Krummacher, Gottfried Daniel - Die hohepriesterliche Segensformel - 6. Predigt.

Krummacher, Gottfried Daniel - Die hohepriesterliche Segensformel - 6. Predigt.

4. Mose 6, 25
Jehovah lasse sein Angesicht leuchten über dir.

Dies betrachten wir als die süße Frucht der Gnade. Es ist ein hohes, ja das höchste Gut, was in diesem Worte angewünscht wird, und aus der Gnade, als der Quelle entspringt. Deswegen haben wir diese zuerst betrachtet, und erwägen nun die süße Wirkung, ausgedrückt in den Worten: Jehovah lasse sein Angesicht leuchten über dir! Wir denken darüber nach,

  1. was Jehovahs Angesicht sei,
  2. was es heiße: Er lasse es leuchten über dir!

I.

Mosis höchster Wunsch, den er vor Gott ausschüttete, als er aufs völligste von seiner Gnade war versichert worden, Mosis Wunsch war nun der: Laß mich dein Angesicht sehen! Gott schlug ihm seine Bitte nicht ab, gewährte sie ihm auch nicht ganz; insofern aber diese Augen wie Feuerflammen in dem gesagten kühnen Gesuch noch irgend ein Äderchen von eigener Gerechtigkeit sehen mochten, wurde dieses durch ein Aber abgeschnitten, indem Gott sprach: Wem ich aber gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wes ich mich erbarme, des erbarme ich mich. Er sagte aber zugleich: Ich will alle meine Güte vor die vorüber gehen lassen und den Namen Jehovahs vor die predigen, wie auch geschah (2. Mos. 33 und 34).

Was ist denn das Angesicht des Herrn? Wir hören, daß der Herr und sein Angesicht unterschieden werden, wie unzertrennlich sie auch miteinander verbunden sind. Dieser Unterschied tritt auch deutlich Kap. 34 hervor, wenn es daselbst heißt: Da kam Jehovah hernieder in einer Wolke und trag daselbst bei Mosen und predigte von dem Namen Jehovahs. Das Angesicht des Herrn bezeichnet teils verschiedene seiner Eigenschaften, besonders seine Allwissenheit und Allenthalbengegenwart, seine Fürsorge und vorzüglich seine Freundlichkeit und Liebe, teils bezeichnet das Angesicht auch Werke, worin und wodurch Gott seine Eigenschaften offenbart, wie man am Angesicht, an seinen Mienen jemand erkennt. Die Schöpfung ist gleichsam ein Angesicht Gottes, weil sie ein Spiegel seiner Herrlichkeit ist und seine ewige Kraft und Gottheit daraus ersehen wird. Wie majestätisch, wie freundlich erscheint er in derselben! Majestätisch in einem Gewitter, freundlich in den Blumen. Noch deutlicher sehen wir sein Angesicht in der heiligen Schrift und in dem Gnadenwerk. Insbesondere aber bezeichnet das Angesicht des Herrn seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn Jesum Christum. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens; er ist voll Gnade und Wahrheit. Alle Fülle der Gottheit wohnt wesentlich in ihm. Er ist derjenige, den Gott alle seine Gutheit nennt; er ist's, den die Wolken und Feuersäule abbildete; ihn ladet die Kirche ein, wenn sie betet: Du Hirte Israels, höre, der du Josef hütest, wie der Schafe, erscheine, der du über den Cherubim wohnest. Gott, tröste uns, und laß leuchten dein Antlitz, so genesen wir (Ps. 80). Nach ihm sehnte sie sich: Wann werde ich dahin kommen, daß ich dein Angesicht schaue? Auf ihn ward sie vertröstet: Mache dich auf, und werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit Gottes gehet auf über dir. Endlich bezeichnet das Angesicht des Herrn seine freundliche Mitteilung an die Seele.

II.

Das Erleuchten des Angesichts des Herrn über dir zeigt vornehmlich zweierlei an, nämlich die Erscheinung Christi ins Fleisch, sodann die obengenannte freundliche Mitteilung an die Seele hienieden und dort oben.

Das Erleuchten des Angesichts des Herrn über Israel zeigt zunächst an die Offenbarung Gottes im Fleisch samt den gnadenreichen Folgen derselben. Dies ist der Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit, das Erscheinen des Aufgangs aus der Höhe, das Hervorglänzen Gottes aus Zion (Ps. 50,2). Das Wort, das im Anfang bei Gott und Gott war, wurde Fleisch, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit, und wie viele ihn aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben. Dieses Geheimnis ist kündlich groß. Gott wird Mensch, welch' ein Gedanke, welch' eine Wahrheit! Gott in der Krippe, Gott am Kreuz, Gott unter den Toten, im Grabe, welche Gedanken, welche Höhe, welch ein Abgrund! Er schwach, betrübt, gebunden, gegeißelt! Es ist wahr, dies alles ist von der menschlichen Natur des Sohnes Gottes zu verstehen, aber beide Naturen machen nur eine Person aus, mag der scheidende Verstand auch jeder zumessen, was ihr gebührt. Die Schrift redet von dem Blute des Sohnes Gottes, von dem Blute Gottes. Hier sah man das Unsichtbare mit körperlichen Augen, betastete den Geist mit Händen, erblickte das Unendliche in einem engen Raume, sagte von dem Ewigen, er ging in sein dreißigstes Jahr, und von dem Unermeßlichen, er wuchs und nahm zu. Melchisedech war sein wunderbares Vorbild in demjenigen sowohl, was die Heilige Schrift von ihm verschweigt, als was sie meldet. Ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlecht, und hat weder Anfang der Tage, noch Ende des Lebens, hatte er dies alles zugleich doch und nicht, heißt also mit Recht wunderbar. Als er so in Bethlehem erschien, konnte man mit Recht zu den Städten Juda sagen: Sehet, da ist euer Gott! und zu Zion: Freue dich sehr, siehe dein König kommt zu dir! Er erschien aber im Fleisch, in der menschlichen Natur, nicht um sich dienen zu lassen, sondern daß er diene und gebe sein Leben zum Lösegeld für viele, nicht daß er die Welt richtete, sondern daß die Welt durch ihn selig würde. Er kam als Mittler zwischen Gott und den gefallenen Menschen, sie durch ein Opfer auszusöhnen, das er aus der Jungfrau Maria annahm, nämlich seinen Leib. Er kam als das neue Haupt, daß alles unter ihm vereinigt würde, als der andere Adam und Stammvater, auf daß, wie sie in Adam alle gestorben, sie in ihm alle lebendig gemacht würden, als das wahrhaftige Licht, das die Finsternis verbannte, als die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, allein gilt, vollkommen gilt, als das Leben, das der toten Welt das Leben giebt, wie tot sie sein mag. Er kam, uns Gott zum Freunde zu machen, und machte uns ihn zum Freunde, unsere Sünden z tilgen, und tilgte sie wie eine Nebelwolke, er kam, den Tod zu töten, den Teufel zu überwinden und statt des Gesetzes in steinernen Tafeln ein neues Gesetz des Geistes zu geben, das da lebendig macht in Christo Jesu. Er kam. Und es ist in keinem andern Heil, ist auch kein Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin sie sollen selig werden, als allein der Name Christus. Er kam staffelweise wie die Sonne. Die vorhergehende Nacht des Alten Testaments leuchtete von einer Menge funkelnder Sterne, ich meine die vielen Verheißungen. Er zeigte sich aber hinter der Decke Mosis, die sein Angesicht verhüllte, darum betet die Kirche: Erleuchte dein Angesicht! Verschiedene Vorbilder waren gleichsam sein Schattenriß, aber wenigen einigermaßen, keinem ganz verständlich, nur Sehnsucht nach dem Wesen erregend, wobei viele den Schatten für den Körper selbst hielten, wodurch ihnen ihr Tisch zum Fallstrick wurde. Allgemein hielt die feste Hoffnung eines bevorstehenden Erlösers der Kirche das Haupt aus den Wassern der Trübsale, die sie zu erläutern drohten. Indem die Sonne der Gerechtigkeit endlich nach viertausendjährigem Harren im Aufgehen begriffen war, sandte sie gleichsam den Morgenstern, den Johannes, vor sich her. Sein seltsames, Aufsehen erregendes Auftreten, seine Predigt: Der Herr ist nahe, er ist schon da und in eurer Mitte, obschon ihr ihn nicht kennet, glich den scharfen Klängen des Hahnengeschreies kurz vor Tage. Er war da, aber erst wie ein kleines Kindlein in Windeln, versteckt in Ägypten, in die Zurückgezogenheit eines niedrigen Standes, der Werkstätte eines Zimmermannes in dem verachteten Nazareth in Galiläa. So blieb's 30 Jahre allen unbekannt. Jetzt offenbarte er seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Seine Jünger sahen sie und glaubten an ihn, die andern zürnten. Kaum aber war der Morgen angebrochen und hatte den herrlichsten Tag verheißen, den man nur zu genießen gedachte, so erhub sich ein Ungewitter, dessen Verheerungen die Sonne selbst erlag, ich meine das Ungewitter der Leiden Christi, wo alles und Christus selbst ausgerottet wurde, wie sich Daniel ausdrückt. Aber in dem Augenblick, wo alles verloren zu sein schien, ward alles gewonnen, Gerechtigkeit und Leben. nach dieser finstersten aller finsteren Nächte, durch welche die Kirche hindurch mußte, erleuchtete die Sonne der Gerechtigkeit ihr Angesicht freundlicher als bisher noch nie. Jesus stand auf von den Toten. Wie lieblich leuchtete sie nun einer Magdalene, der ihr Herr weggenommen war, daß sie nicht wußte, wo sie ihn gelassen, in ihr thränenvolles Angesicht, und verscheuchte mit einem Maria! auf einmal alles dunkle Gewölk der Trauer und erfüllte ihr Herz mit solcher Wonne, daß sie ihrer Empfindung nur durch ein fußfälliges Rabbuni! Luft machen, und sie nun sich selbst sagen konnte: Warum weinte ich? Welche freundliche Strahlen warf diese Lebenssonne, gleichsam auf dem Erdboden spielend, in das gerunzelte Angesicht der beiden, die schwermütig nach Emmaus wanderten, daß sie auch voll Freude ausrufen konnten: Ach, warum sahen wir doch so traurig! Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen? Freundlicher als bisher noch nie, erleuchtete der auferstandene Herr der Herrlichkeit sein Angesicht über die zaghafte Jüngerschar, die einer flüchtigen Schar von Küchlein glich, der ein Habicht ihre Glucke weggeführt hat, und die sich nun sogar vor ihrem Seelenfreunde fürchtete, der sie so liebte, daß er sein Leben für sie in den Tod gab. Er scherzte gleichsam mit ihnen, nannte sie Kindlein, fragte, ob sie nicht etwas zu essen bei der Hand hätten, aß vor ihren Augen, da er doch keiner irdischen Speise mehr bedurfte, reichte ihnen seine Arme, sie anzurühren, und flößte ihnen so die alte Zutraulichkeit wieder ein, daß sie, daß sogar der große Sünder Petrus Mut gewann, vertraulich mit ihm zu reden, ihn allerlei zu fragen und sogar einen Verweis vertragen konnte, ohne dadurch verlegen zu werden, wie denn Petrus einen solchen auf eine vorwitzige Frage in den Worten bekam: „Was geht's dich an? Folge du mir nach,“ jedenfalls aber auf die Frage: „Hast du mich lieb?“ antworten konnte: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe“, obschon er ihm angedeutet hatte, er werde ihn durch den Kreuzestod preisen müssen. Es ward gewiß: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden! Die Sonne der Gerechtigkeit erleuchtete vollends 50 Tage später ihr Angesicht, als der Heilige Geist nicht nur über die Apostel ausgegossen wurde, daß sie nun erst recht erkannten und verstanden, was sie an Christo, an dem Gottmenschen, an dem Gekreuzigten, an dem Auferstandenen, an ihm hatten, welcher, nachdem er die Reinigung unserer Sünden durch sein Blut gemacht, sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und alle Gewalt bekommen hatte im Himmel und auf Erden, sondern daß nun auch tausende an ihn gläubig und durch ihn selig wurden bis auf diesen Tag und fortan.

So ließ der Herr sein Angesicht leuchten über Israel durch seine Menschwerdung und deren glückseligen Folgen.

Dies Erleuchten des Angesichts des Herrn bezeichnet auch zweitens seine freundliche Mitteilung an die wiedergeborene Seele hier und dort, der er sich als ein versöhnter, unendlich liebender Vater zu erkennen und zu genießen giebt.

Das Erleuchten des Angesichts Gottes schildern die Heiligen als das größte Gut. Über die Verbergung seines Angesichts aber führen alle, die sie erfuhren, die bittersten Klagen, und eine der herrlichsten Verheißungen ist die: „Ich will mein Angesicht nicht mehr vor dir verbergen.“ Er verbarg es einst drei Stunden lang vor seinem Sohne, und er erschrak. Dieser Verlassung Christi am Kreuz verdanken wir's, so wir anders an seinem Namen glauben, daß wir nimmermehr von Gott verlassen werden, möchte es auch so scheinen, sondern daß er sein Angesicht über uns erleuchtet, so oft es seiner Weisheit und Liebe gefällt, und dann genesen wir.

Hienieden kann unsere sterbliche, schwache, ja sündige Natur eine völlige Mitteilung der ganzen Herrlichkeit und Freundlichkeit unseres himmlischen Vaters so wenig ertragen, als unser Auge den Blick in die Sonne am Mittage. Es hat schon Heilige gegeben, welche so von himmlischer Erquickung durchströmt wurden, daß sie ohnmächtig niedersanken und ausriefen: Mindere es, oder ich sterbe! Und es gilt noch, was Gott zu Moses sagte: „Kein Mensch würde am Leben bleiben, wenn er mein Angesicht sähe.“ Dazu gehört außer einer vollkommen geheiligten Seele auch ein verklärter Leib, und beides ist nicht für diese, sondern für die zukünftige Welt. Dem Erleuchten des göttlichen Angesichts geht die gesetzliche Zermalmung, die man auch Buße nennt, vorher. Die Sünde wird dem Menschen aufgedeckt, und er in sich selbst ein gräulicher, verlorener und verdammter Sünder, die Bitterkeit des Fluches macht seine Seele schaudern, denn sie schmeckt diesen Myrrhen- und Gallentrank. Ehe David Ps. 116 sagen konnte: „Das ist mir lieb, daß der Herr sein Ohr zu mir neiget“, „Du hast meine Seele aus dem Tode gerissen, meine Augen von den Thränen“, mußte er klagen: „Stricke des Todes hatten mich umfangen, und Angst der Hölle hatte mich getroffen; ich kam in Jammer und Not. Aber ich rief an den Namen des Herrn. O Herr, errette meine Seele!“ Zuvor wird alles umgerissen, worauf der freche Sünder sich verließ und das: „Es ist verloren“ kommt heraus. Um Trost ist ihm wohl bange, aber er ist ferne von ihm, und er kann sich nichts davon zueignen. Gutes will er wohl thun und thut dagegen das Böse, was er nicht will. O, ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes! Dies sind schmerzhafte Vorbereitungen zu der köstlichen Erfahrung, welche David im angeführten Psalm so ausdrückt: Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, gehe ein zu der Ruhe, denn der Herr thut dir Gutes. Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohlthat, die er an mir thut! Dir will ich Dank opfern und des Herrn Namen predigen in dir, Jerusalem, Hallelujah! Jedoch wiederholt sich jene Zermalmung, so oft es die weise Liebe für dienlich findet. Der nämliche David, welcher, da es ihm wohl ging, als der Herr durch seine Barmherzigkeit seinen Berg fest gemacht hatte, sprach: Nimmermehr werde ich darnieder liegen, erschrak doch, als er sein Angesicht vor ihm verbarg, was er nicht gedacht hätte. Der nämliche Paulus, der bis in den dritten Himmel entzückt wurde, mußte nachher die Streiche eines Satansengels ins Angesicht leiden und konnte nicht davon loskommen. Die nämlichen Jünger, welche auf Thabor die Herrlichkeit des Herrn gesehen hatten, mußten nachher seine tiefste Erniedrigung in Gethsemane mit anschauen. Aber wann ist das Erleuchten seines Angesichts über eine Seele lieblicher, als wenn er's eine Zeitlang verborgen hat! Wenn die Braut im Hohelied von den Wohnungen der Löwinnen, von den Bergen der Leoparden herunter kommt, wird sie am meisten gelobt (Hohel. 4).

Es versteht sich auch von selbst, daß es eine wiedergeborne Seele sein muß, über welcher der Herr sein Angesicht in freundlicher Mitteilung soll leuchten lassen, ein natürlicher, fleischlicher Mensch ist derselben unfähig. Er kann das Reich Gottes nicht sehen, welches in Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist besteht. Der natürliche Mensch kann nichts vom Geist Gottes verstehen, er kann auch nichts davon genießen. Er begehrt es nicht und bekommt es nicht, der auferstandene Christus offenbart sich nicht der Welt, sondern seinen Jüngern. Der unwiedergeborene Mensch kann weder die Leiden, noch die Freuden eines Kindes Gottes beurteilen. Jedoch wird diese Erquickung nicht verschoben, bis jemand einen bedeutenden Fortschritt in der Gottseligkeit, in der Selbsterkenntnis, der Selbst- und Weltverleugnung gemacht hätte, vielmehr wird sie ihm gleich im Anfang seiner Umkehr mitgeteilt, und wohl in einem Maße, wie fortan nie wieder. Diese Erquickung ist wie ein Handgeld, ein Vorgeschmack des Kleinods, das am Ziel der Laufbahn aufgestellt ist, ein Vorgenuß dessen, was man dafür wieder bekommt, wenn man hiemit der Welt und was der Welt gefällt, rein ab- und Christo ansagt, welches jetzt mit vollem, ungeteilten Herzen geschieht. Denn, wenn du mich tröstest, dann laufe ich den Weg deiner Gebote. Der Trost geht nach dem Evangelium der Heiligung vorher, da das Gesetz diese voranstellt. Als der verlorene Sohn noch ferne war, sah ihn sein Vater schon und lief, nicht ging, lief ihm erbarmend entgegen und küßte ihn. Da rückte der Sohn mit seinem Sündenbekenntnis heraus, der Vater aber, als wollte er nichts davon hören, befahl, nicht ein gutes, sondern das beste Kleid herzubringen, ja es ihm anzuziehen, einen Ring an seine Hand und dann die Schuhe zum Wandern anzuthun, und zudem den Reigen, der nach der Mahlzeit mit fröhlichen Gesängen angestellt wurde. War nun der Sohn froh, der Vater war's nicht weniger, daß er ihn wieder hatte, denn er war tot und verloren und nun wieder lebendig und wieder gefunden worden, und wollte, jeder sollte sich mit freuen, was nur die unterließen, die sich weit über den verlorenen Sohn erhoben und von Verdienst zu sprechen wagten, oder sogar zornig wurden und keine Gemeinschaft mit ihm begehrten. Unter diesem Bilde stellt Jesus die köstliche Wirkung davon vor, wenn er sein Angesicht über einen sich bekehrenden Sünder leuchten läßt.

Jener unartige Sohn mag sich wohl vorgestellt haben, sein Vater, wenn er ihn anders vor sich lasse, werde ein ernsthaftes, unfreundliches Gesicht aufsetzen, werde ihn mit gerechten Vorwürfen überhäufen, werde ihm vielleicht sagen, er könne einen solchen lüderlichen Menschen unter seinen Tagelöhnern nicht gebrauchen, er möge erst hingehen und mit der That beweisen, daß es ihm mit der Besserung wahrer Ernst sei und dann einmal wiederkommen. Nichts dergleichen. Allsofort erleuchtet der Vater sein Angesicht über ihn und ist ihm gnädig ohne alles Verdienst der Werke, umsonst, aus Liebe. Und so geht's noch. Zur rechten Stunde lernt der zerschlagene Sünder gewißlich erkennen und dafür halten, daß Gott nicht ein harter Herr ist, der da schneiden will, wo er nicht gesäet hat, sondern ein überaus guter Vater, welcher giebt einfältiglich, festiglich dafür halten und glauben, daß er nicht ein solcher ist, dem man durch vorhergehendes oder nachfolgendes Wohlverhalten etwas abverdienen muß, sondern der alles frei, umsonst, um Christi willen schenkt und überschwänglich thut über Bitten und Verstehen, als einen Gott lernt er ihn kennen, der Missethat, Uebertretung und Sünde vergiebt, der Gottlose so gerecht spricht, daß fortan sie niemand verdammen darf, als einen Gott von vollkommener Seligkeit. Er sieht unter den erleuchtenden Strahlen seines Angesichts und glaubt aufs gewisseste, daß er durch Christi Blut aufs vollkommenste versöhnt, abgewaschen, gereinigt sei, daß die gesamte Handschrift seiner Sündenschuld ans Kreuz genagelt du weggeschafft sei. Der Heilige Geist macht dies alles kräftig, so daß sein Glaube eine gewisse Zuversicht wird. Wie kann es nun anders sein, als daß eine Seele, der es also geht, die der allmächtige heilige Geist tröstet, ganz getrost und freudig sei! Sie ist es, selbst im Angesichte des Todes, und sollte es ein gewaltsamer sein; sie ist es, selbst im Angesichte des Jüngsten Gerichts. Dann singt ein David: Lobe den Herrn, meine Seele; eine Maria: Meine Seele erhebet den Herrn! Dann leuchtet auch des Getrösteten Angesicht, wie Mosis Angesicht leuchtete, als er mit Gott geredet hatte. Da heißt es: Pniel, denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Dann schleicht man nicht, dann läuft man den Weg seiner Gebote.

Nun lautet der hohepriesterliche Segensspruch: Jehovah lasse sein Angesicht leuchten über dir, weil der Herr gesonnen ist, also mit seinem Volke zu handeln. Dies ist das höchste Gut. Besonders gehen euch diese hohepriesterlichen Worte an, ihr Traurigen zu Zion, ihr Leidtragenden, ihr, die ihr traurig seid in mancherlei Anfechtungen, die ihr im Finstern wandelt, und denen es nicht scheinet. Euer Sehnen ist dahin gerichtet: „Laß leuchten dein Angesicht, so genesen wir!“ Ach, wie wird's euch, wenn dies geschieht! Dann findet die Schwalbe ihr Haus, der Vogel sein Nest; dann weichen die Trauergeister, denn der Freudenmeister, Jesus tritt herein. Und es wird geschehen, denn euer Hohepriester begehrt's, und er wird allezeit erhöret. Doch wandeln wir hier nicht im Schauen, sondern im Glauben. Laßt euch an seiner Gnade genügen. Zu einem vollständigen Tage gehört auch die Dämmerung und die Nacht. In dem leuchten seines Angesichts sehen wir auch unsern Jammer, unser Nichts tiefer ein und loben sodann seine Gnade mit einem neuen Liede. Hier ist das Land der Abwechslung. Das Nahen zum Herzen und Fernen vom Herzen hat seine Zeit. Hier ist das Land der Entbehrung, der Verleugnung, der Thränen, des Streits, und wird nicht anders.

Aber es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Und wir, die wir glauben, gehen in diese Ruhe, hier anfänglich, dort vollkommen. Dort, dort sind die edlen Gaben, wo mein Hirt ewig wird meine Seele laben. Was wird das sein, wenn hier das irdische Auge bricht, um tüchtig zu werden, den Aufgang der ewigen Sonne in dem himmlischen Jerusalem zu schauen, dessen Leuchte das Lamm ist! Hier waren es Erstlinge, dort ist die ganze Ernte; hier Tropfen, dort ein Strom; hier Tag und Nacht, dort keine Nacht mehr. Sind hier die Tropfen so süß, was muß die Fülle sein! Mache dich denn auf und werde Licht, denn dein Licht kommt! Denn er wird hervorbrechen wie die schöne Morgenröte, wie ein milder Regen auf das Gras. Es wird, o es wird gewißlich dahin kommen, daß er endlich sein Angesicht so über dir, o Israel, leuchten läßt, daß er's dir nie wieder verbirgt, wiewohl noch der Jordan des Todes zwischen dir und diesem Kanaan liegt, woraus du auch schon manche Traube gekostet hast.

O laß dein Angesicht über uns leuchten, damit wir in deinem Lichte das Licht sehen, denn bei dir ist die Quelle des Lebens! Zeuch mich, zeuch mich, so laufen wir! Amen.

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