht wäre, daß sie sich beinah von selbst verstände, und Niemand nöthig habe, sich ihrentwegen irgend kümmerliche Gedanken zu machen, besonders denn zu bitten, oder auch zu fragen, ob sie ihm wohl gewiß vergeben wären, oder vergeben werden würden. Sie setzen das so voraus, sie nehmen das so obenhin an, ohne sich nur nach einem Grund umzusehen, worauf sich ihre Meinung stützte. Sie betrachten es nicht als eine Gnade, sondern als eine natürliche Sache. Ach! sie bekümmern sich gar nicht darum, und Vergebung der Sünden zu haben oder nicht zu haben, gehört bei ihnen gar nicht zu den Dingen, die auf ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit einigen Einfluß haben. O, gräuliche Verblendung! o schreckliche Fühllosigkeit, o viehische Dummheit! Ihr wollt also dem Manne gleichen, der unbekümmert Holz las, bis der Herr sprach: er soll des Todes sterben. Ihr wollt also nicht eher die Nothwendigkeit einer förmlichen Sündenvergebung erkennen, als bis ihr sie nicht mehr erlangen könnt? Ihr wollt die Sünde nicht eher für ein Uebel achten, als bis ihr erfahrt, daß sie in ein ewiges Elend stürzt, woraus keine Erlösung ist? O! beklagenswerthe Menschen! Wer soll euern Herzen die rechte Richtung geben? Wer soll sich eurer erbarmen, die ihr kein Mitleid mit euch selbst habt? Wer soll euch retten, da ihr nicht errettet sein wollt? – Wie kann man dagegen euch schon so herzlich Glück wünschen, die ihr doch wenigstens nach dem Herrn fragt, die ihr euch wegen eurer Sünde bekümmert, die ihr die Vergebung derselben ernstlich sucht. Ja, ruht nicht, bis ihr mit David sagen könnt: da vergabst du mir die Schuld meiner Uebertretung. Lobe den Herrn, meine Seele, der dir alle deine Schuld vergibt!

Bei einem solchen Sinne habt ihr auch eine gute Vorbereitung zu einer zweckmäßigen Betrachtung der Leiden unseres Herrn, deren Zeit nun heranrückt, welche uns zugleich unsere Sünde, unsere Strafe und die Heilquelle offenbart. Ihr werdet nicht Theil nehmen an dem Aufruhr Korah, und euch nicht vergreifen an dem Priesterthum Christi.

Die Geschichte Korah bestätigt auf eine schreckliche Weise das vorbildliche Priesterthum, gegen welches er und sein Anhang sich auflehnt, und zur Strafe, lebendig von der Erde verschlungen wird. Es handelte sich nämlich um’s Opfern und Räuchern, mit einem Wort um’s Priesterthum. Moses hatte auf göttlichen Befehl seinen Bruder Aaron und dessen Nachkommenschaft zum Hohenpriester, die übrigen aber aus dem Stamm Levi und seine eigenen Nachkommen, zu geringeren Priesterstellen verordnet. Mit dieser Einrichtung waren mehrere unzufrieden, wollten sie nicht als eine göttliche gelten lassen, beschuldigten Mosen der Herrschsucht, behaupteten, andere wären eben so tauglich zum Priesterthum, verschafften sich einen Anhang, der aus lauter vornehmen Personen bestand, empörten sich und wollten weiter von Mose nichts wissen, den sie verhöhnten und ihm bitter spotteten. Wie fein, sagten sie höhnisch V. 14, hast du uns gebracht in ein Land, da Milch und Honig innen fließen, und hast uns Aecker und Weinberge zum Erbtheil gegeben; willst du den Leuten auch die Augen ausreißen? Wunderlich! Sie beschuldigen Mosen der Herrschsucht und üben sie selbst aus. Der Herr legt sich aber auf eine erschreckliche Weise in’s Mittel. Die Erde thut sich auf und verschlingt die ganze Rotte, so wie sie da sind, lebendig. Das Feuer schlägt dazu und frißt die 250 Männer, die da opfern wollen, und da das Volk statt sich zu beugen, murrt, fährt eine Plage vom Herrn aus und tödtet ihrer 14700. Darauf wird Aaron feierlich seinem Priesterthum befestigt und Israel so mürbe gemacht, daß sie sich’s gern also gefallen ließen. Siehe, sprachen sie zu Mose, wir verderben und kommen um, wir werden alle vertilget und kommen um. Wer sich nahet zur Wohnung des Herrn, der stirbt. Sollen wir denn gar untergehn? Daraus sprach der Herr zu Aaron: du und deine Söhne und deines Vaters Haus mit dir, sollt die Missethat des Heiligthums tragen. So wartet nun des Dienstes des Heiligthums und des Altars, daß keine Plage mehr wüthe unter Israel Kap. 18,1.5. Sie mußten sich also das vorbildliche Priesterthum gefallen lassen, um bei Gott in Gnaden zu bleiben, und durften hinfort keine Eingriffe mehr drein wagen. In dieser Geschichte liegt für uns die wichtige Lehre: wie viel mehr müssen wir uns das wahrhaftige Priesterthum des Sohnes Gottes wohlgefallen lassen, um dadurch allein bei Gott angenehm zu sein und zu bleiben; wie viel mehr uns hüten, dasselbe ganz zu verleugnen, oder auch nur Eingriffe in dasselbe zu thun, des Jesu, welchen Gott uns hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete, in dem daß er Sünde vergibt, welche bis anhero geblieben war unter göttlicher Geduld. –

Hierher gehören unter andern folgende Sprüche: das ist nun die Summe wovon wir reden: wir haben einen solchen Hohenpriester, der da sitzet zu der Rechten auf dem Stuhl der Majestät im Himmel, und ist ein Pfleger der himmlischen Güter. Ferner: nehmet wahr, ihr heiligen Brüder, die ihr berufen seid mit dem himmlischen Beruf des Apostels und Hohenpriesters, den wir bekennen, Christi Jesu. Dieweil wir einen großen Hohenpriester haben, Jesum Christum, den Sohn Gottes, der gen Himmel gefahren ist: so lasset uns halten an dem Bekenntniß, denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleiden haben mit unserer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalten, gleich wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasset uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf daß wir Barmherzigkeit empfahen und Gnade finden, auf die Zeit, wenn uns Hülfe Noth sein wird. Jene sind ohne Eid Priester geworden, dieser aber – das viel ist, mit dem Eide, durch den, der zu ihm spricht: der Herr hat geschworen und wird ihn nicht gereuen, du bist ein Priester ewiglich, nach der Weise Melchisedeck. Endlich heißt es: wir haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes. – Wenn Jemand das Gesetz Mosis bricht, der muß sterben ohne Barmherzigkeit durch zween oder drei Zeugen. Wieviel, meinet ihr, ärgere Strafe wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt, und das Blut des Testaments unrein achtet, durch welches er geheiligt ist und den Geist der Gnaden schmähet? Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Sehet zu, daß ihr euch des nicht weigeret, der da redet; denn so jene nicht entflohen sind, die sich weigerten, da er auf Erden redete, viel weniger wir, so wir uns des weigern, der vom Himmel redet.

Was heißt das denn wohl, das Priesterthum Christi verleugnen, oder Eingriffe darin thun? Wir wollen suchen kurz zu sein. Zweierlei haben wir hiebei zu erwägen. Erstlich das Priesterthum Christi, zweitens einiges von der Verleugnung oder Schmälerung desselben.

Jesus Christus ist der wahre Hohepriester, und verwaltet das wahrhaftige Priesterthum. Größtentheils hat er’s vollendet und beendigt. Und was heißt das? Er hat uns mit dem einigen Opfer seines Leibes erlöset. Er hat uns mit Gott versöhnt. Er hat sich selbst für die, ihm vom Vater Gegebenen, geheiliget, auf daß auch sie geheiliget würden in der Wahrheit. Er hat als das Lamm Gottes der Welt Sünde getragen. Er ist um unserer Missethat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Er, der Gerechte, hat gelitten für die Ungerechten, und unsere Sünde geopfert auf dem Holz, und das Volk dadurch geheiligt, daß er litte. Er ist die Versöhnung für unsere Sünde. Er hat ein Opfer gebracht für die Sünden, das ewiglich gilt, und mit einem Opfer in Ewigkeit vollendet alle, die geheiliget werden. – Er hat eine ewige Versöhnung funden und alles bezahlt. Er ist dadurch unsere Gerechtigkeit worden. Durch dieses sein Opfer, welches er in der tiefsten Erniedrigung am Kreuz vollbracht, ist er eine Ursache worden der Seligkeit allen, die ihm gehorsam sind. Diesen Theil seines Priesterthums hat der Sohn Gottes vollbracht und beendigt, während seines 33jährigen Aufenthaltes hier auf Erden, sonderlich in den 18, vorzüglich in den 6, und am allermeisten in den 3 letzten Stunden seines versöhnenden Leidens, in Gethsemane, vor seinen Richtern, am Kreuz und am meisten, während der dreistündigen Finsterniß. An dem einen, unvergeßlichen Tage, ist die Sünde des Landes weggenommen. Zach. 3. Sie ist versöhnt, die Missethat zugesiegelt und die ewige Gerechtigkeit angebracht, an dem großen Tage, an welchem der Messias ausgerottet wurde, aber nicht für sich. Dan. 9.

Einen vornehmen Theil seines Priesterthums verwaltet der Sohn Gottes noch gegenwärtig, und der besteht in der Fürbitte, denn er lebet immerdar, um für uns zu bitten. Er vertritt uns. Wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater. Durch diese seine Fürbitte wirkt er den Seinen die Rechtfertigung und was sonst zu ihrem Heil dient, aus, und wie er durch dieselbe es dem Petrus auswirkte, daß sein Glaube nicht aufhörte.

In dieses einigen Priesters Werk nun liegt unser ganzes Heil, von seinem Anfang bis zu seiner Vollendung. In demselbigen sind die Gläubigen vollkommen. Dies Opfer bedarf deswegen keiner Wiederholung, und darum hörte auch bald nach Vollendung desselben, der vorbildliche Dienst im Tempel auf, und kann und soll nie wieder aufgerichtet werden.

Was nun der Rotte Korah, in Absicht des vorbildenden Priesterthums, das sie an sich reißen wollte, geschah, widerfuhr ihr zum Vorbilde und dient auch uns zur Warnung, nicht nur überhaupt gegen die Sünde, wegen der erschrecklichen, strafübenden Gerechtigkeit und Heiligkeit des göttlichen Wesens, sondern auch insbesondere gegen die Verleugnung des Priesterthums des Sohnes Gottes und gegen die Eingriffe in dasselbe. –

Wie macht man sich denn derselben schuldig? Auf eine gröbere und subtilere Weise. Selbst die Namen der Männer, die sich des von Gott verordneten vorbildenden Priesterthums weigerten, enthalten Fingerzeige. Denn Abiram heißt der hohe, sich selbsterhebende Vater, der doch nur ein Wurm ist. Sehet da den sich selbst über den: Gott sei mir Sünder versöhnt! flehenden Zöllner, erhebenden Pharisäer, welcher Gott – eigentlich aber sich selbst dankt, daß er nicht ist, wie andere Leute. Dathan, heißt ein Gesetzmann. Seht da den reichen Jüngling, der zwar zu Jesu kommt, aber nicht wie ein Kranker zum Arzt, wie ein Armer zu einem wohlthätigen Reichen, sondern wie einer, der Gerechtigkeit gethan; der eines Jesu spottet, der Sünder annimmt; der alles kann. Ein dritter hieß On, das heißt: Kraft und Genugsamkeit. Was fehlt mir noch? was soll ich thun? so fragte jener, voll Einbildung, daß ihm schwerlich etwas geboten werden möchte, das er nicht sollte erfüllen können, was aber auf lauter Eitelkeit und Nichts hinauslief, worauf die Buchstaben des Worts auch deuten – wiewohl sie als die vornehmsten und ansehnlichsten in der Gemeine beschrieben werden. Und solche Gesinnungen sind es, woraus die Verleugnung des Priesterthums Christi, der durch ihn gestifteten Genugthuung und Versöhnung herfließt.. –

Ehemals gab es nur einzelne Sekten, nämlich die Pelagianer und später die Socinianer, welche geradezu nebst der Gottheit des Sohnes Gottes, auch sein Priesterthum, so wie die Verderbniß der menschlichen Natur, die Unmöglichkeit durch’s Gesetz gerecht und selig zu werden, und die Nothwendigkeit der Mittheilung des Heiligen Geistes bestritten und leugneten. Dagegen rühmten sie die Würde und Kräfte der menschlichen Natur, brüsteten sich damit, daß sie recht die Pflichten des Menschen auseinandersetzten, was ihrem Vorgeben nach genug sei, sie, wenn man nur wolle, auszuüben, räumten Jesu nur die Ehre eines guten Lehrers und Vorbildes ein, ohne anzuerkennen, daß der Mensch noch mehr als das zu seinem Heil bedürfe, und sprachen vom Glauben sehr verächtlich, in sofern damit nicht blos Treue im Gehorsam gemeint sei – rechte Dathans, Moralisten, On’s sich selbst genug und Abirams, aufgeblasene Würmer. Die protestantische Kirche schied sich von diesen Irrlehrern, welche kaum in Polen ein Nest fanden. Aber ihr Wort und Lehre griff um sich, wie der Krebs, steckte, was man am wenigsten hätte vermuthen sollen, besonders die englische Kirche an, und sodann durch Uebertragung ihrer Schriften in unsere Sprache, auch die deutsche. Verleugnet nun die römische Kirche das einige Opfer Christi am Kreuz durch ihr Meßopfer, so thuts die protestantische im Ganzen auf eine noch viel ärgere Weise durch die, ihren Bekenntnißchristen zuwiderlaufende und die heil. Schrift nichts achtende Lehre. Was gilt im Ganzen Christus! was sein Opfer und Verdienst! was der heil. Geist! Der Mensch ist ein On, ist sich selbst genug; er ist gesund und bedarf eines Arztes nicht; er kann seine wenigbedeutende Sünden leicht selbst gut machen und büßen – das ist die neutestamentliche Rotte Korah. Mag sie meistens sehr ansehnliche, wissenschaftlich und sonst gebildete und begabte Leute zu Anführern und Häuptern haben – und ist geboten ihre Lehre, wie ihren aufgeblasenen Sinn zu verabscheuen, und uns mit unserm Bekenntniß und Sinn gänzlich von ihnen zu scheiden. Denn so wir muthwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntniß der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein ander Opfer mehr für die Sünde, sondern ein schrecklich Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird. Diese Menschen dünken sich selbst genug, fragen frech: was soll uns dieser Jesus von Nazareth? Sie verschmähen sein blutiges Verdienst und wollen nicht durch dasselbe, sondern durch sich selbst gerecht werden. Aber das wird ihnen übel bekommen. Verschlingt sie die Erde auch nicht lebendig, so werden sie doch endlich um so mehr von dem Feuer der göttlichen Herrlichkeit verschlungen werden, da sie das einzige Rettungsmittel, den Gekreuzigten, verschmähten, denn Gott wird kommen mit Feuerflammen, Rache zu üben über die, so Gott nicht erkennen, und über die, so nicht gehorsam sind dem Evangelio unseres Herrn Jesu Christi. Die Abirams, die aufgeblasene Würmer müssen dahin kommen, mit David zu sagen: siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeugt, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen. Herr, so du willst Sünde zurechnen, wer kann bestehen. Die mit sich selbst zufriedenen On’s müssen lernen, daß sie elend sind, blind, jämmerlich, nackt und bloß; diese Augensalbe thut ihnen Noth, und wenn sich die an ihnen erweiset: o! wie begierig werden sie dann werden nach den weißen Kleidern, sich damit anzuthun, damit nicht offenbar werde die Schande ihrer Blöße, und nach dem Golde, das mit Feuer durchläutert ist. Sonst aber werden sie sich je länger je besser gefallen, bis sie als Feinde zum Schemel der Füße Christ gelegt werden, und der Befehl ergeht: bringet sie her: die nicht wollen, daß ich über sie herrsche, und erwürget sie vor meinen Augen. –

Ihr Gedemüthigten aber, die ihr erkennet, wie groß euere Sünde und Elend sei, weigert euch des Priesterthums Christi und seiner blutigen Versöhnung nicht. Habt ihr keinerlei Gerechtigkeit aufzuweisen – es braucht’s auch nicht. Ergreift desto inbrünstiger und demüthiger die Blutgerechtigkeit eueres Priesters. Müßt ihr euere allseitige Verwerflichkeit anerkennen und mißfallet ihr euch selbst, haltet euch desto mehr an den Gekreuzigten, der sich selbst Gott geopfert hat zum süßen Geruch, durch welchen ihr angenehm gemacht seid. Seid ihr aus Ons ein elendes Nichts geworden: Er kann euch so viel Schätze geben, daß ihr seid überschwänglich reich. Euere Zaghaftigkeiten wegen eueres Mangels, sind lauter subtile Verleugnungen des Priesterthums Christi, und beweisen euere Blindheit an demselben. Verständet ihr’s recht, so würdet ihr auch singen:

Ich darf in’s innerste Heiligthum, ganz unverschämt gehen,
Grämen, schämen hat ein Ende, weil die Hände sind durchgraben,
Die für mich bezahlet haben.

Ach! so öffne uns denn der heil. Geist, der’s allein vermag, das herrliche Verständniß an dem glorwürdigen Versöhnwerk Christi, deren wunderbare Funktionen wir in der Passionszeit anschauen. Er verhüte in Gnaden, daß deren nicht viele unter uns sein mögen, die dasselbe mit der That, durch Unglauben, Leichtsinn, Welt- und Sündenliebe verschmähen, lasse dagegen derer immer mehr werden, die der herrlichen Früchte dieses erhabenen Werks würdig und theilhaftig werden. Amen.

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